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Snowden-Doku „Citizenfour“: „Es geht hier nicht um mich“

Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Whistleblower Edward Snowden Informationen über die Spähprogramme westlicher Geheimdienste. Der Dokumentarfilm „Citizenfour“ zeigt was geschah, bevor die Leaks öffentlich wurden. Inhaltlich bietet er nicht viel Neues, sehenswert ist er dennoch.

Zunächst eine kurze Rekapitulation: 1998 erschien der Spielfilm „Staatsfeind Nr. 1“ in den Kinos. Darin sammeln NSA-Mitarbeiter mit Wanzen, per Satellit und Telekommunikationsleitung jeden noch so kleinen Schnipsel Information über eine Person und manipulieren sie. Natürlich wird der Machtmissbrauch der Geheimdienstler am Ende bestraft und Politiker erklären in typischem Hollywood-Pathos, so ein Eingriff in die Privatsphäre dürfe nicht noch einmal passieren. Damals waren in der realen Welt Geheimdienste noch Dienste, deren Arbeit geheim war – meistens jedenfalls.

Dann kam der 11. September 2001 und in den USA nahm mit dem Patriot Act eine neue Welt der von Paranoia getriebenen Überwachung Gestalt an, deren Dimensionen alles Vorherige übertrafen. Die Realität hatte die Fiktion weit überholt.

Anfang 2009 wurde Barack Obama mit dem Slogan „Change we can believe in“ Präsident der USA. Er wollte Schluss machen mit der Totalüberwachung der Bush-Jahre. Dieses Versprechen hat sich inzwischen als nichtig herausgestellt. Im Gegenteil: Unter Obamas Regierung wurden die Ausspionierungsaktivitäten im In- und Ausland noch weiter ausgebaut.

Ende Mai 2013 traf der NSA-Mitarbeiter Edward Snowden sich mit dem Guardian-Reporter Glenn Greenwald in einem Hotelzimmer in Hongkong. Mit dabei die US-Journalistin und Filmemacherin Laura Poitras, die zuvor mit Snowden korrespondiert hatte. Snowden habe sie ausgesucht aufgrund ihrer Erfahrung mit US-amerikanischer Gängelung unbequemer Kritiker nach ihren Filmen über den Irakkrieg und den „Krieg gegen den Terror“. Wenig später holte Greenwald Ewen MacAskill, seinen Kollegen vom Guardian, dazu. Diese Begegnung der Journalisten mit dem Whistleblower stehen im Zentrum von „Citizenfour“. Die Informationen, die ihnen Snowden präsentierte und von ihnen stückweise veröffentlicht wurden, erschütterten im Frühling 2013 die Weltöffentlichkeit. Prism, XKeyscore, Tempora, Merkel-Handy, elektronische Hintertüren, BND-Spionage, die dreisten Lügen der Geheimdienstchefs vor Untersuchungsausschüssen – die groben Fakten dürften inzwischen jedem bekannt sein. Wozu also dieser Film? Wieso jetzt?

Der erste Popstar des Totalüberwachungszeitalters

Es soll nicht um seine Person gehen, betont Snowden im Film wiederholt. Und doch war das Bild des schmächtigen Mannes mit der schmalen Brille und der ruhigen Stimme bald nach den ersten Veröffentlichungen nahezu omnipräsent in den Medien. Mit seiner Flucht über Hong Kong und seinem medial ausgeschlachteten Zwangsaufenthalt für 40 Tage im Transitbereich des Moskauer Flughafens wurde er in der Öffentlichkeit zu einem Paradebeispiel in Echtzeit, was mit Whistleblowern passiert. Wochenlang prangte sein Konterfei auf Titelseiten, Plakaten, Stickern und Pappmasken. Sein Name tauchte in jeder Nachrichtensendung auf. Edward „I go by Ed“ Snowden wurde unfreiwillig zum ersten Popstar des Totalüberwachungszeitalters.

Wenn der Großteil der Menschen die Namen der diversen Überwachungsprogramme längst vergessen haben wird, wird man sich wahrscheinlich an den Namen Edward Snowden noch erinnern.

Was hat sich geändert im Jahr 1 nach Snowden? In der Politik wenig. Untersuchungsausschüsse tagen bis heute ohne nennenswerte Fortschritte. Stattdessen beherrschten zwischenzeitlich Minister, die die Affäre für beendet erklärten, gegenseitige Schuldzuweisungen und fadenscheinige Ausreden der Verantwortlichen die Debatte. Auch in der Bevölkerung folgten auf die Empörung nur wenige Taten. Während sie Snowdens Enthüllungen im Fernsehen sah, verschickte sie weiter Nachrichten per WhatsApp. Was sollte sie auch tun? Angesichts der schieren Allmacht der Geheimdienste wäre die einzige Lösung in einem entlegenen Winkel der Welt ohne jegliche Elektronik in einer Höhle zu leben. Selbst dort müsste man mit dem Überraschungsbesuch einer Drohne rechnen.

Paranoid und untergetaucht

Schnörkellos erzählt „Citizenfour“, wie Snowden mit Poitras über verschlüsselte Mails Kontakt aufnahm und wie die drei Journalisten sich mit ihm in einem Hongkonger Hotelzimmer verschanzten. Es gibt wenig Fremdmaterial (zum Beispiel von Gerichtsverhandlungen, Nachrichtensendungen, Ausschusssitzungen, Auftritte des NSA-Whistleblowers William Binney), kaum Kommentare aus dem Off und nur wenige Schnitte. Die Paranoia ist spürbar, wenn die vier sich fragen, ob der Test des Feueralarms vielleicht eine Falle ist, um sie aus dem Zimmer zu locken, wenn Passwörter unter einer Decke als Sichtschutz eingegeben werden oder als Snowden anmerkt, dass man sie über das VoIP-Telefon leicht belauschen könnte.

Seinem Wunsch entsprechend erfährt man wenig Persönliches über Snowden: Er ist (zum Zeitpunkt der Aufnahmen) Ende zwanzig, wuchs in einer Militärfamilie an der Ostküste der USA auf und lebte zuletzt mit seiner Freundin zusammen auf Hawaii. Weder seine Familie noch seine Freundin informierte er vor seinen Plänen, bevor er sich krank meldete und verschwand.

Generalverdacht und Umgehung der Gewaltenteilung

Auf die Frage nach seiner Motivation, ein solches Risiko einzugehen, antwortet er, ihm gehe es darum, die intellektuelle Freiheit zu bewahren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei wertlos, wenn niemand davon Gebrauch mache aus Angst, das Gesagte könnte später gegen ihn verwendet werden. Neben diesem demokratiefeindlichen Punkt, weist der Film auch auf die Aushöhlung des Rechtsstaates hin: Die Überwachung geschieht flächendeckend, ohne konkrete Verdachtsmomente und ohne richterliche Genehmigung. Auch die eigene Bevölkerung wird von den jeweiligen Diensten unter Generalverdacht gestellt. Während eines Prozesses, in dem Kunden gegen die Weitergabe ihrer Daten durch den Telekommunikationsanbieter Verizon klagen, erklärt ein Vertreter des US-Justizministerium den Richtern, die Bundesgerichte hätten nur in wenigen Fälle eine Entscheidungskompetenz; die Befugnis in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit liege hauptsächlich bei der Exekutive. Nach neun Jahren, kommentiert Poitras, steckt das Verfahren noch immer in der Anfangsphase.

Und darum brauchen wir auch heute noch Snowden — nicht so sehr als Person, sondern als Symbolfigur, die die Problematik auf einen einzigen Namen kondensiert. Diese Einfachheit ist wichtig, denn die Komplexität des Themas ermüdet schnell und spielt somit den Ausspähern in die Hände.

Snowdens Geschichte ist auch als Präzedenzfall für einen Whistleblower ist, der aus seinem Land flieht, weil er fürchtet, dass ihm dort kein faires Verfahren gewährt wird. Wie gefährlich enthüllende Insider auch in der westlichen Welt leben, haben zuvor unter anderem die Fälle von Daniel Ellsberg, Chelsea Manning und Julian Assange gezeigt. Und auch Journalisten sind betroffen: Der Guardian musste Festplatten mit Snowden-Dokumenten auf Anordnung der britischen Regierung zerstören; dem Investigativreporter James Risen droht in den USA Beugehaft, sollte er seine Quelle bei der CIA nicht preisgeben.

Von Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der USA, ist folgendes Zitat überliefert: “Those who would give up essential liberty, to purchase a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.” Die Diskussion um Effektivität und Effizienz der Spähprogramme hat gezeigt, dass wir uns mit der totalen Überwachung keine totale Sicherheit erkaufen können. Edward Snowden, Glenn Greenwald, Laura Poitras und Co. erinnern uns daran, dass der Preis, den wir dafür zahlen in jedem Fall zu hoch ist.


„Citizenfour“ läuft aktuell in Deutschland in englischer Sprache mit deutschen Untertiteln in diesen Kinos.

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