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Zügelloser Jagdeifer

Heute geht der Prozess gegen Christian Wulff weiter. Der steht dort allerdings nicht als einziger im Mittelpunkt – die Staatsanwälte spielen eine ganz eigene Rolle, stellt der ehemalige ARD-Rechtsexperte Karl-Dieter Möller fest: Sie sind nicht nur mächtig, sondern auch medial gewandt. Journalisten sollten da genauer hinschauen.

Die Einladungen für die Fortbildungsveranstaltung Nr. 8a/14 sind raus. Sie trägt den Titel : „Kontakt mit den Medien“. Anfang März 2014 lädt das bayerische Staatsministerium der Justiz Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus der ganzen Republik zu einem Medien-Fitness-Programm nach Trier ein. Schulungsthemen des einwöchigen Presseseminars in der Deutschen Richterakademie u.a.: „Einstellung auf den Interviewpartner, Fragetechniken, Möglichkeiten der Manipulation (von Seiten der Journalisten), Sinn und Unsinn von Pressekonferenzen, Umgang mit Hintergrundinformationen“.

Gut vorstellbar, dass dieses Seminar überlaufen ist, denn der immer wieder gehörte Vorwurf der Justiz gegenüber den Medien ist nicht ganz unberechtigt: die Masse der Medien interessiere sich bei spektakulären Prozessen nicht für die Inhalte. Journalisten würden in Kauf nehmen, dass Persönlichkeitsrechte von Angeklagten, Zeugen und Opfern verletzt werden. Wie können Richter und Staatsanwälte dem entgegentreten? In Trier gibt es Nachhilfe.

Staatsanwälte im Fokus der Medien

Man muss nicht die Kunst der Vorhersage beherrschen, aber es darf vermutet werden, dass das NSU-Verfahren in München, aber wohl auch der Wulff-Prozess in Hannover die Teilnehmer in Trier beschäftigen werden. Das Seminar zeigt aber auch: die Justiz holt in Sachen Öffentlichkeitsarbeit erheblich auf. Ob sie dabei allerdings soweit gehen sollte, dass sie, wie die Staatsanwaltschaft Hannover, Pressefotos von den Wulff-Anklägern werbewirksam ins Internet stellt, dürfte zumindest bezweifelt werden. Andererseits: spätestens der Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff hat Staatsanwälte in den Fokus der Medien gerückt. Bisher haben Journalisten – von Einzelfällen abgesehen – über die Rolle der Staatsanwaltschaft wenig nachgedacht. Dabei ist es diese Gruppe, die über wirkliche Macht in der Justiz verfügt.

Staatsanwälte sind es, die bestimmen, ob ein Anfangsverdacht besteht – was auch immer das manchmal ist. Sie leiten Ermittlungsverfahren ein, deren Hürden oftmals niedrig sind. Sie stellen die Weichen, ob jemand in der veröffentlichten Meinung damit als kriminell angesehen wird. Aber sie haften nicht dafür, wenn sich nach dem Ermittlungsverfahren herausstellt, dass der Beschuldigte unschuldig ist und etwa der Verlust des Arbeitsplatzes – bedingt durch das Ermittlungsverfahren – nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Da wird die Rolle der Staatsanwälte in den Medien wenig kritisch begleitet.

Wenn Wirtschaftsstaatsanwälte in Mannschaftsstärke eine Bank durchsuchen lassen, wenn sie es mit dem Zauberwort „Verdunkelungsgefahr“ schaffen, Beschuldigte in Untersuchungshaft zu bekommen, ist ihnen medialer Beifall gewiss. Ob diese Untersuchungshaft möglicherweise ganz scharf an einer verfassungswidrigen „Erzwingungshaft“ vorbeischrappt, interessiert so gut wie keinen Journalisten. Sie sehen allerdings den Rechtsstaat und die Pressefreiheit untergehen, wenn Staatsanwälte eine Redaktion durchsuchen. Da spüren sie auf einmal selbst die staatliche Machtfülle von Staatsanwälten.

Akten im Keller

Wie schnell deutsche Richter Durchsuchungsverlangen von Staatsanwälten unterschreiben, die später einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhielten, war den meisten Medien in der Vergangenheit keine Zeile wert. Wer regt sich schon darüber auf, wenn nach einer anonymen Anzeige gegen einen Arzt oder einen Kommunalpolitiker die beschlagnahmten Akten manchmal über Jahre im Keller der Staatsanwaltschaft ruhen, bevor das Verfahren dann ohne Auflagen eingestellt wird. Der Arzt konnte sich aber in diesen Jahren nicht auf eine Oberarztstelle bewerben, der Oberbürgermeister musste um seine Wiederwahl fürchten. Staatsanwälte zucken dann mit den Schultern: Beschuldigte könnten doch froh sein, dass ihre Unschuld festgestellt wurde. Also: nur Pech für Betroffene?

Der Wulff-Prozess sollte daher – nicht nur für einzelne Journalisten – Anlass sein, sich spätestens jetzt einmal kritisch mit dieser Machtfülle von Staatsanwälten auseinanderzusetzen. Gewähren Staatsanwälte tatsächlich „Wohltaten“, wenn sie von der Erhebung einer Anklage gegen Geldauflage absehen? So sah es jedenfalls der Generalstaatsanwalt von Celle im Falle von Christian Wulff. Dabei weiss jeder Staatsanwalt , dass ein Beschuldigter, dessen Namen in der Öffentlichkeit steht, sich sehr gut überlegen wird, ob er einen Prozess mit nicht immer fairer medialer Berichterstattug durchstehen will. Oder ob es da nicht leichter ist, die Geldauflage zu zahlen – selbst wenn man zutieftst von seiner Unschuld überzeugt ist.

Mechanismen der Medienberichterstattung

Journalisten schreiben lieber darüber, dass der Ankläger im Wulff-Prozess genau studiert habe, wie Medien funktionieren. Er habe dazu psychologische Aufsätze gelesen, um die Mechanismen der Medienberichterstattung auf die persönliche Einstellung zu verstehen. Warum aber haben Journalisten in ihrem eigenen „Jagd“- und „Krümel“- Eifer sowohl der Staatsanwaltschaft Hannover als auch ihren Lesern nicht auch einmal einen kleinen Tipp gegeben, was der Bundesgerichtshof so von justiziellem Jagdeifer hält?

In einem Beschluss aus dem Jahr 2012 schreibt der 3. Strafsenat des BGH, der übrigens im Falle einer Revision für das Wulff-Verfahren zuständig wäre: „Der Zweck des Strafverfahrens würde daher verfehlt, wenn es den Strafverfolgungsorganen zur Aufdeckung und Ahndung einer Rechtsgutverletzung gestattet wäre, unbegrenzt in andere Individual- oder Gemeinschaftsrechtsgüter einzugreifen. Das Wertesystem der Verfassung, das zu schützen Zweck des Strafverfahrens ist, setzt diesem daher gleichzeitig auch Schranken. Deshalb gilt der Grundsatz, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden darf.“ Sicher, bei dieser Aussage ging es um ein anderes Verfahren, aber wäre es nicht journalistische Pflicht gewesen, die Staatsanwaltschaft Hannover mit diesem Rechtsgedanken der Bundesrichter zumindest einmal medial zu konfrontieren?

Ganz abgesehen davon, dass dieser Rechtsgedanke auch für Journalisten bei Berichten über Ermittlungs- und Strafverfahren überlegenswert sein sollte.

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