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Die Stärken unseres Fachs

Kanzleramt oder Feuilleton? Die Kommunikationswissenschaft ergeht sich in einer Debatte über ihre Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung und vergisst dabei den wichtigen Beitrag, den sie längst leistet. Bestes Beispiel: die Journalistik.

Über die vermeintlich geringe gesellschaftliche Relevanz der Medien- und Kommunikationswissenschaft wird gerne von der eigenen Zunft lamentiert. Denn als einflussreich werden – Wirtschaftskrise hin oder her – vor allem Ökonomen und Juristen, aber auch Naturwissenschaftler und Mediziner wahrgenommen. Medien- und Kommunikationswissenschaftler schafften es hingegen – so die aktuelle Nabelschau in der Vereinspostille „Aviso“* (PDF) – nicht ins Kanzleramt, sondern allenfalls ins Feuilleton. Und selbst dort seien ihre Stimmen unterrepräsentiert.

Gerade jüngst scheinen sich die Alpträume der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Zunft materialisiert zu haben: Eine der bedeutendsten Institutsneugründungen der vergangenen Jahre, das von Google mitfinanzierte „Institut für Internet und Gesellschaft“ in Berlin, wurde von Politikwissenschaftlern, Juristen und Ökonomen aufgegleist, Medien- und Kommunikationskollegen spielten allenfalls eine Randrolle. Immerhin wird das Hans-Bredow-Institut als assoziiert aufgelistet. Aber ansonsten sieht es für die Medien- und Kommunikationswissenschaftler düster aus.

Warum also dieser geringe Einfluss?, wird verzweifelt gefragt und dabei auf die gestiegenen Zahlen von Studienprogrammen und Studierenden verwiesen. Doch was die Masse der Studierenden anbelangt, sind die Zahlen relativ: Medien- und kommunikationswissenschaftliche Studiengänge haben tatsächlich an Zahl zugenommen, und auch die Zahl der Studierenden wächst.

Der Vergleich mit anderen Studiengängen zeigt allerdings deren relative Größe: Wirtschaft und Technik, Recht und Medizin, Psychologie, Informatik und Mathematik heißen die bevorzugten und meiststudierten Fächer in Deutschland. Medien und Kommunikation tauchen in dieser Statistik (PDF) nicht auf. Und selbst wenn das Fach als Teil der Sozialwissenschaften gezählt würde, stünde es unter ferner liefen.

Irgendwas mit Medien

Auch gemessen an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung liegt der Bereich „Information und Kommunikation“ in Deutschland im unteren Drittel der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (PDF). Wenngleich es sich um einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor mit wachsender Beschäftigung handelt, nehmen sich „Information und Kommunikation“ im Vergleich mit den großen Feldern des verarbeitenden Gewerbes und des Handels in Deutschland noch immer klein aus.

Liegt hier also der wahre Grund für die diagnostizierte geringe öffentliche Wahrnehmung und schwache Schlagkraft des Fachs? Wohl kaum. Die Relation zwischen großer Diversität („Irgendwas mit Medien“) und hoher Spezialisierung kann schon eher als Grund gelten. Es ist fraglich, ob die Öffentlichkeit Medien- und Kommunikationswissenschaft als Einheit wahrnimmt.

Dennoch sind der Anspruch und die Erwartung, sich zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen zu Wort melden zu können und von Medien und der Politik auch gehört zu werden, absolut berechtigt. Medien und professionelle Kommunikation sind zentrale Säulen einer modernen Gesellschaft. Das zeigen auch die großen praktischen Berufsfelder wie Journalismus, PR, Werbung oder auch Design. Hier leistet das Fach seit Jahren einen handfesten Beitrag zur praktischen Berufsausbildung auf hohem Niveau.

Ähnlich wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten sollte auch für Journalisten, PR- oder Marketing-Manager eine universitäre bzw. hochschulgebundene Ausbildung weiterentwickelt werden. Denn darin liegt eine der Stärken des Fachs. Ob dies durch Hochschulen oder Universitäten geleistet werden muss, sollte an anderer Stelle diskutiert werden – möglicherweise ist sowieso eine Konvergenz beider Bereiche bereits im Gange.

Vorbild Journalistik

In jedem Fall zeigt das Studium der Journalistik, dass der Vorwurf, Kommunikationswissenschaft bilde zu nichts aus, unsinnig ist. Journalistik macht klar, dass es um zweierlei gehen muss: um eine fundierte Berufsausbildung auf hohem Niveau und um die Entwicklung von Mitteln und Methoden, die eine wissenschaftliche (Selbst-)Reflexion journalistischer Arbeit ermöglichen.

Der Sinngehalt einer Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft wurde zwar seit Hume immer wieder in Abrede gestellt. Doch vor allem auch in Bezug auf die Umsetzung wissenschaftlicher Resultate in die Lebenswelt, kann gerade ein „immanentes Philosophieren“, wie es Jürgen Habermas in seiner Schrift „Protestbewegung und Hochschulreform“ nannte, eine untergründige Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft beweisen. Die Journalistik wird auf diese Weise nicht nur interdisziplinär anschlussfähig, sondern gewinnt auch ihre eigenen Voraussetzungen für ein handlungsorientierendes Selbstverständnis. Das schließt auch die Möglichkeit ein, zu politischen Fragen Stellung zu nehmen. Damit steigt aber die Chance deutlich, in gesellschaftlichen Debatten gehört zu werden. Die Produktion von kurzfristigen PR-Gags wird das Fach hingegen nirgendwo hinführen.

Kontraproduktiv wäre auch ein Grabenkampf des einen Fachbereichs gegen den anderen. PR gegen Journalisten, Medien- gegen Kommunikationswissenschaft oder historische Kommunikationsforscher gegen Internetforscher. Viel wichtiger wäre hingegen eine offene fachspezifische Debattenkultur ungezwungener Diskussion und des Austausch begründeter Argumente. So genannte „Abweichler“ und aufs Populäre schielende Kollegen sollten nicht stigmatisiert werden, sondern als willkommene Bereicherung der Diskussion aufgenommen werden.

Der Kampf um (durch die Bildungsbürokratie verknappte) Mittel und Positionen führt hingegen zu einem Klima, das auch einer günstigen Aufnahme im öffentlichen Diskurs hinderlich ist. Da helfen dann auch keine Lautsprecher oder Flüstertüten.


* Den einführenden Beitrag der aktuellen Ausgabe von „Aviso“, der Publikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, finden Sie auch auf VOCER: „Von Lautsprechern und Leisetretern“

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