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„Snack oder opulentes Abendessen“

Normalerweise verbindet man mit dem Begriff „Games“ Spiel und Spaß am heimischen PC oder an der Konsole. „Newsgames“ sind ein Gegenentwurf. Andreas Weck hat mit Markus Bösch über die Zukunft dieser neuen Generation von Serious Games (ernsten Spielen) gesprochen.


VOCER: Was macht ein gutes Newsgame aus und was unterscheidet es von anderen Computerspielen, die Wissen vermitteln möchten?

Markus Bösch: Ein gutes Newsgame kann einen Themenkomplex oder einen Sachverhalt erklären, interaktiv erfahrbar machen oder einen Kommentar zu einem aktuellen Thema liefern. Da gibt es prinzipiell erst einmal keine Beschränkung. Der amerikanische Game Designer und Wissenschaftler Ian Bogost formuliert es so: „Newsgames serve the interests of journalism – in the broadest sense. From a playable political cartoon to a simulation of Osama bin Ladens death.“ Da kann man auch die Abgrenzung zu so genannten Serious Games ziehen. Diese – noch einmal Bogost – „name a more vague idea of games doing something outside entertainment“. Somit sind Newsgames eine Art Untergruppe der Serious Games. Ein gutes Newsgames erfüllt einen der oben genannten Zwecke. Persönlich sehe ich das so: Wenn ich nach dem Spielen etwas erfahren habe was ich vorher noch nicht wusste, was mir vorher so nicht klar war, etwas worüber ich am Abend, in der Nacht oder am nächsten Tag nachdenke, dann war es ein gutes Game. Der gleiche Maßstab gilt bei mir für Artikel oder andere mediale Produkte.

Gilt es bei Newsgames die gleichen journalistischen Grundsätze einzuhalten, wie beispielsweise beim Schreiben von Artikeln oder der Produktion anderer nachrichtlicher Inhalte?

Das hängt von den journalistischen Grundsätzen ab. Reden wir von den klassischen Pressekodex-Grundsätzen? Dann auf jeden Fall! Etwas schwieriger finde ich die hier und da geforderte totale Objektivität. Die gibt es meiner Ansicht nach auch nicht in klassischen journalistischen Produkten. Aber genau wie es verschiedene Genre in traditionellen Medien gibt, gelten diese auch bei Newsgames: Spielbarer Kommentar oder möglichst wirklichkeitsnahe Simulation.

Nimmt der durchschnittliche Spieler die Handlung eines Newsgames als eigenständigen Journalismus wahr? Oder eher als schmückendes, unterhaltendes Beiwerk zu nebenherlaufenden Formaten?

Das kommt auf das Spiel und den Spieler an. Serious Games im Allgemeinen können entweder eine Art Türöffner sein, der ein Thema interessant und interaktiv eröffnet, um damit Lust auf eine weiterführende und gerne traditionellere Beschäftigung zu machen. Es gibt aber auch Spiele die komplett eigenständig stehen, Inhalte vermitteln und funktionieren. Das kommt auf den Kontext drauf an. Cuthroat Capitalism von der „Wired“ kam flankierend zu einer Printreportage und Datenvisualisierungen heraus, funktioniert aber durchaus auch allein. Prinzipiell gilt meiner Meinung nach im Kontext Internet: Jedes Medium sollte nach seiner jeweiligen Stärke ausgewählt werden. Habe ich sensationelle Bilder, dann die. Gute Töne, dann die. Und möchte ich ein System erläutern, dann vielleicht auch mal ein Spiel. Wie bei einem Menü. Eine Komposition verschiedener Inhalte, geeignet für verschiedene Szenarien: Ein Snack für zwischendurch oder ein opulentes abwechslungsreiches Abendessen…

Wie geeignet sind Computerspiele tatsächlich, um komplexe gesellschaftliche Themen wie z.B. die Hintergründe eines Krieges zu vermitteln?

Diese Frage wird noch ausverhandelt. Beobachten kann man das aber in zahllosen Bereichen wie der Medizin, Wirtschaft oder dem Militär, auf die Macht und Möglichkeit von Spielen gesetzt wird. Spiele und Simulationen helfen bei der Ausbildung von Ärzten, dem besseren Verständnis von Flugkapitänen und werden zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen eingesetzt. Und das sicherlich nicht aus Jux und Tollerei sondern aus betriebswirtschaftlichen und anderen Gründen. Das was Spiele einzigartig macht, ist die Fähigkeit echte Interaktion herzustellen. Und das ist etwas Wertvolles. So haben sehr viele Menschen mehr über Stadtplanung beim Spielen von SimCity erfahren, als bei der Lektüre von Büchern. Ob das Spielen eines Kriegsspiels reicht um den Krieg zu verstehen? Ganz sicher nicht. Reicht das Lesen eines Buches? Oder das Schauen von Schindlers Liste? Nein. Aber für mich ist ganz klar: Learning by doing ist stärker als reines Learning to know.

Während Journalismus unverblümt und so nah an der Realität sein soll wie möglich, droht vielen Spielen der Index, wenn sie beispielsweise in Bezug auf Gewaltanwendungen zu realistisch sind. Können diese beiden Genres überhaupt zusammen, als eine neue Gattung, existieren? Ohne sich durch festgesetzte Maßstäbe gegenseitig zu blockieren?

Auch bei der Kriegsberichterstattung gibt es für Journalisten ganz klare moralische und ethische Grenzen. Ein gutes Spiel muss auch nicht hyper-realistische Graphiken verwenden, um besonders gut zu sein. Wichtig ist, dass die Game-Mechanik gut ist. Ob und wie Journalismus und Games zusammengehen wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Meiner Ansicht nach werden Spiele aber in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen weiter an Bedeutung gewinnen. Wäre meiner Ansicht nach komisch, wenn ausgerechnet die journalistische Inhalte-Vermittlung davon ausgeschlossen bliebe. Abgesehen davon muss es ja nicht immer ein echtes Spiel sein. In den USA wird derzeit der Begriff der game-y-Infographic debattiert. Da sehe ich noch großes Potential.

Den Begriff musst du unseren Lesern erklären.

Die allermeisten digitalen Info-Visualisierungen sind interaktiv. Das macht einen gehörigen Teil ihres Reizes aus. Einige dieser Infografiken orientieren sich dabei in Anmutung und Benutzung bereits an Computerspielen. So sieht eine Visualisierung des „Guardian“ zum Beispiel aus wie das populäre Videospiel Guitar Hero. Ich glaube, dass mit der Verbreitung interaktiver Infografiken der Bedarf und das Interesse wachsen, spielerisch mit diesen Visualisierungen zu interagieren. Salubrious Nation ist eine so genannte game-y infographic – Hier kann ich verschiedenen Angaben zur US-Gesundheit schätzen und bekomme ein Feedback. Umso dichter meine Schätzung am eigentlichen Wert ist, desto mehr Punkte gibt es. Sicherlich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Und sicherlich auch nur ein Aspekt in der wundersamen Welt der Möglichkeiten. Nicht immer ist eine Game-Mechanik möglich oder sinnvoll. Manchmal aber eben doch.

Das klingt nach Datenjournalismus mit Gamification-Methoden. Könnte das große Interesse am Datenjournalismus den Newsgames 2013 ein wenig Auftrieb verschaffen?

Vielleicht. Im Bereich Datenjournalismus kann man ja eine deutliche Entwicklungskurve sehen von ersten sehr simplen Visualisierungen hin zu eleganten Interaktionen. Mal sehen wohin sich das Genre bewegt und inwieweit Game-Mechanismen helfen können Aussagen zu verdeutlichen. Da muss es einfach in nächster Zeit mal Beispiele geben, die altgediente Redakteure hinter dem warmen Redaktionsofenrohr hervorlocken. Von Wolfgang Blau las ich kürzlich einen Tweet der darauf aufmerksam machte, dass bei der ganzen Debatte über die disruptiven Änderungen von Print oft vergessen würde, dass auch der sogenannte Online-Journalismus konstanten und massiven Disruptionen ausgesetzt sei. Nötig ist da meiner Meinung nach eine kritische „Embrace New Technologies“-Einstellung, die nicht sklavisch ist. „Ausprobieren“ heißt das Motto der Stunde. Und das möchte ich im Jahr 2013 mit meinem kleinen Game-Studio „The Good Evil“ auch machen.