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David Schraven: Der 3-Millionen-Euro-Mann

“This is big”, sagt David Schraven am Telefon. Er hat sich in eine Ecke des Correctiv-Büros in Berlin-Mitte verzogen. Am anderen Ende der Leitung ist ein Schweizer Kollege. Es geht um die Mafia. Schraven will loslegen. “We pay”, verspricht er, bedankt sich und legt auf. Schraven ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter des ersten gemeinnützigen Investigativbüros Deutschlands.

David Schraven schiebt mit drei Millionen Euro im Rücken investigative Recherchen an. (Foto: Ivo May)

David Schraven schiebt mit drei Millionen Euro im Rücken investigative Recherchen an. (Foto: Ivo May)

Im Juli 2014 haben Schraven und Daniel Drepper, die sich beide von der WAZ kennen, Correctiv gestartet. Mit ihren Kollegen wollen sie aufklären, Missstände aufdecken und für Diskussionen sorgen. Correctiv soll Themen durchleuchten, die sonst unbeachtet bleiben – und das ohne großen Verlag im Hintergrund.

Drei Millionen Euro Startkapital haben sie zur Verfügung. Das Geld kommt von der Brost-Stiftung in Essen, die noch zu Lebzeiten von der WAZ-Gesellschafterin Anneliese Brost gegründet wurde. Die Eigentümerfamilie Brost verkaufte vor zwei Jahren ihre Anteile, die Mediengruppe heißt nun Funke statt WAZ. Im Vorstand der Brost-Stiftung sitzt der ehemalige WAZ-Chef Bodo Hombach. Während bei Funke gespart wird, bekommt der ehemalige WAZ-Recherchechef Schraven Millionen.

Geschenkt

Correctiv ist eine gemeinnützige Organisation, so wie das amerikanische Vorbild ProPublica, die für ihre Arbeit bereits mehrere Pulitzer-Preise abgeräumt haben. Beide Redaktionen haben sich dem investigativen Journalismus verschrieben. Correctiv verschenkt die Ergebnisse der eigenen Recherchen an Zeitungen, Magazine, TV- und Radiosender, um viele Leute zu erreichen. Anschließend werden diese dann auch auf der eigenen Seite veröffentlicht. Neben Online- und Datenjournalisten beschäftigt Schraven dafür auch Programmierer.

Die Nutzer sind Teil des Projekts: Correctiv hält eine Crowdfunding-Plattform bereit, lässt die Community aus Themenvorschlägen auswählen und erhofft sich durch Crowdsourcing Beteiligung an Projekten. Schraven glaubt an Hierarchien, Professionalisierung und Teamwork, nicht an Universalgenies: “Hier gibt es keine Einzelgeschichten”, sagt er. Man müsse zusehen, dass man der Beste in seinem Fach sei und dass jemand die Besten zusammenhalte. Letzteres gehört zu Schravens Aufgaben – obwohl er eigentlich gern mehr schreiben würde.

Noch ist Correctiv kein Jahr alt, doch im Dezember wurde es bereits vom Medium Magazin zum Newcomer des Jahres 2014 gekürt. Mit einer Multimedia-Reportage über den Abschuss von Flug MH-17 hat die junge Redaktion einen Scoop gelandet. Zusammen mit Reportern des Spiegels und dem niederländischen Algemeen Dagblad hat Correctiv die Ereignisse des 17. Julis rekonstruiert, die zum Absturz über der Ukraine geführt haben. Dafür reisten die Reporter mehrmals ins ukrainische Kriegsgebiet und nach Russland. Schließlich fanden sie Augenzeugen.

Außerdem widmet sich Correctiv gesundheitspolitischen Problemen und will zum Beispiel über die Gefahren von multiresistenten Keimen aufklären. Schraven ist überzeugt: “Keime sind das wichtigste Thema überhaupt. Das ist schlimmer als Aids, als Ebola jemals werden kann”. In Kooperation mit der Zeit, Zeit Online und der Funke-Gruppe erschien die erste Geschichte zur Keimrecherche. “Da bleiben wir dran”, versichert Schraven.

“Wir bauen auf”

Correctiv ist nicht das erste große Projekt des 44-jährigen Journalisten. Mit 16 Jahren gründete er das Bottroper Stadtmagazin “Intim”. “Ich habe gedacht, ich bin zu alt und schaff das nicht mehr im Journalismus”, sagt er. “Ich wusste nicht, wie drucken geht, ich wusste nicht, wie setzen geht, ich konnte nicht schreiben. Ich habe das hingekriegt.” Schraven scheut sich nicht, bei Null anzufangen. Immer wieder. In den neunziger Jahren berichtete er für die Taz aus dem Nachrichtenbüro in Kirgisien: “Das war scheiße. Ich wollte einen Job in Deutschland.” Seine Idee: Die Taz regionalisieren und zwar da, wo sie am schwächsten ist – im Ruhrgebiet.

Schraven überredete die Taz, ihn machen zu lassen und ein paar Leute, ihm 12.000 Mark zu geben. So wurde er Gründungsgeschäftsführer der Taz-Redaktion Ruhr. Die Regionalausgabe erschien zehn Jahre, zuletzt als Taz NRW. Doch es fehlte an Abonnenten, nachdem eine Rettungskampagne scheiterte, war 2007 Schluss. Für Schraven folgten Stationen bei der Süddeutschen Zeitung, der Welt und dem Time-Magazin. Für seine Recherchen zum PFT-Giftskandal an der Ruhr erhielt er 2008 den Wächterpreis der Tagespresse. Als WAZ-Recherchechef in Essen arbeitete er zu organisierter Kriminalität, Korruption und Machtmissbrauch.

Die Taz bezeichnete ihn als größenwahnsinnig, weil er für ein aktuelles Correctiv-Projekt alle Sparkassen Deutschlands unter die Lupe nehmen will: Was machen die mit dem Geld der Kunden? Wie hoch sind Gebühren für die Kontoführung? Schraven will für Transparenz sorgen, mehrere Monate oder sogar Jahre in Recherchen investieren. Das Geld dazu kommt von Stiftungen, aus Projektförderung und Mitgliedsbeiträgen der Correctiv-Community. “Wir bauen auf”, sagt Schraven und hofft, in drei bis vier Jahren rund 30.000 zahlende Nutzer gewonnen zu haben. Noch sind es deutlich weniger: Schraven schätzt die aktuelle Community auf 200 Mitglieder.

Schwarze Seele

“Wenn du weißt, was du willst, kriegst du das”, sagt Schraven und wirkt dabei eher gelassen als größenwahnsinnig. Sein Humor liegt, wie seine Heimat Bottrop, irgendwo zwischen dem lustigen Rheinland und dem trockenen Westfalen. Eigentlich lebt er nicht gern dort: “Das ist halt, wo ich wohne, was willste machen?”, sagt er gleichgültig. Dass er mit dem Pott tief verbunden ist, kann er kaum leugnen.

Sonst hätte er wohl kaum die Ruhrbarone gegründet. Das Blog startete er 2007 aus Frust über die mangelnde politische Ausrichtung der Regionalzeitungen im Ruhrgebiet. Heute überlässt Schraven das Bloggen einer Gruppe engagierter Lokaljournalisten. Für sein Buch “Zechenkinder” ließ er 25 Kumpel von der schwarzen Seele des Ruhrpotts berichten. Jedes Jahr ein Buch schreiben, das ist sein Plan. Zuletzt erschien “Weisse Wölfe”, eine grafische Reportage über den rechten Terror.

Der zweifache Vater muss für seine Arbeit auch Abends oder am Wochenende los. Schraven findet das normal. Er trennt nicht wirklich zwischen Beruf und Privatleben, sagt, seine Kinder hätten Verständnis. “Ich versuche denen mitzugeben, dass sie später auch für ihre Freiheit kämpfen”. Correctiv hat eine Geschäftsstelle in Essen und eine Redaktion in Berlin. Schraven pendelt jede Woche mit dem Zug über 500 Kilometer in das Hauptstadtbüro. Er selbst ist ein bisschen wie das Ruhrgebiet: verändert sich ständig und wird nie fertig.