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Zeit im Journalismus – ein notwendiger Luxus

Der Journalismus ist zum Wettrennen verkommen, kritisiert der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender in einer furiosen Rede. Nur wer sich Zeit nimmt, kann noch etwas bewegen. Ein Plädoyer fürs Luftholen.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung einer Rede, die Nikolaus Brender Ende Oktober anlässlich der Verleihung des Otto-Brenner-Preises hielt. Sie können die gesamte Rede auch als Video anschauen.


Sie haben täglich mit ihm zu tun – sicherlich auch mit ihr. Es kann Ihre Nachbarin sein, ihr Arbeitskollege oder ihre Mitstreiterin am Arbeitsplatz. Und manchmal ist es auch Ihr bester Freund.

Sie sitzen mit ihnen zusammen, haben sich zu einem Kaffee verabredet. Das geht auch ganz gut, bis sich seine/ihre Augen verstohlen nach innen kehren, bis er/sie sich von einer Gesäßhälfte auf die andere wendet, den Oberkörper verdreht und höchst umständlich das Smartphone aus der Hosentasche gräbt. Er oder sie wischt über die Oberfläche, einmal, zweimal, dreimal. Besorgt fragen Sie nach: Ist was Besonderes? „Ooch nö“, ist die beiläufige Antwort aus der anderen Welt. Langsam kehren sich die Augen wieder nach außen. Die Gesäßhälften sind wieder im Lot, und das Gespräch kann weitergehen. Wo waren wir stehen geblieben?

Vielleicht sogar bei mir selbst? Der Kollege nämlich, die Kollegin mit diesem Tick bin auch ich, mal mehr – mal weniger. Der dutzendfache Boxenstopp zum Reifenwechsel der Informationsprofile gehört zum Alltag. Das Auftanken mit den neuesten Nachrichten wird zur Obsession. Die Stopps werden immer häufiger und das Gefühl, immer mehr davon zu brauchen, immer drängender. Im Unterschied zum Formel-Eins-Kurs hat dieses Rennen nie ein Ende. Bei mir als User, Leser, Hörer und Glotzer und Twitterer ist nach 80 Runden immer noch nicht Schluss. Ich wische weiter auf der Bedienoberfläche hin und her, rauf und runter. Wie häufig am Tag? Bis wann in die Nacht? Und was habe ich am Ende eines Tages in meinem Gedächtnis abgelegt und wohl versorgt? Präzise, zur weiteren Beschäftigung geeignet? Ich weiß nicht, ob es Untersuchungen zum täglichen Infonippen von Nutzern gibt und über die Halbwertzeit der angeschwemmten Informationen. Ich kenne lediglich Untersuchungen, die vor Jahren zur „Tagesschau“ angestellt wurden.

Was bleibt beim Zuschauer hängen?, wurde damals gefragt. Ein bis drei Stunden nach der Ausstrahlung der Fernsehsendung? Ergebnis nach meiner Erinnerung: Von den 20 bis 30 Meldungen bleiben zwei bis drei im Gedächtnis. Zwei Tage später sind es gerade noch eine bis eineinhalb Meldungen. Für uns Reporter waren solche Erkenntnisse niederschmetternd. Würden wir uns heute als Konsumenten von Nachrichten und als Nutzer unserer Smartphones selbst kritischer beobachten – ich fürchte, der Befund wäre nicht weniger ernüchternd.

Ob unser Nesteln nach News zwanghaft, gar krankhaft ist oder das Ergebnis einer geschickten Verführung, will ich nicht näher beleuchten. Eines ist klar: Wir selbst saugen die Flut an, die Wellen von irrelevanten Kleinigkeiten und die Riesenwellen des bloßen Scheins. Und dabei sind wir unersättlich.

Der Hunger der Unersättlichen

Und irgendwo in Hamburg, in Berlin, in München und in vielen Kleinstädten unserer Republik sitzen die, die uns satt kriegen müssen, unseren Hunger stillen wollen: in den Online-Redaktionen der großen Marken und vor den Monitoren der kleinen Redaktionen, die es den Großen gleich tun wollen – immer ein Auge auf „Spiegel Online“ und „Bild.de“.

Und sie wissen, dass wir nesteln, dass wir enttäuscht wären, wenn beim nächsten Wisch über das Display nichts Neues zu sehen wäre. Alle zwei Stunden werden die Aufmacher gewechselt. Neue Aufmerksamkeiten werden gesetzt, neue Fährten gelegt. Wenn es der Text nicht hergibt, dann muss es das Bild bringen. Ein EU-Krisentreffen wird mit einem Foto aus dem Blaulichtmilieu angefixt. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun. „Fingierte Brisanz“ nennt ein Kollege das Verfahren.

Für die Journalisten in den Großräumen der Online-Redaktionen, in den Nachrichtensendern und Hörfunkstationen gelten die gleichen Kriterien des guten Journalismus wie für die Redakteure von Tages- und Wochenzeitungen, von politischen Fernsehmagazinen. Nur gelten für sie andere Gesetze. Es sind die Gesetze der pausenlosen Konkurrenz. Die Gesetze der Daytrader. Keiner will auch nur der Zweite sein. Und jedem steckt die Angst im Nacken, den Trend zu verpassen, nicht dabei zu sein beim Halali des Tages.

Seit Sonntag gehe ich mit Sandy ins Bett, der furios durch die Lüfte reitenden Hexe aus dem Atlantik. Ich wache mit ihr auf und verbringe den ganzen Tag mit ihr. Trotz ihres teuflischen Charakters ist sie mir inzwischen näher als meine eigene Frau. Und obwohl erst auf dem Weg an die amerikanische Ostküste, hat sie medial schon längst ganze Landstriche verwüstet, New York aus den Angeln gehoben und Washington in den Abgrund gestoßen. Was hat Sandy eigentlich noch zu tun, wenn sie wirklich auf Land trifft? Es gibt nichts mehr, was die Medien ihr noch zur Verwüstung gelassen haben.

Die lange Reise des Wirbelsturms an die Küste wäre ein klassisches Beispiel für prozesshaften Journalismus gewesen, so wie ihn namhafte Vertreter der Medientheorie vor allem im Web sehen oder fürs Web fordern. Sandy ist aber leider wieder nur ein klassisches Beispiel für die traditionelle Berichterstattung über Naturereignisse und soziale wie politische Entwicklungen. Ein Unterschied zwischen Online-Portal und Print, TV und Radio ist nicht zu erkennen. Das Ergebnis wird auf allen Plattformen spekulativ wie spektakulär vorausgesehen. Echtzeitjournalismus reicht schon lange nicht mehr. Die Endzeit muss es schon sein, über die wir Journalisten berichten.

Freiheits(selbst)beraubung

Nicht der Weg zu einem Ziel wird beschrieben, natürlich auch nicht die einzelnen Schritte dahin. Abgepackte Fertigteile vermitteln den Eindruck einer unverrückbaren Endgültigkeit. Und die im scharfen Galopp. Entsprechend fallen die scharfrichterlichen Schnellurteile aus, die sich Journalisten so mal zu leisten glauben. Sandy mag das ertragen können. Die Politik im demokratischen Prozess sicherlich nicht. Der Bundestagspräsident hat an dieser Stelle leise Kritik an dieser journalistischen Praxis geäußert. Ich glaube, er hat Recht.

In seinem „Spiegel“-Essay „Die rasenden Politiker“ hat Herfried Münkler auf die besondere Verantwortung von Presse und Medien für die parlamentarische Demokratie hingewiesen. Man könnte auch sagen, er hat ihre Verantwortungslosigkeit zum Thema gemacht. „Kaum etwas“, schreibt er, „hat die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie mehr beschädigt als die ständige Verkündigung der Alternativlosigkeit von Entscheidungen.“ Unter dem Druck der Presse und der Medien stelle die Regierung das Parlament permanent vor vollendete Tatsachen.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Mittels dem Zeitdruck, dem sich Presse und Medien selbst ausliefern – damit meine ich ausdrücklich nicht nur die Online-Medien -, berauben sich die Journalisten selbst ihrer Freiheit, in Alternativen zu denken und alternativem Denken eine breite Öffentlichkeit zu verschaffen.

Die 66-Sekunden-Minute

Ein ganz normaler Mensch holt sich mit etwa 15 bis 20 Atemzüge seine Luft. In körperlichen und seelischen Erregungszuständen sind etwas mehr. Radiointerviews oder Fernsehtalks empfinden viele Beteiligte als einen Zustand besonderer Erregung. Sie atmen schneller, flacher, hecheln hier und da und retten sich in die Atempause, ins Durchatmen, ins Luftholen. Just diese zwei, drei, vier Sekunden des Innehaltens aber sind die Rettung für manch blitzgescheiten Gedanken. Und oftmals sind sie die entscheidenden Momente im Zeitablauf eines Interviews.

Deutlich vernehmbar sind sie und zuweilen auch sichtbar – diese Sekunden der höchsten Konzentration, der keuchenden Suche nach dem roten Faden oder die Erleichterung über die wiedergefundene Fährte des verloren gegangenen Arguments. Bisher wurden solche Augenblicke eines Interviews oder eines Talks geradezu herbeigesehnt. Galten die doch als Ausdruck eines frischen, lebendigen Gesprächs, das auch dem kurzen Zweifel, der bemessenen Nachdenklichkeit und vor allem dem Charakter der Gesprächspartner einen kleinen schöpferischen Moment gestattete.

Das alles galt, bis kommerzielle Radiosender in den USA eine neue Zeiteinheit erfanden: die 66 Sekunden-Minute. Auch sie zählt exakt 60 Sekunden. Nur – den Medienmanagern ist diese Normalminute zu kurz für die Werbespots, die sie zusätzlich noch in diese Minute zu pressen haben. Und alle Verfahren, die Texte zu verdichten, sind längst ausgeschöpft: knappere Fragen, kürzere Antworten, höheres Sprachtempo und der Verzicht auf den Luxus ausufernder Relativsätze. Trotz aller Anstrengungen kommt man mit den Zusatzspots immer noch auf 66 Sekunden. Das einzige, was noch bleibt und zu bereinigen wäre, sind die knappen, sekundenlangen, rein zeitökonomisch völlig überflüssigen Atempausen von Moderatoren und Gesprächspartnern.

Systematisch und konsequent geht es ihnen nun an den Kragen. Rigoros werden sie herausgefiltert. Solange, bis den digitalen Amputationen Erfolg beschieden ist: Jetzt passen Text- und Werbesequenzen haargenau. Die Operation ist gelungen. Aus 66 Sekunden sind 60 geworden. Die 66 Sekunden-Minute ist geboren, die Gesprächspartner des Atems beraubt, die Radiostücke ihrer Seele. So hören sie sich auch an: atemlos. Dies ist eine Parabel aus dem Geschäftsmodell geschwinder Medien. Der Zeitbegriff in seiner flachsten und gleichzeitig in seiner modernsten Funktion.

Im 13. Jahrhundert schon haben die Kaufleute den Zusammenhang zwischen Zeit und Geld begriffen. Geld, hieß es, ist gespeicherte Zeit. Genau so, wie es die Radioleute in den USA verstehen: Je weiter die Entfernungen, je lockender die Geschäfte, desto schneller wurden die Geschwindigkeiten und der Druck, sich Informationen über Marktpreise, Ernteprognosen und Transportwege zu beschaffen. An der Verknüpfung von Profit und Informationen hat sich bis heute nicht allzu viel geändert.

Und ebenso wenig hat sich die Faszination der Journalisten von Höchstleistungen und Geschwindigkeitsrekorden aller Art gelegt. Um die Jahrhundertwende rühmte sich die Berliner Zeitung „BZ am Mittag“, „die schnellste Zeitung der Welt“ zu sein. Nur der Humor hielt solchen Größenwahn etwas in Schach. Der erste Herausgeber des „Tagesspiegel“ und spätere Chefredakteur Erik Reger beschrieb diese Attitude in seinem Roman „Union der festen Hand“ auf seine Weise: „Deutschland hatte die schnellsten Schiffe, die heldischsten Ozeanflieger, den besten Roggenboden, die höchsten Arbeitslosenziffern, dienstagmeisten Pleiten und die größten Skandale, und seine Hühner legten die frischesten Eier der Welt. Es war eine sonderbare Sucht, die kleinen Dinge uns Unendliche zu vergrößern.“ Es scheint, dass wir in unserer Fähigkeit zum Skandalisieren in der Tradition hochbegabter Vorfahren stehen.

Journalistischer Hochfrequenzhandel

Immer wieder werfen Medien, Wirtschaft und Wissenschaft der Kanzlerin opportunistische Stimmungspolitik vor. Augenblicks-orientiert sei sie, ohne Perspektive und Horizont, ohne Richtung und Haltung. Ganz falsch ist diese Kritik an der deutschen Regierungschefin sicherlich nicht. Nur: Welche Richtung, welche Haltung nehmen Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen in einer Welt der sozialen und globalen Unübersichtlichkeit ein? Welche Haltung haben, welche Perspektiven bieten die zahllosen Online-Portale der Verlage und Sendeanstalten? Ist bei ihnen selbst die so kräftig angemahnte Langzeitstrategie zu Hause oder regiert in vielen Medienhäusern nicht auch das situationsgesteuerte Stimmungsmanagement?

Anlass zu gegenseitigen Vorwürfen jedenfalls hat keine der gesellschaftlichen Gruppen. Politik, Wirtschaft und Medien richten sich nämlich nach den gleichen Aktionsimpulsen. Sie ordnen sich dem gleichen Zeittakt unter, sie folgen der gleichen Reaktionsmechanik und filtern nach der gleichen Prioritätenstruktur. Es ist ein Nervenverbund – und der macht Sorge, weil die Medien ein fester Teil dieses Verbundes sind.

Wann immer die Börsen das Rasen bekommen, warnen Ökonomen, Politiker und natürlich auch wir Journalisten vor den Gefahren ultraschneller Hochfrequenzcomputer, die in Bruchteilen von Sekunden Tausende von Aktien verschieben und die Märkte ins Wanken, wenn nicht gar zum Absturz bringen können. Die Sorge vor dem Kontrollverlust aber, die Angst vor den kollabierenden Wirkungen einer unbeherrschbaren Sepsis lässt sehr wohl auch auf das mediale Tagesgeschäft mancher Online-Portale, Zeitungen und Fernsehprogramme übertragen. Auch hier diktiert der Algorithmus der Suchmaschine Titel, Texte, Bilder und deren Ranking. Wenn Themen und Storys von Google und Yahoo nach oben katapultiert werden, entgleiten sie der redaktionellen Kontrolle. Wenn Klicks fürs eigene Portal winken, gibt es auch in vielen Redaktionen kein Halten mehr und wenig Bedenken.

In Krisenzeiten wird dies erschreckend deutlich. Um der Konkurrenz stand zu halten, überschlagen sich manche Online-Ausgaben in wilden Katastrophenszenarien. In diesem Wettlauf der kreischenden Bieter fühlen sich viele als Sieger. Wohl wissend, dass sie im Kampf um die Aufmerksamkeit und im Kampf gegen die Uhr vorne liegen, nicht aber in der Beschreibung der Realität.

„Nuklearrisiko Börse“, bezeichnet Roland Tichy das brandgefährliche Spekulationsspiel. Und dass die Risiken der Kaskadeneffekte ernst zu nehmen sind, das mahnt nicht nur der Professor für Ökonometrie, Nikolaus Hautsch im Blick auf die Finanzcomputer. Ebenso hohe Risiken birgt die Klickökonomie der Suchmaschinen. Im Gegensatz zu den Schäden an der Börse aber lässt sich der Vertrauensschaden in den Journalismus durch diese Spielart des journalistischen Hochfrequenzhandels nicht beziffern.

Beschämend und jämmerlich

Ein anderes Phänomen des modernen Wirtschaftsgeschehens lässt sich ebenso auf Presse und Medien übertragen. Allenthalben wird über die Entkoppelung der Finanzwirtschaft von der real-produzierenden Wirtschaft räsoniert. Was aber ist realitätsferner, wenn Redaktionen ihre Meldungen beinahe im Live-Takt kreieren, verändern oder anpassen müssen. Ihr Erfahrungsraum ist der Computerarbeitsplatz. Welche Wirklichkeit wird in diesen sterilen Räumen empfunden, und welche wird von dort verbreitet? Die der Agenturen, die der Hinweise aus den sozialen Netzwerken und die der Zufallsfunde aus dem weiten Internet.

Nur wenige Online-Redaktionen können sich noch Reporter leisten, die sich ins Leben mischen, die sich Zeit nehmen, die beobachten, die aus dem Erlebten und nicht nur aus dem Gelesenen Zusammenhänge herstellen. Vielleicht ist es diese tatsächliche Distanz zum realen Leben, warum viele die Berichterstattung über sich selbst eher als Fiktion denn als Tatsachenbeschreibung empfinden. Diese Feststellung gilt aber wahrlich nicht nur für die Online-Portale. Auch manche Fernsehanstalt, manche Radiostation und Verlag scheut die Nähe zur Realität, weil sie ihr schlicht zu teuer kommt.

Die „FAZ“ hat eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) veröffentlicht, die die finanzielle, ja existentielle Misere deutscher Dokumentarfilmer aufdeckt. Darin wird erschreckend deutlich, dass ein Berufsstand um sein Überleben kämpft, auf dessen Arbeit diese Gesellschaft dringend angewiesen ist. Es geht um die Regisseure und Journalisten, die sich jenseits des schnellen Blicks und des kurzen Klicks um die dokumentarische Belichtung unserer Gegenwart bemühen. Die einen langen Atem haben und deren Annäherung an ihre Stoffe sich nicht in Stunden bemessen kann. Eher in Wochen und Monaten, weil sich die Oberfläche im schnellen Video nicht abtragen und die Wirklichkeit sich im Spotlight nicht freilegen lässt. In unserer eiligen Öffentlichkeit brauchen wir diese Langstreckenlaüfer des Films – gerade als Gegengewicht zu den Medien des Tempos und der Beschleunigung.

Die Forderung nach einem Lohn der Arbeit, der die Menschen in Würde an unserer Gesellschaft teilhaben lässt, ist gerecht. Sie passt in ein Land, das immer wieder gerne auf seine christliche Kultur und Tradition verweist. So passt auch eine Mindestgage für Dokumentaristen in unser Land. Die jetzigen Honorare sind beschämend und jämmerlich. Man muss beinahe annehmen, dass Dokumentarfilmer und Journalisten mit Hungerlöhnen für die Bilder bestraft werden, die sie der Gesellschaft im Zeichen kritischer Aufklärung vor Augen halten.

Keine Angst mehr vor den Schnellen

Gegen Schnelligkeit im Journalismus ist ja grundsätzlich nichts zu sagen, wenn sie der journalistischen Aufgabenstellung angemessen ist. Im Gegenteil: Die Bürger haben das Recht, von Ereignissen, Entwicklungen, Entscheidungen und Zuständen schnell Kenntnis zu erlangen. Herrschaftswissen nützt nur der Herrschaft. Und langes verborgen gehaltenes Herrschaftswissen stützt die lange Herrschaft. Dagegen stützt offene und schnelle Information die Demokratie. In Zeiten absoluter Herrschaft war Schnelligkeit eine lebenswichtige Eigenschaft des Journalisten. Schnell schreiben, schnell drucken und schnell verteilen, schneller sein als die Büttel des Fürsten. Schnell, bevor die Zeitung konfisziert, die Druckerpresse versiegelt und der Journalist verhaftet werden konnte.

Heute haben sich die Verhältnisse beinahe in ihr Gegenteil verkehrt: Schnelle Berichte – kurz gehalten und schlank – fürchten Politiker, Unternehmen, Verbände und auch Gewerkschaften mangels Substanz schon lange nicht mehr. Gefahr im Verzug kommt für sie aber dann auf, wenn sich ein Journalist Zeit nimmt. Das scheint verdächtig. Ich finde, wir sollten uns den Luxus, in einen solchen Verdacht zu geraten, weit mehr leisten als bislang. Für eine demokratische Öffentlichkeit ist dieser Luxus Notwendigkeit.

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