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„Gemeinsam sind wir die Wende“

Ein neues Ökosystem für guten Journalismus erschaffen – das ist die Idee von RiffReporter. Warum das so wichtig ist, erklärte die Mitgründerin des mit dem #Netzwende Award2017 ausgezeichneten Projektes beim VOCER Innovation Day.

Ich will nicht mit der Krise beginnen, in der sich der Journalismus befindet. Krisengerede kennen wir alle zu Genüge. Christian und ich, die wir die Idee zu RiffReporter hatten, haben uns bei einer der vielen Konferenzen kennengelernt, bei denen der Niedergang des Qualitätsjournalismus beklagt wurde. Wir waren uns damals schnell einig: Das ödet uns an. Denn es führt zu nichts. Wir wollten unsere Energie lieber auf etwas Konstruktives verwenden.

Deshalb will ich heute nicht über die Krise reden, sondern über die Stärke des Journalismus. Genauer gesagt: Von den Menschen möchte ich sprechen, die ihn stark machen. Von den freien Journalistinnen und Journalisten.

NetzwendeFreie Journalistinnen und Journalisten sind das Rückgrat unserer Branche. Sie liefern den Redaktionen Themen, die nicht am Schreibtisch entstanden sind. Sie haben Interessen und Fachgebiete, in denen sie sich besonders gut auskennen. An denen sie dranbleiben, auch wenn Redaktionen schon wieder das nächste Thema abarbeiten. Insektensterben, neue Technologien, Entwicklungen in der Kultur – es sind sehr häufig freie Journalisten, die zu diesem Themen Sachverstand einbringen können, wenn er dringend nötig ist. Sie pflegen Kontakte. Sei es zu Menschen in ihrer Region, oder zu Experten in einem Fachgebiet.

Wir können sehr froh sein, dass wir im ganzen Land, in ganz Europa, und in der Welt noch immer so viele gute Leute haben. Freie Journalisten mit Leidenschaft und handwerklichem Können. Denn gedankt wird es ihnen nicht. Die Honorare sind seit Jahren nicht gestiegen, sie schrumpfen sogar. Reisekosten werden oft nicht mehr bezahlt. Fortbildungen schon gar nicht.

Das erodiert das journalistische System. Denn es erodiert die wirtschaftliche Basis, auf der freie Autorinnen und Autoren kalkulieren müssen. Texte drohen flacher zu werden, Fehler werden wahrscheinlicher. Keine gute Grundlage in einer Zeit, in der die Trumps dieser Welt kein gutes Haar an unserer Arbeit lassen.

Es braucht eine Wende. Netzwende, das ist ein guter Begriff. Denn im Netz braucht es eine Wende. Weg davon, dass Journalisten ihre wertvolle Arbeit verschenken sollen. Weg davon, dass wenige große Plattformen alles so organisieren, dass nur einige wenige an der Kreativität vieler verdienen. Weg davon, dass Werbetreibende die eigentlichen Kunden sind und Leser das Klickvieh.

Auch die Energiewende war davon gekennzeichnet, dass plötzlich viele kleine Akteure in die Energieversorgung eingestiegen sind, um sie umweltfreundlicher zu machen. Bürgergenossenschaften und regionale Versorger zum Beispiel.

Und ähnlich sehen wir auch die Entwicklung im Journalismus. Ich denke, es geht hier um eine Mentalitätswende.

Und das Gute ist: Diese Mentalitätswende findet schon statt. Journalisten gründen.

Und wir von RiffReporter helfen dabei.

Wir setzen dabei an, dass freie Journalisten nicht nur besonders kundig und besonders kreativ sind, sondern dass jeder bereits jetzt ein Mikro-Unternehmer ist. Jemand, der sich mit seinen Fähigkeiten immer neu am Markt bewährt, der sich ein Portfolio aufbaut, der auch Risiken eingeht.

Immer öfter nutzen Journalisten diese Fähigkeiten, um etwas Eigenes aufzubauen. Die Zahl freier Projekte steigt und steigt. Manche sind for profit, manche gemeinnützig. Das ist großartig. Nicht nur große Verlage versuchen sich an Innovation, sondern auch freie Gründer.

Aber wir sehen dabei natürlich auch das Risiko. Wenn freie Gründungen auf freien Webseiten stattfinden, ist der Gründungsaufwand schon vom Programmieren her groß. Wenn man versucht, sich allein ein Publikum aufzubauen, kann man sich schnell fühlen wie auf einer kleinen, entlegenen Insel im digitalen Ozean. Und wenn es man nicht so gut läuft, hat man mit nur einem Erlösmodell und wenig Nutzern kaum Chancen zu verstehen, wie es besser gehen könnte.

Genau deshalb haben wir von RiffReporter eine Genossenschaft für freien Journalismus geschaffen. Bei uns können freie Journalisten eigene Projekte umsetzen – allein oder im Team. Der Gründungsaufwand für die Kollegen ist bei uns gering, weil es vieles schon gibt (oder geben wird) – eine multimediale Plattform, eine Auswahl verschiedener Erlösmodelle, Tools zum Communitybuilding und zum Kooperieren.

Indem sich eigenständige Initiativen zum journalistischen Korallenriff zusammenschließen, bilden wir gemeinsam eine kritische Masse für mehr Aufmerksamkeit und Bekanntheit. Und indem wir unsere Daten und Erfahrungen teilen, lernen wir besser zu verstehen, woran es liegt, wenn es nicht so gut läuft, zum Beispiel, indem wir die Performance verschiedener Erlösmodelle vergleichen. RiffReporter ist eine Gemeinschaft professioneller Freier, eine neue Infrastruktur, ein Dienstleister für Gründer und zugleich Inkubator und Forschungsprojekt.

Screenshot Riffreporter

Die Idee: Journalismus in Korallen organisieren

Die Projekte der einzelnen RiffReporter sind unsere sogenannten Korallen – Sie bilden das Riff. Redaktionell und wirtschaftlich sind sie eigenständige Projekte, mit dem Ziel, von einer Unterstützercommunity getragen zu werden.

Denn auch das ist positiv für die Zukunft des Journalismus: Das Bedürfnis nach gutem, tiefgründigem Journalismus jenseits von Clickbait, jenseits des Mainstreams, das ist nach wie vor da. Es wächst sogar. Manche sagen: Vergesst es, das mit dem Bezahlen wird nie klappen. Aber was ist die Alternative? Corporate Marketing? Journalismus als Hobby von Milliardären? Das Aussterben des professionellen Journalismus?

Wir sind fest davon überzeugt, dass Leser auch bereit sind zu zahlen, wenn man es ihnen leicht macht und wenn die Beträge, um die es geht, klein sind. Wenn man nicht das Gefühl hat, dass da eine Abo-Falle lauert.

Die aktuelle politische Situation hat vielen deutlich gemacht, was uns drohen könnte, wenn wir die Nachrichten, die Hintergründe und Analysen anderen überlassen.

Nach einer neuen Allensbachumfrage sind zwei Drittel der Deutschen nicht bereit, für Onlinejournalismus zu bezahlen. Wir sehen das positiv: Ein Drittel ist bereit. Das sind rein rechnerisch immerhin 27 Millionen Menschen. Das ist eine gute Basis, um zu starten.

Für uns sind die freien Journalisten der Ankerpunkt. Wir helfen ihnen, zu gründen. Eigene Ideen zu verwirklichen. Allein oder im Team. In einer Gemeinschaft, die gemeinsam lernt. Mit einer Plattform, auf der die Artikel direkt für die Leser erscheinen (und bei der in nicht allzu weiter Ferne auch Verlage einkaufen können). Mit einem Bezahlsystem, dass sich den Bedürfnissen sowohl der Leser als auch der Autoren anpasst.

Es ist der Versuch, ein neues Ökosystem für guten Journalismus zu schaffen. Ein journalistisches Korallenriff, das von Vielfalt, einer lebendigen Nachbarschaft von Nischen, von Tiefgang und von Kooperation geprägt ist. Anfang kommenden Jahres werden wir die Beta-Version starten. Bis hierhin war es ein langer Weg, bei dem uns viele Menschen unterstützt und beigestanden haben – Daniel Schily etwa, Adrian Schmid und Lukas Beckmann, um nur einige zu nennen. Und natürlich möchte ich mich auch beim gesamten RiffReporter-Team bedanken. Ihr seid super!

Wir behaupten nicht, eine fertige Lösung zu haben. Aber wir schaffen einen Weg, uns gemeinsam Schritt für Schritt Lösungen zu nähern. Jeder, der diese neue journalistische Infrastruktur stärken will, kann investierendes Mitglied in unserer Genossenschaft werden. Gemeinsam mit Autoren und Unterstützern treten wir für eine Netzwende ein. Und wir freuen uns, wenn viele unserem Beispiel folgen. Gemeinsam sind wir die Wende.

riffreporter.de
netzwende.org

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