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140 Zeichen Politik

Barack Obama hat bewiesen, dass Twitter ein effizientes Werkzeug im Wahlkampf sein kann. Doch die deutschen Politiker müssen erst noch lernen, es einzusetzen.

Der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 2008 resultierte in zwei bahnbrechenden Veränderungen. Zum einen ließ die Wahl Barack Obamas die Deutschen ihren traditionellen Antiamerikanismus für die nächsten vier Jahre vergessen, zum anderen wurden deutsche Politiker durch dessen erfolgreiche Online-Kampagne auf ein modernes Instrument öffentlicher Meinungsbildung aufmerksam: den kommerziellen, aber kostenlosen Mikroblogging-Dienst Twitter. Die Zahl „zwitschernder“ deutscher Politiker nahm stark zu. Vom Staunen über die Kampagne und all die nie erahnten Möglichkeiten des Internets bis hin zur aktiven Nutzung war es dennoch ein weiter Weg für die politische Elite.

Barack Obama ist ein politischer Twitter-Pionier. Er präsentierte sich offen, nahbar und charismatisch. Nicht zuletzt deswegen gewann er 66 Prozent der Stimmen der 18- bis 29-jährigen US-Bürger. Genau das war ihm gegenüber John McCain und Mitt Romney ein großer Vorteil: Obama erkannte die immense Bedeutung der jüngeren, online-affinen Generation für seinen Wahlkampf. Eine Studie zeigt: drei von vier Regierungen nutzen mittlerweile ebenfalls den Online-Dienst. Deutsche Politiker wollen sich diese Strategie nun auch zu Eigen machen. Denn das Einbeziehen sozialer Netzwerke kann Wahlen entscheiden – auch in Deutschland.

Deutsche Politiker haben Twitter-Nachholbedarf

Allerdings wirkt dieser Versuch zuweilen unpassend, ungelenk – geradezu als würden sich die altehrwürdigen Herrschaften der Politik an die Jugend heranschmeißen wollen. Verbildlicht ungefähr vergleichbar mit dem fiktiven Antreffen meines Großvaters auf der Reeperbahn, ein „Astra Arschkalt“ abgestellt im Einkaufskorb seines Rollators.

Dass soziale Netzwerke wie Twitter nicht nur zum Aufstieg, sondern auch zum Abstieg geeignet sind, ist inzwischen bekannt. Maximal 140 Zeichen bietet das Portal zur politischen Kommunikation. 140 Zeichen als Zukunft des politischen Diskurses oder vielmehr als politischer Suizid? Piratin Birgit Rydlewski riet der Twitter-Community jedenfalls jüngst davon ab „mit irgendwelchen Typen ins Bett zu gehen, die man nicht einschätzen kann.“ Die Panik brauche ja schließlich niemand. Solche Tweets auch nicht.

Virtueller Striptease statt realer Seriosität? Eine Entwicklung, die von meiner Seite keine Unterstützung erfährt. Das politische Lager Deutschlands ist seit jeher traditionell, seriös und ignorierte bis dato jegliche Trends des digitalen Zeitalters. Schnelle Informationsverbreitung hin oder her, die junge Generation wird durch das Gezwitscher betagter Politiker, die sich gezwungen fühlen der bunten, jungen Online-Welt beizuwohnen, nicht weniger Politik-verdrossen. Eher entfremden und distanzieren sich diese immer mehr vom politischen Geschehen. Denn die Art und Weise des Kontaktaufnehmens via Internet verdeutlicht nur noch mehr, dass die bestehende politische Elite Deutschlands mit der „modernen Welt hadert“, um es mit den Worten des Bloggers Sascha Lobo auszudrücken.

Das Web 2.0 wird für Politiker und ihre Botschaften immer wichtiger. Zum einen tummeln sich die jungen begehrten Wählergruppen bei Facebook, Twitter und Co., zum anderen können diese dort leicht erreicht und angesprochen werden.

Steinbrück 2.0

Das hat mittlerweile sogar Peer Steinbrück begriffen. „In einer Welt vertreten zu sein, in der man nicht authentisch sein kann“, ergibt für ihn also plötzlich doch Sinn. Schließlich twittert der Papst auch.

In irgendeiner Welt authentisch zu sein, wird für den Kanzler-Kandidaten nun allerdings eine Herausforderung. Online-Accounts deutscher Politiker haftet so ein mit technologischen Entwicklungen einhergehender Zwang an. Der Zwang, im Internet vertreten sein zu müssen, um die Zielgruppen-Reichweite und Beliebtheit zu erhöhen. Ganz im Sinne des großen Vorbilds aus Übersee. Nur scheint vielen deutschen Politikern entgangen zu sein, dass sich Obama damals nicht damit aufhielt, über Bratwürste oder Zahnarztbesuche zu twittern.

Solche Tweet-Inhalte lassen sich zum „Twittern als Lifecasting“, einer Hauptform des politischen Twitterns, zuordnen. Beschrieben wird dadurch eine Art Gruppen-SMS an einen virtuellen Wahlkreis aus der größere Nahbarkeit und Bürgernähe resultieren soll. Der Begriff „Belanglosigkeit“ trifft es meist allerdings eher. Twitter fungiert zunehmend als Medien-Fliegenfalle. Attraktive Geschichten und private Einblicke werden geschickt eingesetzt und für die etablierten Medien aufbereitet. Dennoch bietet das Portal die Chance, auch vorbei an den Monopolen der großen Kanäle Informationen zu verbreiten.

Die Schnelligkeit der Informationsverbreitung spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Betrachtung sozialer Netzwerke. Die Bundespräsidentenwahl im Jahr 2009 verdeutlicht, wie sehr sich Twitter vor allem über die rasante Verbreitung von Neuigkeiten definiert. Schon etwa eine Viertelstunde vor der Verkündung des offiziellen Ergebnisses twitterten Abgeordnete aus der Bundesversammlung die bestätigte Stimmanzahl für Kandidat Köhler. Für einige entspricht eine Viertelstunde tatsächlich nur einer Länge von 15 Minuten, für andere war dies die „Twitter-Stunde Deutschlands“.

Zu twittern bedeutet nicht, authentisch zu sein

Es lässt sich nicht abstreiten, dass Twitter eine Chance für die deutsche Politik ist. Eine Chance für die Annäherung der Politik an das digitale Zeitalter und dessen meist jungen Anhänger. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter gehören längst zum gesellschaftlichen wie beruflichen Alltag, dem sich selbst autoritäre politische Instanzen nicht entziehen können. Doch zwischen Wollen und Können besteht ein Unterschied, der mindestens so groß ist wie die Welten, die Barack Obama und Peer Steinbrück trennen.

Obama will in der Welt des Internets präsent sein. Er will sich der jungen Generation annähern, diese kennenlernen und verstehen. Peer Steinbrück als deutsches Beispiel für den „Ottonormal-Politiker“ hingegen ist nach langem überzeugten Aufrechterhalten seines „Offline-Images“ bewusst geworden, dass auch er sich dem technologisch-gesellschaftlichen Fortschritt beugen muss. Das allgemeine Problem deutscher Politiker besteht darin, dass sie durch Online-Präsenz nicht an Authentizität gewinnen, sondern eher an Seriosität verlieren.

Dadurch, dass das Twittern für sie einen unnatürlichen Lernprozess darstellt, mit dem sie sich nicht identifizieren können, aber denken, arrangieren zu müssen, verliert das politische „Gezwitscher“ an Glaubwürdigkeit. Solange kein internetbasiertes Umdenken in der Politik stattfindet, wird sich nicht viel ändern.

Die virtuelle Online-Welt muss als natürlicher Bestandteil der realen Welt anerkannt und verstanden werden, politische Programme müssen sich mehr auf das digitale Zeitalter einlassen. Nur dann werden nicht nur soziale Medien die politische Kommunikation in unserem Land verändern, sondern auch die politische Kommunikation soziale Medien.

Einen Schritt näher hin zu seriösen Portalen, die die junge Generation an politische Prozesse heranführen, diese verständlich machen und einen wesentlichen Teil zur Meinungsbildung beitragen. Nur dann wird aus 140 Zeichen ernstgemeinte, informative und fortschrittliche Politik.

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