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Innovation Day: Sieben Fragen an Stephan Weichert

Keine Thesen zur Zukunft des Journalismus mehr – dafür endlich ein Umdenken: VOCER-Herausgeber Stephan Weichert hat sieben Fragen zu Innovationen in der Branche beantwortet.

Welche journalistische Innovation hat Sie jüngst überrascht? Krautreporter! Sicherlich handelt es sich um keine Innovation im engeren Sinne – Crowdfunding-Magazinprojekte gibt es schließlich schon seit vielen Jahren in den USA und anderswo. Auch wenn das Projekt an der 15.000-Abonnenten-Vorgabe gescheitert ist, wonach es momentan aussieht, ist das, was mein VOCER-Kollege Alexander von Streit, Sebastian Esser und die Autoren dort versuchen, zumindest im gesamtgesellschaftlichen Sinne eine kleine Sensation, nämlich den schwerfälligen deutschen Leser davon zu überzeugen, dass sich Journalismus direkt und ohne Werbung finanzieren lässt. Ein Anfang ist gemacht.

Was ist das Innovativste, das Sie selbst je gemacht haben?
Wenn man „gemacht“ in Anführungen setzt: meine beiden Kinder, Julie und Levi.

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Prof. Dr. Stephan Weichert ist presserechtlich verantwortlicher Herausgeber von VOCER und lehrt an MHMK und HMS.

Welche Themen haben Sie während Ihrer Ausbildung vermisst?
Während meiner Ausbildung am damaligen Institut für Journalistik der Universität Hamburg hat sich das Internet allmählich als journalistisches Arbeitswerkzeug etabliert und es gab die ersten Seminare zu Online-Recherche, Suchmaschinen etc. Damals erkannte man jedoch noch nicht, wie wichtig Technologie einmal als Determinante für das journalistischen Handwerks werden wird. Wenn ich heute noch einmal von vorne anfangen würde, stünde das technische Know-how wohl stärker im Mittelpunkt.

Was muss im Journalismus zukünftig dringend passieren?
Ich kann es mich schon selbst fast nicht mehr sagen hören, aber: Ich glaube, ein Umdenken im Journalismus ist nach wie vor notwendiger denn je – im Hinblick auf die Geschäftsmodelle, die Darstellungsformen, den Dialog mit dem User, das Redaktionsmanagement, das Technikprimat und natürlich auch das journalistische Selbstverständnis. Wenn Journalisten es schaffen, sich von ihrem hergebrachten Rollenverständnis zu lösen, dann ist das schon die halbe Miete, um nicht den Anschluss an den radikalen Wandel der Arbeitswelt zu verpassen. Anders gesagt: Die Digitalisierung des Journalismus ist nur in den Augen von Reaktionären etwas Negatives.

Welche Vorhersage über die Zukunft des Journalismus können Sie nicht mehr hören?
Eigentlich fast alle. Am meisten nerven mich aber diejenigen Kollegen, die sich über Thesen zur Zukunft des Journalismus aufregen oder lustig machen und am Ende selbst welche publizieren.

Wen können sich junge Journalisten zum Vorbild nehmen?
Die Frage ist mir zu beschränkt, denn ich finde, dass es heute zahlreiche Vorbilder im Journalismus gibt, an denen sich Journalisten jeden Alters ein Beispiel nehmen könnten, etwa Glenn Greenwald und Laura Poitras für ihre Enthüllungen. Oder das Team um Scott Klein von Pro Publica für seine technische Kreativität. Oder Tabea Grzeszyk, Sandra Zistl und Tamara Antony für ihren Pioniergeist, das Netzwerk Hostwriter zu gründen. Oder jemanden wie Tilo Jung wegen seiner unkonventionellen Art, den Politikbetrieb zu entlarven. Oder die Jungs von „Substanz“, die mithilfe der Crowd ein neues App-Magazin gründen werden. Das Gute an der digitalen Revolution ist: Man muss heute nicht in die Chefetagen gucken, um kluge und kreative Köpfe zu finden. Es gibt sie heute überall – vor allem auch dank der Innovationsvielfalt im Netz.

Nur noch Freiberufler, keine Festanstellungen mehr? Wie sehen die Beschäftigungsverhältnisse in Zukunft aus? Wie sollten sie aussehen?
Sowohl als auch. Man wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es in Zukunft vollkommen andere Arbeitszusammenhänge und Beschäftigungsverhältnisse im Journalismus geben wird, die kaum noch etwas mit der Vorstellung der heutigen Redaktion zu tun haben. Journalistische Arbeit wird viel agiler, dymanischer und anpassungsfähiger sein. Und auch die Bezahlung von Journalisten wird aus anderen Erlösquellen kommen als die, die es heute gibt.


Prof. Dr. Stephan Weichert ist presserechtlich verantwortlicher Herausgeber von VOCER und geschäftsführender Vorstand des Vereins für Medien- und Journalismuskritik. Er lehrt an der MHMK als Professor für digitalen Journalismus und leitet an der Hamburg Media School den berufsbegleitenden Studiengang „Digital Journalism“. Er wird beim VOCER Innovation Day die Eröffnungsveranstaltung moderieren und beim Abschlusspanel mitdiskutieren. Weitere Infos zu der Konferenz am 28. Juni 2014 in Hamburg gibt’s hier

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