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Lokaljournalismus ohne Journalisten?

Ein Bürgereporter ist mit seinen Beiträgen immer da stark, wo es um lebensnahe Themen aus seinem persönlichen Umfeld geht. Warum und wie der Lokaljournalismus von Bürgerreportern profitieren kann.

Vielfach wird die Diskussion, ob es Lokaljournalisten auch noch in 20 Jahren gibt, vom falschen Ende her geführt. Denn eigentlich sollte der Journalist stets nur Mittel zum Zweck sein. Wenn ein Anbieter von Lokalmedien seine Arbeit gut machen möchte, muss in seinem Fokus nachhaltig der Anspruch stehen, dem Bedürfnis des Lesers nach lokaler Information zu nachzukommen. Dieses Bedürfnis wird mit Informationen, die für den Konsumenten relevant sind, befriedigt. Und Relevanz definiert sich im Lokalen über die Nähe zur Lebenswirklichkeit vor Ort, über einen starken persönlichen Bezug und über nutzwertorientierte Informationen.

Bürgerjournalismus kann dabei helfen, dass Lokalmedien diesen Auftrag besser erfüllen können, wenn man das Phänomen verstehen will und eine richtige Einstellung dazu entwickelt. Dabei darf man auch nicht aus den Augen verlieren, dass es sich beim Bürgerjournalismus um – im Vergleich zum klassischen bisherigen Journalismus, wie ihn die Nutzer bisher erlebt haben – um ein neues Modell handelt, welches sich noch in der Entwicklung und Definitionsphase befindet.

Tief aus der Region

Bürgerreporter sind sehr gut darin, wenn es darum geht, sich Themen anzunehmen, die tief aus der Region kommen. Diese veröffentlichten Inhalte glänzen durch Authentizität und ihre subjektive Perspektive. Ein Bürgereporter ist mit seinen Beiträgen immer da stark, wo es um lebensnahe Themen aus seinem persönlichen Umfeld geht: der eigene Verein oder der Kindergarten, wo er vielleicht selbst im Elternbeirat engagiert ist. In diesen Themenbereichen kann er auch in seinen Worten und mit seiner Qualifikation seine persönliche Perspektive zu einem Sachverhalt oder Ereignis darstellen.

Zentral dabei ist, dass ein Leser ihm diese persönliche Perspektive auch abnimmt, und darauf vertrauen kann, dass der Autor für diesen speziellen Sachverhalt oder Ereignis auch eine belastbare Meinung hat. Schließlich ist er engagiert und involviert. Das kann natürlich auch zur Folge haben, dass ein Beitrag tendenziös und/oder einseitig ist. Wenn der stolze Vater seines Fußball spielenden Sohnes selbst zu Stift und Papier greift, um über das letzte Spiel zu schreiben, ist eine andere Spielanalyse zu erwarten, als wenn dies ein neutraler Sportjournalist tut. Warum ist das kein Problem?

Weisheit der Vielen

Als Leser weiß man sehr wohl, dass die einzelne Perspektive subjektiv ist, vor allem, wenn man den Autor hinter den gelesenen Zeilen kennt. Das Interessante ist: Wenn diese mit anderen subjektiven Perspektiven von anderen Bürgerreportern zusammengebracht wird, dann entsteht in der Summe Stück für Stück ein ausgewogenes Bild. Anders ausgedrückt: Wenn auch der Trainer der gegnerischen Mannschaft das Spiel analysiert und darüber berichtet, dann kann der Leser das Spiel bereits aus zwei unterschiedlichen – authentisch emotionalen – Blickwinkeln heraus betrachten.

Das bedeutet aber, dass ein Bürgerreporter-Ansatz nicht dabei stehen bleiben darf, nur eine einzelne subjektive Perspektive einzusammeln. Man braucht also auch eine Plattform, auf der sich genügend Aktive bewegen und beteiligen. Erst dann kommt der berühmte Effekt der „Weisheit der Vielen“ zum Tragen, es entwickeln sich Feedback-Mechanismen, Fehler und Falschaussagen werden dann von der Community selbst bereinigt und es entsteht ein heterogenes Abbild der Realität, welches hervorragend als Ergänzung zu bestehender klassischer redaktioneller Berichterstattung dienen kann.

Zentral ist also, dass nicht der einzelne Bürgerreporter-Beitrag für sich genommen das Interessante ist, sondern das Zusammenkommen von ganz vielen Perspektiven, von ganz vielen Beiträgen. Daraus entstehen Themendossiers und Überlagerungen von Perspektiven, die nahe an das herankommen, was auch bisher der Lokaljournalismus geleistet hat.

Journalisten kuratieren

Das heißt allerdings nicht im Umkehrschluss, dass der klassische Lokaljournalismus nicht mehr gebraucht wird. Im Gegenteil: Der Lokaljournalismus kann sich wieder sehr viel stärker profiliert und investigativ den Themen widmen, für deren richtige Aufbereitung er auch ausgebildet ist. Viele andere Themen – gerade aus den lebensnahen Bereichen –  können aber durchaus von Bürgereportern kommen, weil da sind gewisse Problematiken nicht in der Intensität da, wie es bei großen Kontroversen der Fall wäre, wo eine sachliche, ausgewogene, alle Streitpunkte ausleuchtende Berichterstattung erforderlich ist.

Diese mögliche „Aufteilung“ der Themen ist aber nur ein Aspekt, denn Bürgerreporter können auch gemeinsam mit professionellen Journalisten interessante Werke schaffen, wenn beispielsweise ein Themenlead von einem Bürgerreporter kommt, der Journalist dies aufgreift und wieder in die Community zurückspielt und so dann verwobene Geschichten – Jeff Jarvis sagt „network journalism“ – entstehen. Die Funktion der Journalisten wird somit angereichert durch das Kuratieren von Inhalten.

Statt sich von den Laien bedroht zu fühlen kann man als Lokaljournalist also einfach die Chance sehen, ein „Werkzeug“ an der Hand zu haben, mit dem man Zugang zu seiner Region bekommt, für seinen Stadtteil mit tausenden von Korrespondenten und Bürgerreportern  – da kann man auch mal Themen reinstellen, die bearbeitet werden sollen, wenn einem beispielsweise Bildmaterial fehlt, oder wenn es darum geht, einen Sachverhalt zu verifizieren. Dabei ist vor allem eines wichtig: Nur wenn sich Journalisten mit Bürgerreportern auf gleicher Augenhöhe begegnen, dann ist gewährleistet, dass man wirklich sehr gut mit dem erweiterten Korrespondenten-Netzwerk zusammenarbeiten kann. Dazu muss man aber auch Wertschätzung für das aufbringen, was ein Bürgerreporter tut.

Das Kontributorenmodell

Der Begriff Bürgerreporter ist aber für sich genommen bereits sehr einengend. Mit dem Begriff Bürgerreporter assoziiert man oftmals den „einfachen Mann von der Straße“, dem mal zufällig ein netter Schnappschuss gelungen ist, mit dem er dann auch mal „in die Zeitung kommt“. Dieser Typus ist aber nur ein Nachrichtenlieferer von vielen, deshalb wäre es wohl vorteilhafter bei der Einbeziehung von Bürgerreportern in den journalistischen Prozess vom so genannten Kontributorenmodell zu sprechen.

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Bei dem Begriff Kontributor schneller klar, dass es neben dem einfachen Bürgerreporter eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen geben kann, die relevante Nachrichten für einen Leser auch unterschiedlich zusammenstellen. Bereits innerhalb einer Redaktion gibt es beispielsweise neben dem Redakteur auch freie Mitarbeiter, die – dank Computer und Internet – ihre Inhalte vielleicht von zuhause aus abliefern oder den Fotograf, der Bilder direkt vom Ort des Geschehens an die Redaktion schickt.

Außerhalb der Redaktion kommen Gastautoren ins Spiel, Experten zu bestimmten Themen, Blogger, Hobbyfotografen, Interessensgruppen – die Grenzen zwischen dem, was Teil der Redaktion ist und was nicht, verschwinden dabei zusehends. Leser kommentieren Beiträge, teilen sie auf ihren sozialen Netzwerken, werden dort aufgegriffen und vielleicht wieder an die Redaktion zurückgespielt. Diese Kontributorenschaft steuert neben dem klassischen Redakteur zunehmend erweiternd Inhalte bei. Die Redaktion kann diese vielfältigen Beiträge kuratieren und kommt so zu einem reichhaltigeren inhaltlichen Angebot.

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