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Finsteres aus der Türkei

Wer einen Beitritt der Türkei zur EU befürwortet, muss dringend genauer hingucken – in das Land, in dem Journalisten drangsaliert und Medien auf die Regierungslinie getrimmt werden.

Jüngst gab es politische Wiederbelebungsversuche für das Vorhaben, die Türkei in die EU zu holen. Wer immer sie betreibt, sollte genau hingucken. Denn leider berichten westliche Medien ja kaum darüber, wie Redaktionen und Journalisten in der Türkei drangsaliert werden.

Ich gestehe freimütig, dass ich als Medienforscher und Journalismus-Experte ziemlich ahnungslos war, mit welchem Machtwillen Ministerpräsident Erdogan die Presse auf Regierungslinie trimmt und die schleichende Islamisierung seines Landes betreibt: Den größten, eher regierungskritischen Medienkonzern hat er zerschlagen. Sein Schwiegersohn wurde zum Chef des anderen großen Medienkonzerns ernannt. Missliebige Chefredakteure werden von ihren Posten entfernt, Journalisten, die sich kritisch äußern, müssen damit rechnen, dass der Ministerpräsident persönlich sie maßregelt.

Das erinnert an Silvio Berlusconi, in gewisser Hinsicht sogar an die Gleichschaltung der Presse, die Hitler und Goebbels im Dritten Reich betrieben haben. Im weltweiten Pressefreiheits-Index von „Reporter ohne Grenzen“ rangiert die Türkei derzeit auf Platz 148.

Meine Einsichten verdanke ich der European Journalism Training Association (EJTA), dem Verband der Journalistenschulen in Europa. Auf dessen Jahrestagung in Istanbul haben namhafte türkische Medienforscher und Publizisten soeben die Gelegenheit genutzt, auf die dramatischen Fehlentwicklungen in ihrem Land aufmerksam zu machen.

Ins Bild fügt sich, dass wenige Tage nach dem Treffen eine Wissenschaftlerin und Konferenzteilnehmerin ihren Job an der Universität verlieren sollte – der Dekan wollte sie angeblich entlassen, weil ein rechtsradikales Blatt sie der Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verdächtigt hatte. Dank studentischer Proteste hat der Rektor zwar den Rauswurf verhindert. Aber das Klima vergiften solche Einschüchterungsversuche allemal. Keine guten Voraussetzungen, um solch ein Riesenland ins ohnehin krisengeschüttelte Europa zu integrieren.


Zuerst erschienen in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ (24/2012).

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