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Nicht die Ausnahme. Die Regel!

Die Bundesrepublik braucht dringend eine andere Kultur in der kritischen Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut und rechter Gewalt.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) räumte im Ergebnis der verheerenden NSU-Ermittlungen ein, dass es eine mangelnde Kommunikation zwischen den Behörden gegeben habe. Um dem abzuhelfen, stellte er bereits am 16. Dezember 2011 das „Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus“ (GAR) vor, welches den Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessern soll. Dazu wurde im September 2012 auch eine neue „Rechtsextremismus-Datei“ (RED) eingerichtet. 36 Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern, sowohl Polizei als auch Geheimdienste, speisen seitdem Personendaten von Neonazis in die zentrale Datei ein – bisher sind 11.464 Personen erfasst.

Sehr viel versprechen sich die Sicherheitsbehörden von der Verbunddatei: Erkenntnisüberblick und Ermittlungserfolge. Hätte es eine solche Datenbank schon zu der Zeit des NSU-Trios gegeben, wären die Mitglieder dort aufgetaucht, ist sich Friedrich sicher. Doch hätte so eine zentrale Erfassung wirklich die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle verhindert?

Vermutlich nicht, denn in einem waren sich die polizeilichen Ermittler während der ganzen Jahre ja ganz sicher: Aus rassistischen oder rechtsextremen Motiven wurden die Taten nicht verübt. Sie hätten in so einer Datei daher wohl auch gar nicht nachgeschaut. Eine Datenbank kann keine rassistischen Vorurteile beseitigen und keine politische Sensibilität ersetzen. „Moralische Appelle an die Behörden wie ‚Bitte, schaut besser hin‘, reichen nicht“, mahnt Felix Herzog seit längerem energisch. Der Professor für Strafrecht an der Universität Bremen schlägt vielmehr vor, „rassistische, fremdenfeindliche Hassmotivationen als ein strafverschärfendes Moment in die einzelnen Tatbestände oder in die Strafzumessungsregeln zu integrieren“.

Polizei muss Bewusstsein schärfen

Bei der Polizei könnte so das Bewusstsein dafür, was am Tatort und bei den Tatzeugen zu ermitteln ist, geschärft werden. Bei den Staatsanwaltschaften wiederum könnte die Hervorhebung so genannter Hassmotive verhindern, dass Verfahren gegen rechte Gewalt und Hetze wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Im Strafgesetzbuch sollten diese Delikte über bestimmte Regeln an exponierter Stelle eingebracht werden, fordert der Experte. Das wurde für die Gerichte bedeuten, dass dies dann bei der Beweiserhebung und Strafzumessung zu würdigen ist. Eine Verschärfung der Gesetze sei gar nicht notwendig. Abschreckend, das wisse man aus der Kriminalitätsforschung, sei wesentlich die Entdeckungswahrscheinlichkeit, und auch die Verfolgungsintensität, meint der Bremer Strafrechtler.

Wie sinnvoll eine solche Rechtsveränderung sein könnte, wurde bei dem Verfahren wegen der Ermordung von Ramazan Avci bereits 1985 deutlich. Damals wollte das Landgericht Hamburg keine rassistischen Motive erkennen – obwohl alle Angeklagten aus der Neonazi-Skinhead-Szene kamen. Das Gericht erkannte so auch keine „niederen Beweggründe“, also Hass gegen Menschen, als strafverschärfend an.

Fast zwei Jahre nach dem Auffliegen des NSU legte die Amadeu-Antonio-Stiftung eine ernüchternde Studie zu staatlichem Agieren bei rechtsextremen Übergriffen vor. Die Journalistin Marion Kraske hatte für die Stiftung zehn Vorfälle in Westdeutschland während eines Jahres untersucht. „Ich dachte eigentlich, die NSU-Morde hätten etwas bewirkt“, meinte Kraske, aber gerade „jene Stellen, die unseren Rechtsstaat schützen sollen“, seien „Teil des Problems“.

In Wuppertal zum Beispiel wollte eine Initiative 2010 im Kino den Film „Das braune Chamäleon“ über Erscheinungsformen des Rechtsextremismus zeigen. Um die Vorführung zu verhindern, marschierten bewaffnete Neonazis auf, die handgreiflich wurden und Kinobesucher verletzten. 13 Rechte nahm die Polizei kurzzeitig fest. Bis heute gibt es laut Kraske keine Konsequenzen für einen der Täter. Im Gegenteil: Die Polizei hatte die Ermittlungen bereits wenig später eingestellt, nur auf Druck der betroffenen Initiative seien sie noch einmal aufgenommen wurden. Erst im November 2012 wurde Anklage erhoben.

Familienstreit statt Überfall

Im rheinland-pfälzischen Betzdorf agierte die Polizei noch unverständlicher. Zwei Männer waren im August 2012 mit einer Pistole und Eisenstangen bewaffnet in das Haus der Familie Korkusuz eingedrungen. Ali Korkusuz lebt seit 40 Jahren dort. Der Bauingenieur und seine Frau haben fünf Kinder. „Ihr dreckigen Türken, verpisst euch von hier“, sollen die Einbrecher gerufen haben. Ein Tumult entstand, einem Familienangehörigen gelang es, einen Notruf abzusetzen. Zehn Minuten später stand die Polizei vor der Tür, die Täter waren inzwischen geflohen. Was sich nun zutrug, empfand die Familie als zweiten Überfall, denn die ankommenden Beamten gingen sofort von einem Familienstreit aus, legten dem 42-jährigen Familienvater Handschellen an und brachten ihn zur Wache.

Den bewaffneten Überfall wollte die Polizei der Familie nicht glauben. Sie hielten den Vater stundenlang fest, während die Ehefrau mit den verängstigten Kindern im Alter von zwei bis neun Jahren zu Hause blieb. Sie verständigte ihren Schwager, einen Mediziner. Der erstattete Anzeige gegen die Polizei und erhob schwere Vorwürfe gegen die Beamten, die es unterlassen hatten, für eine notwendige notärztliche Versorgung der Kinder zu sorgen. Die Familie selbst hat 25.000 Euro für Hinweise auf die Ergreifung der Täter ausgesetzt.

„Es ist ein immer wiederkehrendes Muster“, schreibt Kraske: „Im Umgang mit Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, lassen deutsche Sicherheitsbehörden mitunter die erforderliche Neutralität vermissen.“ Statt die Opfer und ihre Notlage ernst zu nehmen, würden sie kriminalisiert und ihnen Hilfe oft vorenthalten. „Das Versagen deutscher Behörden bei den NSU-Morden wurde als große Ausnahme dargestellt“, sagt Kraske, doch die Expertin betont: „Das war aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“

Damit nicht genug. Die präventive Auseinandersetzung mit den Neonazis ist durch die Einführung einer so genannten Extremismuserklärung durch das Bundesfamilienministerium um Kristina Schröder (CDU) erheblich erschwert worden. Seit 2011 müssen zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen, um Gelder aus dem Bundesprogramm „Toleranz fordern – Kompetenzen stärken“ erhalten zu können, ein Bekenntnis zur „freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik“ ablegen.

Generalverdacht gegen engagierte Menschen

Das Bundesfamilienministerium, welches das Programm betreut, fordert mit der Erklärung sogleich, dass die Geforderten auch alle ihre Partner auf dieses Bekenntnis hin überprüfen. Misstrauen wird so vor allem gegenüber Jugendlichen und engagierten Menschen aus dem alternativen Spektrum gesät. Die Erklärung der Ministerin impliziere „einen Generalverdacht gegen jedes Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus „, sagt Roland Roth, Professor für Politikwissenschaften an der Hochschule Magdeburg-Stendal. 2012 erklärte das Verwaltungsgericht Dresden die Klausel dann auch für rechtswidrig. Doch der Schaden hatte bereits Spuren hinterlassen.

In der Praxis, so schreibt Marion Kraske in ihrer bereits zitierten Studie, erschwere diese Erklärung die Arbeit vor Ort. Bis heute ist die Erklärung in geänderter Form noch förderungsrelevant. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, betont: „Nach der Aufdeckung der Mordserie des NSU wäre ein Ende des Misstrauens gegen die Initiativen und die endgültige Streichung der Klausel die einzig angemessene Konsequenz gewesen.“

Die Förderpraxis kränkelt seit beinahe zehn Jahren zudem an einer „Projekteritis“. Anti-rechts-Initiativen, Beratungsnetze und Anlaufstellen für Opfer werden nicht kontinuierlich unterstützt, sondern hangeln sich von einer Projektforderung zur nächsten. Ihre Existenz steht damit immer auf der Kippe. Reinfrank weiß, wie viel Zeit und Ressourcen eine ständige, immer wieder neue Antragstellung bindet.

Mehrere Initiativen legten im März 2013 ein Gutachten über die Möglichkeiten einer dauerhaften Förderung vor. Das Gutachten widerspricht der Auffassung des Bundesfamilienministeriums, wonach es rechtlich keine Alternative dazu gebe, Beratungs- und Bildungsarbeit einmalig und befristet zu fördern. „Eine dauerhafte Finanzierung ist verfassungsrechtlich möglich“, erklären die Staatsrechtler Ulrich Battis und Joachim Grigoleit. Sie betonen, dass diese Förderung eine „staatliche, insbesondere aber gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ sei, und somit eine Dauerfinanzierung möglich. „Seit Beginn der Bundesprogramme kämpfen die Projekte ständig um eine dauerhafte Finanzierung. Das muss endlich ein Ende haben“, meint auch Bianca Klose, Geschäftsführerin des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin. Und Reinfrank betont: „‚Ein Projekt, und dann ist das Problem gelöst‘ – diese Förderlogik spiegelt die Fehleinschätzung des politischen Phänomens wider.“

Schulungen für Sicherheitsbehörden

Prävention muss nachhaltig sein. Information und Aufklärung dürfen nicht gesellschaftlich eingeschränkt werden, sondern brauchen deutliche Unterstützung. Schulung ist auch bei den Sicherheitsbehörden und zuständigen Polizeikräften geboten, die oft jegliche Sensibilität gegenüber Geschädigten oder Hinterbliebenen vermissen lassen, wie es die Familien der NSU-Opfer bitter erfahren mussten.

In der Studie „Die Mitte im Umbruch“ führen Elmar Brahler, Oliver Decker und Johannes Kiess von der Universität Leipzig 2012 aus, dass man bei der berechtigten Annahme, dass sich unter den Angehörigen der Behörden dieselben Einstellungen wiederfinden lassen wie in der Bevölkerung, davon ausgehen kann, dass „rechtsextreme Einstellungen auch dort zum Tragen kommen, wo eigentlich Neutralität gefragt ist“. Nach der Studie hat jeder fünfte Deutsche ausländerfeindliche Überzeugungen, jeder achte antisemitische. Die Bundesrepublik braucht dringend eine andere Kultur in der kritischen Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut und rechter Gewalt.


Dieser Text ist ein Auszug aus:

Andrea Röpke, Andreas Speit (Hg.) 

„Blut und Ehre – Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“ 

Ch. Links Verlag, ET 19. Juni 2013 

Seitenzahl: 288

ISBN: 978-3-86153-707-6

19,90 Euro

 

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