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Tim Klimes: Der Tweet-Hinterfrager

Wie bringt man ein Video-Format von nur 140 Sekunden Länge im deutschen TV unter? Tim Klimeš hat uns vom erfolgreichen, aber langen Weg einer schnellen Idee erzählt.

Als der Kurznachrichtendienst Twitter zwar nicht mehr jung, aber auch noch nicht völlig im Mainstream der Netzwelt angekommen war, hatte Tim Klimeš eine Idee: Über einzelne Tweets in 140 Sekunden langen Beiträgen zu berichten und die Geschichten hinter den Nachrichten zu erfragen. Nur welcher Sender sollte das zeigen? Wir haben mit Tim über die Entstehungsgeschichte seines Formats „140 Sekunden“ gesprochen.

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Tim bei unserem Treffen in Berlin-Kreuzberg. 

VOCER: Tim, deine journalistische Karriere hast du an der Deutschen Journalistenschule in München begonnen. Die Ausbildung wird als recht klassisch wahrgenommen, das Multimediale soll im Vergleich zu anderen Journalisten-Schulen zu kurz kommen. Ist da was Wahres dran?

Tim Klimeš: Sicher lag der Schwerpunkt in der DJS auch zur Zeit meiner Ausbildung (2007) auf Printjournalismus, das liegt an der Tradition der Journalistenschulen. Aber auch die DJS macht da gerade einen Wandel durch und setzt immer mehr auf Onlinejournalismus, das sieht man alleine an der Personalie des Schulleiters. Als Ulrich Brenner vor einiger Zeit in Rente ging wurde jemand Neues gesucht – und mit Jörg Sadrozinski von „tagesschau.de“ ein ausgewiesener Online-Experte gewählt. Ich will jetzt keine plumpe Werbung für die Schule machen, aber ich habe an der DJS das gelernt, was für einen Journalisten das Wichtigste ist: Sich mit Themen auseinandersetzen – und zwar ernsthaft und gründlich.

Du vertrittst also die Meinung, dass das grundlegende Rüstzeug der Recherchetechniken nach wie vor einen guten Journalisten ausmacht?

Ja, denn ob ich meine Recherche-Ergebnisse in einen Text umsetze, in eine Audio-Slideshow oder in ein Video – das ist wirklich nebensächlich. Das kann man auch in so einer knackigen Ausbildung gar nicht alles lernen. Die Journalistenschulen sind aus alter Tradition printlastig und liefern vor allem das Rüstzeug für journalistisches Arbeiten. Zwar gibt es einen Fernseh-, einen Radioblock in der Ausbildung, aber dort können nur Grundlagen gelehrt werden: Wie bediene ich eine Kamera, wie ein Aufnahmegerät? Was unterscheidet Fernsehtexte von Printtexten, etc.? Die Tricks und Kniffe aber lernt man ohnehin erst im Berufsalltag, durch klassisches „trial and error“.

Gehört es zu einer soliden journalistischen Ausbildung auch dazu, Print-Journalismus gemacht zu haben?

Ja, ich glaube schon. Das habe ich während meiner ersten Station nach der Schule gemerkt, beim Tagesspiegel in Berlin. Wer einmal unter Zeitdruck seine Texte recherchieren, strukturieren und formulieren musste, der lernt auf den Punkt zu kommen: Wie konzentriere ich mich auf die wichtigsten Fakten, wie gelingt mir der beste dramaturgische Aufbau? Mit dieser Technik, dem Strukturieren von Argumenten, kann ich später auch problemlos einen Fernsehbeitrag bauen. Auch wenn sich die Texte in beiden Medien dramatisch unterscheiden – das wird jeder nachvollziehen können, der schon einmal für Fernsehen und Print gearbeitet hat. TV-Texte sind selten so präzise wie Print-Texte. Der etwas hämische Vorwurf, Fernsehen sei in erster Linie ein Unterhaltungsmedium ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen. Fernsehen wir unbewusster genutzt, als Zeitungen und Zeitschriften es werden. Fernsehen ist mehr Nebenbei-Medium, und so ist es ganz klar, dass Informationen niederschwelliger transportiert werden müssen. Und zwar, damit sie überhaupt ankommen.

Das klingt sehr negativ für jemanden, der im TV zuhause ist und es doch eigentlich verteidigen sollte.

Ich verteidige es sehr gerne: Fernsehen ist total cool. (lacht) Im Ernst: Bilder haben eine viel emotionalere Kraft als reine Texte. Es ist toll, wenn du Bild, Musik und Text montieren und so deine Erzählung steuern kannst. In dieser Hinsicht ist Fernsehen ganz, ganz toll und bietet erzählerisch viele Möglichkeiten. Wenn du allerdings viele, vielleicht sogar komplexe Informationen auf kurze Zeit unterbringen willst, dann wird es schwer. Zumindest schwerer als im Print.

Wie war bei „140 Sekunden“ der Anfang, warum ist es zu dieser Idee gekommen?

Die Idee kam mir im Dezember 2009, weil ich mich in der Zeit sehr für Twitter interessiert, aber gleichzeitig gemerkt habe, dass mich andere dafür belächeln. „Warum sollte mich interessieren, was jemand gefrühstückt hat?“, und so einen Quatsch habe ich zu hören bekommen, und da entstand die Idee, zu zeigen, dass auch viel Spannendes bei Twitter passiert. Ich habe mich dann gemeinsam mit meinem Kollegen Robin Greene auf die Suche nach Tweets begeben, hinter denen wir eine größere Geschichte vermutet haben.

„140 Sekunden“ war also erst eine Nebenher-Aktion?

Das haben wir tatsächlich neben der normalen Arbeit gemacht, einfach, um es zu probieren. Damals fanden wir den Tweet von Deef Pirmasens wahnsinnig interessant: Robin Greene und ich haben uns eine Kamera geschnappt, ihn besucht und ein paar Fragen gestellt. Es hat sich ein dreistündiges Gespräch entwickelt. Und die erste Folge der „140 Sekunden“.

Das Ganze war also von Anfang an ein Selbstläufer?

„140 Sekunden“ ist ja keine Samstagabend-Show, das kann man schon mal an einem Wochenende ausprobieren. Als die erste Folge geschnitten war, kam sie dann auch noch ganz gut beim Chef unserer Produktionsfirma an. Und damit war der Anfang gemacht.

Bis es dann im Fernsehen und beim „Elektrischen Reporter“ gelandet ist, hat es dann aber doch noch mal ein wenig gedauert, oder?

Ja, eine ganze Weile, weil wir ziemlich schnell gemerkt haben, dass es wenige Sendeplätze mit einer Länge von 2:20 im deutschen Fernsehen gibt. Um es klar zu sagen: keine. Wir haben das Konzept dann dem Technik-Magazin „3sat neues“ vorgestellt, ausgerechnet kurz bevor die Sendung dann eingestellt wurde. Also haben Robin und ich entschieden, das Ganze erst mal auf YouTube zu stellen und zu gucken, was passiert.

Und da ist eine ganze Menge passiert: Ihr habt mit „140 Sekunden“ den Web-Video-Preis erhalten.

Genau, bei der Veranstaltung habe ich Mario Sixtus vom „Elektrischen Reporter“ auf „ZDFinfo“ kennengelernt. So hat die Sendung dann schließlich doch noch ihren Weg ins Fernsehen gefunden.

Deine Sendung ist nun also in eine „ZDFinfo“-Sendung eingebunden. Inwieweit bist du jetzt eigentlich noch in „140 Sekunden“ involviert?

Ich bin nach wie vor noch Producer von „140 Sekunden“, habe aber redaktionelle Unterstützung durch die wunderbare Mia Meyer gefunden, die sich darum kümmert, dass der Laden läuft. Wir als AVE Fernsehproduktion sind sozusagen Subproduzent für Blinkenlichten, die Firma von Mario Sixtus, die den „Elektrischen Reporter“ im Auftrag von „ZDFinfo“ produziert – und liefern wöchentlich eine Folge.

Du hast sowohl den Web-Video-Preis als auch den Grimme-Online-Award für deine Idee bekommen. Hat dir das als Journalist neue Türen geöffnet?

Es gab kurzzeitig viele Interviewanfragen, aber es ist jetzt nicht so, als würden ständig Leute bei mir anrufen. „140 Sekunden“ ist ein Projekt, das über die Monate recht erfolgreich wurde. Das war’s.

Also hatte das Ganze überhaupt keine Karrierevorteile für dich?

Doch, doch. Ich kann natürlich nicht genau sagen, wie sich meine Arbeit entwickelt hätte, wenn „140 Sekunden“ nicht gewesen wären. Aber wenn so etwas funktioniert, kriegst du in deiner eigenen Firma auch mehr Vertrauen entgegengebracht. Ich mache inzwischen weitaus mehr Formatentwicklung, als damals. „140 Sekunden“ hat mir vor allem eines gebracht: Ich habe ungemein viel gelernt.

Du hast schon angedeutet, dass du dich inzwischen mehr um die Konzeption und Organisation von Sendungen kümmerst und das Schreiben größtenteils zurückgefahren hast. Schmerzt das nicht auch, weil du so viel Administratives zu bewältigen hast?

Ja, das tut oft weh. Ach, aber „weh tun“ klingt jetzt auch sehr melodramatisch. Ein eingeschnittener Nagel tut weh. Aber es nervt schon manchmal, wenn ich vor lauter Theorie, vor lauter Konzepte-Schreiben und Produktionen-Verwalten nicht zur Praxis komme, ganz klar. Aber wenn ich das Schreiben zu sehr vermisse, schreibe ich mal wieder einen Text für den „Tagesspiegel“, wenn ich das Produzieren zu sehr vermisse, gehe ich raus und drehe eine Folge „140 Sekunden“ – und die Welt ist wieder in Ordnung.

Lass uns noch einen vorsichtigen Blick in die Kristallkugel werfen: Wie wird sich das Berufsfeld, in dem du jetzt tätig bist, verändern? Was müssen junge Leute mitbringen, um in deinem Bereich erfolgreich zu sein?

Das Verständnis von Technik wird sich auf jeden Fall demokratisieren. Das ist auch so ein großes Wort, aber durch diese ganze Consumer-Technik, die mittlerweile Profi-gerecht ist, ist viel schneller etwas gedreht, ist viel schneller was auf den Sender gebracht. Und ich glaube, dass das dazu führen wird, dass man da noch intensiver am Ball bleiben muss, um mit den Hobby-Fricklern mithalten zu können.

Immer mehr Journalisten arbeiten heute frei – und für die ist es auch ein großer Vorteil, dass sie mit der Consumer-Technik qualitativ hochwertige Produkte auf eigenen Kanälen an den Start schieben können. Ist das vielleicht auch die Zukunft? Sollte man als junger Journalist eher darauf setzen, sich als Marke zu positionieren?

Mit Sicherheit. Es gibt ja inzwischen auch viele erfolgreiche Beispiele dafür im Netz, wie etwa Richard Gutjahr. Man muss aber auch sehen, dass die Leute, die im Netz zur Marke geworden sind, nicht die große Masse ansprechen. Die Masse kennt nach wie vor „Wetten, dass ..?!“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Bauer sucht Frau“. Die kennen weder die „140 Sekunden“ noch Richard Gutjahr – das sind Netzmarken. Frag mal in der Fußgängerzone nach Beidem. Das wird ernüchternd sein.

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