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Wer schreibt, der bleibt

Axel Springer schimpfte sie Flanellmännchen, und manche Betriebswirte glauben heute sogar, Journalist sei ein Beruf wie ihrer auch. Doch die Branche braucht kühne Kaufleute.

Dass zu den vier tragenden Säulen einer lebendigen Demokratie selbstbewusster und sich seiner Rolle in einer freien Gesellschaft bewusster Journalismus gehört, deshalb traditionell „Vierte Gewalt “ genannt, wird von Festrednern gern betont. Dass professionell gemachte Zeitungen und Zeitschriften für die notwendige Kontrolle der anderen drei Gewalten unersetzlich sind und es eben nicht genügt, wenn Amateure im Sekundentakt ungeprüft ins Netz stellen, was ihnen ein- oder auffällt, ist dennoch wahr. Das schmälert nicht etwa die Relevanz des Internets, sondern relativiert nur seine Bedeutung.

Bürgerrechte, nicht Schlüpfer einer Promitussi

Zwar hätte die freie Welt ohne die Augenzeugen im World Wide Web nichts erfahren vom alltäglichen Staatsterror in Iran oder in China, und solche Bürgerjournalisten, die diesen Namen verdienen, weil es ihnen um Bürgerrechte geht und nicht um den verlorenen Schlüpfer einer C-Promitussi, sind unersetzlich, solange es in den Diktaturen keine freie Presse gibt. Aber zum Wesen des Journalismus gehören nun mal Inhalte. Und wenn die wesentlich sind, ist die Form egal, in der sie verbreitet werden – gedruckt, gemailt, getwittert, gesendet. Zurück in die wirtschaftlichen Niederungen der Freiheit. Viele Anzeigen, die über Jahrzehnte den Presselords fette Ernten in die Scheunen brachten, wandern ab ins Internet. Das verschärft die Krise des Gedruckten bis ins Koma. Aber nur von der Gedankenblässe unbelastete Betriebswirte halten überirdisch viele Klicks im Netz für die Lösung ihrer irdischen Probleme und damit den wahren Himmel auf Erden. Da tummeln sich Controller. Für die zählt nur, was sie messen können. Sie wissen jedoch nicht, warnt einer, der es wissen muss, der erfahrene Werber Lothar Leonhard, dass der Klick an sich nichts bedeute, weil Nachhaltigkeit eines Produkts nicht anhand der Zahl von Klicks messbar ist. Das wäre etwa so, als würde eine große Regionalzeitung über die gesteigerten Klickklicks jubeln, während sie real mehr und mehr Leser verliert. Es gibt eben mehr im Himmel und auf Erden, als McKinsey-geschulte Weisheit sich träumen lässt. In ihrer Sehnsucht nach einem von der Konkurrenz noch nicht entdeckten Schatz am Ende des Regenbogens zum Beispiel sind Journalisten unberechenbar. Schatzsuchen aber kosten Geld. Man nennt es unter uns auch Recherchen. Unberechenbares jedoch ist der Feind von Medienmanagern, einst in der schreibenden Zunft als Korinthenkacker verachtet.

Axel Springers Flanellmännchen

Der Verleger Axel Springer nannte sie abschätzig Flanellmännchen, obwohl er sie dringend brauchte. Diese wiederum drohten – und seit die Krise real existiert, setzen sie ihre Drohungen endlich ungeniert um – bei nächstschlechter Gelegenheit, den Redaktionsetat zu reduzieren, Mitarbeiter zu entlassen, was sie freisetzen nennen, und sich so für alle erlittenen Demütigungen zu rächen. Nie hatten sie es so leicht wie jetzt. Weil eigenartige und -tümliche Verleger auf der Liste gefährdeter Spezies stehen, brauchen Journalisten eigentlich mehr denn je kühne Kaufleute, die schwarze Wörter auf weißem Grund schätzen und darauf achten, dass nichts ins Rote abrutscht. Denn sonst müssten Journalisten ihre Texte in Fußgängerzonen vortragen und anschießend um milde Gaben bitten. Die Alternative, sich einen anständigen Beruf zu suchen, war nie eine so recht prickelnde.

Begeisterungsfähige Betriebswirte errichten das Haus, in dem Wörter wohnen dürfen. Sorgen dafür, dass die Statik des Gebäudes stimmt, die Mauern dick genug sind, das Dach nicht leckt und das Ganze auf festem Boden steht. Ohne sie wäre das, was Zeitungen, Zeitschriften und Magazine ausmacht, nicht machbar. Aber ohne uns wären sie letztlich nichts als gewöhnliche Macher, die „Lidls“ Überwachungsvideos vernichten oder bei der „Hypo Real Estate“ faule Papiere entsorgen oder eine Steuererklärung für Klaus Zumwinkel erstellen müssten (alle genannten Fälle übrigens wurden enthüllt durch journalistische Recherchen). Nicht ganz so prickelnd, erst recht nicht prestigeträchtig wie ein Job im zweitältesten Gewerbe der Welt. Von der Existenz des ältesten hätte man ohne die Verbreitung durch Journalisten, mündlich oder schriftlich, übrigens nichts erfahren.

Wer schreibt, gehört zu den Lebewesen, aus deren Gehirnschalen Verleger einst ihren Champagner tranken (das Bonmot stammt natürlich von einem Journalisten, von Erich Kuby, dem persönlicher Luxus, bezahlt von seinen Verlegern, nie unlieb war). In Zeichen der Krise tun die das nur noch heimlich, öffentlich saufen sie Wasser, allenfalls mit einer jungen Autorin mal ein Gläschen Prosecco. Das kommt gut an. Würden sie protzen und angeben wie früher, käme sonst ein Chefredakteur, der das Wort „sparen“ nicht mehr hören kann, auf die Idee, ihnen Fragen zu stellen. Ist es richtig, dass in den goldenen Zeiten, die bis vor ein paar Jahren herrschten, sein Arbeitgeber, der Verlag XY, in einer Dekade so zwischen drei und vier Milliarden Euro netto verdient habe? Und wie hoch die Verluste in den blechernen Zeiten seitdem waren? Mehr als dreihundert Millionen? Und ob das Verluste waren oder nur im Vergleich zu früher geringere Einnahmen? Und ob unterm Strich nicht trotz Krise et cetera ein netter Gewinn stehe, geschaffen in den Gehirnschalen von … na?

Von Schreibern und Vorschreibern

Worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen Schreibern und Vorschreibern? Die einen halten alles für möglich, riskieren das unmöglich Scheinende. Die anderen suchen nach Möglichkeiten, jedes Risiko auszuschließen. Falls die Vertreter beider Welten in ihrer jeweiligen Welt aber Könner sind, entstehen für die Auftritte der einen durchs Bühnenbild der anderen erstklassige Inszenierungen, Seelen berührend, Köpfe belebend, Herzen öffnend. Die gibt‘s nach wie vor. Zwei von ihnen, die als Geschäftsführer ihrer ehrenwerten Häuser, trotz realer Anzeigenkrise, den Schatz verwalten und hüten, der ihnen anvertraut ist und dies voller Respekt auf Augenhöhe mit denen, die ihn unentwegt suchen, den Journalisten, was wiederum von denen respektiert wird, sind Rainer Esser von der „Zeit“ und Ove Saffe vom „Spiegel“. Dass Qualitätsjournalismus die Basis ihrer Geschäfte ist, wissen sie. Also werden sie einen Teufel tun, am Fundament zu sparen. 

Zwergnasen dünken sich Riesen

So einfach, dass unten die Guten und oben die Bösen sitzen, ist es in Wahrheit natürlich nicht. In der Warenwelt der Medien geht es zu wie in der wahren Welt. Bei zu vielen bunten Blättern sind die Redakteure noch dümmer als ihre Leser. Wenn bei der seit Jahren andauernden Flurbereinigung auf dem Medienmarkt der Eitelkeiten nur Selbstdarsteller und Gossenjungs auf der Strecke geblieben wären, würde das kein Anlass sein für einen wehmütigen Nachruf. Doch seit sich Betriebswirtschaftler einbilden, Journalist zu sein sei ein Beruf wie der ihre auch, (Von wegen vierte Gewalt!) trifft ihr Kahlschlag Menschen, die ihr Handwerk beherrschen, unbestechlich sind, moralisch handeln und an das glauben, was sie veröffentlichen – Journalisten.

Talent und Instinkt und Leidenschaft, die Heiligen Drei Könige der schreibenden Zunft, können nicht gelehrt werden. Eine Zielgruppe anzupeilen ohne ein eigenes Ziel, außer dem einer zweistelligen Rendite, endet in Gruppendiskussionen. Heute dünken sich Zwergnasen, die sich beim Kämmen in den Radkappen ihrer Dienstwagen spiegeln, als Riesen und wähnen sich groß, geben an zu können, was Könner können – Geschichten aufspüren, Menschen berühren.

„Keine Macht den Drögen“ war, ganz egal, aus welcher politischen Ecke der Wind wehte, mal ein stillschweigender Konsens bei allen Verlagen. Männer mit Eigenschaften wurden von den jeweiligen Eigentümern für den Bau ihres Verlagshauses eingesetzt. Sie kümmerten sich stattdessen lieber um die Software Autoren. Das galt insbesondere für Buchverleger. Siegfried Unseld in einem Brief an Thomas Bernhard am 13. September 1965:

Ein Verleger ist ein Mann, der gewohnt ist, sich täglich neu von den Überlegungen, Imaginationen und Wünschen seiner Autoren überraschen zu lassen … Hauptaufgabe des Verlegers ist es doch, dafür zu sorgen, dass der Autor ständig eine gute Arbeitsmöglichkeit hat.

Bereits die Ausstattung der Zimmer für die branchentypischen Wahnsinnigen, Eitlen, Sprachzauberer ging die Baumeister nichts mehr an. Die Dachterrasse stand ihnen offen wie die Kantine, aber zu unsichtbaren Horizonten hin offene Räume, in denen schreibend, dichtend, verdichtend, Ungewöhnliches entstand, in denen die Reisen zu den Schätzen am Ende aller Regenbogen begannen, waren ihnen selbstverständlich verwehrt. Hin und wieder durften sie aber gern mal vorbeischauen auf ein Glas – na was wohl – Champagner.

Back to the roots!

Wenn Manager mit Mut zum Risiko am Krisentisch sitzen, könnten sie mit Journalisten derzeit mehr denn je – denn in Gefahr und Not bringen Mittelwege nur den Tod – zu gemeinsamen Zielen aufbrechen und die Phantasien umsetzen in Realität. Wer schreibt, der bleibt und glaubt, alles besser zu wissen (wie auch an diesem Text erkennbar ist).

„Noch immer“, sagt der TV-Journalist Günther Jauch, „sind Zeitungen Lebensmittel für wache Bürger.“ Was die „informationelle Müllhalde Internet“ nicht kann, das können Journalisten – unter der Flut von Meldungen die wesentlichen auswählen und erklären, was sie bedeuten. Informierend, unterhaltend, aufklärend, enthüllend. Die Krise des Journalismus ist manchmal nur die Krise von Eingebildeten der Medienbranche ohne Vorbildung, die nie zugeben werden, dass sie überall besser aufgehoben wären als da, wo sie gerade Big Macker spielen. Wichtig sein statt wichtig tun oder „Back to the roots“ lautet deshalb meine Antwort auf die Sinn-Frage, wozu wir Journalisten noch gebraucht werden.


Ursprünglich ist dieses Essay als Teil der „SZ“-Reihe „Wozu noch Journalismus“ erschienen, die auch als Buch erhältlich ist. VOCER veröffentlicht ausgewählte Beiträge in teils leicht aktualisierter Form.

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