Journalist auf Knopfdruck
Alle Augen auf Hamburg: Im Januar stand die Hansestadt acht Tage lang im Fokus der nationalen und teilweise auch der internationalen Medien. Auslöser war die Einrichtung eines Gefahrengebietes in den Stadtteilen St. Pauli, Altona und Sternschanze mit besonderen Befugnissen für die Polizei. Die regelmäßigen Kontrollen und Platzverweise führten schnell zu täglichen Protesten und zogen das Interesse der Pressevertreter auf sich.
Für die Hamburger Lokalmedien hätte das eigentlich ein Heimspiel werden können – dichtere Netzwerke, bessere Ortskenntnis und mehr Erfahrung mit den Hamburger Behörden und Politikern boten das Potenzial dicht dran zu sein an der außergewöhnlichen Situation in der Heimatstadt und umfassend zu berichten. Genutzt hat diesen Vorteil kaum eines der Hamburger Medien, insbesondere Zeitungen mit personell gut ausgestatteten Redaktionen glänzten häufig mit Abwesenheit und beschränkten sich auf die Wiedergabe von Pressemitteilungen und Polizeimeldungen.
„CNN-Moment“ für Mittendrin
Es steht mir nicht zu darüber zu urteilen wie gut oder schlecht die Berichterstattung der anderen Medien war, am Ende bleibt das dem Leser überlassen. Überrascht hat mich aber die Aufmerksamkeit, die kurz nach Ausrufung des Gefahrengebietes unserem kleinen Onlinemagazin „Mittendrin“ zuteil wurde. Innerhalb weniger Tage stiegen unsere Leserzahlen rasant an, auf Twitter hatten wir nach einiger Zeit sogar mehr Follower als der Nachrichtenaccount des „Hamburger Abendblattes“.
Auch Medienmagazine kamen nach wenigen Tagen im Gefahrengebiet auf uns zu, um darüber zu berichten, wie wir über die Situation informiert haben. Neben einigen Medienblogs brachten unter anderem der NDR, der Bayrische Rundfunk und das Deutschlandradio Beiträge über unsere Arbeit. Ein Onlinemagazin bezeichnete dabei das Gefahrengebiet und die Aufmerksamkeit, die uns zuteil wurde, als „CNN-Moment“ für Mittendrin.
Mit „Call-a-Journalist“ und Twitter unterwegs
Was genau haben wir anders gemacht als „Abendblatt“, „Morgenpost“ und „Bildzeitung“? Zunächst muss ich festhalten, dass ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf die App „Call-a-Journalist“ zurückgeht. Mit einem Knopfdruck konnten Leser unsere Redakteure im Gefahrengebiet rufen und uns so auf Ereignisse wie Spontandemonstrationen oder Polizeikontrollen aufmerksam machen. Wir bekamen durch die App automatisch den Standort des Lesers mitgeteilt und konnten hingehen und berichten. Diese Idee geht aber nicht auf Mittendrin zurück, sondern wurde von Markus Gottschau, Marco Maas und Lukas Bischoff an uns herangetragen. Wir haben die Funktionen lediglich für unsere Berichterstattung genutzt.
Gerade für unsere Berichterstattung kam die Initiative der drei aber wie gerufen. Von Beginn an waren wir jeden Abend mit mindestens zwei Redakteuren im Gefahrengebiet unterwegs, haben uns selbst einen Eindruck von der Situation und den Protesten verschafft, mit Polizisten, Anwohnern und Demonstranten gesprochen und alles live getwittert. Am folgenden Tag haben wir unsere Erlebnisse dann auf unserer Seite in Artikeln zusammengefasst und diese Mit Bildern, Videos und Hintergrundinformationen ergänzt. Unser Ziel war es, unseren Lesern einen möglichst umfassenden und detaillierten Eindruck von der Lage im Gefahrengebiet zu geben. Das war uns wichtig, da eine solche Sondersituation in unserer Stadt, vielleicht sogar in ganz Deutschland, etwas sehr außergewöhnliches ist, das auf großes Interesse der Leser stieß.
Mehrere unabhängige Quellen
Besonders vor der Hintergrund, dass sich eine Pressemitteilung der Polizei über einen mutmaßlichen Angriff auf die Davidwache an der Reeperbahn im Nachhinein als fehlerhaft herausgestellt hatte, war es uns besonders wichtig nur Ereignisse zu melden, die wir entweder selbst gesehen hatten oder aus mehreren unabhängigen Quellen bestätigen konnten. „Call-a-Journalist“ hat uns dabei sehr geholfen, da wir schnell vor Ort sein und uns einen eigenen Eindruck machen konnten. Dabei haben wir keine einzige falsche Meldung bekommen. Alle Nutzer haben uns wirklich nur gerufen, wenn etwas vorgefallen war. Einige waren dann erstaunt, dass wirklich schnell ein Redakteur vor ihnen stand und kommentierten unser Erscheinen mit Sätzen wie „Wow, ihr kommt ja wirklich.“
Nicht nur die App, sondern besonders unsere Leser haben diese Art der Berichterstattung möglich gemacht. Durch unseren häufigen Kontakt mit den Menschen aus unserem Bezirk, den wir schon vor Beginn des Gefahrengebietes gepflegt haben, bekamen wir von unseren Lesern per Twitter, Mail oder Telefon oft wichtige Hinweise. Nicht nur dafür möchte ich mich bei den Lesern an dieser Stelle bedanken, sondern auch für die Unterstützung in Form von Zuspruch, Kritik und dem ein oder anderen heißen Getränk zu später Stunde.
Lokal bedeutet vor Ort
Wir haben für unsere umfangreiche Berichterstattung aus dem und über das Gefahrengebiet viel Lob von Kollegen und Lesern bekommen. Besonders geschätzt wurde dabei, dass wir immer vor Ort waren und einen möglichst genauen Eindruck von der Situation in den Stadtteilen geben konnten. Dabei waren wir trotz unserer persönlichen Eindrücke immer bemüht so objektiv wie möglich zu bleiben. Die Art der Berichterstattung aus dem Gefahrengebiet war aber für uns nicht neu. Nur die plötzliche Aufmerksamkeit war eine besondere Erfahrung.
Wir werden auch in Zukunft so weiterarbeiten, wie wir es vor und während des Gefahrengebietes getan haben. Das viele Lob hat uns gezeigt, dass unsere Auffassung von Lokaljournalismus den Leser erreicht – immer vor Ort zu sein und den Kontakt zu den Lesern zu suchen wird weiter der Anspruch für das Team von Mittendrin bleiben. Nicht zuletzt bietet besonders der Lokaljournalismus die Möglichkeit dicht am Geschehen zu sein – ein Potenzial, dass lokale Redaktionen nutzen sollten. Auch die „Call-a-Journalist“-App wollen wir ausbauen und fest in den Redaktionsalltag integrieren. Damit haben wir ein weiteres wertvolles Tool in der Hand, um immer für unsere Leser erreichbar zu sein – schließlich sind wir als Lokalmedium nicht für uns selbst, sondern für die Leser und unseren Bezirk da.