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Vor und nach Gaddafi: Wer schwarz ist, wird gejagt

Vergangenes Jahr reiste unser Autor für den NDR zu Recherche- und Dreharbeiten nach Libyen, um über die Situation der Schwarzafrikaner im alten und neuen Libyen zu berichten. Ein Text über seine Erfahrungen in der Krisenregion.

Die Vorgeschichte: Anfang Mai 2011 war ich zum ersten Mal in Tripolis. Damals regierte der libysche Machthaber Gaddafi noch von seinem gesicherten Refugium Bab al-Aziziya aus. Nato-Luftstreitkräfte bombardierten das Land, die bewaffnete Aufstandsbewegung hatte die Kontrolle über den gesamten Osten, das Nafusa-Gebirge im Westen und die Küstenstadt Misrata an sich gerissen. Bei dieser Reise will ich unter anderem das Schicksal jener recherchieren, die zwischen die Fronten dieses Krieges geraten sind: der Schwarzafrikaner.

Wegen des von den Vereinten Nationen verhängten Flugverbots über Libyen reiste ich auf dem Landwege, über die tunesisch-libysche Grenze. Dafür hatte ich mir ein Journalistenvisum für die „Große Sozialistische Arabische Libysche Volksmassenrepublik“ an der libyschen Botschaft in Kairo besorgt. An der tunesisch-libyschen Grenze wurden ich und Kameramann Juan-Pablo Mondini zusammen mit etwa einem Dutzend anderer ausländischer Journalisten mit einem Kleinbus des Informationsministeriums abgeholt und in ein Luxushotel in Tripolis gebracht. Dort saßen wir in der Nacht auf der Veranda, rauchten Wasserpfeife und hörten die angreifenden Nato-Flugzeuge, spürten die lauten Erschütterungen nach ihren Bombenabwürfen. Die ganze Zeit standen wir unter der strikten Kontrolle der libyschen Regierungsleute, die versuchten, uns zu instrumentalisieren. Ihr Plan war, dass wir die Schäden der Bombardierungen dokumentierten und Pressekonferenzen von Regierungsvertretern aufzeichneten, um daraus Nachrichtenbeiträge für unsere Heimatredaktionen zu machen. Der einseitige Tenor, das war uns klar, sollte sein: So brutal bombt die Nato gegen die Zivilbevölkerung. Und: So heldenhaft widersteht die Libysche Armee den Angriffen der Aufständischen.

Auf eigene Faust

Wir durften das Hotel nur in Gruppen in einem Regierungsbus und in offizieller Begleitung verlassen. Das journalistische Ergebnis unter diesen Arbeitsbedingungen erschien mir höchst unbefriedigend. Deshalb lotete ich die Grenzen unserer Bewegungsfreiheit aus. So machte ich mich auf, um mit dem Kameramann das Hotelgelände zu Fuß zu verlassen. Prompt wurden wir von einem Wachmann aufgehalten. Ich sagte ihm: „Ich bezahle nicht 350 Dollar pro Nacht, um in einem Gefängnis zu leben.“ Er ließ uns schließlich gehen. Wir schafften es, ein Taxi zu ergattern – endlich konnten wir auf eigene Faust in Tripolis recherchieren.

Von Flüchtlingsorganisationen in Europa hatte ich gehört, dass es an der libyschen Küste zuletzt zu mehreren schweren Schiffsunglücken gekommen war, bei denen Hunderte Schwarzafrikaner ertrunken seien. Diesen Hinweisen wollte ich nachgehen. Ich kannte die Kriegsreden Gaddafis, in denen er gedroht hatte, Europa als Vergeltung für den Nato-Einsatz mit Schwarzen aus Afrika zu überschwemmen. Ich bat den Taxifahrer, uns zu einer christlichen Kirche in Tripolis zu bringen. Dort vermutete ich eine Anlaufstelle für Schwarzafrikaner, da die meisten aus christlich dominierten Ländern kamen.

Tatsächlich trafen wir dort einige Flüchtlinge, die unter anderem vom Untergang eines Bootes mit mehr als 600 Menschen vor dem Hafen von Tripolis berichteten. Wir fuhren zum Hafen. Dort wurden wir allerdings von der Polizei aufgehalten. Man nahm unsere Pässe, ließ uns eine halbe Stunde lang warten, gab uns dann die Papiere zurück und forderte uns auf, umgehend ins Hotel zurückzukehren, was wir auch taten.

Für 800 Dollar nach Europa

Am nächsten Tag verließen wir das Hotel erneut auf dieselbe Weise und nahmen uns wieder ein Taxi. Diesmal fragte ich den Fahrer, wo es in der Nähe Sammelpunkte von Schwarzen gebe, die aus den libyschen Kriegsgebieten geflüchtet seien und nun nach Europa wollten. Er fuhr uns zu einem Militärhafen circa zwölf Kilometer westlich von Tripolis. Von weitem sah ich, dass am Tor auf der Freifläche vorm Hafeneingang Trauben von Schwarzafrikanern mit Bündeln und Tüten in der Hand lagerten – Männer, Frauen und Kinder. Einige gingen an den Wächtern am Eingangstor vorbei, ohne aufgehalten zu werden.

Wir fuhren ein Stück zurück, um nicht von den Wächtern am Hafeneingang gesehen zu werden. Bei einer Gruppe Schwarzafrikaner hielten wir an. Ich sprach sie auf Französisch an. Sie kamen aus der Elfenbeinküste. Sie sagten, von dem Militärhafen würden die Flüchtlingsboote in See Richtung Europa auslaufen. Der Preis pro Person liege bei 800 Dollar. Die Schleuser seien libysche Militärs. Sie selbst hofften auch, einen Platz auf einem Boot zu bekommen. Bevor wir aussteigen und ein Interview aufzeichnen konnten, kam ein Polizeiwagen angeprescht. Die Schwarzafrikaner ergriffen die Flucht, wir wurden festgenommen und mussten den Polizisten auf die Polizeistation folgen. Dort wurden unsere Personalien aufgenommen. Der Taxifahrer wurde länger befragt. Nach circa drei Stunden Warten wurden wir von einer Polizeistreife zurück zum Hotel eskortiert und aufgefordert, das Hotel nicht mehr ohne offizielle Begleitung zu verlassen. Damit war diese Recherche vorläufig beendet, ohne dass etwas für das ARD-Fernsehen Verwertbares dabei herausgekommen wäre.

Der zweite Anlauf

Diese im Mai ohne Ergebnis abgebrochene Recherche nahm ich Ende August 2011 im Auftrag der „Panorama“-Redaktion des NDR wieder auf, nachdem Gaddafi aus Tripolis vertrieben und die Hauptstadt von den Rebellen eingenommen worden war. Ein Journalistenvisum war nun für die Einreise nicht mehr notwendig. Der SWR hatte als zuständige ARD-Anstalt eine private Sicherheitsfirma mit Sitz im südafrikanischen Johannisburg gegen ein sattes Honorar beauftragt, für die Unversehrtheit der ARD-Mitarbeiter in Tripolis einschließlich der sicheren Anreise dorthin zu sorgen. So schloss ich mich auf der tunesischen Insel Djerba einem ARD-Konvoi an, den die Firma organisiert hatte. Weil die Küstenstraße nach Tripolis als zu unsicher galt, machten wir einen Umweg weiter südlich durch die Wüste und das Nafusagebirge. An der libyschen Grenze sollte uns ein zweites Team der Sicherheitsfirma in Empfang nehmen und uns weiter nach Tripolis begleiten. Dieses zweite Team tauchte jedoch nicht auf, so dass der ARD-Tross widerstrebend beschloss, wieder nach Djerba zurückzukehren.

Ich hatte von einer vorherigen Drehreise während des Krieges in das Nafusagebirge Kontakte zu Rebellen in der grenznahen libyschen Stadt Nalut. Gemeinsam mit einem Team des ZDF, das auch auf keinen Fall umkehren wollte, fuhren wir auf eigene Faust nach Nalut. Dort fanden wir bewaffnete Rebellen, die bereit waren, uns für 300 Euro nach Tripolis zu begleiten. Acht Stunden später, nachdem wir unzählige Straßenposten der Aufständischen passiert hatten, kamen wir in der befreiten Hauptstadt an. Zusammen mit Kameramann Jörn Schulz bezog ich ein Zimmer im Luxushotel Mahari, in dem es weder fließendes Wasser noch Strom gab. Die Fensterscheibe war von Einschüssen durchlöchert – Spuren der Straßenkämpfe während der vergangenen Tage, bei denen Gaddafi und seine Getreuen zum Rückzug und zur Flucht nach Sirt gezwungen worden waren. Da wir gehört hatten, dass es in Tripolis zu Versorgungsengpässen komme, hatten wir unter anderem aus Tunesien circa hundert Flaschen Trinkwasser mitgebracht.

Hexenjagd auf alle Schwarzen

Am nächsten Tag konnte ich einen libyschen Fahrer verpflichten, der uns in den Militärhafen westlich von Tripolis brachte, wo wir bereits im Mai gewesen waren. Diesmal waren keine Wachsoldaten mehr da, dafür Tausende afrikanische Flüchtlinge, die unter erbärmlichen Umständen dort ausharrten. Viele berichteten uns von ihrer Angst vor Racheakten im befreiten Libyen. Denn die Rebellen hielten sie pauschal für Söldner Gaddafis, die dieser während seiner Regierungszeit aus Schwarzafrika verpflichtet hatte. Obwohl sie Flüchtlinge seien, hätten Gaddafis Kämpfer sie zuvor während des Krieges bereits wie Tiere behandelt. Schwarze seien auf seeuntaugliche Boote getrieben worden, viele seien dabei gestorben oder ertrunken. Seit Kriegsende gebe es nun Razzien der Gaddafi-Gegner in Tripolis, bei denen Schwarze wahllos festgenommen und in Gefängnisse gesteckt würden. Man würde sogar Schulen in Gefängnisse für Schwarze umfunktionieren. Freunde, die losgezogen seien, um etwas zu essen zu suchen, seien nicht wiedergekommen, weil sie offenbar festgenommen, eingesperrt oder vielleicht getötet worden seien.

Schließlich gelang es uns, ein Gefängnis in Tripolis zu finden, in dem Hunderte Schwarze festgehalten wurden. Die Wärter dort, einfache Polizisten, waren offensichtlich überfordert. Sie berichteten, dass die Rebellen die Schwarzen abgeliefert und angeordnet hätten, sie hier in Zellen zu stecken, da sie Gaddafi-Söldner seien. Wir bekamen Gelegenheit, mit den Inhaftierten zu sprechen und sie zu filmen. Sie sagten übereinstimmend, sie seien Flüchtlinge und hätten in Libyen in der Landwirtschaft, in der Müllabfuhr, als Verkäufer oder als Hausangestellte gearbeitet. Dies erschien uns glaubwürdig. Es war bekannt, dass im reichen Ölstaat Libyen viele Gastarbeiter aus Schwarzafrika beschäftigt waren, vor allem für niedere Arbeiten, die kaum ein Libyer machen wollte. Es war offensichtlich, dass die allermeisten Schwarzafrikaner in Libyen diesen Hintergrund hatten.

Dass es auch schwarze Söldner im Dienste Gaddafis gab, hatte ich selbst gesehen, als ich im Februar 2011, zu Beginn des Krieges, in Baida, im Osten, von den Rebellen gefangene Söldner aus Tschad und Niger interviewt und gefilmt hatte („Weltspiegel“ vom 27. Februar 2011). Nur war dies nicht die Mehrheit. Das Söldnerthema war von den Rebellen aufgebauscht worden und führte jetzt unterschiedslos zu einer Hexenjagd gegen alle Schwarzen in Libyen.

Weiterhin ein riskantes Terrain für Flüchtlinge

Wie in Gaddafis Libyen während des Krieges mit den schwarzen Flüchtlingen umgegangen worden war, erfuhren wir dann im Hafen von Tripolis. Dort fanden wir zwei Flüchtlingskutter – einer lag noch auf dem Meeresgrund, der andere war erst kürzlich gehoben worden. Nach intensiver Befragung von Hafenmitarbeitern und Offizieren der Küstenwache wurde klar, dass bei dem gehobenen Kutter mehr als 600 Flüchtlinge an Bord gewesen waren, als er beim Auslaufen Ende April gesunken war; etwa die Hälfte der Passagiere kam dabei um. Deren Habseligkeiten lagen umher. Der noch nicht gehobene Kutter berge noch zahlreiche Leichen, berichteten die Zeugen weiter.

Vor dem Aufstand gegen Gaddafi war der Despot ein wichtiger Verbündeter Europas im Kampf gegen die Migration über das Mittelmeer. Da ich vermutete, dass die neue libysche Führung in diesem Punkt Kontinuität zeigen würde, suchte ich nach Belegen für diese These. So verschaffte ich mir die Terminplanung des neuen libyschen Innenministers, den ich schließlich am provisorischen Sitz der Übergangsregierung treffen konnte. Im Interview stellte sich heraus, dass er bereits mit europäischen Amtskollegen konferiert hatte. Sie hätten ihm von ihren Sorgen wegen der Migration von Schwarzafrikanern via Libyen berichtet. Er habe den Europäern zugesagt, diese Migration strikt zu bekämpfen. Die brutale Verfolgung von Schwarzafrikanern in Libyen nach dem Sturz Gaddafis war bei den Gesprächen zwischen den Innenministern allerdings kein Thema. Libyen als Vorhof der „Festung Europa“ bleibt somit weiterhin ein höchst riskantes Terrain für Flüchtlinge.


Quellennachweise: „Die Schleuser von Tripolis“, ARD 2011; „Schwarze in Libyen: Opfer der Befreiung“, ARD 2011.

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