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Olle Kamelle, Mann!

Nicht nur Frauen kämpfen mit medialen Stereotypen. RTL setzt dem Trend, für die Zielgruppe Mann zu produzieren, mit einem neuen Sender die Krone auf – eine Klischeeexplosion, die man nicht auf sich sitzen lassen sollte!

Nein, Männer sind aktuell wirklich nicht zu beneiden. Nachdem die Medienlandschaft sie viele Dekaden mehr oder weniger erfolgreich ignoriert und in glücklicher Ruhe gelassen hatte, um sich beinahe ausschließlich den Frauen zu widmen, wurden mittlerweile auch sie zur Zielgruppe auserkoren.

Jahrhundertlang wussten Männer genau, dass ihre vordringliche Aufgabe darin besteht, die Familie zu ernähren; doch Alleinverdiener-Haushalte gehören der Vergangenheit an, weil Frauen ebenfalls Bestätigung im Beruf suchen und außerdem ein einziges Gehalt oft nicht mehr ausreicht, um einen mehrköpfigen Haushalt zu finanzieren. So bröckelte die Definition des Mannes als Patriarch langsam aber sicher weg – und etwas Neues musste her.

Da mit männlichen Identitätsangeboten endlich Geld zu machen war, ließen sich die Verlage naturgemäß nicht allzu lange bitten. „Men’s Health“, „GQ“, „FHM“, „Maxim“, „Amico“, „Matador“ und wie die Magazine alle heißen, die die Eintrittsschwelle ähnlich niedrig halten wie ihre Schwesterblätter mit den meist noch sinnloseren Namen, entstanden fast allesamt in den neunziger Jahren. Man hoffte schon, das Blabla von der Metrosexualität hörte bald wieder auf und die Medien würden irgendwann vielleicht doch noch verstehen, dass sowohl Männer als auch Frauen anderes benötigen als die Reduktion auf ihre Geschlechtlichkeit und den ewigen Sermon vom ach so Typischen.

Doch nein, das Unternehmen RTL setzt der Entwicklung im Jahr 2012 tatsächlich noch die Krone auf und hat am 1. April einen Männersender aus der Taufe gehoben. Wobei der sich freilich nicht als „Männersender“ bezeichnet, sondern als „Fernsehen für Helden“. Sein Name: RTL Nitro. Seine zentralen Merkmale laut Selbstdarstellung: „hochwertige Unterhaltung“, „männerorientierter Programm-Mix“ und „perfekte Portfolio-Ergänzung“. Das Problem: Nichts davon ist wahr.

Wäre ich ein Mann, dann würde ich mir ernsthaft überlegen, lautstark Beschwerde einzulegen, am besten bei einem Gleichstellungsbeauftragten. Denn so zeitgemäß und vielfältig sich das Männerbild im Trailer auch vorzustellen versucht, indem es irgendwie jeden Typen integriert (Hauptsache, man kann ihm die Heterosexualität an der Nasenspitze ansehen), so fad und ganz und gar nicht explosiv schmeckt leider das Programm.

Das ist kein „Mix“, sondern eine Unverschämtheit: Das Video reiht sinnlos Action-Szenen mit Rittern, Autos, Flugzeugen und Waffen aneinander, und die Wahrheit präsentiert sich nach einem Blick auf das Programm noch einmal ganz anders. Da findet man nur zwei neue Serien, die allerdings ohne Ritter, Autos, Flugzeuge und Waffen auskommen und keinesfalls nur Männern gefallen dürften, nämlich „Modern Family“ und „Nurse Jackie“. Und ansonsten lauter alte Hüte, deren Namen man bereits erfolgreich verdrängt hatte: „Hör mal, wer da hämmert!“, „Knight Rider“, „Wer ist hier der Boss?“, „Quincy“ und – nein, es tut mir leid, ich kann nicht weiter aufzählen, das ist Folter. Nur Fiction, Fiction, Fiction (mit einem Hauch Scripted Reality) – und nur die richtig abgestandenen Formate. Die einzig spannende Frage: Warum steht „Miami Vice“ eigentlich nicht auf dieser Liste?

Dass auch Männer bald jene Infantilisierung werden erleiden müssen, die dafür sorgt, dass Frauen schon seit Jahren fast nurmehr als „Mädchen“ in den Medien auftreten, war zu erwarten, und deshalb lautet die Anrede von RTL Nitro an das avisierte Publikum natürlich „Jungs“. Offenbar weiß das Fernsehen selbst am besten, dass es mit erwachsenen Zuschauern lieber gar nicht erst rechnen sollte. Und dann heißt es da auch noch: „Ein Mann muss sehen, was ein Mann sehen muss“ – was immerhin von einem gewissen ironischen Potenzial zeugt. Das enttarnt sich jedoch schnell als blanker Zynismus angesichts der Tatsachen, die ein Mann da sehen muss.

Eine olle Kamelle nach der anderen: Das also hält man bei RTL von Männern. Grausamer kann man die Missachtung des sogenannten starken Geschlechts und seiner berechtigten Identitätsunsicherheiten wohl kaum ausdrücken, als wenn man ihm fast ausschließlich Dritt-, Viert-, Fünftverwertungen aus längst vergangenen Zeiten als Männlichkeit verkauft.

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