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Große Nachfrage, vage Vorstellungen

Wer die gesellschaftliche Wahrnehmung der Kommunikationswissenschaft nur am Medienecho eigener Forschungsergebnisse festmacht, übersieht etwas Essentielles: den Erfolg des Studienfachs bei jungen Menschen.

Jedes Jahr bewerben sich über 10.000 Interessenten an deutschsprachigen Universitäten, um „irgendwas mit Medien“ zu studieren. An der Universität Münster gab es im Sommer 2011 mehr als 3.400 Bewerber auf 90 freie Plätze in der Kommunikationswissenschaft. Und nicht nur große Standorte wie Münster, Berlin oder München melden regelmäßig vierstellige Bewerberzahlen. Auch die vergleichsweise kleine Universität Hohenheim in Stuttgart zählte letzten Sommer fast 1.900 Bewerber.

In der Debatte um die gesellschaftliche Wahrnehmung der Kommunikationswissenschaft scheint die Zahl der Bewerber bislang nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Obwohl das Studienfach sich großer Beliebtheit erfreut, mag keiner der Verantwortlichen vor Freude die Sektkorken knallen lassen. Vielmehr beklagt man das fehlende Medienecho auf eigene Forschungsergebnisse und attestiert dem Fach eine „schwache Schlagkraft“ (Martin Welker).

Die Controller in den Universitätsverwaltungen scheinen im Zeitalter der Zielvereinbarungen den Takt vorzugeben: Wie viele Drittmittel hast du eingeworben? Wie viele peer-reviewed Journalbeiträge hast du veröffentlicht? Wie oft warst du mit Deinen Forschungsergebnissen in den Medien? Tod oder Gladiolen. Wen interessiert da noch die schlichte Zahl der Studienbewerber?

Halten wir deshalb fest: Das Fach ist unter jungen Menschen beliebt. Es scheint mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Fachs gar nicht so schlimm bestellt zu sein, wie befürchtet. Doch, doch, heißt es dann, die große Nachfrage sei nur das Resultat einer „irreführenden Werbung“ (Detlef Esslinger), in der kommunikationswissenschaftliche Institute weiter steif und fest behaupten, sie würden die Studierenden zu Journalisten auszubilden.

Wer den Studienalltag kennt, der weiß: Die Mehrzahl der Studierenden will gar nicht in den Journalismus. Die letzte Münsteraner Absolventenstudie zeigt, dass nur noch ein Viertel unserer Absolventen im Journalismus arbeitet. Über ein Drittel berichtet hingegen, nach dem Studium im Kommunikationsmanagement zu arbeiten – Tendenz steigend. Zählt man Werbung noch hinzu, kommt man für das Berufsfeld der strategischen Kommunikation auf rund 50 Prozent Absolventenanteil.

Irgendwas mit Medien

Der Siegeszug des Kommunikationsmanagements hinterlässt sogar schon im Studienalltag seine Spuren: In Leipzig zählte man zuletzt im Master-Studiengang „Communication Management“ pro Studienplatz mehr Bewerber als im Journalistik-Master. Das Kommunikationsmanagement hat die Journalistik als Lieblingsfach offensichtlich abgelöst.

Wenn sich so viele junge Menschen um Studienplätze in der Kommunikationswissenschaft bewerben, zählt das für mich zu den „Stärken unseres Fachs“ (Welker). In unserem berechtigten Selbstbewusstsein sollten wir es den Studienanfängern nicht übel nehmen, wenn sie noch nicht genau wissen, worum es im Studium geht. In der Phrase „irgendwas mit Medien“ kommt doch letztlich nur die vage Vorstellung über ein Studium zum Ausdruck, das nach erfolgreichem Abschluss einen Beruf in einem vielfältigen und zugleich offenen Berufsfeld verspricht.

Wir sollten die Studieninteressierten frühzeitig dabei unterstützen, sich im Namenswirrwar unserer Studiengänge zurecht zu finden: Publizistik (Mainz), Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (Berlin), Medienwissenschaft (Tübingen) und Journalistik (Dortmund) – nicht einmal gestandene Profis können ohne genaue Lektüre der Modulbeschreibungen sagen, was an diesen Standorten mit welchen Schwerpunkten gelehrt wird. Wir können den Studieninteressierten noch so oft predigen, sich intensiv die Studiengangsbeschreibungen auf unseren Homepages genau durchzulesen.

Wir sollten außerdem nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass nicht alle Studieninhalte unmittelbar berufsqualifizierend sind und direkt „irgendwas mit Medien“ zu tun haben. Wer an einer Universität die Praxisbezogenheit einer Berufsausbildung erwartet, muss zwangsläufig arg enttäuscht werden. Unsere Bologna-Lyrik verrät viel zu oft nicht, was wir von den Studierenden in der Lehre konkret erwarten: Selbständigkeit und Initiative. Die bildungspolitisch gewollte Vermessung der Bachelor- und Master-Studiengänge mit ECTS-Punkten erzeugt leider nicht nur einen permanentem Prüfungsdruck, sondern auch ein Korsett, das im Widerspruch zum Charakter des späteren Berufsfelds steht.

Studierende sind vor allem eins: junge Menschen

Irreführend ist nicht die Werbung der Studiengänge für vermeintliche Berufsfleder, sondern ihr falsch verstandener Servicecharakter mit vorgefertigten Stundenplänen und Lernplattformen inklusive bereitgestellter Literatur.

Statt die vagen Vorstellungen mit Orientierungslosigkeit gleichzusetzen, sollten wir trotz aller bildungspolitischer Ansprüche in den Studierenden zunächst einmal das sehen, was sie sind: Junge Menschen, die sich noch entwickeln müssen und sollen. Wo ist die gute alte Zeit geblieben, in der man im Studium auch mal ein Referat verhauen konnte, weil man in der Nacht vorher auf der Party versackt ist und der Seminarschein sowieso nicht zeugnisrelevant war? Welcher ins Korsett eines Bachelor-Studiengangs gezwängte Student kann sich heute noch so eine Freiheit erlauben?

Man wird ja wohl noch seine Meinung ändern dürfen

Klaus Schönbach, international renommierter Kommunikationswissenschaftler aus Wien, der als Studienanfänger noch Journalist werden wollte, hatte im Zuge seines Studiums der Publizistik in Mainz herausgefunden, dass er lieber als Wissenschaftler arbeiten möchte. Häufig sind es Persönlichkeiten und deren Begeisterung für eine Sache, die einem im Studium unerwartet den eigenen Weg weisen.

Bei Klaus Schönbach war es Elisabeth Noelle-Neumann, die ihn für das sozialwissenschaftliche Forschen begeisterte. Wenn wir Lehrenden es schaffen, die Studierenden für unser Fach zu begeistern und aus einem anfänglichen Interesse an medienvermittelter Kommunikation eine leidenschaftliche Auseinandersetzung wird, dürfen wir zu Recht auf den „Multiplikatoreffekt unserer Absolventen“ (Ralf Hohlfeld) und damit vielleicht auch auf die ersehnte gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung hoffen.

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