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Zehn Thesen zur digitalen Zukunft

Was bedeutet die digitale Revolution für unser Zusammenleben? Für Wirtschaft, Politik und Bildung? In seinem Buch „Digitale Renaissance“ beschreibt Martin Burckhardt, was sich ändert und wie wir mit diesen Veränderungen umgehen können. VOCER präsentiert daraus exklusiv Burckhardts zehn Thesen zur digitalen Zukunft.

1. DIGITALE RENAISSANCE

Mit der digitalen Revolution erleben wir eine Transformation, die so tief ist wie der Zeitriss, der die Neuzeit vom Mittelalter getrennt hat. Das Grundgesetz des neuen Geisteskontinents ist bekannt, es lautet x=xn. Vor dieser Formel müssen die künftigen Ideen, Institutionen und Plastiken bestehen.

2. STAAT

Der Nationalstaat ist Geschichte. Weil schon jetzt das Internet den politischen Handlungsraum definiert, gilt es, die nationalstaatlichen Exzesse einzuhegen und jene Institutionen zu befördern, die dem Rahmen des Weltbürgers entsprechen. Sind wir jetzt noch von Repräsentationsvorstellungen besessen, muss man im Jenseits der Ideologien die Politik der Simulation als größtmögliche Aufgabe denken!

3. GELD

Geld ist zum leeren Zeichen geworden. Wenn die versammelte Kopflosigkeit (= die Märkte) nichts als Schein produziert, so kann die Konsequenz nur in der Abschaffung jenes Finanzsystems bestehen, das es Einzelnen erlaubt, ganze Volkswirtschaften in Geiselhaft zu nehmen. Das Recht der Geldemission darf nicht mehr Staaten oder Banken vorbehalten sein, es muss an diejenigen gehen, die mit ihrer Aufmerksamkeit und mit ihren Bedürfnissen für den Wert des Geldes einstehen: an uns alle. Die beunruhigende Frage: Wie werden wir, wenn wir nicht mehr der Metaphysik des Geldes Glauben schenken können, den eigenen Wert und den Wert der Dinge ermitteln können?

4. ARBEIT

Was wir für Arbeit halten, wird im Museum der Arbeit verschwinden. Dinge hingegen, die wir als Spielerei oder Orchideenliebhaberei erachten, werden den Mehrwert der Zukunft darstellen. Unser Arbeitsethos wird der Kultivierung des Überflusses gelten. Da wir uns selbst produzieren, stellt die Vervollkommnung der sozialen Plastik das Ziel unserer Bemühungen dar. Arbeit wird das Medium sein, in dem wir unsere Verwandlung vorantreiben und uns zugleich dabei zuschauen können.

5. ÖKONOMIE

Am Ende der Produkte angelangt, werden wir selber zur Währung. Wenn unsere Aufgabe darin besteht, die Güte dieser Währung aufrecht zu erhalten, so heißt dies in einer beweglichen Welt: sich immer wieder neu erfinden zu müssen. Die Logik des Upgrades aber basiert darauf, dass man das Scheitern erlernt. Dies ist das Wesen der Digitalisierung: Zerstörung, mit dem Ziel, das Objekt in umso grandioserer Form wiederauferstehen zu lassen.

6. ICH

Das Individuum, das mit seiner Unterschrift eine lebenslange Verpflichtung eingeht, ist passé. Wenn unser Sein im Austausch besteht, sind wir Dividuen, Schauspielern vergleichbar, die auf der Suche nach immer neuen Rollen und Herausforderungen sind. Ein solcher Rollenwechsel erfordert nicht mehr den Funktionär, sondern den ganzen Menschen.

7. KUNST

Es wird keine Künstler mehr geben, nurmehr die Kunst. Begreifen wir die Gesellschaft als Kunstwerk, geben wir ihr den Sinn für das Utopische, für ihre Möglichkeiten zurück.

8. MORAL

Unsere Individualmoral hat sich überlebt, sie wird (wie die Religion) zur Privatsache. Die Moral der Ge- und Verbote muss sich zum Weltverständnis verwandeln. Da wir in Fernbeziehungen leben und der Tastendruck unseres Fingers einen Menschen am anderen Ende der Welt in Mitleidenschaft ziehen kann, ist auch die Ferne ein Modus der Nähe. Die Maxime: dass man sich löst von den Überlegenheitsvorstellungen der eigenen Religion und Kultur, dass die Nächstenliebe mit der Fernstenliebe verschmilzt.

9. BILDUNG

Unsere Schulen und Universitäten sind so überflüssig wie die Kopisten zu Zeiten des Buchdrucks. Die Bildung der Zukunft wird darauf beruhen, dass man nicht auswendig, sondern inwendig lernt. Wissensakkumulation wird durch Neugierde, unveränderliche Wahrheiten werden durch Gedankenspiele ersetzt. Ein Gedanke, der den Denkenden ausgrenzt oder zu eliminieren versucht, ist per se wertlos. Auch die Naturwissenschaft (unsere Außenwelt) muss inwendig werden (Geisteswissenschaft).

10. DER MENSCH

Dürfen wir unser Leben dem Programm der Maschine unterwerfen? Nur wenn wir uns von der Sucht nach Kontrolle befreien und aufhören, Institutionen, Formeln und Maschinen zu fetischisieren, werden wir uns selbst finden können. Dieses Selbst ist kein Besitz, sondern die Fähigkeit, mit anderen Menschen in Kommunikation zu treten. Nur in dem Maße, in dem wir unser Fetisch-Selbst auflösen, wird das Menschenbild der Zukunft in unsere Wahrnehmung eintreten.


digitale-renaissance_coverBei diesen zehn Thesen handelt es sich um einen Auszug aus Martin Burckhardts Buch „Digitale Renaissance: Manifest für eine neue Welt“, das am am 19. Mai 2014 im Metrolit-Verlag erscheint. Als E-Book ist der Text bereits erhältlich. Sowohl die digitale als auch die gedruckte Buchversion entstehen in einem „social writing“-Prozess: Leser können mit ihren Kommentaren den Inhalt des Textes mitgestalten. Mehr Informationen auf der Verlagswebsite.

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