Hansi Voigt: Pimp my News
„Das ist der next level shit”, sagt Hansi Voigt mit einem Grinsen. Für ihn muss Journalismus in Zukunft vor allem auf dem Handy funktionieren. Er sitzt in seiner Redaktion, vor ihm ein Laptop mit pinken Stickern: „Katzenbilder sind auch News“, „We GIF a shit“. Jemand singt den Refrain eines Popsongs. Voigt erklärt, was sich hinter „News unfucked“ verbirgt, dem Claim seines Newsportals: „Wir machen Nachrichten, bei denen man auch mal ‚Gefällt mir‘ drücken kann.“
Der 51-Jährige ist Chefredakteur und Initiator von Watson.ch, was kurz für „What’s on?“ steht. Seit Januar 2014 bietet die Newsseite jungen Schweizern aktuelle Nachrichten, in die Tiefe gehende Stücke und lustige Tiervideos. Watson ist eine Mischung aus BuzzFeed und Huffington Post. In drei Jahren soll Watson neben 20 Minuten und Blick zu den größten Newsseiten des Landes gehören – ohne etablierten Printtitel oder erfolgreiches US-Vorbild im Rücken. Vielleicht noch mehr: Die Domains Watson.de und Watson.at sind schon gesichert.
Die Website mit den knalligen Farben, den großen Fotos und der Menü-Cloud wirkt auf dem Smartphone viel schöner und übersichtlicher als auf dem Desktop. Journalistische Stücke gehen dabei zwischen Tiervideos und Listicles oft unter. Es gibt sie aber durchaus: Die Redaktion berichtete zum Beispiel als erste über einen kommenden Rechtsstreit zwischen Swatch und Apple. Watson überzeugt vor allem mit gestalterischen Inhalten. Politische Geschichten werden mit GIFs unterhaltsam erzählt. Ein medienkritischer Kommentar ist mit kurzen Sätzen auf zehn Grafiken zu lesen, die Plakaten ähneln. Agenturmeldungen gibt es aber auch.
Innovationen entstehen aus Fehlern
Während die deutschen Verlage vor allem sparen, herrscht in der Schweiz Aufbruchstimmung. Peter Wanner, Herausgeber regionaler Zeitungen, investiert umgerechnet rund 20 Millionen Euro in das Projekt. Nach nur zwei Treffen mit Voigt soll er das Startkapital zugesichert haben. „Voigt ist ein Internet-Pionier und reißt die ganze Mannschaft mit“, begründet Wanner seine Entscheidung. Schon das Newsportal 20 Minuten hat Voigt erfolgreich gemacht. 2013 ging er trotzdem nicht ganz freiwillig. Damals sollten die Print- und Internetredaktionen zusammengelegt werden. Voigt wollte, dass sich die Zeitungsmitarbeiter den Onlinern anpassen, nicht wie sonst üblich umgekehrt – offenbar zu radikal für seinen Arbeitgeber.
Er vereint den Größenwahn und Geschäftssinn, den man vermutlich braucht, um eine neue Medienmarke groß zu machen.
Trotz der Ungewissheit, trotz des Risikos: Viele von Voigts Leuten kündigten bei 20 Minuten, um ihm zu folgen. Insgesamt arbeiten 65 Kollegen für Watson, von der hippen Newcomerin bis zum preisgekrönten Wirtschaftsredakteur. Warum, das erklärt sein Stellvertreter Franz Ermel so: “Er lässt uns die Freiheit, Fehler zu machen.” Voigt selbst, fast immer im weißen oder dunkelblauen Hemd mit braunem Sakko gekleidet, spricht oft von Kontrollverlust. Den müsse man zulassen, um Innovationen voranzutreiben. Sein Newsportal ist ein journalistisches Experimentierfeld. Auf der Suche nach der eigenen DNA darf auch mal was schief gehen. Manchen mag das – wie auch der Umfang der Redaktion – irritieren. Aber Voigt vereint den Größenwahn und Geschäftssinn, den man vermutlich braucht, um eine neue Medienmarke groß zu machen.
Erst Chef, dann Copy-Paste-Idiot
Früher arbeitete Voigt für Printmedien. Als die heutigen Watson-User Anfang der 90er krabbeln lernten, schrieb er auf seinem ersten Mac unter anderem Artikel für ein Szenemagazin. Später hatte er Chefposten bei den Zeitschriften Cash und Beobachter inne. 2006 wechselte er in die Onlineredaktion des Boulevardblatts 20 Minuten – kurz nachdem er mit dem Züricher Journalistenpreis eine der wichtigsten Schweizer Auszeichnungen gewonnen hatte. “Aus meinem Bekanntenkreis kam vollkommenes Unverständnis”, sagt er. “Die Onliner waren damals nur die Copy-Paste-Idioten.“
Voigt war schon immer jemand, der sein eigenes Ding macht. Sein Geschichtsstudium brach er ab, weil er keine Lust auf Latein hatte. In England gründete er ein Plattenlabel. Er wollte zeigen, dass man Bands unter Vertrag nehmen kann, ohne sie zu knebeln. Nun also Watson. Das Content Management System (CMS) hat er extra entwickeln lassen. Es soll alle Spinnereien der Redakteure möglich machen.
Nur eine teure Schülerzeitung?
Als Voigt 2013 bekannt gab, ein Newsportal aufzubauen, brach in der Branche ein riesiger Hype los. Ein Fachblatt stilisierte ihn zum Messias. Die Botschaft: Voigt werde seinen krisengeschüttelten Kollegen den Weg weisen. Nach dem Launch wollten oder konnten nicht mehr alle Jünger folgen. Zwar wurde Voigt zum „Chefredaktor des Jahres“ gewählt, aber es fiel auch das Urteil, Watson sei nur eine sehr teure Schülerzeitung. Schätzungen von Finanzexperten wurden veröffentlicht. Denen zufolge soll das Newsportal viele hunderttausend Euro Verlust im Monat machen.
Tatsächlich sind es monatlich rund 400.000 Euro, wie Wanners Verlag AZ Medien einräumt. “Bis zum Break Even kann es noch zwei Jahre dauern”; ergänzt Wanner. “Das ist aber so geplant.“ Laut der offiziellen Werbemessung in der Schweiz hat Watson rund 950.000 Besuche (Unique Clients) im Monat. Darüber kann sich ein Start-up freuen. Die Lücke zu den 4,5 Millionen Besuchern beim Branchenführer 20 Minuten ist aber noch sehr groß.
“Ich führe hier das Geschäft, um maximal viel Journalismus zu ermöglichen.”
Voigt hat die Zahlen und die Finanzierung im Blick. Er ist Geschäftsführer der Watson-Muttergesellschaft Fixxpunkt. Für das Handy optimierte Inhalte sind ein Wachstumsmarkt, sein Newsportal ganz vorn dabei. Das CMS lässt sich an andere Unternehmen verkaufen und kann zur Einnahmequelle werden. Sogar die Spiegel-Online-Redaktion will Einblicke in die Technik. Als Gegenleistung bekommt Watson Artikel. Hauptsächlich aber soll sich die Newsseite durch Werbeformate wie das umstrittene Native Advertising tragen. Voigt rechtfertigt das damit, dass es sich um Artikel handle, die ohnehin erscheinen. Zudem würden die Kunden die Texte nicht vor Veröffentlichung sehen. Es bleiben im Mobile-Bereich auch nicht viele Alternativen. Bannerwerbung wird als störend empfunden. Voigt will deshalb neue Anzeigenformen testen.
User bestimmen Inhalte
Fragt man ihn, ob er sich eher als Journalist oder als Unternehmer sieht, reagiert er erstaunt: “Total Journalist. Ich führe hier das Geschäft, um maximal viel Journalismus zu ermöglichen.“ Und wenn das bedeutet, klickträchtige Katzenfotos zu zeigen, macht er das eben. Er will die Leute da draußen erreichen und sie in Mitmach-Journalismus-Manier auch einbeziehen. User können Inhalte hochladen, die unter Umständen redaktionell veröffentlicht werden. Oder abstimmen, ob Watson über “Deutschland sucht den Superstar” berichten oder Bilder von Hirschen im Schnee zeigen soll. Die Tiere haben gewonnen.
Die Chance, dass Watson zu den großen Newssites in der Schweiz aufsteigt, steht Voigts Gefühl nach bei 50 zu 50. Von Anfang an hat er eingeräumt, dass es schief gehen kann. Was, wenn es so kommt? “Das wäre schlimm und ich tue alles, damit das nicht passiert. Aber Scheitern gehört dazu. Ich müsste mich wieder neu erfinden.“ Mit Medien möchte er dann nichts mehr zu tun haben. Oder doch, er könne ja nichts anderes. Muss er vielleicht auch gar nicht, wenn die User mitziehen und viel auf Watson klicken. Zur Kritik seiner Kollegen sagt er: “Wenn ich nur das machen würde, wofür mich andere Journalisten bejubeln, dann wären wir schon tot.“