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Wieso wir Leserclubs brauchen

Schluss mit der Schuldsuche im Netz! Die Zeitungen haben ein Problem, das weit über die oft beklagte Gratis-Kultur hinausgeht – und können doch vom Internet für die Zukunft lernen.

„Sollten unsere Kinder irgendwann mal meckern: Früher war alles viel besser, dann meinen Sie damit jetzt.“ – Die Orsons, „Jetzt“

In diesem Herbst fallen Blätter, sie heißen zum Beispiel „Frankfurter Rundschau“ und „Prinz“; mehrere andere, die nicht fallen, verwelken sichtbar. Es ist die dritte Medienkrise in gut zehn Jahren, wobei nüchtern-zynische Kollegen von einer fälligen Marktbereinigung mit menschlich sicher schwierigen Momenten reden – während die nicht so abgebrühten in Sorge um die Zukunft des Journalismus verfallen. Vor allem Jüngere dürfen sich auf Krise als Dauerzustand einstellen.

Für wie viele Journalisten abseits des öffentlich-rechtlichen Systems wird das Geld von Lesern und Werbekunden in 15, zehn, fünf Jahren noch reichen – wenn Traditionsmedien schneller Umsätze verlieren, als die digitalen Medien gewinnen? Die Liste überregional bedeutsamer Titel ist schon zusammengeschnurrt. Welche Zeitung, welches Magazin muss man aus publizistischer Sicht heute noch lesen? Drei, vier, höchstens fünf sind in der engeren Wahl, doch reicht unserer Demokratie das? Was passiert mit den vielen Regionaltiteln, wenn die Ver-Netz-ung die Fläche der Republik jetzt voll erreicht, so wie sie schon den Medienmarkt in Metropolen verändert hat?

Zwischen Sparrunden, Zwangsfusionen und Grabesreden im Dutzend ist dies offensichtlich ein größerer Schumpeter-Moment in der Geschichte des bundesdeutschen Journalismus, ein Herbst jener Zerstörung, die schöpferisch sein kann, wenn es gut läuft. Ich will nicht von der Zerstörung reden, zumal sie keineswegs alle gleichermaßen trifft und manchen sogar hilft, sondern vom Schöpferischen. Von der Hoffnung. Wir Journalisten lieben aus professionellen Gründen Untergangsszenarien, das Apokalyptische, das Defätistische. Das hilft uns aber nicht.

Dieser Moment fordert digitales Umdenken und Denken. Welche neuen Möglichkeiten haben wir schon außer dem Netz? Es wird Zeit, die im Wortsinn schwachsinnige polarisierte Debatte über das Internet und den Journalismus an sich zu beenden. Das Netz wird natürlich nie mehr verschwinden. Es ist real, und im realen Leben gibt es kein Strg-z. Den Journalismus in die neue Zeit zu retten, geht nur mit dem Netz, nicht dagegen – dieser Pragmatismus sei jenen Kollegen dringend empfohlen, die ernsthaft heute noch glauben: Wenn im Internet nicht so viel guter Stoff stünde, ginge es zum Beispiel Zeitungen und Zeitschriften besser. Im Internet steht immer guter Stoff, und besser ist es, der gute Stoff stammt von einem selbst. Dann hat man eine Chance bei den Millionen Lesern, die das Netz nutzen. Was für ein Potential!

Wären die verschiedenen Medien Kreise auf einem Blatt Papier, wäre das Internet der größte Kreis. Nicht weil es inzwischen fast alle Menschen erreicht, sondern weil es alles kann, was die anderen Medien können, und noch mehr. Das ist ein Fakt, kein Kleinreden der anderen Medien; es geht nicht um ein Entweder-oder, es geht um ein Sowohl-als-auch. Der Streit über die Frage, wie viele Jahre die gedruckte Presse noch hat, ist in diesem Sinn überflüssig. Sie hat vermutlich noch viele Jahre, denn sie macht selbst in der Krise noch ein Vielfaches der digitalen Umsätze. Auch wir Digitalen brauchen sie letztlich zum Überleben, zumal unsere Anzeigenerlöse nicht endlos steigen werden. Geschenkt. Wir müssen das Konzept Presse trotzdem restlos und perfektioniert in die digitale Welt übersetzen – weil hier das größte, oft einzige Wachstum ist und noch dazu das Publikum der Zukunft. Der Kollege Dirk von Gehlen hat zu diesem Übergang einen lesenswerten Text geschrieben. Wir müssen dem digitalen Publikum außerdem mehr bieten als in der gedruckten Welt, weil das digitale Medium eben mehr kann. Darum brauchen wir Netz-Profis in unseren Redaktionen; Journalisten, die nicht als Zweite Klasse gelten. Wir müssen Digitale und Analoge auf Augenhöhe bekommen. Wir müssen die Kreise zusammen denken und zusammendenken. Wer das nicht schafft, hat keine Zukunft.

Reizwort „Bezahlen“

Die digitale Medienrevolution ist die größte Chance wie Bedrohung zugleich. Letztere ist abzuwenden, wenn Erstere genutzt wird. Gerade junge Leser haben ja keineswegs die Lust auf guten Journalismus verloren, nur weil sie lieber digitale Medien nutzen. Sie müssen wir bedienen, mit Produkten, die nicht nur solide sind, sondern originell – deren Wert jeder sieht und für deren Überleben man am Ende gerne bezahlt.

Bezahlen – das ist auch eines der Reizworte dieses Herbstes, von der Springer-PR bis zum Ohrenzu penetriert: Paywall, Paywall, Paywall. Ein Reizwort, weil es bei altgedienten Digitalen ähnliche Ängste schürt wie bei den Printkollegen die laufende Medienkrise: Was, wenn Bezahlfantasten unsere existierenden Online-Geschäftsmodelle kaputtmachen? Ein Reizwort aber auch, weil es Rachegelüste auf der anderen Seite spiegelt: Können wir bitte endlich die Gratiskultur im Netz stoppen?

Gratiskultur – schon wieder so ein Reizwort, von wegen „Geburtsfehler des Internets“; man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, hier ein paar Graustufen ins Schwarz-Weiße zu malen. Es gibt viele Plattheiten in diesen Umbruchzeiten, zu viele (siehe auch Teil 2 hier). Wir können es uns nicht mehr leisten, uns abwechselnd damit zu quälen. Wir haben, nüchtern-zynisch gesagt, eine drängende gemeinsame Gestaltungsaufgabe inmitten einer Marktbereinigung. Wenn aus der Zerstörung Schöpferisches folgen soll, brauchen wir Kreativität und Strategien statt Schau- und Machtkämpfe.

Ich schlage darum vor, als erstes das Wort Paywall zu streichen. Es ist verbrannt und signalisiert einen schlechten Umgang mit den Lesern – wir wollen ja ihre Unterstützung, keine Mauern für sie errichten. Man kann es Abo nennen wie in Print, Flatrate wie im Digitalen üblich, aber am besten gefällt mir Mitgliedschaft respektive Leserclub. Der Begriff drückt aus, was wir mit unseren Lesern erreichen wollen: eine Art Deal für die Zukunft des guten Journalismus.

Marken machen unabhängig

Gute Zeitungen sind schon immer wie Clubs gewesen: ein Stück Heimat und Zugehörigkeit am Frühstückstisch. Zeitungs- und Zeitschriftenleser bezahlen nicht wirklich für einzelne Artikel, nicht für den eigentlichen neudeutschen Content, weshalb der Begriff Paid Content in die Irre führt. Sie zahlen für einen guten Service: Sie bekommen das Weltgeschehen pünktlich und zuverlässig auf einen überschaubaren, so informativen wie unterhaltsamen Stapel Papier gepresst, bitte inklusive aller Rabattreklame und – bei Tageszeitungen – aller Geburts- und Todesanzeigen. Wer ein Abo hat, ist Teil einer Gemeinschaft. Wer früher in einer Stadt wie München die falsche Zeitung gelesen hatte, war sogar aus mancher Gesellschaft ausgeschlossen. Marketingexperten nennen das die Macht der Marke.

Die Marke ist das, was uns unabhängig von Papier und anderen Trägermedien immer bleiben wird, auch im digitalen Raum, wenn wir es richtig anstellen. Wenn wir heute Lesern digitale Abos verkaufen wollen, müssen wir sie zu Fans unserer Marken machen. Sie müssen unsere Zeitungen, Zeitschriften, Magazine lieben. Und sie müssen sie unterscheiden können vom Rest. Das ist ein knallharter wirtschaftlicher Grund, warum man gescheite Nachrichtenseiten machen muss: Wer mit ein paar Tricks aufgeblähte Reichweite erzeugt, wird kaum Fans finden, die Geld für das Überleben der Marke ausgeben. Man kann auf diese Finanzierungsmöglichkeit verzichten, muss sich dann nur klar darüber sein, dass man in Print-Analogie nie über das Geschäftsmodell eines Anzeigenblatts hinauskommen wird. Ob dieses auf Dauer ein leichthin auskömmliches sein wird, sei angesichts der schon jetzt allgegenwärtigen Reichweitenirrungen in Frage gestellt.

Fest steht, dass das Anzeigengeschäft mit Nachrichtenseiten in vielen Verlagen inzwischen profitabel ist – es aber auf absehbare Zeit in keinem Verlag die Probleme der Mutterredaktionen lösen könnte. Hier liegt eine Herausforderung gerade für uns Digitaljournalisten. Wir müssen digitale Geschäftsmodelle mitentwickeln, die den Journalismus insgesamt in die neue Zeit retten. Das ist die spannendste, kreativste, herausforderndste Aufgabe dieser Monate: die Zielkonflikte Print/Online und Free/Pay aufzulösen, um eine neue, bessere Phase des Digitaljournalismus in Deutschland zu begründen.

Wie sieht der Club aus, in dem sich Leser der jeweiligen Marke wohlfühlen? Irgendwo zwischen Freemium und Metered Models liegt vermutlich die strategische Lösung, aber noch wichtiger als diese Konzeptfrage ist: Wie sehen eigentlich die Inhalte aus, die den Club am Ende einzigartig machen? Wie wird unser digitaler Journalismus so exzellent, dass genug Leser verstehen, dass er überleben muss?

Viele Nachrichtenseiten nutzen noch heute viel Agenturstoff. Das ist in Ordnung, um sich eine Basis zu sichern, aber es reicht nicht. Starke Medienmarken brauchen eine eigene Stimme im Netz, eine unverwechselbare Präsenz im digitalen Raum. Die Boulevardisierung, die viele Seiten jetzt zehn bis 15 Jahre lang getragen hat, wird da in ihrer Oberflächlichkeit zum Nachteil. Wenn die meisten einfach aufgesexte News auf Agenturbasis machen und sonst wenig bieten, wo ist dann der berühmte Unique Content? Der Premium Content für die Clubmodelle? Wir müssen unseren Digitallesern Substanz bieten – genau den Service, den Printleser bei der Presse suchen.

Das Netz fordert die Presse heraus

Wer bei der US-Wahl Screenshots der deutschen Nachrichtenseiten gemacht hat, konnte zwei Phänomene beobachten. Erstens gab es publizistisch enorme Unterschiede – manche arg boulevardig, manche sehr hintergründig, manche mit getragenem Ton, manche ständig live. Das ist eine gute Nachricht. Wenn alle dasselbe machen würden, würde es langweilig im Journalismus. Wer dagegen die Vielfalt des Netzes nutzt, stärkt seine Marke. Zweitens stand im Netz so viel erstklassige Information über das eigentliche Ereignis, dass die besseren Zeitungen gut daran getan haben, ihre Nach-Wahl-Ausgaben zu einer Art Wochenmagazin für diesen einen Tag zu machen: nicht mit den Nachrichten, sondern mit Analysen, Kommentaren, Reportagen und Essays, die man nicht schon auf den Newsseiten im Netz lesen konnte. Das ist die Exklusivität, die Tageszeitungen in diesen Zeiten brauchen. Das Netz fordert die Presse in diesem Sinn positiv heraus.

Wenn wir das ein paar Jahre in die Zukunft denken, entsteht ein geradezu logisches Bild einer digitalen Aufgabenteilung. Online-Redaktionen werden immer dafür notwendig sein, für ihre Marken ausgezeichneten Live-Journalismus zu betreiben, das Weltgeschehen in der Jetztzeit abzubilden, immer mit dem Anspruch und der Unterstützung ihres jeweiligen Hauses. Dahinter wird die Großzahl der Kollegen stärker in den Hintergrund, ins Persönliche, ins Kommentierende gehen können und müssen – und ihre Werke werden überall veröffentlicht werden, in Print und digital. Was für keinen mehr ein Problem sein kann, wenn wir die digitalen Leser an der Finanzierung beteiligen. Was wiederum kein Problem sein wird, wenn wir ihnen guten Stoff zu bieten haben.

Ich bin da optimistischer als zu Jahresbeginn. Falls Sie sich fragen, woher ich den Optimismus nehme: Wir machen seit einem Jahr tolle Erfahrungen mit Digitalabos bei der „Süddeutschen Zeitung“, und den Kollegen beim „Spiegel“ geht es nicht anders. Wir wissen, dass wir auf unserer Nachrichtenseite viele treue Leser haben (siehe Tabellen in diesem Text unten) – deutlich mehr als andere Seiten –, weil uns diese Nachhaltigkeit wichtiger ist als hohe Reichweite um jeden Preis. Wir finden auch gut, was Alan Rusbridger beim „Guardian“ Open Journalism nennt, dass man Leser ernst nimmt und mit ihnen redet, wenn man sie für die Marke begeistern will; das tun wir auch. Wir sehen inzwischen Grund zur Hoffnung, dass ein signifikanter Teil der digitalen Leser an unserer Zukunft interessiert ist.

Das schreibt sich schnell hin und bedeutet in Wahrheit noch viel Arbeit. Die kommenden Monate werden nicht leicht, vermutlich die kommenden Jahre. Aber sie werden nur leichter, wenn man sich das nicht die ganze Zeit sagt. Sondern macht.


Zuerst erschienen im Blog von Stefan Plöchinger.

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