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Wie smarte Regulierung aussehen kann

Diese Rede hielt Hamburgs Bürgermeister vor Verlegern beim Publishers‘ Summit in Berlin, doch sie enthält Botschaften für alle Medienmacher. Etwa: Ziehen Sie mal wieder mehr an einem Strang!

VOCER dokumentiert eine Rede, die Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz beim Publishers‘ Summit in Berlin gehalten hat.


Ich freue mich sehr, heute zu Ihnen sprechen zu können und bin gerne von Hamburg nach Berlin gekommen. Von einer Medienmetropole in die andere. Schließlich ist Hamburg nach wie vor die Stadt, die sich den Medien in ihrer ganzen publizistischen Vielfalt und wirtschaftlichen Bedeutung so verbunden fühlt wie wahrscheinlich keine zweite in Deutschland. 

Die Bahnfahrt hat mich mitten über das Land geführt – und damit offensichtlich durch die Sehnsuchtslandschaft der Deutschen, wenn ich den aktuellen Branchenberichten vom Zeitschriftenmarkt Glauben schenken darf. Schließlich laufen derzeit die Titel besonders gut, die wie die „Landlust“ den eskapistischen Gedanken der Flucht ins Grüne gekonnt bedienen. 

Das sagt vielleicht viel über uns Deutsche. Vor allem aber zeigt es, dass die Verlage und ihre Redakteure ein feines Gespür für gesellschaftliche Stimmungen und Bedürfnisse haben und dass sich mit neuen Magazinen auch Marktsegmente und Publika neu schaffen lassen. Dafür gibt es in den zurückliegenden Jahren viele Beispiele. Trotz Online, trotz Social Media, trotz iPad sind viele und viele spannende Titel neu entstanden – vielleicht ja auch deswegen… Im Printmarkt steckt offenbar immer noch viel Lust auf Neues. Das freut mich als einer ihrer „Intensivleser“ natürlich sehr.

Ganz generell jedenfalls ist die freie Presse neben dem Rundfunk das Rückgrat unserer Öffentlichkeit. Und diese freie Presse braucht starke Verlage, die in der Lage sind, mit ihren Angeboten Geld zu verdienen. Zu diesen Angeboten gehören nicht nur die Publikumszeitschriften, über die wir alle immer viel reden – wahrscheinlich auch, weil wir Politiker selbst ein wesentlicher Gegenstand ihrer Berichterstattung sind. Dazu gehören ebenfalls die zahlreichen Fachtitel, die einzelnen Spezialistengruppen einen Resonanzboden geben und die wesentlich dazu beitragen, dass sich neues Wissen in unserer Gesellschaft verbreitet.

Für beide wichtigen Sparten gilt: Ihr Journalismus gedeiht am besten in Freiheit und eben nicht am Gängelband des Mäzenatentums oder in abgezirkelten marktfernen Biotopen. Zeitungen und Zeitschriften brauchen keinen wohl meinenden Artenschutz, wie manche suggerieren. Und sie brauchen – trotz aller aktuellen Schwierigkeiten – erst recht keine direkten Unterstützungen, die sie schleichend in eine Abhängigkeit bringen würden.

Die Presse braucht Freiheit – institutionell garantiert, im Alltag gelebt und durch gute Rahmenbedingungen gesichert. Das gemeinsam zu gewährleisten ist in einer Demokratie die dauerhafte Aufgabe von Wirtschaft und Gesellschaft, Staat und Interessenverbänden.

Politik kann nur den Rahmen schaffen

Ich sage Ihnen nichts Neues, wenn ich noch einmal daran erinnere, dass journalistische Medien immer zweierlei sind: ein Geschäft und ein Beitrag zum öffentlichen Gespräch. Weil sie das letztere sind, müssen wir gesellschaftlich auch wollen, dass sie auch das erste sein können. Nur wenn die Medien auf die Dauer profitabel sind, können sie auch auf Dauer die Herstellung von Öffentlichkeit garantieren. Dieses besondere Produkt, das Sie verantworten, sichert Ihnen daher auch stets ungebrochene politische Aufmerksamkeit – ganz sicherlich nicht immer nur zu Ihrer Freude.

Aber wenn die Herausforderungen in den Verlagshäusern groß sind, dann lässt das auch uns Politiker nicht kalt. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass die Refinanzierung journalistischer Produkte – ganz gleich ob im Publikums- oder im Fachmarkt – schwieriger geworden ist. Natürlich haben auch die Zeitschriften heutzutage Reichweiten wie wahrscheinlich noch nie in ihrer Geschichte. Die Digitalisierung hat zahlreiche Verbreitungshürden weg gerissen.

Die deutschen Verlage sind mutig früher als viele andere ins Online-Geschäft eingestiegen. Wer sich die großen Marken im Netz ansieht findet dort neben den globalen Größen vor allem die Portale klassischer Medienmarken aus Print und TV. Jetzt geht es darum, diese Reichweite ausreichend zu monetarisieren. Das muss gelingen, um qualitativ hochwertige Berichterstattung zu sichern.

Kein Politiker kann sagen, wie das gelingt. Das ist verlegerisches Kerngeschäft. Das wissen Sie besser als wir. Wenn wir mit ihnen darüber sprechen wollen, dann weil wir von Ihnen lernen können, weil wir verstehen müssen, wie es gelingen kann. Denn die Politik hat sich darum zu kümmern, dass die Ökonomie der digitalen Gesellschaft auch im Medienbereich geschrieben werden kann. Wir müssen uns um die Rahmenbedingungen kümmern, damit wir auch in Zukunft eine freie und ökonomisch souveräne Presse haben – ganz gleich auf welchem Kanal oder Medium ihre Inhalte dann gelesen oder gesehen werden.

Auf Augenhöhe mit der Medienentwicklung kommen

Der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) hat auf seiner Jahrespressekonferenz beeindruckende Zahlen darüber präsentiert, wie lange einzelne Medien gebraucht haben, um global eine Reichweite von 50 Millionen zu erreichen. Während es bei der Presse noch Jahrhunderte waren, reicht bei aktuellen Social-Media-Angeboten ein halbes Jahr.

Diese rasante Entwicklung trifft natürlich auch die Politik. Während das Schreiben eines ordentlichen Pressegesetzes in Deutschland fast 400 Jahre gedauert hat, mussten die Rundfunkstaatsverträge schon binnen weniger Jahrzehnte verhandelt werden. Und selbst das waren Zeiten der Besinnung und Reflexion. Heute mit Blick auf das Internet kommen wir regulatorisch eigentlich fast immer strukturell zu spät. Bis sich die Gesetzgebungsapparate in Bewegung gesetzt haben, ist eine neue Applikation entweder wieder verschwunden oder schon längst zum Alltagsgegenstand geworden.

Deshalb müssen wir gerade in der Medienpolitik neue und andere Wege gehen, um voranzukommen. Das zuzugeben, fällt einigen manchmal noch etwas schwer. Nicht jeder löst sich leicht von einer Regulierungsfiktion, die man schon länger mit sich herumträgt. Aber irgendwann werden alle begriffen haben, dass das Aufrechterhalten der vermeintlich allmächtigen Fassade vor allem Kraft kostet und letztlich doch nichts bringt. Wir müssen uns vielmehr darum kümmern, neue intelligente Governance-Strukturen zu schaffen, mit denen wir wieder faktisch auf Augenhöhe mit der Medienentwicklung kommen.

Hier wird Europa immer wichtiger. Und deswegen ist es konsequent, dass Günther Oettinger gestern hier beim Publishers‘ Summit zu ihnen gesprochen hat. Wir stellen in vielen Politikbereichen fest, dass der Draht zwischen Brüssel und den Ländern bisweilen enger ist als der zwischen den Ländern und Berlin. Viele Fragen lassen sich in der Zusammenarbeit zwischen föderalen und europäischen Kräften gut bewegen.

Wenn Sie dann das same level playing field im Medienbereich schaffen wollen, das Professor Burda zu Recht gefordert hat, dann ist die Frage gar nicht so sehr, ob wir dafür mehr oder weniger Regulierung brauchen. Viel wichtiger ist, dass wir intelligenter, smarter regulieren. Das bedeutet, dass wir auf einigen Feldern etwas mehr regulatorische Askese betreiben können, während wir andere überhaupt erst der öffentlichen und politischen Diskussion zuführen müssen. Ich denke da zum Beispiel an die wichtige Frage der Auffindbarkeit relevanter Inhalte und natürlich auch an die Frage der Verantwortung globaler Medienkonzerne.

Smarte Regulierung

Ich will noch ein paar Sätze zu smarter Regulierung sagen, so wie ich sie mir vorstelle.

Smartere Regulierung heißt erstens und ganz grundsätzlich, dass wir allen Anderen die gleiche Bereitschaft zur Vernunft und zur Verständigung unterstellen müssen, die wir auch uns selbst zuschreiben. Wir können uns auf gemeinsames Handeln verständigen oder mindestens Dissense rational herausarbeiten, die dann politisch mehrheitlich entschieden werden müssen.

Wenn es uns gelingt, in den Diskussionen auf diese Ebene zu kommen, dann sind wir nicht mehr gefangen in der Sprachlosigkeit von Interessengegensätzen. Wir können dann vielmehr versuchen, den Grundkonsens zu erneuern, den es in unserer Medienlandschaft über Jahrzehnte hinweg gegeben hat. Auf seiner Grundlage lassen sich die verbleibenden Interessenkonflikte besser und belastbarer lösen als in der aktuellen Unübersichtlichkeit.

Diese Orientierung auf Vernunft macht übrigens im Kern auch die Öffentlichkeit aus, für die wir – Politiker wie Medienleute gleichermaßen – verantwortlich sind. Wir organisieren öffentliche Kommunikation und beteiligen uns daran, weil wir davon überzeugt sind, dass öffentliche Argumente etwas bewirken. Das wiederum hat nur Sinn, wenn wir dem anderen unterstellen, dass er sich überzeugen lässt. Also sollten wir das weiter versuchen. Sie schreiben zu recht in Ihrem Gattungsmarketing: Print wirkt. Ich füge hinzu: Gute Argumente auch. Sie haben viele auf Ihrer Seite. Nutzen Sie sie.

Zweitens bedeutet smartere Regulierung, dass wir uns auf die wesentlichen, ja auf die großen Fragen konzentrieren müssen. Die Leidenschaft, mit der manche über die Zahl von Digitalkanälen oder Werbeminuten streiten, ist angesichts der Herausforderungen, vor denen wir wirklich stehen, schlecht investiert. Es geht um ganz andere Fragen: Um neue Geschäftsmodelle. Um die Auffindbarkeit von Inhalten. Um faire Bedingungen zwischen globalen Unternehmen und der hiesigen Medienbranche. Das sind Fragen, die letztlich an den Kern unseres Gemeinwesens rühren und auf die wir Antworten finden müssen.

Drittens bedeutet es, dass Politik einerseits ihre Grenzen erkennen muss, dass sie aber andererseits innerhalb dieser Grenzen auch beherzt handeln muss. Der Hinweis auf die Komplexität der Dinge darf nicht zu einer Ausflucht werden, um sich nicht festzulegen. Im Gegenteil: Wir sind verpflichtet, Orientierung zu geben. Und wir müssen bereit sein, das auch zu tun, ohne uns gleich wie Gary Cooper beim Duell zur Mittagszeit zu inszenieren. Das braucht eine neue Nüchternheit.

Die werden wir aber viertens nur erreichen, wenn wir uns von den liebgewonnenen, aber doch irgendwie ermüdenden öffentlichen Ritualen und dem Beharren auf Maximalpositionen verabschieden. Seit Jahren werden auf den Medientagungen dieser Republik die gleichen Inszenierungen aufgeführt, während sich parallel vor den Gerichten die Zahl der Prozesse zwischen allen Beteiligten stetig erhöht. Das sind Signale dafür, dass etwas brüchig geworden ist, das nur noch mit Mühe zusammengehalten wird. Das ist ein weiteres Argument dafür, dass wir uns intensiv darum kümmern müssen, einen neuen medienpolitischen Grundkonsens zu begründen, auf dem wir die Medienordnung des 21. Jahrhunderts bauen können.

Themen gibt es genug. Jedes Einzelne führt uns in komplexe Abwägungsprozesse, die weder die Medienunternehmen noch die Politik alleine werden lösen können. Gerade in den kommenden Jahren werden wir einander brauchen. Hinter etlichen Themen, die uns aktuell umtreiben, steckt die Frage nach der künftigen Machtverteilung auf den Medienmärkten. Wer organisiert Inhalte und Zugänge? Wer bindet Kunden und bestimmt den Preis? Diese Fragen waren mal eindeutig geklärt. Mittlerweile sind sie hart umkämpft.

Das jüngste Beispiel liegt nicht einmal 14 Tage zurück. Da hat Apple über Nacht die Preise vieler deutscher Zeitschriften im iTunes-Store erhöht. Eine Verschiebung der Preis-Matrix führte dazu, dass „Der Spiegel“ nicht mehr 3,99 Euro, sondern 4,49 Euro kostete. Anderen Titeln und Verlagen ging es ganz genauso. Entschieden hat das jeweils nicht der Verlag, sondern Apple – und mitgeteilt wurde es in einer dürren E-Mail. Die Marktmacht der Plattform erlaubt es offensichtlich, sich über die allgemeinen Geschäftsbedingungen auch die Hoheit über den Produktpreis zu sichern.

Ein elektronisches Grosso

Aus der deutschen Perspektive ist das schon eine bedenkliche Entwicklung. Bevor wir da aber die Keule des Gesetzgebers schwingen, möchte ich Sie ermuntern, Ihre wirtschaftlichen und kommunikativen Kräfte zu bündeln, um dem etwas entgegenzusetzen. Es hat ja bereits verschiedene einzelne Versuche gegeben, eigene Plattformen für die Presse zu etablieren. Und andere europäische Länder haben das meines Wissens auch schon ein Stück weiter getrieben.

Gestatten Sie mir daher diese Anregung: Es könnte doch sinnvoll sein, eine wirklich gemeinsam getragene Plattform zu etablieren, auf der die Verlage ihre Inhalte anbieten könnten – nach eigenen Regeln und Preisen und mit Hoheit über die Kundenbeziehung…

Wer, wenn nicht die Verlage könnte es schaffen, ein solches Projekt bekannt zu machen? Wer, wenn nicht Sie, könnte es durchsetzen? Lassen Sie es sich von einem Sozialdemokraten gesagt sein: Einigkeit macht stark. Letztlich wäre das eine Art elektronisches Grosso, das die Neutralität des Vertriebsnetzes, wie in gedruckten Welt auch, gewährleisten würde. Das wäre aller Anstrengung wert. Dass Presse-Erzeugnisse bis in den letzten Winkel der Republik zuverlässig und unabhängig erhältlich sind, ist schließlich unabhängig vom Medienkanal eine der herausragenden Leistungen der deutschen Medienordnung. Das ist unbedingt erhaltenswert.

Dass die Bundesregierung jetzt in der GWB-Novelle eine Formulierung aufgenommen hat, die entsprechende Branchenvereinbarungen auch weiterhin grundsätzlich ermöglicht, begrüße ich ausdrücklich. Die Länder werden nun prüfen, ob sie daneben auch noch auf der Basis von Pressefreiheit und Vielfaltsicherung tätig werden müssen. Ausdrücklich in Ergänzung zu der GWB-Novelle und nicht an ihrer Stelle.

Es braucht ein Schutzrecht für Presseverleger

Neben dem diskriminierungsfreien Zugang ist der Schutz der Inhalte eine weitere große Aufgabe. Die Politik muss sich für den Schutz des Urheberrechts im Internet einsetzen, um die Bedingungen für kreative Leistungen zu sichern. Leider hat die Bundesregierung anders als angekündigt keinen dritten Urheberrechtskorb in dieser Legislaturperiode vorgelegt. Stattdessen gibt es jetzt nach mehreren Vorversuchen des Ministeriums lediglich einen dürren Gesetzentwurf, der der besseren Sicherung und dem Schutz verlegerischer Leistungen vor allem im Internet dienen soll.

Es gibt da in der Tat aktuell eine Regelungslücke. Und ich bin auch der Meinung, dass es hier neben verbesserten Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung ein Schutzrecht für Presseverleger braucht, das parallel zum Urheberrecht läuft, das die verschiedenen Ansprüche sortiert und das so für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sorgt. Denn natürlich müssen wir den Anachronismus beenden, dass ausgerechnet der Zweig der Medienbranche, der die demokratisch wertvollsten Beiträge zu unserer Öffentlichkeit verantwortet, keinen eigenständigen Schutz reklamieren kann. Deshalb brauchen die Verleger ein Schutzrecht.

Allerdings ist die Bundesregierung dieser Problemstellung mit ihrem Gesetzentwurf noch nicht ausreichend gerecht geworden. Insbesondere die Definitionen müssen dringend sauberer gearbeitet und die Rechtsfolgen präziser bestimmt werden.

Also: Lassen Sie uns darauf hinwirken, dass Auffindbarkeit und Hinweise möglich sind, weitergehende Nutzung ihrer Leistungen aber lizenzpflichtig werden und Sie entsprechende Ansprüche auch wirksam durchsetzen können. Wir arbeiten an konkreten Gesetzestexten, die genau diese Linie beschreiben. Und noch diesen Monat werden dazu – unter Beteiligung der Länder – die nächsten Gespräche stattfinden.

Von Likes und Algorithmen

Mindestens so wichtig wie die Debatte über das Urheberrecht ist die Frage, wie eigentlich künftig relevante Inhalte gefunden werden können und wie bestimmt wird, was überhaupt relevant ist. Hier hat vielleicht der fundamentalste Umbruch der letzten Jahre stattgefunden. Gefragt danach, welches einzelne Medienangebot denn am wichtigsten für die politische Meinungsbildung sei, nennen die Bundesbürger aktuell an Platz eins die „Tagesschau“ und an Platz drei die „Bild“-Zeitung. An Platz zwei aber kommt Google. Und bei den Jüngeren landet Facebook bereits auf dem sechsten Rang.

Da wo früher Redaktionen das Wesentliche zu einem Produkt zusammengestellt haben, werden die Inhalte jetzt entbündelt und dann durch Suchmaschinen und soziale Plattformen wieder individuell zusammengepuzzelt. Als Unternehmer interessiert Sie völlig zurecht, wie es da mit der Verteilung der Produktionskosten und Gewinne aussieht. Und als Politiker interessiert mich, wie wir es schaffen, dass diese neue Bündelung durch Algorithmen und „Likes“ nicht bloß zur Verfestigung bestehender Vorurteile führt.

Wir müssen auch künftig das Neue, das Unbekannte beim Stöbern in einem redaktionellen Angebot entdecken können. Wir müssen uns als Gesellschaft immer wieder aufs Neue überraschen können. Zeitungen und vor allem Zeitschriften leisten dazu seit Jahrzehnten einen herausragenden Beitrag. Ihre Inhalte sind – in der Regel – qualitätsgesichert und organisieren Öffentlichkeit auch institutionell.

Wir dürfen niemals dem Glauben verfallen, dass wir die Selbstbeobachtung unserer Gesellschaft ausschließlich privaten Bloggern überlassen können. Dafür braucht es journalistische Kompetenz, redaktionelle Reflexion und institutionelle Festigkeit. Das alles garantieren die Verlagshäuser. Sie schaffen Relevanz.

Für faire Wettbewerbsbedingungen

Zum geforderten same level playing field gehören noch ein paar weitere Bereiche: 

Dass beispielsweise für Printprodukte sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig werden, für das E-Paper der gleichen Ausgabe aber 19 Prozent, ist nicht nur für Sie schwer nachvollziehbar. Schließlich wollen wir ja die redaktionelle Leistung hier besser stellen und nicht die Holzverarbeitung. Das sollten wir möglichst nach unten angleichen.

Und auch was die Frage der Werbemöglichkeiten angeht, brauchen wir jetzt ganz sicherlich keine Debatte über neue Werbeverbote – wie wohlmeinend auch immer sie begründet sein mögen. Wenn wir den aufgeklärten Konsumenten unterstellen, dann sollten wir ihm auch Bewertungs- und Entscheidungskompetenz unterstellen und ihn nicht wie ein kleines Kind vor vermeintlich schlechten Einflüssen abschirmen. Diese Haltung sollten wir auch in Datenschutzfragen intensiver kultivieren als bislang. Gerade auch im Hinblick auf den Entwurf einer Datenschutzverordnung (PDF), den die EU-Kommission vor knapp einem Jahr auf den Tisch gelegt hat. 

Das prinzipielle Anliegen der EU-Kommission, einheitliche Datenschutzstandards in Europa durchzusetzen, ist richtig. Anders werden wir den globalen Konzernen nicht beikommen. Und dass künftig innerhalb Europas der gleiche Rechtsrahmen gilt, weil sich keiner mehr auf einen auswärtigen Konzernsitz herausreden kann, ist ebenfalls ein klarer Vorteil. Aber wenn die Regelungsvorschläge beispielsweise der Frei- und Wechselversand der Fachpresse faktisch untersagen und das Direkt-Marketing im Abo-Bereich erheblich erschweren, dann sind das nicht bloß Kollateralschäden.

Hier schießt die Kommission über das Ziel hinaus. Wir werden diese Anliegen in den politischen Prozess einbringen und schon in der kommenden Woche Vertretern von Hamburger Medienunternehmen erneut die Gelegenheit geben, der zuständigen Kommissarin ihre Vorschläge mitzuteilen. 

Ganz generell müssen wir bei den Datenschutzdebatten darauf achten, dass wir auch Datennutzung zulassen und nicht einseitig digitale Geschäftsmodelle zerstören. Wir haben deshalb in Hamburg einen Prozess gemeinsam mit dem Hans-Bredow-Institut und dem Datenschützer gestartet, um uns über das Modell einer Regulierungspartnerschaft Gedanken zu machen, dass genau diesem Ziel Rechnung trägt. Gemeint ist damit ein Prozess, in dem wir eher zu einem kooperativen Miteinander im privaten Datengebrauch kommen und auch hier Rituale des gegenseitigen Anprangerns und Beschuldigens verlassen. Solche Dialog- und Selbstregulierungsmodelle haben auch im Datenschutz ihre Berechtigung. Wir wollen helfen, sie zu entwickeln.

Eine Lust auf Innovation ist zu spüren

Die bundesdeutsche Medienpolitik steht vor zahlreichen Herausforderungen – sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf ihre Prozesse. Wir erleben schließlich den fundamentalsten technischen Umbruch in der Medienlandschaft seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Und er vollzieht sich in einer Geschwindigkeit, der jedes Maß zu fehlen scheint. Wir tun gut daran, wenn wir diesen Wandel umarmen. Ich bin zuversichtlich, dass er mehr Chancen als Gefahren birgt und ich bin mir sicher, dass die digitale Wirtschaft nicht bloß den vielgerühmten Start-Ups gehört, sondern auch den Medienhäusern und Verlagen, die seit Jahrzehnten etablierte Geschäftsmodelle haben und die sich jetzt mitsamt ihrer unternehmerischen Erfahrung und ihrer Mitarbeiter aufmachen, die digitale Transformation erfolgreich zu bewältigen. Es gibt viele gute und inspirierende Beispiele.

Und deshalb freut es mich, dass wir seit einiger Zeit gerade auf dem Zeitschriftenmarkt so etwas wie eine neue Lust auf Innovation spüren können. Die Zahl der Titel nimmt zu – und die Zahl der mutigen Experimente auch. Zumindest soweit ich das überschauen kann. Die „Landlust“ hatte ich ja eingangs bereits erwähnt

Angesichts dessen habe ich als leidenschaftlicher Großstädter dann zum Schluss doch noch einen Wunsch oder vielmehr eine Anregung: 

„Stadtlust“!

Ein Magazin mit diesem Titel, das wäre was. Eine Herausforderung, die sich lohnte. Eine Zeitschrift, die ich sofort abonnieren würde. Denken Sie mal drüber nach…

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