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Thilo Kasper: Mr. Meme

Bildwitze im Web statt dröger Karikaturen: Thilo Kasper mischt Memes mit Journalismus und bringt Netzhumor endlich in die Redaktionen. Ein Problem gibt es aber noch.

An seinem 16. Arbeitstag bei Zeit Online montiert Thilo Kasper ein Foto des türkischen Präsidenten Erdoğan vor einen Farbwirbel und jagt es im Namen der Zeit-Redaktion ins Internet. Über die Montage hat der 27-Jährige „Das Orakel von Erdoğan“ geschrieben. Kasper will, dass sich die Leser über den Präsidenten der Türkei lustig machen, ihm eine „orakelnde Weisheit“ in den Mund legen.

Kaspers Experiment ist gewagt: Einen Monat lang will er Memes bei Zeit Online produzieren. Was sonst dem anarchischen Humor des Internets entspringt, soll plötzlich einer etablierten Online-Redaktion gelingen. Editorial Meme nennt Kasper sein Projekt, Geld dafür gibt es von der Medienseite Vocer. Sein Plan: Die Nutzer teilen ihre Bilder in den sozialen Netzwerken, immer mehr Menschen machen mit, es entsteht ein Meme.

Ob der Plan aufgeht, weiß noch niemand. Das Experiment findet weit vor dem Anschlag auf die Karikaturisten von Charlie Hebdo statt. Wenige Tage zuvor hat Erdoğan behauptet, ein Muslim und nicht Kolumbus habe Amerika entdeckt. Menschen wie Kasper ertragen Erdoğans Auftritte inzwischen nur noch mit Galgenhumor. Bewusst zeigt Kasper Erdoğan ohne Turban oder Türkei-Flagge. Keiner soll sich beleidigt fühlen. In der Redaktion macht man sich trotzdem Sorgen, dass die Aktion missverstanden werden könnte.

Digitaler Humor für alle

Thilo Kasper aber ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Er spricht gelassen; die Wortendungen zieht er stets ein wenig in die Länge. Mit seinem dichten Fünftagebart wirkt er wie der nette Hipster von nebenan. Mittlerweile wohnt der gebürtige Baden-Württemberger in Berlin. Dorthin passt der Design-Liebhaber auch viel besser als in ein kleines Dorf wie Wannweil, wo Kasper aufgewachsen ist. Für sein Projekt hat er sich mit den Internetkünstlern Ole Fach und Kim Asendorf zusammengetan. Gemeinsam haben sie einen Meme-Generator entwickelt. Er selbst sei kein Künstler, sagt Kasper. Stattdessen stehe bei ihm der Service-Gedanke im Vordergrund.

Kaspers Projekt ist so interessant, weil es eine überfällige Entwicklung nachholt: Im Internet ist das Meme längst witziger Alltag. Die Generation Internet kommuniziert über Bilder. Zum Geburtstag gratulieren Kaspers Freunde ihm mit einem Bild von der betrunkenen Miley Cyrus, die an ihrem 21. Geburtstag eine rosa Plüschkrone trägt und am Gesicht einer Freundin leckt.

Memes sind so etwas wie die Deine-Mutter-Witze der Netzgemeinde, “eine digitale Kommunikationsschablone”, wie Kasper sagt. Bilder, Videos, Hashtags werden aus dem alten Kontext gerissen und neu verpackt. Guckt Beyoncé in der Superbowl-Halbzeitshow zu aggressiv, mutiert sie im Internet zum Hulk. Der seltsame Siegesschrei von Christiano Ronaldo ist plötzlich Teil des Musikvideos zu „Who Let the Dogs out?“. Die meisten Online-Medien aber ignorieren Memes – und damit einen großen Teil des Humors der digitalen Welt. Das will Thilo Kasper ändern.

Memes sollen mehr bringen als nur viele Klicks

Vier Stunden nach dem Start des Erdogan-Orakels steht fest: Die Idee hat einen Nerv getroffen. Knapp 1000 Menschen haben sich Sprüche ausgedacht und sich über den türkischen Präsidenten lustig gemacht. Auch im Vergleich zu den Klickzahlen anderer Artikel auf Zeit Online schneidet der Meme-Generator gut ab. CNN Türkei übersetzt die besten Memes sogar auf türkisch.

Aber Thilo Kasper will mit seinen Memes mehr als nur gute Klickzahlen erreichen. Der 27-Jährige studiert Kommunikationsdesign in Karlsruhe und Berlin. Schon seit Jahren beschäftigt er sich theoretisch mit Memes. Seine These: Memes sind das, was von der politischen Karikatur im digitalen Zeitalter übrig bleiben wird. Neben dem Studium hat Kasper als Illustrator und Designer gearbeitet. Memes und kurze Animationen im Gif-Format kann er in Minuten produzieren. Als Jugendlicher schrieb er für den Reutlinger Generalanzeiger. Seitdem schlummert in ihm ein journalistisches Herz. Mit seiner Arbeit wähnt er sich in einem „bunten Graubereich zwischen Journalismus und Design“. Man könnte auch sagen: er ist ein Designer, der den Journalismus aufmischen möchte.

Der #Unibullshit-Generator ist Kaspers nächster Meme-Versuch bei Zeit Online. Diesmal sollen die Nutzer nervige Vorurteile über Studenten sammeln. Kasper sitzt im Berliner Zeit Online-Newsroom an seinem Macbook, moderiert mittelmäßig witzige Sprüche, und sinniert über die Chancen seines Projekts. Dann plötzlich hält er inne: „Warum hast Du so einen großen Penis?“ steht auf einem der Memes geschrieben. Kasper schmunzelt nur kurz, löscht den Eintrag.

Mit Meme-Vorlagen lassen sich Nutzer begeistern, glaubt Kasper. Außerdem könnten Nutzer sie als Kommentare unter Artikeln stellen. Die ersten Seiten, darunter The Verge in den USA, probieren das bereits aus. Noch fehlen den meisten Redaktion dazu aber die technischen Voraussetzungen. Vor allem aber will Kasper Memes als Crowdsourcing-Tool nutzen. Die Leser sollen mit der Redaktion Dinge teilen, die dann journalistisch genutzt werden. In dem Fall sei der Hashtag wie ein Meme genutzt worden. „Der #Aufschrei ist das perfekte Beispiel“, sagt er. Die Geschichten von alltäglichem Sexismus wären ohne den Hashtag nicht in die Öffentlichkeit gelangt.

Das Urheberrecht – der natürliche Feind des Memes

Kaspers Ideen klingen gut. Allerdings kann er sie kaum umsetzen, ohne das Urheberrecht zu brechen. Im Internet teilen und verändern die Nutzer Fotos und Videos, obwohl sie die Urheber nicht um Erlaubsnis gefragt oder die Bildrechte erworben haben. Thilo Kasper kann sich das nicht leisten. Memes sind sein Job. „Das Urheberrecht ist mein größter Gegner“, sagt Kasper. An einem Sonntag hat er es einfach mal drauf ankommen lassen: Kasper machte ein Screenshot vom Tatort und veränderte das Bild mit Photoshop. Der Tweet wurde zum erfolgreichsten Tatort-Tweet des Abends, bessere Werbung kann es für einen Film kaum geben. Am nächsten Tag fragt Kasper nach: Was hält die ARD davon? Die Antwort ist ernüchternd: Der Tweet war eine Verletzung des Urheberrechts.

Für Memes verwendete Fotos und Videos müssen in allen möglichen sozialen Netzwerken geteilt und von den Nutzern verändert werden dürfen. Eine solche Option bieten die Agenturen nicht einmal an. Es bleiben nur Creative-Commons-Lizenzen, bei denen die Urheber die freie Nutzung erlaubt haben. Das macht die Bildsuche schwer. „Diese Remix-Kultur ist die Kultur unseres Jahrzehnts, vielleicht unseres Jahrhunderts“, sagt Kasper, „und Journalisten sind davon abgeschnitten. Das finde ich einfach schlecht.“

Wie genau diese Probleme umgangen werden können, will Kasper in den kommenden Monaten herausfinden. Viele Blogs nutzen Memes und hoffen einfach, dass schon kein Anwaltsschreiben kommt. Voraus ist ihm in der Frage nur eine Redaktion: BuzzFeed verwendet ganze Sequenzen aus Disney-Filmen. Kaum jemand weiß, welche Deals dahinter stecken. „Ich bin gespannt, wie BuzzFeed das in Deutschland hinbekommt. In den USA ist der rechtliche Spielraum viel größer als hier“, sagt Kasper.

BuzzFeeds Meme-Artikel werden zumindest von deutschen Journalisten oft noch belächelt. Kasper aber hat keine Angst vor ernsthaftem Journalismus. Im Gegenteil. „Eine Form kann nicht unseriös sein“, sagt er. „Und ich glaube, dass man seriöse Inhalte auch kreativer darstellen kann als in einem Zeitungsartikel.“

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