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ARD und ZDF gehören nicht den Parteien

Als Schwedens König Karl XII. den finalen Sieg über die Großmacht Russland erringen wollte, verschätzte sich der Monarch gründlich. Sein Feldzug gegen Russland 1708/09 endete in einer Katastrophe. Er verlor die entscheidende Schlacht von Poltawa. Dem schwedischen König blieb nichts anderes übrig, als in der heutigen Türkei Zuflucht zu suchen. Sein fünfjähriges Exil im Osmanischen Reich blieb nicht ohne Folgen. Dort lernte Karl XII. das System des Mohtasib, des quasi-richterlichen Bürgerbeauftragten, kennen. Eine Idee, die er nicht vergaß.

Nach seiner Rückkehr führte er 1718 in Schweden nach osmanischem Vorbild einen Justizkanzler ein. Dem Justizkanzler, früher im Dienst des Königs und heute der demokratischen Regierung, wurde schließlich 1809 ein Ombudsmann zur Seite gestellt. Er prüft auf Anregung von Bürgern, ob die Administration effektiv, fair und untadelig arbeitet. Sein Service ist kostenlos. Als unabhängiger Kopf spricht er im Konfliktfall Empfehlungen aus, die respektiert werden. Der Ombudsmann hat eine starke Stellung. Er kann Akten anfordern und einsehen, sogar eigene Untersuchungen einleiten, da er nur dem Parlament verpflichtet ist.

Leider gibt es im 21. Jahrhundert niemanden vom Schlag des schwedischen Königs Karl XII., der das System des Ombudsmanns auch im Gebührenfernsehen einführen will.

System in dem kriminelle Energie gedeiht

Dabei haben ARD und ZDF dringend einen starken Vermittler zwischen ihren und den Interessen der Bürger nötig. Skandale der vergangenen Jahre (1/2/3/4/5/6) haben gezeigt, wie viel im dunklen Gebührenreich im Argen liegt. Misswirtschaft und Untreue können nicht als Ausrutscher abgetan werden. Das undurchsichtige und komplizierte System von ARD und ZDF fördert offenbar indirekt die kriminelle Energie von manchen. Deshalb muss eine neue Unternehmenskultur in den Funkhäusern Einzug halten, die es Mitarbeitern und Gebührenzahlern gleichzeitig ermöglicht, nicht nur auf Missstände aufmerksam zu machen, sondern auch Konsequenzen zu provozieren.

Wäre nicht ein Ombudsmann, der ausschließlich dem Gebührenzahler verpflichtet ist, für das System von ARD und ZDF in dieser Situation äußerst hilfreich?

Andere Unternehmen und Branchen haben derartige Bürgerbeauftragte längst mit Erfolg eingeführt. Beispielsweise setzte die Deutsche Bahn nach dem verheerenden ICE-Unglück im niedersächsischen Eschede einen Ombudsmann ein. Das Gleiche gilt für die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen oder den Bundesverband deutscher Banken.

Groß, bürokratisch und publikumsfern

Der Gebührenzahler wird hingegen allein gelassen. Natürlich kann er sich an den Sender selbst oder den Rundfunkrat wenden. Wenn er glaubt, dass Programmgrundsätze verletzt werden, kann er sich auch im Rahmen eines förmlichen Programmbeschwerdeverfahrens – so heißt der Begriff offiziell – äußern. Per E-Mail oder Brief kann sich der Zuschauer beispielsweise an das ZDF, Sekretariat des Fernsehrates, 55 100 Mainz, wenden, wenn er meint, dass gegen irgendwelche Grundsätze im Fernsehen oder im Internet grob verstoßen wird.

Die Mainzer haben sich sogar Ende 2011 eine eigene Beschwerdeordnung gegeben. Demnach muss der Intendant innerhalb von vier Wochen Programmbeschwerden schriftlich beantworten. Ist der Zuschauer nicht zufrieden, kann er eine Behandlung seiner Beschwerde im Fernsehrat fordern. Ob diese aber zustande kommt, ist ungewiss. Denn es entscheidet der Programmausschuss des Fernsehrates, ob das Thema überhaupt auf der nächsten Sitzung des Fernsehrates zugelassen wird. Der Fernsehrat mit seinen 77 Mitgliedern, wie im Fall des ZDF, ist ein aufgeblasenes Gremium, das bei dieser Größe kaum effektiv im Sinne der Gebührenzahler agieren kann.

Das Beispiel des ZDF zeigt, wie rudimentär und schwach die Position des Bürgers ist. Er kann sich beschweren, er wird angehört, und er bekommt sogar eine Antwort – doch seine Beschwerden bleiben in der Regel folgenlos. Die derzeitigen Möglichkeiten könnten daher noch aus der Zeit des Obrigkeitsstaates stammen. Vor allem bleiben die Beschwerden von der Öffentlichkeit unbemerkt. Es gibt keinen öffentlichen Tätigkeitsbericht des Fernsehrates über die Zahl der Beschwerden und ihre Inhalte.

Transparenz geht anders

Auch auf den Internetseiten des ZDF sind die schriftlichen Eingaben nicht einsehbar. Sie bleiben das Geheimnis der Anstaltsbürokratie. Die bisherigen Aufsichtsgremien des Systems von ARD und ZDF verstehen sich offenbar eher als Vertreter von Lobby-Interessen statt als Repräsentanten von kritischen Gebührenzahlern.

Die Einführung eines Ombudsmanns wäre ein wichtiger Schritt, damit die Anstalten den Bürger ernst nehmen. Wie wichtig ein unabhängiger Kopf für eine Organisation sein kann, zeigt abermals der Ombudsmann der privaten Kranken- und Pflegeversicherungen. Die Beschwerden, die bei ihm eingingen, sind zwischen 2002 und 2010 um das 2,5-Fache gestiegen. Von den rund 4500 abgearbeiteten Beschwerden führten mehr als ein Viertel aus Sicht der Beschwerdeführer zum vollständigen oder teilweisen Erfolg. Davon kann der Gebührenzahler im System von ARD und ZDF nur träumen.

Das öffentlich-rechtliche System braucht einen Paradigmawechsel. Nicht die Parteien sind die Eigentümer der 22 Fernsehsender und 67 Radioprogramm, sondern der Bürger. Er bezahlt ab dem 1. Januar 2013 zwangsweise mit 7,5 Milliarden ein opulentes Rundfunksystem, das seinesgleichen sucht.

Mit politischer Einflussnahme abrechen? Fehlanzeige!

Als der Regisseur Claus Peymann am 8. Juni 1966 im legendären Theater am Turm in Frankfurt ein Stück des damals jungen, weitgehend unbekannten Autors Peter Handke inszenierte, konnte er nicht ahnen, dass er damit Theatergeschichte schreiben würde. Zum ersten Mal thematisierte ein Dramatiker das Verhältnis zwischen Darsteller und Publikum: Vier namenlose Schauspieler rechnen mit ihren Zuschauern, die sie finanzieren, ab. Das Quartett redet nicht um den heißen Brei herum. Es wird Tacheles gesprochen. Das Ganze gipfelt in Beschimpfungen. „Hier wurde Unsinn mit Bedeutung gespielt. Die Spiele hier hatten einen Hintergrund und einen Untergrund“, lässt Handke seine Protagonisten ins Publikum rufen.

Manchmal möchte man sich wünschen, die Führungsriege von ARD und ZDF würde Ähnliches mit der Politik tun, um sich aus ihren Fängen zu befreien. Doch in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gab es noch keinen Intendanten, der mit der Einflussnahme durch die Parteien öffentlich abgerechnet hat. Das kann sich niemand leisten. Das wäre der politische Tod.

Die Versuche, nach Jahrzehnten endlich den Einfluss der Parteien einzuschränken, sind bislang äußerst zaghaft ausgefallen. Der Grund liegt auf der Hand: Wer schneidet sich schon gerne ins eigene Fleisch? Der skandalöse Streit um die Nichtverlängerung des Vertrags von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im Jahr 2009 hat zumindest zu einer Klage des ZDF-Verwaltungsratsvorsitzenden Kurt Beck in Karlsruhe geführt. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hatte vergeblich Änderungen im ZDF-Staatsvertrag gefordert, um den Parteieneinfluss zu begrenzen. Beck wollte beispielsweise festschreiben lassen, dass der Vorschlag des Intendanten zur Besetzung eines Chefredakteurs nur noch mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit vom ZDF-Verwaltungsrat abgelehnt werden kann. Auch sollten keine Mitglieder des Fernsehrats mehr direkt von den Länderchefs bestellt werden. Bislang wählen die Ministerpräsidenten 25 der 77 Mitglieder des Fernsehrats aus. Auch die Bundesregierung sollte keine drei, sondern nur einen Vertreter in das Gremium entsenden. Bei seinen Länderkollegen fand Beck mit seinen Vorschlägen zur Begrenzung des Parteieneinflusses aber keine Mehrheit. Deshalb strengte Beck eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an. Der Normenkontrollantrag ist seit Januar 2011 anhängig. Eine Entscheidung steht noch aus.

Am Tropf der Politik

Selbst dem letzten Gutgläubigen ist mittlerweile klar: Die Staatsferne von ARD und ZDF steht nur noch auf dem Papier. Die Besetzungen von Spitzenpositionen werden in den Anstalten nach parteipolitischem Proporz durchgesetzt. Es herrscht ein fein austariertes System, das die Personalauswahl nach der politischen Farbenlehre garantiert. Das Problem ist fast so alt wie die Rundfunkanstalten selbst. Schon vor über 40 Jahren warnte der Soziologe Stefan Müller-Doohm:

Solange die Aufsichtsgremien nach dem Parteiproporz besetzt sind, sich also die beiden großen Parteien die Herrschaft teilen, muss man die Funktionsfähigkeit des Rundfunkrates im Sinne einer demokratischen Programmkontrolle bezweifeln. (…) Dem Rundfunk fehlt so jene Unabhängigkeit, derer er als Mittel zur politischen Informierung, Kommentierung und Kritik bedarf.

Die Durchsetzung der Anstalten durch die Parteien ist einer der Gründe, weshalb die Anstalten nur für eine Art informatorisches Grundrauschen sorgen. Echte politische und wirtschaftliche Skandale werden von ihnen bis auf wenige Ausnahmen nicht aufgedeckt. Warum eigentlich? Die Vermutung liegt nahe, dass relevante Aufdeckgeschichten nicht zur obersten Priorität im Gebührenfernsehen gehören. Warum auch, der Gebührenrundfunk hängt am Tropf der Politik. In den Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräten wird entschieden, wer im Sender aufsteigt oder nicht. Warum sollte es sich eine Führungskraft denn ausgerechnet mit den in den Aufsichtsgremien vertretenen Parteien verscherzen?

Hinzu kommt auch, dass die 16 Bundesländer mit ihren Landtagen über die Rundfunkfinanzierung entscheiden. Die Ministerpräsidenten, anders als Bundespolitiker, sind daher aus journalistischer Sicht die Unberührbaren. Auf Länderebene ist die ARD eng verzahnt mit der politischen Macht. Es gibt sogar einen engen Personalaustausch, wie die Biographien der beiden CSU-Parteigänger Ulrich Wilhelm und Markus Söder zeigen. Der eine wechselte bekanntlich vom Pressesprecher der Bundesregierung auf den Chefsessel des Bayerischen Rundfunks, der andere schaffte den Aufstieg vom BR-Volontär und -Redakteur zum bayerischen Finanzminister.

Rundfunk und Fernsehräte als Wurzel des Problems

ARD und ZDF sind Eigentum der Parteien und des Staates. Nur mit einer radikalen Entpolitisierung kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Zukunft meistern. Konkret heißt das: Es muss der Ausschaltknopf für Parteigänger gedrückt werden. Die bisherigen Rundfunk- und Fernsehräte haben sich alle als ineffektiv, sogar kontraproduktiv erwiesen. Denn erst durch diese Gremien wird die parteipolitische Durchdringung der Funkhäuser ermöglicht.

Warum nicht einen von allen Gebührenzahlern direkt gewählten Aufsichtsrat etablieren? Vorbild könnten beispielsweise die Sozialwahlen sein, denn auch die Selbstverwaltungsorgane bei Kranken- oder Rentenversicherungen werden ja direkt vom Bürger gewählt. Doch anders als bei den Sozialwahlen, bei denen der Bürger kaum die Unterschiede zwischen den einzelnen Gremienmitgliedern erkennen kann, müssten die Kandidaten und Listen für den Rundfunk- beziehungsweise Fernsehrat die mediale Infrastruktur von ARD, ZDF und Deutschlandradio nutzen dürfen, um für sich und ihre Zielen werben zu können. Mit Wahlspots im Fernsehen und Radio sowie auf Internetseiten und Diskussionsforen bei Facebook könnten sich die Bürger dann ausführlich informieren.

Mehr Kontrolle, engere Bindung

Die Vorteile einer direkten Beteiligung des Bürgers liegen auf der Hand. Zum einen führen sie zu einer echten Diskussion über Sinn und Unsinn im nimmersatten System von ARD und ZDF. Schädliche Entwicklungen der Vetternwirtschaft werden so öffentlich diskutiert.

Zum anderen schafft die direkte Wahl der Kontrolleure eine engere Bindung zum Gebührenfernsehen. Das klassische Sender-Empfänger-Modell wird aufgelöst. An dessen Stelle tritt ein interaktives Modell. Rundfunkanstalten und Bürger sind im Austausch. Die Entpolitisierung ist eine entscheidende Grundlage dafür, dass sich die Bürger wieder mit ARD und ZDF identifizieren. Es ist die einzige Chance, die verlorene Glaubwürdigkeit der vergangenen Jahrzehnte wiederherzustellen. Nur mit einer Entpolitisierung.

Doch eine entscheidende Frage bleibt: Wer drückt auf den Ausschaltknopf für die Politik im System von ARD und ZDF? Die Politik selbst? Das geschieht nur dann, wenn der Druck der Bürger groß genug ist. Deshalb ist eine Diskussion über eine grundlegender Reform des öffentlich-rechtlichen Systems dringender denn je.


„Die Nimmersatten. Die Wahrheit über das System von ARD und ZDF“ – so heißt das aktuelle Buch von Hans-Peter Siebenhaar, das seit 16. November 2012 im Buchhandel erhältlich ist. Die Vorstellung von „Die Nimmersatten“ findet am Donnerstag, 29. November, um 19.30 Uhr im MünzSalon, Münzstraße 23, in Berlin mit Gerhard Zeiler, Präsident von Turner Broadcasting System International, statt.