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„Wir erleben eine Reklame-Schlacht der Anbieter“

In zehn Jahren wird es spürbar weniger Ausbildungsstätten im Journalismus geben – das zumindest prophezeien Jörg Sadrozinski und Prof. Dr. Frank Lobigs im Interview mit VOCER.

Für den vierten Teil der Vocer-Serie zur Zukunft der Journalistenausbildung hat Daniel Moßbrucker Prof. Dr. Frank Lobigs und Jörg Sadrozinski zum Interview zusammengeführt. Prof. Lobigs ist Medienökonom an der TU Dortmund und bildet am dortigen Institut für Journalistik seit 2006 Journalisten aus. Jörg Sadrozinski ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule in München, die er seit 2011 leitet. Wie reagiert eine Journalistenschule im Gegensatz zu einem wissenschaftlichen Institut auf die Digitalisierung?

VOCER: Herr Lobigs, Herr Sadrozinski, was ging Ihnen bei der Anfrage für dieses Interview durch den Kopf: Greifen wir mit dieser Serie eine Debatte in Ihren Häusern auf oder sind Sie längst fertig mit Reden und Handeln?

Frank Lobigs: Wir sollten dringend darüber diskutieren, denn wir erleben gerade eine zweite Welle der Disruption im Journalismus. Nach den klassischen Medien trifft es diesmal den Journalismus im Internet. Es gibt einen Paradigmenwechsel in der Mediennutzung, insbesondere Millennials konsumieren Inhalte mobil über Plattformen in Milliarden von algorithmisch gesteuerten und immer wieder neukonfektionierten personalisierten Streams, Feeds und Trefferlisten. Das betrifft massiv die Vermarktung journalistischer Produkte sowie die Machtstrukturen im Aufmerksamkeitsmarkt und wird den Journalismus stark verändern. In der Ausbildung haben wir die erste Disruptionsrunde noch nicht recht verdaut und müssen schon in die zweite voll durchstarten. Eine Diskussion darüber ist absolut notwendig, wenn wir weiterhin Journalisten für die Zukunft ausbilden wollen.

Jörg Sadrozinski: Sicher sind solche Debatten im Grundsatz gut. Aber es muss auch klar sein, unter welchen Prämissen sie geführt werden: Die Behauptung mancher Kritiker, die Journalistenausbildung sei in der Krise, kann ich so nicht teilen. Ausbildung muss sich immer verändern, das ist in Dortmund, Hamburg, München oder Berlin so. Das tun wir aber auch. Es ist ja nicht so, dass wir abwarten und erst einmal diskutieren. Wir handeln ständig und versuchen, die Ausbildung fortwährend an die Realität anzupassen.

Auf der Nachfrage-Seite müssen Sie sich ohnehin keine Sorgen machen: Seit Jahren befindet sich die Branche in der Krise, es gibt angeblich kaum gute Jobs und gleichzeitig drängen wahnsinnig viele Menschen in den Journalismus – an der DJS laden sich zum Beispiel jedes Jahr über 2000 Menschen die Bewerbungsunterlagen herunter, in Dortmund liegt der Abiturschnitt für einen Studienplatz regelmäßig im niedrigen „Eins Komma-Bereich“. Woran liegt das?

In seiner Forschung beschäftigt sich Prof. Dr. Frank Lobigs mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die ökonomischen Grundlagen des Journalismus.

In seiner Forschung beschäftigt sich Prof. Dr. Frank Lobigs mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die ökonomischen Grundlagen des Journalismus. Foto: privat

Sadrozinski: Der Journalismus als solcher steckt nicht in der Krise, er hat aber ein Finanzierungsproblem. Das mag manche davon abhalten, sich zu bewerben. Es gibt aber weiterhin “Überzeugungstäter”, die von Medienberufen fasziniert werden. Medien bestimmen sehr stark unser Leben – und viele wollen eben nicht irgendetwas mit Medien machen, sondern gezielt Journalismus. Aussichtslos ist die Lage ohnehin nicht: Ich leite die DJS seit fünf Jahren und seitdem saß kein Absolvent wegen Zukunftsangst heulend am Tisch.

Lobigs: Selbstkritisch gesagt hat der Boom aber auch damit zu tun, dass zu viele Ausbildungsstätten die Nachfrage bedienen. Viele Anbieter leben davon, dass sie hoch frequentiert sind – und offensiv um junge Menschen werben. Das deckt sich nicht unbedingt mit den Erfordernissen des Arbeitsmarktes. Der ist schwieriger geworden, auch für Absolventen unseres Instituts. Dieses Überangebot lässt sich kaum wegdiskutieren. In der digitalen Entwicklung wird das nun zum Problem: Früher konnte ein guter Journalist problemlos in der PR arbeiten. Ich fürchte, dass sich das gerade umkehrt. Diejenigen, die im Content Marketing fit sind, werden zunehmend interessant für den Journalismus. Ich nenne nur das Buzzword „Native Advertising“. Für uns Ausbilder heißt das, dass wir uns auch solchen Lehrinhalten öffnen müssen und die Ausbildung breiter anlegen als zuvor. Qualitätsjournalismus kann sich nur behaupten, wenn er weiß, wie digitale Distribution und Vermarktung funktioniert.

Wie groß ist denn die Gefahr, dass sie junge Menschen für die Arbeitslosigkeit ausbilden?

Bevor er die Deutsche Journalistenschule in München leitete, baute Jörg Sadrozinski ab 1998 den Internetauftritt der Tagesschau mit auf.

Bevor er die Deutsche Journalistenschule in München leitete, baute Jörg Sadrozinski ab 1998 den Internetauftritt der Tagesschau mit auf. Foto: privat

Lobigs: Das gilt ja nicht für die Deutsche Journalistenschule, wie wir gerade von Herrn Sadrozinski gehört haben. Hier werden aber auch nur handverlesene Talente aufgenommen. Auch unsere Absolventen kommen in der Regel gut in den Job. Aber sie arbeiten heute zunehmend freiberuflich und der ökonomische Druck steigt spürbar. Festanstellungen sind im direkten Anschluss an das Studium nicht mehr der Regelfall, weshalb sich einige auch der PR öffnen.

Sadrozinski: Ich fürchte tatsächlich, dass manche junge Menschen ausgebildet werden und hinterher auf der Straße stehen. Ich kann die Worte von Professor Lobigs nur unterstreichen: Es gibt meiner Ansicht nach viel zu viele Institute und Möglichkeiten, Journalismus zu erlernen. Da wird jungen Leuten etwas vorgegaukelt, das die Anbieter gar nicht einhalten können.

Sie würden Ihren Kindern also weiterhin raten, Journalist zu werden – aber dann bitte mit Ausbildung in einer traditionsreichen Einrichtung? Klingt, mit Verlaub, stark nach Eigenlob.

Sadronzinski: Nein, so einfach ist es nicht. Neue Angebote sind nicht per se schlecht. Es kommt eher darauf an, was da angeboten wird. Wenn ich für einen Studienplatz mehrere hundert Euro pro Monat zahle, ohne dass ich die Qualität einschätzen kann, halte ich das für problematisch. Hat die Einrichtung genug Erfahrung? Gibt es Kontakte in die Praxis, über die Praktika angeboten werden? Das sind entscheidende Faktoren. Ich würde nicht sagen „alt gegen neu“ oder „etabliert gegen modern“. Es geht eher darum, welche Möglichkeiten Absolventen bekommen, mit der Ausbildung erfolgreich in den Job zu starten.

Lobigs: Mein Sohn ist sechs, und derzeit will er noch Fußballnationalspieler werden. Aber ich würde meinen Ratschlag zu allererst von den Fähigkeiten meines Sohnes abhängig machen. Hat er den absoluten Wunsch, hinreichend Talent und ferner noch eine mehr als gute Portion Selbstbewusstsein, um im schwierigen Feld des Journalismus erfolgreich zu sein? Wenn ja, dann wird er es auch packen. Dann erst folgt die Frage des konkreten Ausbildungswegs. Hier würde ich als typischer “Helikopter-Papa” natürlich jedes Angebot – egal welcher Provenienz – überaus kritisch prüfen wollen. Billiges Eigenlob für das “Dortmunder Modell” liegt mir dabei völlig fern; wir kochen auch mit Wasser, und über die richtige Rezeptur gibt es bereits im Institut durchaus Diskussionen.  

Was sind die zentralen Herausforderungen, die Sie gerade bewältigen müssen?

Lobigs: Im Moment beschäftigt uns vor allem der erneute Wandel in der Mediennutzung, den ich zu Beginn schon genannt hatte. Die Millennials nutzen Medien zunehmend über Smartphones in sozialen Netzwerken oder über andere “Walled-Garden”-Plattformen. Das ist fundamental. Es wird aus meiner Sicht zu großen Veränderungen im Journalismus führen. Das müssen wir als Ausbilder sofort aufgreifen. Klassische Unternehmen haben ein Legacy-Problem, sie sind also gebunden an alte Strukturen und alte Märkte. Absolventen machen sich interessant, wenn sie diese neuen Entwicklungen aufnehmen und so hervorstechen.

Was heißt das konkret für ihr Programm in Dortmund?

Lobigs: Ich habe zum Beispiel einen Mitarbeiter, der nur die Aufgabe hat, diesen Paradigmenwechsel didaktisch fundiert in ein neues Lehrangebot zu überführen. Dazu haben wir in diesem Semester Experten der Nutzerdatenanalyse, der Suchmaschinen- und Viralitätsoptimierung sowie sogar des digitalen Content Marketing eingeladen, weil wir da die Elemente sehen, die man zusammenführen muss, um den neuen Paradigma in der Mediennutzung angemessen zu begegnen. Journalisten müssen ihre Inhalte in Zukunft viel stärker als heute selbst vermarkten können; sie übernehmen selbst zentrale Verantwortungen im Audience Development für “distributed content”. Qualitätsjournalismus, der von Leuten unter 45 gar nicht mehr wahrgenommen wird, überholt sich auf Dauer von selbst. Ausbildungs-Synergien ergeben sich hierbei für uns aus einem neuen Projekt für die Landesanstalt für Medien NRW (LfM), für die das Institut eine neue Online-Plattform aufbauen wird. Ein anderer wichtiger Punkt ist Entrepreneurial Journalism, also das freiberufliche und unternehmerische Arbeiten, auch hier wollen wir unsere Lehrangebote weiterentwickeln. Zuletzt sind wir sehr froh, dass wir – unter anderem ebenfalls mit Synergien aus dem von uns schon seit längerem für die LfM betriebenen Fernseh-Lehrsender – alle Formen des TV- und sonstigen audiovisuellen Journalismus in der Ausbildung zu einem Schwerpunkt gemacht haben. Denn im neuen Paradigma ist die Bedeutung von neuen Video-Formaten natürlich überragend, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt ein wichtiger Qualitätsanker in der digitalen Welt, und wir sind sehr zufrieden, damit bei mehreren Sendern gute Volo-Plätze zu haben.  

Sadrozinski: Ich sehe diese technische Seite auch, bei neuen Technologien sollten wir am besten immer ein Stück voraus sein. Aber für mich ist vor allem wichtig, der Vertrauenskrise im Journalismus entgegenzuwirken – Stichwort Lügenpresse. Etwa indem wir in der Ausbildung Recherchetechniken in den Vordergrund stellen. Beispiel Panama Papers: Hier zeigen Medien, dass Journalismus eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe wahrnimmt. Es geht für mich auch um Technologie, aber in erster Linie um Inhalte.

Nun erfasst der digitale Wandel den Journalismus so rasant, dass Medienunternehmen den Innovationen häufig hinterherhecheln. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch in einer etablierten Journalistenschule oder einem wissenschaftlichen Institut eine gewisse Schwerfälligkeit gibt. Können Sie Schritt halten oder fühlen Sie sich manchmal getrieben von der Wirklichkeit?

Sadrozinski: Nein. Ich habe alle Freiheiten, hier ein modernes Programm zusammenzustellen. Dass es die DJS schon seit mehr als 60 Jahren gibt, hat in der Frage der Veränderung der Ausbildung keine Bedeutung.

Also wenn fundamentale Innovationen aufkommen, können sie beim folgenden Jahrgang schon im Lehrplan verankert werden?

Sadrozinski: Ja, unbedingt.

Lobigs: Wir sind für ein wissenschaftliches Institut auch noch recht flexibel. Allein aus Tradition heraus, weil das von uns vermittlete Volontariat von Anbeginn ein Bestandteil des Studiums war. Wir stehen immer unter dem Druck, zu den namhaften Medienpartnern Studierende zu schicken, die dort schon in jungem Alter mithalten können. Das macht uns flexibler, als Universitäten normalerweise sind, schlicht, weil wir es eben sein müssen. Aber natürlich haben wir Uni-Strukturen und da ist es schwierig, einen Studiengang mal eben immer wieder komplett neu aufzustellen. Diesen technologischen Innovationen müssen wir uns aber trotzdem immer wieder anpassen und die Debatte darüber reißt nicht ab.

Was ist denn dran an dem Argument, Herr Lobigs, Journalismus könne man nicht im Hörsaal lernen?

Lobigs: Es gibt mittlerweile tatsächlich ein Spannungsfeld, das sich früher gut ergänzt hat: Forschung und Lehre. Das Ideal des Instituts war immer, Forschung und Lehre zu integrieren. Die Verzahnung von Theorie und Praxis war und ist unser Mantra. Das wird zunehmend schwierig, weil der wissenschaftliche Diskurs von den Professuren sehr spezialisierte Forschung verlangt und nicht per se die Hinwendung zu allen brandaktuellen praktischen Problemen. Wir sollten das trotzdem tun. Da müssen wir höllisch aufpassen, unserem Mantra auch künftig gerecht zu werden. Herr Sadrozinski in München hat es da einfacher.

Sadrozinski: Naja, wir haben ja auch zwei Ausbildungswege. Einmal die klassische Kompaktausbildung ausschließlich an der Schule. Diese Schüler haben meistens vorab ein Studium absolviert. Das zweite ist der Masterstudiengang, also eine Kombination aus Studium und Journalistenschule. Das ist schon eine gute Ergänzung. Die Masterarbeiten beackern viele aktuelle Themen. Kürzlich etwa habe ich mit einer Studentin gesprochen, die sich in ihrer Arbeit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht widmen wird.

Lobigs: Klar, es kann sich wunderbar ergänzen, und dies sollten wir unbeirrt nutzen.  

Herr Sadrozinski, wünschen Sie sich denn manchmal mehr Unterstützung aus der Wissenschaft, etwa in Form von fundierten Studien oder innovativen Konzepten?

Sadrozinski: Hier in München habe ich diese Unterstützung. Unsere Professoren am Institut für Kommunikationswissenschaften der Ludwig Maximilians Universität sind recht jung und verstehen ihre Fachrichtung nicht wie früher vor allem als „Zeitungswissenschaft“. Das ist frischer und moderner geworden.

Junge Journalisten bekommen gerne gesagt, sie sollen alles können: Edelfeder, Rechercheur, alle Medien von Print über Radio bis TV beherrschen, dazu die Social Media-Tools und am besten sollen Sie auch noch Experte für ein Thema sein. Überfordert die Digitalisierung und damit auch Sie als Ausbilder den Nachwuchs?

Sadrozinski: Den Eindruck habe ich nicht. Wir fordern sicherlich viel. Das ist aber mein Anspruch, den ich an mich stelle und an jeden, den wir hier aufnehmen. Unseren Schülern wird sicherlich nichts geschenkt und die Gefahr der Überforderung besteht seit einigen Jahren zweifelsfrei. Die Unternehmen wollen aber gar keine “eierlegende Wollmilchsau” mehr. Diesen Irrweg haben die Redaktionen schnell erkannt. Es ist eher wichtig, dass junge Journalisten alle Medien mitdenken: Dass zum Beispiel Radio-Reporter auch auf dem Schirm haben, für Online eventuell etwas mitzubringen.

Lobigs: Ich denke auch nicht, dass die Studenten das Problem sind. Die sind sehr gut. Sie könnten eigentlich noch mehr gefordert werden. Es ist doch unsere Aufgabe, das anzubieten, was für die Praxis tauglich ist. Die zentrale Frage ist, wie gut unsere Ausbildung ist und wie die Unternehmen das annehmen.

Und machen Sie es gut?

Lobigs: Ich denke, jeder weiß, dass man es nicht perfekt machen kann. Entscheidend ist, sich ehrlich zu bemühen, und wie wir uns im Benchmark-Vergleich zu anderen Anbietern schlagen. Da bin ich sicher, dass wir weiterhin gut dabei sind im Wettbewerb.

Wie? Sie sagen, Sie machen es nicht perfekt, aber die Wettbewerber sind eben auch nicht besser?

Lobigs: Sie bekommen von mir weder ein falsches Eigenlob noch eine Abwertung der “Konkurrenz”.  Das maße ich mir nicht an. Ich sehe vielerorts interessante und gut aufgestellte Angebote, und ich sehe auch bei uns Herausforderungen und Anpassungsdruck an neue Realitäten. Nehmen Sie zum Beispiel den Master-Studiengang “Digital Journalism” an der HMS: Für den digitalen Journalismus ist dieser auch für uns eine anspornende und inspirierende Benchmark.  

Was heißt das Ganze für die Veränderung Ihrer Programme: Worauf verzichten Sie mittlerweile, was ist hinzugekommen?

Lobigs: Wir haben einige fachliche Dinge im Studium, etwa „Institutionen der EU“. Das können sich Journalisten anlesen, wenn Sie es im Job brauchen. “Sachkunde” als reines Stoffpauken? Können wir alles streichen! Wichtig geworden sind hingegen Medienrecht im Digitalen oder Medienökonomie, um Zusammenhänge mit Blick auf den Markt zu verstehen. Und hinzu kommt eben die neue digitale Welt. Das ergänzen wir in der praktischen Ausbildung, aber auch in der theoretischen Durchdringung: Was heißt das für die Entwicklung des Journalismus? Wie wird er sich verändern? Wie kann seine öffentliche Aufgabe auch in Zukunft gesichert werden?

Sadrozinski: Ich finde es schwierig, Dinge pauschal wegzulassen. Journalismus bedeutet auch Vielfalt. Wenn ich nun Sport-, Kultur-, Wissenschafts- oder Wirtschaftsjournalismus streiche und dafür andere Projekte einsetze, gebe ich als Ausbilder eine Chance aus der Hand. Eine Ausbildung bei uns soll eine gute Grundausbildung sein und Orientierung bieten, was möglich ist. Daher will ich gar nichts streichen, ich möchte junge Leute für den Beruf begeistern.

Sie stehen beide in Kontakt mit den Chefetagen deutscher Medienunternehmen. Die DJS wird von vielen Medien mitgetragen, Dortmund vermittelt seinen Studierenden jedes Jahr Volontariate. Was wollen die Medien eigentlich für Leute derzeit?

Sadrozinski: Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe Anfragen aus Redaktionen, die suchen tolle Autoren. Andere brauchen Videoprofis, die neue Tools ausprobieren. Das ist sehr facettenreich und genau deswegen dürfen wir uns nicht zu stark beschränken auf bestimmte Technologien. Ein paar Grundpfeiler müssen wir einfach abstecken in der Ausbildung: Wer die DJS verlassen hat, der soll fundiert recherchieren, vernünftig redigieren, sich stilistisch sauber ausdrücken können.

Klingt recht klassisch.

Sadrozinski: Aber genau darum geht es: Gewisse Traditionen und Kennzeichen des Journalismus in der neuen Zeit weiter zu pflegen. Journalistische Qualität müssen wir auch in den digitalen Kanälen hochhalten.

Lobigs: Es gibt heute den klaren Anspruch, dass unsere Absolventen multimedial arbeiten können. Jörg Sadrozinski hat ja zum Beispiel das neue trimediale Denken und Arbeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angesprochen. Das müssen die jungen Leute drauf haben. Und nun erwarten die Arbeitgeber zusätzlich noch von ihnen, dass sie auch für die neuen digitalen Kanäle, für die unterschiedlichen algorithmisch gesteuerten Plattformen und für die sozialen Netzwerke gute Kenntnisse mitbringen – das fehlt noch in den Redaktionen, und deshalb ist es für eine marktorientierte Ausbildung essenziell. Dieses blöde kritische Schlagwort von der “eierlegenden Wollmilchsau” finde ich, ehrlich gesagt, zunehmend bescheuert: Für mich ist diese Breite an Kompetenzen schlicht eine sinnvolle Anpassung an Innovationen. Solche Herausforderungen bietet die Digitalisierung ja nicht nur für Journalisten. Lassen wir das Jammern darüber, es ist vor allem auch eine Chance für die Jüngeren, sich zu profilieren.

Gibt es bei den drei grundsätzlichen Ausbildungsmodellen – Studium, Journalistenschule, Verlagsvolontariat – Ihrer Meinung nach eines, das auf diese Anforderungen des Marktes am besten reagieren kann?

Sadrozinski: Das hängt eher an den Institutionen und Personen als am Modell. Natürlich würde ich als Leiter der DJS jedem empfehlen, sich bei uns zu bewerben. Aber es gibt eben viele Wege in den Journalismus und das ist gut so. Ich würde die Frage anders stellen: Ist die Institution bereit, sich dem Wandel zu stellen? Wie flexibel kann sie auf Neues reagieren? Ich kann mir vorstellen, dass auch an einer Universität gut gelehrt wird und die Absolventen einen Job finden. Andererseits gibt es auch scheinbar praxisnahe Ausbildungseinrichtungen, die nicht das einhalten, was sie versprechen.

Lobigs: Ich würde hier auch eher nach Ausbildungsstätten differenzieren. „Wir bilden Euch gut aus!“ Es ist eine große Herausforderung, das heute guten Gewissens selbstbewusst in die Welt zu rufen. Da zählt letztlich wohl vor allem das immer wieder neu zu verdienende Renommee wie das der DJS, das sich die Schule über Jahrzehnte hart erarbeitet hat.

Haben Sie das Gefühl, dass diese Debatte um die Zukunft der Journalistenausbildung von den Ausbildern ernsthaft geführt wird? Oder will im harten Wettbewerb jeder für sich ein Angebot schmieden, das die besten Bewerber anlockt?

Sadrozinski: Es gibt beispielsweise die Initiative Qualität, in der sich Kollegen regelmäßig austauschen. Es gibt die Runde der Leiterinnen und Leiter der Journalistenschulen und Akademien. Und es gibt die EJTA, die European Journalism Training Association, die die Diskussionen auf europäischer Ebene führt. Wir veranstalten aber keine großen Konferenzen aller Ausbildungseinrichtungen und entsprechend gibt es keine wirkliche deutschlandweite Diskussion mit dem Ziel einer Vereinheitlichung der Journalistenausbildung.

Lobigs: Naja, ich sehe schon eher einen Wettbewerb der Institutionen, der teilweise kontraproduktiv ist. Ich will gar nicht behaupten, dass wir die besten sind. Fachhochschulen haben zum Beispiel oftmals sehr viel praktisch bewanderte Lehrpersonen und eine gute Ausstattung. Da müssen wir erst einmal mithalten. Das Angebot ist insgesamt extrem groß und die Frage ist, welche Wirkung das hat. Manchmal würde ich mir schon einen klugen zentralen Planer wünschen, der Angebot und Nachfrage sinnvoll regulierte und die jeweiligen Qualitätsansprüche transparent machte. Das würde vor allem für die jungen Menschen mehr Entscheidungssicherheit bringen. Dies ist aber natürlich eine naive und heute realitätsferne Sehnsucht. Und so haben wir eine große Reklame-Schlacht der Anbieter und für die Abiturienten oder Bachelor-Absolventen ist es schwierig zu beurteilen, was ein Angebot wirklich leistet.

Wird sich dieses Überangebot denn von selbst regulieren am Markt?

Sadrozinski: Davon gehe ich aus. Schon allein die demografische Entwicklung zeigt, dass es bald einfach weniger junge Leute gibt, die wir ausbilden können.

Lobigs: Dem kann ich als Ökonom nur zustimmen. In einigen Jahren werden wir weniger Angebote sehen als heute – und das muss keine schlechte Entwicklung sein.


In der kommenden Woche widmen wir uns an dieser Stelle ausführlich dem dritten Ausbildungsmodell: den Verlagen. Swantje Dake von den Stuttgarter Nachrichten schreibt über die Anforderung an ein modernes Volontariat – und zur Frage, ob der Lokaljournalismus für junge Journalisten als Einstieg immer noch geeignet ist.

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