Zum Inhalt springen

Gräben überwinden

Wenn wir wollen, dass gesellschaftliche Kommunikation auch in Zukunft gelingt, dann müssen wir den rechtlichen Rahmen einer funktionierenden Media Governance bestimmen. 

In der Entwicklung der Medien standen meistens technologische Erneuerungen an der Wiege neuer Angebote. Technik treibt den Fortschritt seit langem: Ohne Buchdruck keine Zeitungen. Ohne Rollenoffset keine Massenpresse. Ohne Überseekabel und Satelliten keine Nachrichtenagenturen. Ohne Funk kein Radio und kein Fernsehen. Fortschritt durch Technik – für eine Governance des Medienwandels. Und ohne weltweit vernetzte Datenströme, ohne Glasfaser und Breitband kein Social Media, kein Streaming und keine Suchmaschinen.

An jeder dieser Schwellen sind neue Angebote entstanden – immer wieder begleitet von Begeisterung und Bedenken. Das war nie anders. Was heute anders ist, das ist die Geschwindigkeit, mit der sich diese Wandlungsprozesse vollziehen. Insbesondere im Zusammenspiel von Content und Technology verschieben sich mit rasanter Geschwindigkeit die Gewichte. Hier zerbrechen einst beinahe eherne Wertschöpfungskonstellationen und machen Platz für hoch flexible, aber oft instabile Neuerungen.

Die digitale Entwicklung ist rasant und im Wortsinne sprunghaft; der Wandel ist disruptiv. Das bedeutet, dass uns in immer kürzeren Zyklen technologische Entwicklungssprünge begegnen, die wie Schocks auf die etablierten Märkte wirken und denen wir nicht mehr mit einem simplen „Weiter so“ begegnen können.

Vor fast 20 Jahren hat der damalige Chef des MIT Media Lab, Nicholas Negroponte, den Übergang einer Wirtschaft der Atome zu einer Wirtschaft der Bits beschrieben. Künftig, so prophezeite er, müsste immer weniger schwere Materie bewegt werden, während immer mehr schwerelose Informationen den Globus umkreisen.

Gravierende Folgen

Nun sehen wir im Hamburger Hafen gottseidank tagtäglich, dass auch die so genannte ‚Realwirtschaft‘ noch ganz gut funktioniert. Aber mit Blick auf die Kreativ- und Medienwirtschaft ist der Befund zutreffend: Der mediale Inhalt löst sich durch die Digitalisierung vom anfassbaren Produkt. Das hat gravierende Folgen, von denen ich hier nur die wichtigsten nennen möchte:

Erstens: Medieninhalte werden überall verfügbar. Durch Smartphones und Tablets ist alles jederzeit und überall gleichzeitig zu nutzen. Uns steht das Wissen der Welt auf Knopfdruck zur Verfügung. Wir können überall auf der Welt digital unsere Tageszeitung lesen. Wir haben unsere Plattensammlung immer bei uns und sind schon lange nicht mehr nur auf drei Fernsehprogramme angewiesen. Die ehemals schmalen Medienkanäle sind freigesprengt. Jeder kann jederzeit auf beinahe alles zugreifen. 

Das führt zweitens dazu, dass jeder Inhalt auch mit allen anderen um Aufmerksamkeit konkurriert. Und zwar nicht nur aktuell sondern in langen zeitlichen Zusammenhängen. Das Gedächtnis unserer Zeit ist unendlich. Früher war die Zeitung vom Vortag allenfalls zum Einwickeln des Fisches zu gebrauchen. Heute ist sie einen Mausklick entfernt als Teil des Archivs. Wenn Sie eine Analyse zu Krieg und Frieden in der Welt schreiben, dann müssen Sie wissen, dass Ihre Leser sich auch das Original von Tolstoi besorgen können, ohne aus dem Haus gehen oder auch nur aufstehen zu müssen.

Drittens können Sie soziale Beziehungen zu Personen aufbauen, die sie noch nie getroffen haben, oder nie treffen werden. Und sie können Freunde wieder ausfindig machen, von denen Sie seit Jahrzehnten nichts mehr gehört haben. Derzeit sind eine Milliarde Menschen miteinander vernetzt. Eric Schmidt sagt in seinem neuen Buch voraus, dass binnen weniger Jahre noch fünf Milliarden dazukommen werden. Beinahe jeder wird in Zukunft vernetzt sein und Zugang zu globaler Information und Kommunikation haben. Das heißt aber auch, dass unsere Zeit vermutlich niemals ausreichen wird, um alle möglichen Kontaktpunkte sinnvoll zu verbinden. Die Zahl der Möglichkeiten übersteigt bereits unsere Verarbeitungskapazität. Das Nadelöhr ist künftig nicht mehr die technische Infrastruktur, sondern der Einzelne und seine Fähigkeit, diese Angebote sinnvoll zu verarbeiten.

Viertens verändern sich die Wertschöpfungsketten. Der „long tail“ ist längst zur Metapher der digitalen Wirtschaft geworden. Innovation und Wertschöpfung finden zunehmend auch in Kooperation zwischen Kleinunternehmen statt – spontan und horizontal vernetzt. Mit einer guten Idee, ein wenig Geld und ein bisschen Glück lassen sich so ganze Märkte aus einem jahrzehntelang eingelebten Gleichgewicht kippen. Wir wissen heute, dass in diesen Märkten Unternehmen scheitern können, gerade weil sie bislang alles richtig gemacht haben und dann in einem neuen Marktumfeld an den alten Erfolgsfaktoren festhalten. Der Erfinder der Disruptionstheorie, Clayton Christensen, hat das bereits vor 20 Jahren als „The Innovator’s Dilemma“ beschrieben. 

Es betrifft übrigens nicht nur diejenigen, die im alten Markt gutes Geld verdient haben, sondern auch uns als Gesellschaft, die wir unser Informations- und Unterhaltungsverhalten auf seine Produkte aufgebaut haben. Wir alle werden deshalb nicht bloß einiges besser, sondern auch vieles anders machen müssen, wenn wir den Kern dessen erhalten wollen, was unsere heutige vielfältige und hochwertige Medienwelt ausmacht.

Digitalisierung wird anfassbar

Die Überallverfügbarkeit, das Nicht-Vergessen, die unbegrenzte Vernetzung und der long tail sind nur vier der Disruptionen, die sich als Folgen der Digitalisierung der Wirtschaft beschreiben lassen. Und der Prozess ist längst nicht Ende. Wir haben viele Medienmacher vor der Veranstaltung nach ihrer Prognose für die Medien in 2020 gefragt. Der Begriff, der in den Antworten am meisten gefallen ist, lautet: „Internet der Dinge„. Die Digitalisierung wird anfassbar. Die Bits kommen zurück zu den Atomen. Die ersten 3-D-Drucker stehen bereits in Hamburg und digitale Schnittstellen werden tief in den Alltag eindringen. Ob das nun neue digitale Brillen sein werden, hauchdünne papierähnliche Screens oder endlich der Kühlschrank, der automatisch die Milch nachbestellt, will ich hier gar nicht prophezeien. Aber die Zahl der Schnittstellen zwischen Mensch und Medium wird dramatisch zunehmen. In wenigen Jahren wird beinahe jede Bürgerin und jeder Bürger auf dieser Welt vernetzt sein.

Die zuversichtliche und zupackende Reaktion auf die Veränderungen unserer Tage ist etwas, das insbesondere in den USA – in Anlehnung an JFK – als „moonshot thinking“ beschrieben und oft mit einem gehörigen Schuss Pathos verbunden wird. Gemeint ist eine Haltung, die sagt: „Versucht nicht, Bestehendes fünf Prozent besser zu machen, sondern macht es 100 Prozent anders. Strebt nach dem Sprung, sucht die Disruption.“ Wie damals beim Projekt Mondlandung.

Wer so denkt, der umarmt einerseits den Wandel und schafft die neuen Möglichkeiten, die nicht nur aus dem Silicon Valley zu uns gelangen und die wir gerne auch hier bei uns ermöglichen wollen. Wer so denkt, begibt sich aber andererseits auf ein Territorium, das für eine komplexe moderne Demokratie nur schwer auszuhalten ist. Die Revolution ist schließlich zunächst immer undemokratisch. Sie verändert radikal, bevor sie Begründungen verlangt, nach Konsequenzen fragt und Beteiligung organisiert. Wer daher vor dem Hintergrund einer gelingenden Öffentlichkeit und etablierter demokratischer Mechanismen sagt, „Lasst uns das einfach mal ganz anders machen und dann erst sehen, ob es auch funktioniert“, der darf zwar Lust auf Neues erhoffen, muss sich aber fragen lassen, wie dieses Neue denn aussehen und funktionieren soll.

Politische Prozesse funktionieren in der Regel nicht so sprunghaft und abrupt. Sie verändern sich langsam und iterativ. Sie lassen Zeit zur Korrektur, zum behutsamen Rückbau bei Fehlern, zur Reflexion. Sie sind weniger dramatisch, manchmal sogar langweilig, weil sie alle mitnehmen sollen. Der Demokratie darf nicht egal sein, wenn 20 Prozent der Bevölkerung zurückbleiben. Demokratie ist Transformation, nicht Disruption. Denn nur wer den Wandel nach menschlichem Maß nachvollziehbar gestaltet, wird auch in der Lage sein, ihn kontrollierbar, reversibel und zum Guten für die Allgemeinheit zu entwickeln.

Freiheitsgewinne durch den digitalen Wandel

Keine Missverständnisse: Der Wandel ist Teil der Moderne. Niemand sollte ihn aufhalten. Die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse haben sich in den letzten Jahrhunderten immer weiter demokratisiert. Auch die letzten Sprünge haben neue Freiheitsgewinne gebracht. Bei den anstehenden wird es nicht anders sein. Aber wer springt, sollte wissen, wo er landet. Wer beim Denken den Mond im Visier hat, der darf dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Deswegen lohnen Momente wie dieser Mediendialog, um sich zu vergewissern, welche Anstrengungen auf uns zukommen, was sich verändern wird und was wir anders machen müssen, um das Erhaltenswerte zu verbessern.

Dabei geht es gleichermaßen um den geschäftlichen Erfolg und um das gesellschaftliche Gelingen der Medien. Mithin einerseits um die Entwicklung neuer Businessmodelle und andererseits um die Sicherung unserer kommunikativen und kulturellen Öffentlichkeit. Wirtschaftlichen Erfolg kann man individuell anstreben, er bemisst sich kühl und zweckrational daran, ob man ein Ziel erreicht. Erfolgreich kann jeder von uns individuell sein, auch wenn das Ganze buchstäblich den Bach runter geht.

Gesellschaftliches Gelingen hingegen zielt auf das Ganze. Es ist das Ergebnis eines komplexen Prozesses, für den nicht nur ein Handelnder gemäß seiner eigenen Ziele verantwortlich ist. Gelingen braucht das Zusammenwirken vieler, die unabhängig voneinander arbeiten. Erst am Ende sehen wir, was dabei herauskommt und ob es gelungen ist.

Während digitale Geschäfte für einzelne von Ihnen – auch auf Kosten der anderen – erfolgreich sein können, braucht die digitale Gesellschaft unsere Kooperation. Sie wird uns nur gemeinsam gelingen, wenn wir bereit sind, sie als ein komplexes Ökosystem zu begreifen, und zusammen an ihrer Realisierung arbeiten.

Neue Konkurrenten

Wenn wir das gesellschaftliche Gelingen der Digitalisierung nicht aus dem Blick verlieren wollen, dann müssen wir Medienpolitik anders begreifen als bislang. Wir müssen uns dem Befund stellen, dass wir es schon heute mit einer Governance-Struktur zu tun haben, in der es viele unterschiedliche Interessen gibt, viele unterschiedliche Akteure und viele unterschiedliche Einflussebenen.

Durch die digitale Konvergenz begegnen sich plötzlich Anbieter, die niemals damit gerechnet haben, dass sie sich jemals begegnen würden. Jetzt stehen sie auf dem gleichen digitalen Marktplatz als Konkurrenten nebeneinander. Für diese Situationen brauchen wir neue Klärungsmechanismen – und bis dahin auch ein wenig Langmut und Toleranz. Wenn Politiker von Governance sprechen, dann werden einige von Ihnen zu Recht skeptisch, weil Sie das als Chiffre für die Flucht aus der Verantwortung verstehen. So ist es explizit nicht gemeint – im Gegenteil. Damit Governance gelingt und gute Ergebnisse produziert, braucht es eine aktive und entscheidungswillige Politik. 

Nur sie kann die Verfahren beschreiben und die Rahmen abstecken, innerhalb derer Einigungsversuche unternommen werden können. Nur sie kann neue Balance schaffen, wenn etwas aus dem Lot geraten ist. Dabei ist Politik zu Sorgfalt und Augenmaß verpflichtet, denn in diesen Umbruchsituationen sind viele Beteiligte schnell mit einzelnen Instrumenten bei der Hand, die scheinbar die Erlösung bringen sollen. Manchmal agieren wir dann alle miteinander wie Ärzte, die es natürlich nur im Comic gibt, die vor der Anamnese und der Diagnose einfach schon einmal anfangen, dem Patienten ein paar Pillen einzuwerfen und ihn an den Tropf mit den Betäubungsmitteln hängen, um einfach mal die Bauchdecke aufzuschneiden und nachzusehen. Auch in der Medienpolitik passiert es immer wieder, dass uns jemand ein Medikament präsentiert, ohne dass wir schon die Krankheit diagnostiziert hätten, bisweilen sogar bevor wir die Symptome lokalisieren oder beschreiben können.

Das kann vorausschauend sein, oftmals aber ist es der Ausgangspunkt unnötiger Verhärtungen und Auseinandersetzungen, an deren Ende wir nicht näher beieinander stehen, sondern weiter voneinander entfernt sind. Und es birgt die Gefahr, dass Politik ins Leere steuert oder – noch bedenklicher -, dass Regulierung unerwünschte Nebenwirkungen hat, die man nur schwer wieder in den Griff bekommt.

Kein Grundkonsens

Ich kenne diesen Mechanismus aus vielen Politikbereichen – und sie verweisen immer auf das gleiche Defizit: Es fehlt an einem Grundkonsens. Wenn das der Fall ist, ziehen nicht nur viele vor Gericht, sondern dann verhärten die Streitereien um Gesetzesentwürfe, dann werden Instrumente zu Grundsatzfragen aufgebauscht. Deswegen: First things first.

Wir brauchen zunächst einen medienpolitischen Grundkonsens. Er ist nicht technisch, sondern gesellschaftlich zu bestimmen. Er bemisst sich nicht am Erfolg einzelner Geschäftsmodelle, sondern am Gelingen der digitalen Gesellschaft und ihrer Öffentlichkeit. Hier geht es um grundlegende Werte. Um Freiheit und Öffentlichkeit: Um die Freiheit zu kommunizieren und neue Produkte zu entwickeln, mitzudiskutieren und auszudeuten, kreativ zu sein und neue Wege zu gehen.

Und um die Öffentlichkeit, die aus Meinungsstreit und Interessenkonflikten entsteht. Sie ist ein Netzwerk von Kommunikation in einer Gesellschaft. Sie ist das kommunikative Rückgrat unserer Gesellschaft, das Forum, in dem wir uns treffen, um Dinge von Belang zu diskutieren.

Öffentlichkeit ist eine fragile Konstruktion: Unsere Demokratie ist ohne sie nicht denkbar, zugleich aber dürfen wir sie nur behutsam gesetzlich und staatlich sichern, weil sie austrocknet, wenn sie nicht freiheitlich durch Medien gewährleistet wird. Als Gesellschaft müssen wir den Medienunternehmen in unserem Land vertrauen können, dass sie sich dieser Verantwortung immer bewusst sind und sie nicht unter Renditezwang hinten anstellen. Denn wenn wir als Gesellschaft auf die Leistungen, die Sie alle hier im Saal tagtäglich erbringen, nicht mehr zählen können, dann sind die schönsten Geschäftsmodelle letztlich nichts mehr wert.

Und wir machen Fortschritte auf dem Weg zu diesem erneuerten Grundkonsens: Dass kreative Leistungen urheberrechtlich geschützt werden müssen, zweifelt im Grunde niemand mehr an. Die schweigende Mehrheit in dieser Frage meldet sich zu Wort. Dass Inhalte vergütet werden müssen, treibt nur noch Wenigen ideologische Zornesröte ins Gesicht. Dass wir in die Infrastruktur der Digitalisierung investieren müssen, ist allgemein akzeptiert. Und dass wir bei all dem dafür sorgen müssen, dass Inhalte von allen gefunden und letztlich auch von allen verbreitet werden können, kommt auch bei denen an, die noch in den alten Modellen der sogenannten Massenkommunikation denken. Vieles wird künftig vernetzter, kleinteiliger und partizipativer.

Austausch wird alltäglicher

Die Kontrolleure der Relaisstationen gesellschaftlicher Kommunikation, die klassischen massenmedialen Angebote, stellen sich darauf ein. Im Zuge des Zusammenwachsens von Tech- und Content-Unternehmen wächst zwar Konkurrenz, zugleich aber erhöht sich das Verständnis füreinander, weil der Austausch alltäglicher wird.Wir haben uns deshalb entschieden, unsere regionale Arbeitsgruppe zum Nationalen IT-Gipfel unter die Überschrift „Content & Technology“ zu stellen und den Austausch zu fördern.

Früher haben Kreative sich etwas ausgedacht und dann die EDV beauftragt, es zum Funktionieren zu bringen. Oder die EDV-Leute haben etwas programmiert und haben dann die Kreativen gebeten, es hübsch zu machen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute arbeiten interdisziplinäre Teams zusammen an neuen Produkten und Applikationen. Dazu brauchen wir neue Kompetenzen: Ich freue mich, dass die Hamburg Media School sich in den kommenden Jahren gemeinsam mit der Leuphana Universität aus Lüneburg verstärkt um die Bereiche digitale Medien und digitalen Journalismus kümmern wird. Und ich freue mich noch mehr, dass die HMS dafür mit dem Axel Springer Verlag einen Unterstützer gewinnen konnte, der den Wandel ins Digitale beeindruckend verkörpert. Weitere werden dazu kommen, das kann ich Ihnen bereits versprechen.

Die Technik wird sich künftig immer wieder als Treiber der Ideen und des Wandels beweisen. Es ist deshalb nicht nur unternehmerisch, sondern auch gesellschaftlich klug, den Dialog zu suchen und gemeinsam den nächsten Sprung zu planen. Erst auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses der Herausforderungen und auf der Basis einiger gemeinsamer Überzeugungen werden wir handlungsfähig. Dieser Grundkonsens ist wichtig. Wenn wir in diesem Sinne einig sind, was das öffentliche Gespräch und das öffentliche Geschäft ausmacht, können wir uns den Zielen zuwenden, die wir gemeinsam oder in Konkurrenz verfolgen.

Abstrakte Ziele

Diese Ziele sind zunächst relativ abstrakt, weil auch sie auf gesellschaftlicher Ebene verbindlich für alle Geltung beanspruchen. Zugleich sind sie nachvollziehbar und eindeutig: Ich will einige Perspektiven vorschlagen: Wir wollen eine Medien- und Kreativwirtschaft, die auch künftig qualitativ hochwertige journalistische, kreative und künstlerische Inhalte produziert. Wir wollen ökonomisch tragfähige Geschäftsmodelle. Wir wollen, dass mit Medien auch künftig Geld verdient werden kann. Dazu müssen wir Marktversagen, wenn es existiert, beheben und den Markt ertüchtigen. Erst in zweiter oder dritter Linie sollten wir über dritte Wege wie stiftungsfinanzierten Journalismus nachdenken.

Wenn die Probleme des Journalismus dazu führen, dass er künftig von Stiftungen abhängig sein soll, dann haben wir ein richtiges Problem. Wir wollen den Journalismus als Beruf erhalten, weil nur er die demokratische Öffentlichkeit sichern kann, auf die unser Gemeinwesen angewiesen ist. Wir wollen ihm deshalb dabei helfen, sich zunehmend aus sich selbst heraus zu finanzieren, wenn Querfinanzierungen zum Beispiel durch Anzeigen wegbrechen. Wir wollen zugleich natürlich auch, dass sich die Qualität von Medienprodukten nicht nur daran bemisst, wie viel Geld mit Ihnen verdient wird.

Wir wollen, dass uns die gleiche Gültigkeit der vielen nebeneinander verfügbaren Angebote nicht gleichgültig macht, sondern Relevanz nach wie vor erkennbar und bewertbar bleibt. Wir wollen gut informierte Bürgerinnen und Bürger, die umfassend Zugang zu Information und zu kreativen Leistungen haben und die selbst ihre Stimme erheben können, weil sie wissen, wie Medien rezipiert und produziert werden. Wir wollen den technologischen Wandel nutzen, um die Attraktivität medialer Angebote weiter zu steigern. Wir wollen technologische Plattformen, die neutral sind und Vielfalt zulassen. Wir wollen eine lebendige Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft dauerhaft gewährleisten.

An diesen Zielen muss sich Media Governance orientieren – auch mit robusten Mitteln. Wenn wir uns einig sind, dass es Aufgabe der Content- und der Technologie-Unternehmen ist, eine Infrastruktur zu garantieren, die diesen Zielen dient, wird es uns leichter fallen, nach Lösungen für Konflikte zu suchen, die am Markt entstehen. Für mich wäre es eine wirklich heilsame medienpolitische Disruption, wenn Media Governance nicht im Modus der Konfrontation, sondern im Modus der Kooperation stattfinden würde, damit am Ende nicht Verdrängung, sondern Vielfalt das Markenzeichen der digitalen Medienwelt wird.

Von selbst wird das nicht passieren. Das ist harte politische Arbeit. Zum Beispiel am Thema Urheberrecht oder am Thema Datenschutz oder auch im Hinblick auf die Fragen nach den künftigen Machtkonstellationen der digitalen Medienwelt. Um mit diesen und weiteren Fragen konstruktiv umgehen zu können, müssen wir eine Einrichtung revitalisieren, die seit Jahrzehnten unsere Medienordnung prägt: Die Rundfunkkommission der Länder sollte sich zu einer Medienkommission weiterentwickeln, um die Sicherung von erfolgreicher Geschäftsmodelle und gelingender Öffentlichkeit in den Blick nehmen zu können.

Debatten anzetteln

Die 16 Bundesländer tragen hier gemeinsam die Verantwortung dafür, dass der Kern von Artikel 5 unseres Grundgesetzes Bestand hat und mit Leben erfüllt wird. Sie können beweisen, dass Föderalismus zu etwas gut ist. Die Vielfalt der Kommission und ihr Zwang zum Konsens sind eine Chance, jenseits des Rundfunkrechts auch ein öffentliches Forum für die Fragen unserer Medienwelt zu sein – letztlich der Kristallisationspunkt medienpolitischer Debatten. In ihr können – übrigens partnerschaftlich mit dem Bund – Fragen der Medienkonzentration, der Auffindbarkeit von Inhalten, der gesellschaftlichen Kontrolle des Rundfunks, der Freiheit der Presse, der weiteren Entwicklung des Internets wegweisend diskutiert werden – wenn alle den Willen haben, diese Verantwortung zu übernehmen.

Ich wünsche mir das und werde viel dafür tun, solche Debatten anzuzetteln. Insbesondere, wenn wir uns mit den Fragen der so genannten Plattformregulierung auseinandersetzen und dabei auch regulatorisch ins Herz der medialen Veränderungen zielen. Es geht künftig vor allem darum, Vielfalt dort sicherstellen, wo Information von den Leserinnen und Zuschauern gefunden werden kann. Das sind noch die Medienkanäle, aber es werden zunehmend die Plattformen, auf denen zwar im Prinzip alles verfügbar, aber oft nur theoretisch auffindbar ist. Diese Frage betrifft die klassischen Medien ebenso wie das Netz.

Wir müssen sie deshalb übergreifend bearbeiten. Wir sollten es uns als Länder zutrauen, einen Medienstaatsvertrag zu schreiben, der auf Artikel 5 des Grundgesetzes aufsetzt, eine umfassende Medienordnung auf der Höhe der digitalen Zeit beschreibt und so das vielfach geforderte level playing field absteckt. Dabei brauchen wir neue Mitstreiter.

Die Debatte darf uns nicht zerbrechen: In die Medienpolitiker auf der einen Seite, die nahe beim Content stehen und sich in zähen Kompromissen millimeterweise bewegen, und in die Netzpolitiker auf der anderen Seite, die nahe bei der Technology sind, und lustvoll Revolution predigen. Medien- und Netzpolitik gehören genauso zusammen wie Content und Technology. Sie kümmern sich gemeinsam um die Frage nach der kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft und sie tragen gemeinsam Verantwortung für sie.

Wir müssen diese Gräben überwinden und nicht durch neue Gremien, die unter Federführung der einen oder der anderen Seite stehen, aufreißen. Auch hier kann die Kommissionsarbeit der Länder eine Klammer bilden und dort, wo es nötig ist, eine bessere Abstimmung mit dem Bund und seinen Kompetenzbereichen ermöglichen. Ich finde es schade, dass aus den vielen guten Anregungen der Enquetekommission des Deutschen Bundestages ausgerechnet die Forderung nach einem netzpolitischen Ausschuss in den Vordergrund gerückt wird. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass die Perspektive des Netzes in allen Feldern präsent wäre und es auch auf der Bundesebene ein Gremium gibt, das gesellschaftliche Kommunikationsverhältnisse thematisiert und das die enge Zusammenarbeit mit den Ländern sucht.

Hier in Hamburg werden Medien- und Netzpolitik seitens der Exekutive bereits in der Senatskanzlei im selben Amt betreut. Das zwingt dazu, die Differenzen zwischen Content und Technology nicht leidenschaftlich auszutragen, sondern gleich von vornherein zu balancieren. Von diesem Modell kann man auch im Großen lernen.

Ein Staat, der zuhört

Wenn wir wollen, dass neue Geschäftsmodelle erfolgreich sind und dass gesellschaftliche Kommunikation auch in Zukunft gelingt, dann müssen wir den rechtlichen Rahmen einer funktionierenden Media Governance bestimmen. Dazu gehört eine Rechtsordnung, die offener und liberaler ist als die bisherige und die das oft geforderte same level playing field ermöglicht. Dazu gehört ein Staat, der zuhören, moderieren und entscheiden kann. Und dazu gehören Marktteilnehmer und Verbände, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und sich als Teil des komplexen Ökosystems der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft begreifen.

Diese Governance ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir die digitale Transformation der medialen Angebote bewältigen – kommunikativ ebenso wie geschäftlich. Aber sie ist natürlich nicht hinreichend: Dazu braucht es neue Geschäftsmodelle und neue Kompetenzen. Und es bedarf neuer Kooperationen zwischen ehemals weit entfernten Vertretern unterschiedlicher Medienzweige. Wenn wir ein gemeinsames Verständnis der Situation erreichen, dann haben alle schon ein gutes Stück zum Gelingen der digitalen Gesellschaft beigetragen; dann ist der Fortschritt durch Technik für alle möglich! 


Dieser Beitrag ist ein Auszug einer Rede, die Olaf Scholz anlässlich der Eröffnung des Mediendialogs Hamburg am 28. Mai 2013 gehalten hat.

 

Nach oben