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Größtes Problem: die Haltung, die fehlt

Der deutsche Medienjournalismus hat dramatisch an Relevanz verloren und sieht sich schlechter werdenden Bedingungen gegenüber. Gerade jetzt müssen Medienjournalisten zu Sachwaltern gesellschaftlicher Interessen werden.

Der aktuelle Medienjournalismus wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Sind dort zahnlose Tiger und einsame Rufer aktiv? Einsam sind sie vielleicht, ja: Alle prügeln auf Medienjournalisten ein. Aber rufen – nach was?

Nach einer neuer Medienordnung? Nach einem angemessenen Rahmen für die digitale Revolution? Nach einer besseren Definition für „Öffentlich-Rechtlich“? Nach Korrekturen im zentralen Markt der Media-Agenturen, wo ein Unternehmen 40 Prozent der deutschen Werbegelder kontrolliert und vier Unternehmen rund 80 Prozent? Nach Widerstand gegen den Ausverkauf von Zeitungsseiten oder Themen an Werbungtreibende oder PR-Agenturen? Oder nach weniger Abhängigkeit von amerikanischen Datensammelstellen wie Facebook und Google?

Wie oft ist es Medienjournalisten in den vergangenen Jahren wirklich gelungen, Themen zu setzen? Wenn es immer heißt: mehr Selbstreflexion ist vonnöten, darf das nicht bedeuten: mehr Selbstreferenz oder Selbstbeweihräucherung. Sondern mehr Selbstkritik.

Und die Selbstkritik besagt, ehrlicherweise: Der Medienjournalismus hat dramatisch an Relevanz verloren. Seine Themen erscheinen eher willkürlich. Oft leiten sie sich von dem ab, was das TV-Programm, PR-Agenten oder das eigene Netzwerk der Eitelkeiten hergeben. Es fehlt an kontinuierlicher Begleitung von Vorgängen. Es gibt zu wenig Recherche. Medienjournalismus droht, zu einem Es-gibt-das-auch-noch-Ressort zu werden.

Bei näherer Betrachtung können 20 Befunde festgestellt werden.

I.
Die Bedingungen sind schlechter geworden. Der Pressefreiheit geht das Geld aus. Neue Sponsoren werden gesucht, manchmal auch nur Mäzene. Noch reicht es für die meisten. Genau in einer solchen Situation braucht man den engagierten Warner, nicht den ängstlichen Stummen.

II.
So wie die Medienpolitik nach der Zäsur der 80er Jahre bis hin in die Bedeutungslosigkeit zerfallen ist, so kämpft nun der Medienjournalismus gegen den Niedergang. Er kam von der TV-Programmbesprechung und gewann Bedeutung in den 80er und 90er Jahren mit dem Aufkommen des privaten Rundfunks, mit wilden Kämpfen um Lizenzen und die Medienvielfalt, mit dem Duell Leo Kirch gegen Bertelsmann, als ein einzelner Decoder der Schlüssel zur Zukunft zu sein schien.

Mit dem digitalen Wandel ist der Medienjournalismus nicht im entscheidenden Ausmaß mitgegangen. Was Mohn und Kirch für den Medienjournalismus der analogen Welt waren, sind heute Mark Zuckerberg und Larry Page. Die neuen Verteilungskämpfe spielen sich in der digitalen Wirtschaft zwischen amerikanischen Konzernen ab. Aber wo sind die kontinuierlichen Stücke über Facebook und Google, Apps, Tablets, Twitter, Blogs? Der deutsche Medienjournalismus ist provinziell.

III.
Den Umbruch in die digitale Welt ist an vielen Medienseiten zwar nicht spurlos vorübergegangen, doch hat sich das Themenangebot nicht ausreichend gewandelt. Vielleicht liegt es daran, dass die Spezialisten mit dem Herstellen von iPad-Ausgaben beschäftigt sind, die ihr Publikum erst noch finden müssen.

Erforderlich ist die systematische Hinwendung zu Usern in Social Networks. Das hat etwa die Debatte über die ZDF-Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein bei der Fußball-WM 2010 („innerer Reichsparteitag“) gezeigt.

IV.
Die Norm ist das Erwartbare auf Medienseiten. Es dominiert der Hickhack des täglichen Einerleis, das Abarbeiten von Terminen. Mega-Trendthemen werden unzureichend erfasst.

Zum Beispiel Analysen der Machtkonzentration auf dem Markt der Media-Agenturen, die doch über die Finanzierung der elektronischen Medien und der Presse maßgeblich mitentscheiden. In diesem Fall spielt wohl auch der Wunsch eine Rolle, die noch vorhandenen Werbeerlösquellen nicht zu gefährden. Wo war das akribisch recherchierte Stück rund um die Entmachtung des Nikolaus Brender beim ZDF? Wo wird der Einfluss der Lobbys auf Themen betrachtet?

Zu wenig große Trends und Entwicklungen fließen in den Medienjournalismus ein. Fernsehthemen verdrängen Medienökonomie und -politik. Es gibt kaum Verbindung der Medienpublizistik mit den Wissenschaften zum Thema.

Wem würde auffallen, wenn Medienseiten wegfallen?

V.
Die Schwäche des Medienjournalismus ist, dass zu viele glauben, man käme ohne tiefe Recherche aus. Nur zu oft genügt der Augenschein, die Wirkung eines Fernsehbildes, die geschmückt wird durch schnelle Thesenhaftigkeit.

Entscheidend für Qualität ist aber: Zusammenhänge herstellen, Hintergründe aufzeigen, überraschende Analogien ziehen. Für Transparenz sorgen. Wo bleibt die Aufklärung im aktuellen Medienjournalismus?

VI.
Medienseiten sind in manchen Zeitungen und Zeitschriften bereits zur Manövriermasse geworden. Die Frage ist, wem überhaupt auffällt, wenn sie einmal ausfallen oder ganz aus dem Angebot genommen werden.

Die Alarmzeichen in der Branche sind doch gar nicht mehr zu übersehen. Die Anzeigen sind über viele Jahre drastisch zurückgegangen, höhere Vertriebserlöse über höhere Vertriebspreise sowie additive Online-Umsätze können den Verlust nicht ausgleichen. Wenn Papier zur knappen Ressource wird, muss sich das Ressort „Medien“ gegen andere Ressorts aus der zweiten Reihe, die nicht wie Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport und Lokales zum Kernangebot zählen, behaupten. Aber womit?

Der Reiz ist auch die Gefahr

VII.
Der Reiz des Themas Medien ist die Vielfalt der Sichtweisen, das Interdisziplinäre. Der Reiz ist aber auch die Gefahr. Was als Querschnitt interessant sein kann, lässt sich leicht in seine Bestandteile zerlegen. Medienthemen können in Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport und Politik leicht nachvollziehbar gut aufbereitet werden.

Eine eigene Medienseite braucht eine besondere Begründung, um relevant zu sein. Man muss sie als Kompetenzzentrum begreifen. Das heißt: einbringen in andere Ressorts, sich anstrengen, Ressourcen nicht schrumpfen lassen.

VIII.
Medienkritik ist längst überall. Sie ist in der Ausgabe der „Bild“-Zeitung, die sich mit dem Netzwerk Recherche beschäftigt, und auf der Panorama-Seite des „Wiesbadener Kuriers“, wenn es um den Bushido-Bambi-Skandal geht. Medienkritik ist auch in der „heute-show“ zu finden oder bei Harald Schmidt.

Für die Medienressorts kommt es darauf an, sich durch Regelmäßigkeit und Wissen abzusetzen.

IX.
Medienjournalismus ist wichtig, weil er hilft, die Qualität der Medien zu sichern. Man muss sich nur darauf einlassen. Er ist wichtiger Teil der Selbstkontrolle der Branche.

X.
Man braucht alle Aufmerksamkeit dafür, um festzustellen, wie Aufmerksamkeit in Medien gemacht wird.

XI.
Es ist aberwitzig, dass jeder von „Mediengesellschaft“ redet, man einer geordneten, kompetenten publizistischen Begleitung dieses Phänomens aber nicht das Wort reden will.

Guter Medienjournalismus ist immer auch politisch. Er fragt, wie Themen und Personen inszeniert, wie Bilder und Kampagnen gemacht werden. Er legt Mechanismen bloß, mit denen ein Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zum gefallenen „Star“ wurde, der auch seinen Comebackversuch dank einer Medienpartnerschaft mit der „Zeit“ zum Ereignis machen wollte.

XII.
Da sich in den kommenden Jahren verstärkt die Frage nach der Finanzierung von Qualitätsjournalismus stellen wird, und damit nach öffentlichen Geldern, muss der Medienjournalismus ganz neu Fragen nach der Legitimation und den Verfahrensweisen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellen.

Der Medienjournalist wird hier Sachwalter der gesellschaftlichen Interessen. Er muss frei sein vom Lobbyismus einer elektronischen Beteiligungs-Publizistik, die im Niederschreiben angeblicher Rivalen womöglich ein Mittel des Marketings sieht.

ARD und ZDF selbst könnten mehr tun. Eine TV-Sendung „Zapp“ reicht nicht.

XIII.
Wie souverän ein Medium ist, sieht man an seiner Medienseite. Wem und welchen Themen Platz eingeräumt wird. Und welchen nicht.

Journalisten als Marken

XIV.
Zum Status quo gehört, dass viele Medienfachtitel inzwischen oft publizistisch irrelevant sind, das Angebot im Fernsehen und Hörfunk dürftig ist, und sich im Internet erst langsam eine Vielfaltskultur entwickelt.

XV.
Der aktuelle Journalismus versucht, ausgehend von den USA, Journalisten als Marken zu profilieren. Wer aber ist im Medienjournalismus zu einer „Marke“ geworden?

Was ist davon zu halten, dass ein Medienjournalist einen Film macht bei einem Sender, über den er schreibt? Oder ein anderer eine Entertainerin berät oder Moderationstexte für einen der großen Branchenselbstbeweihräucherungsabende schreibt? Oder ein politischer Journalist einer großen Zeitung als Co-Autor des Buches des Kanzlerkandidaten auftritt?

Die Unabhängigkeit ist durch eigene Rollenverwechslung viel stärker gefährdet als durch übereifrige Staatsanwälte oder große PR-Brigaden. Das größte Problem ist die Haltung, die fehlt.

XV.
Es gibt zu viel Selbstbeschäftigung unter Medienjournalisten und zugleich eine Immunisierung gegen Kritik.

Die schwierigste Form des Gewerbes

XVI.
Medienjournalismus ist die schwierigste Form des Gewerbes, weil er einerseits Phänomene der Massenkultur für viele aufbereitet, also den Star an sich, die Show, das Quotenformat in den Mittelpunkt stellt, andererseits das Fachpublikum der Multiplikatoren anspricht, das an der hintergründigen Aufbereitung komplexer Themen interessiert ist.

Die Zielgruppen des Medienjournalismus sind gespalten. Sich aber nur auf eine konzentrieren zu wollen, wäre tödlich.

XVII.
Medienjournalisten sind in der verführerischen Situation, auch als viel besser bezahlte Kommunikationsspezialisten in Presseabteilungen von Verlagen, Sendern und Internet-Firmen arbeiten zu können. Das ist nicht branchenspezifisch, das geht Journalisten in Ressorts wie Wirtschaft oder Politik genauso.

Besonders aber ist, dass Medienjournalisten permanent über potenzielle journalistische Arbeitgeber schreiben. Hier braucht es eine besondere moralische Qualifikation.

XVIII.
Chefredakteuren geht es nicht anders als Oligopolisten: Sie wissen, dass man sich im Extremfall gegenseitig schädigen könnte und tendieren daher zum gegenseitigen Nichtangriffspakt. Dieses Problem ist für Medienjournalisten nur mit präziser Recherche, guten Geschichten und Beharrlichkeit zu lösen.

Immerhin, dieses Phänomen hat nachgelassen. Seine Hochkonjunktur erlebte es vor einigen Jahren in der Allianz des Springer-Chefs Mathias Döpfner mit dem „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher und dem seinerzeitigen „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust. Sie wollten nicht nur die Rechtschreibreform stoppen, sondern auch mal kurz eine neue politische Kultur einführen.

Das Denken in journalistischen Deals zeigte sich aber auch noch darin, wie etwa Johannes B. Kerner jahrelang damit kalkulieren konnte, vom „Spiegel“ nicht in die Pfanne gehauen zu werden, weil „Spiegel-TV“ seine Talk-Sendungen produzierte. Solche Deals haben im Journalismus nichts verloren.

XIX.
Medienjournalismus steht unter dem Generalverdacht, parteiisch zu sein – nett zu Freunden, gemein zu den anderen. Seine Unabhängigkeit muss mit besonderer Aufmerksamkeit gesichert werden.

Medienseiten ganz neu denken

XX.
Die in der ökonomischen Krise zu beobachtende Verzichtskultur der Redaktionen führt gerade auf Medienseiten zu einer Selbstentlarvung des Mediums. Gerade hier schließen die Leser, insbesondere die Spezialisten, von Ausfallerscheinungen induktiv auf das Ganze. Gerade hier besteht also die Verpflichtung, es besonders gut zu machen.

Gemeinsam mit Angeboten wie einem breiten Leserforum und Social-Media-Aktivitäten, mit dem Selbstausweis von Korrekturen, der Publizierung der Presserat-Wertungen und einem Ombudsmann oder einer Ombudsfrau gehören Medienseiten und Mediensendungen zur guten Unternehmenskultur von Verlagen und Sendern.

Glaubwürdigkeit ist der größte Trumpf, den Medien im verschärften Wettbewerb haben. Man braucht lange, um sie zu erwerben, und kann sie in sehr kurzer Zeit verspielen. Medienjournalismus ernst zu nehmen, gehört zur Glaubwürdigkeit von Zeitungen, Zeitschriften und Sendern. Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Bedrohung und großer Umbrüche wird es wichtiger, hier souverän zu bleiben.

Conclusio: Allein mit dem Nachrichtenjournalismus alter Prägung werden Zeitungen ohnehin in ein paar Jahren verloren sein. Journalistische Medienkompetenz kann dabei ein Differenzierungsmerkmal sein.

Man muss Medienseiten ganz neu denken – oder es damit sein lassen.


Der Text basiert auf der Einführungsrede zur Tagung „Einsame Rufer oder zahnlose Tiger? – Vom Wirken und Versagen der Medienkritik“ der Otto-Brenner-Stiftung 2011.

 

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