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Pole Dance – erotischer Stangentanz oder olympische Disziplin?

Von wegen weibliche Selbstbemächtigung: Unter dem Tarnmantel der Emanzipation bahnt sich Pole Dance den Weg nach Olympia. In den Medien funktioniert die nackte Haut. Über die Pornografisierung des Sports.

Zu den zentralen Aufgaben des Sportjournalismus gehört es, die Ausdifferenzierung des Sports nachzuvollziehen. Die Sportentwicklung bringt nicht nur immer neue Höchstleistungen und Helden hervor, sondern auch eine Reihe von Kuriositäten und Schattenseiten. Daher stehen jenseits der klassischen „1:0-Berichterstattung“ und Mythenbildung auch bedenkliche Trends im Fokus des journalistischen Interesse. Einen solchen Fall markiert das Bemühen, Pole Dance als Sportart – sogar als olympische – zu etablieren.

Kein Scherz. Vielmehr ein Lehrstück über den Zustand des Sports in unserer Gesellschaft und speziell die Kräfteverhältnisse und vorherrschenden Geschlechterstereotype im Sportjournalismus.

Pole Dance bezeichnet ursprünglich eine Tanzform, die insbesondere im Rotlichtmilieu in Kombination mit Striptease angeboten und mit einer oder mehreren in der Regel fest montierten Stangen betrieben wird. Neuerdings erlebt der Stangentanz einen Boom in Fitnesscentern, Tanzstudios und eigenen „Pole Dance Academies“, wobei die Inhaber betonen, dass hier die sportlichen Aspekte im Vordergrund stehen. Neben den turnerischen und akrobatischen Herausforderungen – nämlich dem Training mit dem eigenen Körpergewicht – wird darauf verwiesen, dass die spärliche Bekleidung zwingend erforderlich wäre, da die nackte Haut mehr „grip“ an der Stange verspricht.

Inzwischen finden sogar Meisterschaften im Stangentanz statt. Allein im letzten Jahr nahmen an der WM-Endrunde 39 Frauen aus 26 Ländern teil. Dabei erfährt Pole Dance eine kontinuierliche Weiterentwicklung: Es existieren mittlerweile mehr als 500 Elemente, die professionelle oder besser sportliche Vorführungen an der Stange aufweisen (können). Der Fitness- und auch Lifestyleeffekt ist unübersehbar. Deshalb hat sich Pole Dance in den letzten Jahrzehnten von einer Aktivität aus dem Rotlichtmilieu und der Zirkus-Akrobatik heraus zu einer gesellschaftlich akzeptierten Freizeitaktivität etabliert – übrigens auch deshalb, weil der Stangentanz in Hollywood-Filmen („Striptease“) respektive TV-Serien („Desperate Housewives“) thematisiert und von zahlreichen prominenten Schauspielerinnen (etwa Kate Hudson, Nicole Kidman, Eva Longoria) und Musikerinnen (Madonna, Miley Cyrus, Britney Spears) medienwirksam als angesagter „Fitnesstrend“ ausgeübt wird.

Aus dem Rotlichtmilieu in die olympische Familie

Angetrieben von der World Pole Sport Federation bahnt sich diese Bewegungskultur nun den Weg aus dem Rotlichtmilieu in die olympische Familie. Bei den Spielen in Brasilien (2016) könnte der Stangentanz erstmals als olympische Disziplin vertreten sein, falls sich das Olympische Komitee zu dieser Entscheidung durchringt.

Die Chancen stehen jedoch gar nicht so schlecht. Denn der Sport gilt als eine der letzten männlichen Refugien, in denen in besonderer Weise Geschlechterhierarchien reproduziert und zementiert werden. So sind die Schlüsselpositionen in Sportverbänden, Redaktionen und Unternehmen überwiegend mit Männern besetzt, die damit über einen Großteil der Bedeutungs- und Definitionsmacht verfügen. Sie entscheiden, welche Sportart bei internationalen Events vertreten ist, über welche Athlet(inn)en wie redaktionell berichtet wird und wer letztlich seinen sportlichen Erfolg in der werblichen Anschlusskommunikation kommerzialisieren darf.

Dem greisen Funktionärspatriarchat dürfte Pole Dance als neue olympische Sportart entgegen kommen – lassen sich hierdurch doch neue Fangruppen erschließen und die männliche Zuschauerschaft „bei der Stange halten“. Bereits in der Vergangenheit forderten Verbandsverantwortliche „attraktivere Kleidung“ für Sportlerinnen, um primär das marktrelevante Segment potenzieller Sponsoren zu vergrößern und die Gewinnmaximierung zu erhöhen. Nun müssen sie nicht mehr mühevoll eine ganze Sportart feminisieren, sondern können mit Pole Dance eine körperliche Aktivität präsentieren, die sich als „Sporno“ – der Schnittmenge zwischen Sport und Porno – widerstandslos männlichen Vermarktungsstrategien unterwirft.

Eleganz, Anmut, Sporno

Verbündete für diese Sexualisierung des weiblichen Sportkörpers finden die Funktionäre in der profitorientierten Sport-Medien-Wirtschafts-Allianz. Auch die Sportressorts sind mit gerade einmal acht Prozent Redakteurinnen männlich dominiert. Der redaktionelle Auswahlprozess richtet sich insofern primär nach den Präferenzen der männlichen Entscheider, die eine Medienrealität konstruieren, die sich zudem an den Wünschen der überwiegend männlichen Rezipienten orientiert. Daher fokussiert sich die Sportberichterstattung oftmals nur auf solche Athletinnen, die traditionelle Weiblichkeitskonzepte aufrechterhalten. Dazu zählen insbesondere Vertreterinnen der sogenannten ästhetisch-kompositorischen Sportarten, wie etwa Turnen und Eiskunstlauf, bei denen Eleganz und Anmut im Vordergrund steht. Abweichungen von diesem heteronormativen Frauenideal werden mit redaktioneller Ausgrenzung gestraft, sodass in Folge eine Akquise von Sponsoren – die zur Existenzsicherung der Profisportlerin erforderlich ist – deutlich erschwert wird.

In diesem Kontext ist anzumerken, dass von männlichen Sportakteuren im globalen Konkurrenzkampf um hoch dotierte Werbeverträge zunehmend auch ein attraktives Äußeres erwartet wird. Allerdings stellt die physische Attraktivität für Sportler kein Muss, sondern ein Plus dar, denn über sie wird auch dann berichtet, wenn sie nicht dem maskulinen Schönheitsideal entsprechen, während ihre Kolleginnen ohne entsprechende Attribute kaum eine redaktionelle Verwertbarkeit aufweisen. Dabei ist diese unterschiedliche Behandlung der Geschlechter in der Sportberichterstattung offensichtlich.

Auch wenn sich gegenüber Untersuchungen aus den achtziger Jahren der Anteil von Athletinnen in der bundesdeutschen Sportberichterstattung mehr als verdoppelt hat, so liegt er heute in keinem tagesaktuellen Massenmedium – also Tageszeitungen, Hörfunk, Fernsehen wie Internet – über 15 Prozent. Ein Wert, der in den meisten Ländern – vor allem außerhalb Europas – deutlich unterschritten wird. Die geringe Medienpräsenz von Sportlerinnen spiegelt damit in keiner Weise die tatsächliche Partizipation von Frauen im Profisport sowie ihre internationalen Erfolge wider.

Mit „Come on“-Blick inszeniert

Verschärfend auf diese Marginalisierung von Athletinnen wirkt sich die zunehmende Sexualisierung des Mediensports aus. Bei dieser visuellen Repräsentationsstrategie wird primär der weibliche Sportkörper in den Mittelpunkt der Bilder gerückt. Die redaktionelle und werbliche Darstellung von Athletinnen erfolgt in erotischen Posen, ihr Aussehen und ihre sexuelle Ausstrahlung werden zur wichtigsten (Bild-)Aussage, während die erzielten Leistungen in den Hintergrund treten. Im wahrsten Sinne des Wortes liegt der Fokus auf den sexuell konnotierten Körperpartien der Sportlerinnen – Gesäß, Beine oder Busen.

Zudem werden Einblicke auf intime Körperzonen gewährt (etwa unter den Rock einer Tennisspielerin) oder Sportlerinnen bewusst mit einem „Come on“-Blick inszeniert. Diese Verknüpfung von Sport und Sexualität ist jedoch kein neues Phänomen, sondern lässt sich bereits seit Mitte der Achtziger medien- und kulturübergreifend beobachten. Internationale Studien zeigen zudem, dass die Motive teilweise sogar Ähnlichkeiten mit Softpornos aufweisen. Darüber hinaus findet eine weitere Pornografisierung des Mediensports statt, indem etwa Sportarten so erotisiert werden, dass sie ausschließlich auf den männlichen Blick ausgerichtet sind, wie die American-Football-Variante der US-amerikanischen „Lingerie League“. Hier ist der Name Programm: gespielt wird in Dessous, die sportliche Leistung verkommt zur Nebensache.

Freudige Berichte über jedes Stückchen nackte Haut

Die Etablierung von Pole Dance als olympische Disziplin kann in diesem Kontext nur als eine weitere Steigerung auf der Spornografisierungstreppe betrachtet werden, auf der sich die Medieninhalte immer weiter vom Sport entfernen. Während sich die „Lingerie League“ immerhin noch auf American Football und damit eine originäre Sportart bezieht, lässt sich der Stangentanz nach strenger Definition nicht als solche bezeichnen. Die Olympiabewerbung ist vielmehr als Versuch zu werten, die Aktivität aus dem Rotlichtmilieu als Sportart zu legitimieren. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die weiblichen Verbandsverantwortlichen in den nationalen olympischen Sportbünden Widerstand gegen die Pornografisierung des Sportevents angekündigt haben.

Und der Sportjournalismus? Berichtet weiterhin freudig erregt über jedes Stückchen Haut, dass weibliche Sportprofis mehr oder weniger freiwillig präsentieren. Ganze Bildergalerien (halb-) nackter Athletinnen finden sich auf den Webportalen der großen Tageszeitungen zum durchklicken. Ohne Ausnahme – denn „Sex sells“ gilt auch für die sogenannten Qualitätszeitungen, die aber zumindest in ihrer Printversion vereinzelt die Sexualisierung des Sports bemängeln. Im Gegensatz zu den weiblichen Funktionären zeigen die wenigen Sportredakteurinnen oftmals eine unkritische Haltung gegenüber den dominanten, vom journalistischen Patriarchat erzeugten und verbreiteten Repräsentationen von sexualisierten Sportlerinnen.

Stattdessen versuchen sie etwa Pole Dance als eine weitere Form weiblicher Selbstbemächtigung anzupreisen. Ob sie sich als „Quotenemanzen“ in den Redaktionskonferenzen nicht durchsetzen wollen oder können und insofern auch als Opfer des Sexismus im Mediensport anzusehen sind, lässt sich an dieser Stelle nicht klären. Wünschenswert wäre es jedoch, dass sie nicht mehr als Erfüllungsgehilfinnen der symbolischen Geschlechterordnung agieren und stattdessen stärker Stellung gegen die Präferenzen ihrer dominanten männlichen Kollegen beziehen.

Insgesamt scheinen sich die Sportressorts der Konsequenzen der Sexualisierungsstrategie nicht bewusst zu sein. Solche Inszenierungen verstärken die Reduzierung von Frauen als Objekte der männlichen Begierde und verbreiten ein einseitiges, herabgesetztes Bild von Athletinnen – ihre Erfolge und Titel werden bagatellisiert. Es entsteht der Eindruck, dass die Leistungen von Frauen eine wesentlich geringere Bedeutung im Profi-Sport einnehmen, sodass die Sexualisierung des Körpers nicht nur zu einer Entsportlichung von Frauen, sondern auch zu einer Entwertung des Frauensports beiträgt. In diesem Kontext besteht die zentrale Aufgabe des Sportjournalismus darin, die Sexualisierungsbemühungen der Verbände und Vermarkter nicht kritiklos zu übernehmen, sondern deutlich in ihre Schranken zu verweisen.


Eine weiterführende Diskussion zur Thematik findet sich im Buch „Die Sexualisierung des Sports in den Medien“, herausgegeben von Daniela Schaaf und Jörg-Uwe Nieland (Herbert von Halem Verlag, 2011).

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