Zum Inhalt springen

Zu nerdy, zu sexy, zu… ernsthaft?

Spätestens nach Marissa Mayers „Vogue“-Porträt fragen viele Leute: Gibt es so was wie „zu sexy für die IT“? Die sexistische Debatte um Attraktivität und Business-Stereotype hat gerade erst begonnen, fürchtet unsere Kolumnistin.

Dem Business-Netzwerk LinkedIn kann man wahrlich nicht vorwerfen, es habe kein Bewusstsein für Public Relations und deren propagandistische Methoden. Schließlich verdient es just daran, dass Menschen und Unternehmen sich vernetzen – also verkaufen – wollen. Umso überraschender war es, als LinkedIn Anfang des Monats die Stellenanzeige einer kleinen IT-Firma aus den USA zunächst kommentarlos depublizierte. Auf Nachfrage folgte die Aufforderung, das Unternehmen Toptal möge in seinen Inseraten nur Menschen zeigen, die mit dem beworbenen Produkt auch wirklich zu tun hätten („related to the product advertised“).

Was falsch war an den abgebildeten Menschen? In einer Mail schreibt das Netzwerk: „Many LinkedIn members complained about the women images you were using.“ Das Bemerkenswerte an diesen Frauen: Sie sind schön, strahlen Sexyness aus. Toptal-CEO Taso du Val fragte sich im Firmen-Blog logischerweise: „Are they [LinkedIn] seriously siding with people who complained to LinkedIn that our female software engineers are offensive?“

Tatsächlich handelte es sich bei den Porträts nicht ausschließlich um Agenturmaterial – der Vorwurf lautete auf unrealistische Aufhübschung: „They’re a far cry from the ‚look! boobs!‘ […], but they also don’t look like women ready for a day at the office“, hieß es zum Beispiel in einem Forum  –, sondern um Aufnahmen von weiblichen Toptal-Angestellten, die ihre Tage durchaus im Büro verbringen. Allein, für diese Kampagne wurden freilich nur die attraktiven Mitarbeiterinnen gecastet und sicher nicht die grauen oder übergewichtigen Mäuschen. Ganz frei von Sexismus ist die Annonce demnach nicht.

Sexismus bis in die Chefetage

Es ist die alte Frage, ob eine sexy Eigendarstellung von einem gesunden weiblichen Selbstbewusstsein zeugt – oder doch nur von der erneuten Unterwerfung unter das männliche Begehren. Nicht nur Toptal, sondern auch Yahoo in Gestalt von Marissa Mayer hat darauf jüngst eine unmissverständliche Antwort gefunden. Für ein Porträt in der September-Ausgabe der Zeitschrift „Vogue“ hat es sich Mayer auf einer eleganten weißen Chaiselongue mehr oder weniger bequem gemacht. Sie liegt verkehrt herum, ihre Highheel-bewehrten Füße an der Kopfstütze, ihr Kopf auf dem Fußteil; die Haare verlängern die Linie nach unten, das blaue Etuikleid zeichnet die räkelnde Wellenlinie des Körpers noch markanter.

Dass diese attraktive Aufnahme die Überschrift „Yahoo’s Marissa Mayer: Hail to the Chief“ konterkariert, da die Kamera ostentativ auf die flach gelegte Mayer herabschaut, ist bestimmt kein Zufall. Allerdings findet man ein Bild im Bild, das jenes selbstdarstellerische Moment ausdrücklich reflektiert: Mayer hält ein Tablet in der Hand, darauf ihr Gesicht, ganz nah und mit denselben knallroten Lippen. Durchs Netz lief schnell eine ganz ähnliche Frage wie jene von Tasu do Val nach der Anstößigkeit schöner Programmiererinnen: „Too sexy for IT?“

Und diese Debatte über die Verweiblichung der IT-Ikonografie – an der vermutlich Apples Steve Jobs die ursächliche Schuld trägt, der Techprodukte überhaupt erst zum Lifestyle erhoben hat – ist noch lange nicht zu Ende, im Gegenteil. Sie hat gerade erst begonnen, und die aufregendsten Tage liegen noch vor ihr.

Die Debatte hat gerade erst begonnen

Denn eben hat einer der aktuell wohl bekanntesten IT-Spezialisten, der Whistleblower Bradley Manning, bekannt gegeben, er sei im falschen Körper geboren worden und fühle sich seit jeher als Frau. Er wolle baldmöglichst mit einer Hormontherapie beginnen und fortan „Chelsea“ genannt werden.

In einem Chatlog aus dem Jahr 2010, den die Zeitschrift „Wired“ publizierte, erklärte Manning, dass ihn weder Gefängnis noch die Todesstrafe ängstigen, wenn dies nicht auch bedeutete, dass in den Medien nur Bilder von ihm als Junge kursieren: „I wouldn’t mind going to prison for the rest of my life, or being executed so much, if it wasn’t for the possibility of having pictures of me… plastered all over the world press… as boy…“ Man darf gespannt sein, wer als erster Mannings Vergehen und seine Transsexualität miteinander in Verbindung bringen wird….

Nach oben