Dirk von Gehlen: Copy & Paste
Die Revolution des Digitalstrategen Dirk von Gehlen ist ausgerechnet ein Buch. Es heißt “Eine neue Version ist verfügbar”, er hat es zusammen mit seinen Lesern geschrieben. Darin beschreibt Gehlen Kultur als Software, mit transparentem Entstehungsprozess und laufenden Updates. 350 Unterstützer haben 14.000 Euro zusammengelegt, dafür konnten sie Entwürfe lesen und mitdiskutieren.
Wenn er nicht gerade in eigener Sache im Web experimentiert, bringt er der Süddeutschen Zeitung Social Media und Innovation bei. „Der entscheidende Punkt ist, dass man nicht sagen kann, was geschehen muss”, sagt Gehlen über die Zukunft der Verlage. Also müsse man viel ausprobieren und ins kalte Wasser springen. Richtig nass werden, auch wenn nicht klar ist, was am Ende dabei herauskommt. Auch mal scheitern, um daraus zu lernen. Sein Buch-Experiment ist geglückt, die “neue Version” ist tatsächlich verfügbar.
Wir sind viele
Dirk von Gehlens Augen leuchten, seine Hände wischen durch die Luft: Es hängt ja alles zusammen, Print, Online, soziale Netzwerke. Noch ein Stichwort, noch ein Thema, viel zu schlau für vorschnelle Festlegungen: Je nach Stimmung liest er mal auf dem iPad, mal ein klassisches Buch. Von Gehlen glaubt ebenso an ausgefeilte Printprodukte wie an neue digitale Lösungen, Hauptsache kreativ.
Der Tocotronic-Fan beobachtet journalistische Trends und klopft sie auf Verwertbares ab. Gerade ist er begeistert vom Membership-Modell des britischen Guardian, das Journalisten und Leser in einem Dialog enger zusammen bringen soll. Wenn die Grenzen zwischen einst strikt getrennten Kanälen aufweichten und Neues entstehe, sei das gut für den Journalismus.
Der Verlag hat allerdings einen fast hundert Meter hohen Turm im Münchener Osten bezogen, in einem kargen Industriegebiet. Am Horizont sind die Alpen zu sehen. Die Leser sind weit weg, dabei will die Süddeutsche Zeitung eigentlich die strikte Trennung zwischen Autoren und Lesern abschaffen.
Neues vom Trickser
Also hin zu den Nutzern: Über Themenabende, die im Netz beworben werden, soll der Nutzer-Dialog klappen. Für die Kampagne „Ihre-SZ“ wurde die übliche Kommentarfunktion unter Artikeln abgeschafft. Stattdessen wird gemeinsam in einem Forum jeden Tag zu drei vorgegebenen Themen diskutiert. Auch mit ihrer Digitalreihe „360°“ setzt die Süddeutsche auf einen Trend: Was Leser ganz besonders interessiert, soll durch Multimedia-Reportagen von allen Seiten beleuchtet werden.
Auch für Memes, sich fortpflanzende Bildwitze im Internet, begeistert sich Gehlen. Er findet, dass Memes bisher total unterschätzt werden. Auch wenn manche Kollegen es vielleicht anders sehen, für ihn sind sie die Zukunft der traditionellen Karikatur. Aus seiner Meme-Liebe ist ein weiteres Projekt entstanden: Auf Phänomeme bloggt Gehlen für die SZ über Internet-Hypes wie Harlem Shake, die Icebucket-Challenge oder Grumpy Cat. Auszüge des Blogs werden seit Oktober 2014 für ZDF-Info im fünfzehnminütigen Netzkultur-Magazin „Fifteen minutes of Fame“ vorgestellt.
Ähnlich begeistert ist er vom Kopieren, das er 2011 in seinem Buch Mashup feierte. Es war zu der Zeit, als Helene Hegemann Blogpassagen in ihr Buch kopierte und einen literarischen Skandal auslöste. Gehlen lobte die Remix-Kultur des Internets und sprach sich für eine Überarbeitung des Urheberrechts aus. Damit traf er den wunden Punkt der Medienmacher: „Kollegen sprachen mich beim Essen an und sagten, dass sie mich nicht verstünden und dass ich mit solchen Äußerungen die Piraten-Partei unterstützen würde.“
Digital ist besser
1995 zog es den gebürtigen Ruhrpottler nach München an die Deutsche Journalistenschule. Seine Neugier siegte über die Skepsis seiner Jugendfreunde, die nicht verstehen konnten, was ihn nach Bayern zog. Neugierde ist sein größter Antrieb. So entstand auch sein Blog Digitale Notizen, auf dem er über die Kuriositäten des digitalen Medienwandels schreibt. Seinem Twitter-Account folgen mittlerweile mehr als 18.000 Nutzer.
Sie alle sind dabei, wenn Gehlen wieder einmal Anlauf nimmt und springt. Wieder ein Projekt startet, von dem die Süddeutsche Zeitung etwas lernen kann, wie gerade einen exklusiven Newsletter. Nicht immer gehen seine Experimente gut. “Ich gebe mir stets Mühe, es zu vertuschen” sagt der 39-Jährige. Leider bleibt im Netz nichts unentdeckt: „Wenn Du einen Hashtag postest und nach sechs Stunden hat noch niemand darauf reagiert, ist es so, als würdest du bei einer Party auflegen und am Ende kommt keiner zum Tanzen.“
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