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Wie viel publizistische Vielfalt wollen wir?

Die Washington Post geht an einen Internetunternehmer und Axel Springer verkauft Traditionsblätter. Was sind die Folgen für den Journalismus?

Es ist Zeit. Unsere Presselandschaft hat sich im vergangenen Jahr dramatisch verändert und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Sommerschlussverkauf des Axel Springer Verlags ist jetzt nur ein Höhepunkt einer stetigen Entwicklung. Schon wieder verfallen wir in geübte Reflexe, jammern ein wenig über die schwindende Pressevielfalt und warten ansonsten ergeben auf den nächsten Schlag. Damit muss Schluss sein. Das ist jetzt ein Weckruf, der uns klar macht: Wir haben ein ernsthaftes Problem und wir brauchen eine Lösung.

Die Einschnitte in die deutsche Pressevielfalt waren groß in letzter Zeit: Die „FTD“ und die „FR“ sind pleite gegangen; der Berliner Verlag hat Dutzende  Journalisten entlassen; die „WELT“ und die „BILD“ haben Redaktionen zusammengelegt; die zur ehemaligen WAZ (jetzt Funke-Gruppe) gehörende „Westfälische Zeitung“ hat die komplette Redaktion mit 120 Redakteuren vor die Tür gesetzt. Jetzt hat uns der große Axel Springer Verlag überrascht und mal so eben seine Regionalzeitungen verkauft. Der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlages, Mathias Döpfner sagt selbst: „Wenn wir jetzt nicht handeln, müssten wir uns um die Zukunft (…) der Zeitschriften und deren dauerhafte Überlebenschancen ernsthaft Sorgen machen.“

Optimismus sieht anders aus. Der Verkauf der „Washington Post“, der „Berliner Morgenpost“ und vor allem des „Hamburger Abendblatts“ stellt eine Zäsur in der Zeitungsbranche dar. Die Verleger verlieren den Glauben in ihr Produkt, den Journalismus. Die „Washington Post“ gilt als eine der Säulen investigativen Journalismus in den USA. Seit 2006 gingen Auflage und Einnahmen der Zeitung Jahr für Jahr zurück, die Zeitung schrieb im vergangenen Halbjahr einen Verlust von 50 Millionen Dollar. Die Auflage ist in einem so großen Land nur so hoch, wie die der „Süddeutschen Zeitung“ in Deutschland. Jetzt wird sie vom Amazon-Gründer Jeff Bezos gekauft, der genug Vermögen hat, um die Zeitung als Mäzen zu finanzieren.

Luxusprobleme oder Krise

Bei Springer aber sehen die Zahlen ganz anders aus: Das Paket an Zeitungen und Zeitschriften, das Springer an die Funke-Gruppe verkauft, hat im vergangenen Jahr knapp 95 Millionen Euro zum operativen Gewinn der Axel Springer AG beigetragen. Das entspricht einer Umsatzrendite von fast 20 Prozent. Ob das nun viel oder wenig ist, darüber kann man streiten. Klar ist aber: Automobilkonzerne würden von solchen Ergebnissen nicht mal zu träumen wagen. Auch bei sinkenden Einnahmen sind diese Publikationen kein defizitäres Geschäft. Insofern muss man die Frage stellen, ob und welchen Presseverlagen es trotz sinkender Zahlen tatsächlich schlecht oder nur weniger  gut geht. Reden wir von Luxusproblemen oder von einer ernsthaften Krise?

Das ist sicherlich von Blatt zu Blatt unterschiedlich. Die kleineren Regionalverlage sind von den Veränderungen der vergangenen Jahre stärker berührt: Die Abozahlen sind um ein Fünftel gesunken – auch weil die Leser Artikel immer öfter online kostenfrei vorfinden. Die Werbeeinnahmen der Zeitungen sind um 40 Prozent eingebrochen, die Preise für Online-Anzeigen sind sehr viel niedriger als im Print und auch über Suchmaschinen erhalten Publizierende weniger als zuvor. Die Zeitungen haben die Verkaufspreise angehoben und Redaktionen verkleinert. Damit sind die Blätter unattraktiver und gleichzeitig teurer geworden und verlieren noch mehr Leser und damit Einnahmen. Eine in Gang gekommene Spirale, die bislang nicht gestoppt ist. Noch dazu sehen Redakteure heute, was gelesen wird. Und die Bildstrecke über C-Promis wird auch in Qualitätszeitungen – zumindest online – deutlich öfter angeklickt als der Hintergrundartikel über Afghanistan. Diese Entwicklung verlangt von Chefredakteuren starke Nerven, um weiterhin an  journalistische Inhalte zu glauben.

Wenn nun aber so mächtiges und finanzstarke Verlagshäuser wie Axel Springer seinen Verlag aufgibt und nicht mehr in Journalismus und schon gar nicht mehr in Zeitungen investiert, ist das ein Einschnitt für die Branche. Wenn die Starken gehen, werfen dann auch die Schwächeren das Handtuch? Regionalzeitungen können ihre Verluste kaum über den Verkauf von Buchreihen oder ähnlichem wett machen und stehen mit ihrem Geschäftsmodell vor der größten Herausforderungen. Aus rein finanzieller Sicht ist es konsequent, dass der ehemalige WAZ-Konzern regionale Zeitungen anhäuft, um mit gemeinsamen Redaktionen die überregionalen Teile gemeinsam zu produzieren. Das spart Personal und damit Geld.

Mehr Agenturmeldungen

Nur: Dann ist es mit der Vielfalt schlecht bestellt. Die Pressevielfalt ist in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen. Vor wenigen Jahren gab es noch 110 Lokalzeitungen in Deutschland. Heute sind es nur noch gute 70. Die Inhalte gleichen sich über die Zeitungen hinweg immer mehr an, weil aufgrund von Stellenabbau mehr Seiten mit Agenturmeldungen gefüllt werden müssen.

Es ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir klären müssen, wie viel publizistische Vielfalt wir wollen. Und es stellt sich die Frage: Garantiert uns diese weiterhin alleine der Markt? Wenn wir der Meinung sind: ja, dann ist die Diskussion an dieser Stelle beendet. Dann ist es aber nur konsequent auf eine Sonderbehandlung der Verlagsbranche zu verzichten. Die schwarz-gelbe Regierung hat aber anders agiert: mit dem Leistungsschutzrecht wurde ein neues Schutzrecht für Verlage geschaffen – das nun aber kaum einer nutzt, um sich nicht selbst zu schaden. Das ist aber eine andere Geschichte.

Wenn wir hingegen langsam, aber sicher das Gefühl kriegen, dass die Vielfalt nicht mehr vom Markt garantiert wird, müssen wir alle erst mal den aufsteigenden Flucht-Reflex vor einem Eingriff in die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Presse unterdrücken. Bislang wurde noch jeder Vorschlag, der von wissenschaftlicher wie politischer Seite auf dem Tisch lag, als Eingriff in die Unabhängigkeit der Presse und regulatorische Keule vehement abgelehnt. Dabei wäre ein Stiftungsmodell keine wirkliche Revolution, hinter der „FAZ“ oder einigen amerikanischen Zeitungen stehen auch Stiftungen.

Staatliche Unterstützung?

Ich halte es aber für ehrlicher und sinnvoller, endlich mal öffentlich zu diskutieren, welche Alternativen es gibt, um die Vielfalt publizistischer Angebote off- wie online zu stärken. Eine Förderung à la Frankreich oder Österreich nach dem Gießkannenprinzip kommen für mich nicht in Frage. In Deutschland gibt es weder Einzelpersonen noch Privatstiftungen mit Finanzvolumen, wie in den USA, die das dort übernehmen. Aber wie stehen wir denn beispielsweise zu Stiftungen, die zum Teil über öffentliche Gelder oder Spenden finanziert werden würden und einzelne journalistische Projekte fördern?

Weitere Ideen, die wir offen besprechen sollten: Sollen kleine Verlage bei der Aus- und Weiterbildung von Journalistinnen und Journalisten von einer staatlich unabhängigen Stelle unterstützt werden? Kann eine bedarfsgerechte Unterstützung sowie Hilfestellungen bei Gründungen oder der Finanzierung von neuen Online-Angeboten im lokalen Bereich sinnvoll sein? Oder gibt es noch andere Möglichkeiten, die publizistische Vielfalt zu stärken und zu erhalten und die Finanzierbarkeit von Journalismus auch im Online-Zeitalter zu gewährleisten?

Vielleicht steht am Ende dieses Diskurses  das Ergebnis, dass die regulativen Keulen zu groß wären und der freie Markt immer noch die bessere Alternative ist. Aber wir müssen diese Debatte jetzt führen. Es ist Zeit. 

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