Hyperlokale Läuse
Ein weiteres hyperlokales Projekt kämpft ums Überleben und jedes Mal, wenn so etwas passiert, habe ich die Befürchtung, dass hyperlokaler Journalismus immer mehr von Läusen befallen wird. Ich weigere mich aber die Hoffnung aufzugeben, weil es stets einen Grund für das Scheitern gibt, noch vieles getan werden kann und es noch nicht zu spät ist.
Das Neuste: Laut Informationen von „Street Fight“ hat Carll Tuckers Nachrichtenagentur Daily Voice (einst Main Street Connect) elf ihrer Websites aus dem Netz genommen, ihren Geschäftsführer und weitere leitende Angestellte verloren, einige Redaktionen geschlossen und einen Haufen Leute entlassen, um ihre finanziellen Brandwunden von 500.000$ auf 150.000$ monatlich zu reduzieren.
In der hyperlokalen Szene galt Tucker als besonders arrogant, da er behauptete, das Geheimnis zu kennen, und – ein klarer Fall von Selbstüberschätzung – große Geldmengen von Investoren beschaffen zu können. Manch einer schmunzelt angesichts seiner Niederlage. Aber falls er das jetzt überlebt, feiere ich.
Ich glaube, dass es Tuckers sowie Patchs Fehler war, zu schnell und zu groß zu denken. Noch bevor sie sich das Geschäft unter den Nagel gerissen und untersucht hatten, was funktionieren könnte, hatten sie ihr schon Modell, und damit auch die Fehler bereits vervielfacht, und somit Öl ins Feuer gegossen.
Zu groß gedacht
Vielleicht haben sie auch zu groß gedacht. Ich glaube nicht, dass hyperlokaler Journalismus groß sein kann – dass seine Reichweite und Verbreitung den Wünschen der Investoren gerecht werden kann. Aber mehr dazu gleich.
Zunächst andere Läusenachrichten: Patch hat vor Kurzem die Belegschaft reduziert und ich bleibe bei meiner Behauptung, dass sie zugangsbeschränkte Websites einrichten, obwohl sie eigentlich offene (und leistungsstärkere) Netzwerke erstellen sollten. NBC* hat Everyblock eingestellt, von dem ich eh nie verstanden habe, wie es in das Konzept gepasst haben soll. Village Soup ist tot und ich wüsste gerne Gernaueres dazu. Dank elterlicher Politik, wurde TBD ermordet, bevor es jemals richtig leben konnte.
Und noch eine von Läusen befallene Leiche: Die Chicago News Cooperative hatte weder ein Geschäftsmodell noch Spendengeld. „Bayosphere“ ist vor Kurzem gescheitert und ich denke, dass Gründer Dan Gillmor bestätigen würde, dass es kein wirkliches Geschäftsmodell gab. Es wurde an Backfence verkauft, dessen Gründer Mark Potts großzügigerweise seine gewonnen Erkenntnisse mit uns teilt. Es gibt für jeden dieser Fälle einen Grund.
Es gibt jedoch auch hyperlokale Websites, die sich als zukunftsfähig herausgestellt haben. Leider hat sich die Liste in letzter Zeit nicht großartig verändert: Baristanet, West Seattle Blog, NJ’s TheAlternativePress, Red Bank Green… Vor ein paar Jahren haben wir diese Blogs im Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism der CUNY untersucht und darunter regionale Blogs gefunden, die 250.000$ und mehr durch Werbung und andere Einkünfte verdienen.
Die Überlebenden haben einige Gemeinsamkeiten:
1. Sie sind klein.
2. Sie sind das Produkt harter Arbeit und sehr engagierten Journalisten/Verlegern.
3. Sie sind ein fester Bestandteil ihrer Gemeinden (was es leider schwierig macht, einen jungen Journalistenschüler hier hinein zu katapultieren).
Ich glaube, hyperlokaler Journalismus sollte folgendermaßen aufgebaut werden: Ein Stadtteil nach dem anderen. Gibt es genug Journalisten, die bereit sind hart zu arbeiten, auf besser bezahlte Alternativen zu verzichten (PR oder aber auch Burger-Braten)? Die für Journalisten, unangenehme Aufgaben übernehmen, wie sich um Werbekunden und das Geschäft zu kümmern? Allein in New Jersey haben wir 565 Städte und gerade in diesem Staat gibt es viele Korruptionsmöglichkeiten, die aufgedeckt werden müssen. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass eine hyperlokale Website drei Städte abdecken könnte, bräuchten wir immer noch über 150 Blogger. Ich glaube, dass wir im Moment knapp über ein Dutzend in diesem Staat haben. Ist es realistisch, dass wir diese Zahl verzehnfachen können? Nein. Aber ich wäre schon begeistert, wenn sie sich verdreifachen, vervierfachen oder verfünffachen würde.
Was möglich ist, können wir meiner Meinung nach im blogreichen Brooklyn sehen, wo es viele lokale Blogs gibt. CUNY leitet dort The Local – ohne Partner, seit die New York Times sich aus ihren hyperlokalen Bemühungen zurückgezogen hat (eine weitere Laus). Einer meiner Studenten ist gerade dabei etwas aufzubauen, was ich für eine großartige Serviceleistung halte (mehr Prahlerei, wenn er damit fertig ist). Es ist also möglich, aber sie alle brauchen Hilfe.
Hilfe nötig
Darum habe ich mit dem Montclair State und der Dodge Foundation (für die ich – an dieser Stelle eine Bekanntmachung – Berater bin) zusammen gearbeitet, um sie dabei zu unterstützen die NJ News Commons in New Jersey aufzubauen. Meine Hoffnung – OK, nennen wir es meinen Traum – ist es, dass diese und auch andere Institutionen (wie zum Beispiel NJ.com, bei deren Aufbau – eine weitere Bekanntmachung – ich mitgeholfen und für die ich jetzt als Berater tätig bin) es einem arbeitslosen Journalisten – und wir haben viele davon – oder einem sozial engagierten Gemeindemitglied ermöglichen eine Website zu gründen, die einer lokalen Gemeinde oder Interessensgemeinschaft dienen kann. Die Commons werden unter anderem bei folgendem helfen:
1. Die besten Inhalte, die von den unabhängigen Mitgliedern des New Jersey Nachrichten-Ökosystems produziert werden, werden angesammelt, kurartiert, bearbeitet und verbreitet. Mit Hilfe von Repost.US hat Debbie Galant ein Content-Sharing-Netzwerk aufgebaut.
2. Lokale Verleger werden in relevanten Bereichen ausgebildet: Neue Medien, Journalismus und vor allem Betriebswirtschaft. Das fängt jetzt gerade an.
3. Gemeinschaftsprojekte werden koordiniert, denn die einzelnen Mitglieder des Systems können zusammen mehr erreichen als wenn sie stets alleine arbeiten. Diese Projekte sind noch in der Anfangsphase, aber ich glaube, dass sie durch die Berichterstattung über den Wiederaufbau nach Hurricane Sandy – der durch Zuschüsse, die von Dodge und der NJ Community Foundation koordiniert werden, unterstützt wird – an Bedeutung gewinnen werden.
4. Leistungen sollen angeboten werden, von der Kranken- über die Haftpflichtversicherung bis hin zu Technologieplattformen, die den Aufbau einer Website einfacher und weniger riskant machen.
Das ist natürlich alles schön und gut, aber damit ist das Kernproblem des Hyperlokalen noch nicht angesprochen worden: Einnahmen. An dieser Stelle müssen wirtschaftliche Bemühungen ins Spiel kommen. Durch Beobachtungen an der CUNY haben wir gelernt, dass folgende Arbeit wichtig ist, um das Geschäft profitabler zu machen.
1. Hyperlokale Websites können ihre Anzeigeeinnahmen verbessern, indem sie nicht nur Werbebanner veröffentlichen, sondern den Händlern auch helfen ihre digitale Präsenzen zu verstärken. An der CUNY haben wir das digitale Leben von 1.000 Händlern in einem Stadtteil und einer Vorstadt untersucht und festgestellt, dass es eine große Chance gibt ihnen zu helfen. Ich rechne nicht damit, dass jede hyperlokale Verleger diese Neuerung einführen wird. Aber ich sehe hier eine große Geschäftsmöglichkeit für Unternehmer.
2. Netzwerke, die Nutzer von eigenständigen Websites verbinden, sollten sich anschließen, damit diese, zum ersten Mal, Geld mit größeren Werbekunden verdienen. Vermutlich müsste sich ein größeres Medienunternehmen um so etwas kümmern (zum Beispiel eine Zeitung oder eine Rundfunkanstalt).
3. Neue Einkommensmöglichkeiten sollten untersucht werden, beispielsweise Veranstaltungen oder Newsletter. Wir haben über Erfahrungen von Websites berichtet, für die sich diese Konzepte als überraschend erfolgreich herausgestellt haben.
Trotz allem ist es viel Arbeit. Es ist ein Guerillakrieg, ein Hügel nach dem anderen. Damit sind wir wieder bei der Frage des Ausmaßes und einer weiteren Notwendigkeit: Finanzierung. Hyperlokale Unternehmen haben ein furchtbares Henne-und-Ei-Problem. Förderer unterstützen Unternehmen nur, wenn sie einen größeren Umfang haben und mehr als nur eine Stadt einbeziehen. Der Umfang, in dem Daily Voice, Patch, Backfence, Everyblock und andere lokale Unternehmen finanziert wurden, ist vielversprechend. Durch das Streben nach der Erweiterung sind sie aber eventuell zu schnell zu groß geworden.
Vielleicht ist es einfach die Wahrheit, dass hyperlokaler Journalismus keine großen Ausmaße annehmen kann. Eine Organisation wird keine tausend Städte und deren Websites für sich beanspruchen können, weil eine erfolgreiche Website nun mal Teil der Gemeinde ist. Aber jedes dieser kleinen Unternehmen muss immer noch finanziert werden, oder zumindest seine Verluste abdecken können, bis es über ein Publikum und Anzeigekunden verfügt. Wo soll dieses Geld herkommen? Journalisten sind nicht reich – vor allem nicht zurzeit – und haben auch keine reiche Familie oder Freunde.
Sie brauchen Geld
Je mehr hyperlokale Seiten wir für potenzielle Lokalunternehmer erstellen können, desto besser – gestehen wir ihnen Mitgliedschaften in größeren Unternehmensnetzwerken, Methodik, Technik und Leistungen, wie Versicherungen, zu. Dadurch werden Anlaufkosten und Risiken reduziert. Aber sie werden trotzdem aller Wahrscheinlichkeit nach Geld brauchen, um zu starten.
Hier sollten, meiner Meinung nach örtliche Förderer, lokale Medienunternehmen und vor allem Einrichtungen ihre Mittel investieren: hier – nicht in journalistische Wohlfahrtsorganisationen oder in die Entwicklung von wahnsinnig coolen Geräten, sondern in die Entstehung zukunftsfähiger journalistischer Betriebe, was durch Zuschüsse und Wandelanleihen finanziert werden könnten. Einige werden Geschenke sein, andere Investitionen – keine großen, vergrößerbaren, Ausstiegsstrategie-, Silicon-Valley-, Technologieplattform-Investitionen, sondern Investitionen in der Größenordnung einer Bäckerei. Wir brauchen mehr Nachrichten-Bäckereien.
Was den Informationsbedarf der Gemeinden betrifft, mache ich mir weitaus weniger Sorgen um die überregionale Berichterstattung – Washington wird immer von Schriftgelehrten übervölkert sein und der Rundfunk wird über Katastrophen immer berichten – als um die lokale Berichterstattung, vor allem die sehr lokale. Ich hoffe, dass wir ihr unsere Aufmerksamkeit widmen werden. Außerdem hoffe ich, dass wir uns durch vereinzelte Läuse nicht entmutigen lassen werden.
* Anmerkung: Einer Empfehlung von Everyblock Gründer Adrian Holovaty zufolge, habe ich den Verweis auf Everyblock von MSNBC zu NBC geändert.
Der Text ist im Original auf buzzmachine.com erschienen.