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Die Trittbrettfahrer des „Skandals“

Wie Springer-Medien über die Affäre eines schwulen Landrats berichten ist ein Skandal. Und andere Medien steigen in diese Berichterstattung auch noch ein.

„Wie war das mit dem Sex, Herr Landrat“ titelte „Bild am Sonntag“ über einen Artikel, der eine ehemalige Affäre eines schwulen Landrats zum Thema hat. Das Blatt zitiert dabei höchst private Details, was presserechtlich nur erlaubt ist, sollte ein übergeordnetes öffentliches Interesse in diesem „Fall“ vorliegen. Der Beitrag versucht durch eine Reihe von Skandalisierungen, ein solches öffentliches Interesse zu konstruieren. Es ist aber offensichtlich, dass sich die eigentliche Erregung dieser Geschichte nur aus der Tatsache ergibt, dass es sich dabei um Sex zwischen Männern handelt.

Der wahre Skandal liegt also nicht im Verhalten des Landrats, sondern in dem der Springer-Zeitung. Viele Medien versuchen die Leser glauben zu lassen, sie würden über die Angelegenheit lediglich berichten. Doch in Wahrheit erzählen sie nur die Geschichte aus der Sicht der „BamS“ weiter, machen also nicht nur das Opfer weiter zum Täter sondern legitimieren somit auch die entwürdigende Berichterstattung des Blatts. Sie suggerieren, der Artikel sei etwas Journalistisches, als ginge es um Aufklärung und nicht um das genaue Gegenteil.

Trittbrettfahrer der Schmutzpresse

Der Vorfall ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig das Bekenntnis vieler Medien und Verlage wert ist, nicht Homosexuellen-feindlich zu sein, wenn es um die Möglichkeit geht, mit Homosexuellenfeindlichkeit Aufmerksamkeit zu erzeugen. Jede Redaktion, die so tut, als müsse sie diese privaten Details schildern, um angemessen über die Geschichte zu berichten, macht sich was vor. Sie macht sich zum Trittbrettfahrer der Schmutzpresse, sie stärkt diese und sie macht es noch schwieriger, das Schmutzwerfen der Schmutzpresse zu bekämpfen.

Da hilft es auch nicht, wenn man beim Trittbrettfahren eine gekrümmte Haltung einnimmt, in der Hoffnung, dabei einigermaßen sauber bleiben zu können. So wie die Seite „queer.de„, die als das lesbisch-schwule Leitmedium gilt und als solches auch eine Art Grundversorger der sozialen Netzwerke mit queeren Themen ist. „queer.de“ hatte in ihrer Version der Story zwar den „BamS“-Text als „Kampagne unter der Gürtellinie“ kritisiert, dann aber im eigenen Artikel nur auf wenige private Details der „Enthüllungen“ verzichten wollen und auch nicht davor zurück geschreckt, das alles unter einer Sex-and-Drugs-Headline zu veröffentlichen. Damit hat die Seite es wohl geschafft, dass auch die Menschen, denen es sonst gelingt gegen den Schmutz der „BILD“-Familie immun zu sein, nun Mitwisser einiger Privatgeschichten aus dem Umfeld des Landrats sind.

In einem „Update“ pflegt „queer.de“ weiter die von der „BamS“ eingeführten Schuld-Kategorien, in dem sie es mit den Worten „…entschuldigt sich bei Bürgern und Lebenspartner“ anteasern, obwohl die entsprechende Erklärung vor allem dadurch beeindruckt, wofür der Politiker sich aus gutem Grund nicht entschuldigen möchte.

Position des Zweitverwerters

Vielleicht redet sich die „queer.de“-Redaktion ihre Berichterstattung ja mit dem Argument schön, dass das, was in der „BILD“-Zeitung steht, sowieso schon alle wissen und es deshalb egal ist, wenn man es nacherzählt. Doch so ist das nicht. Die Macht der „BILD“-Zeitung beruht zum Großteil darauf, dass alle meinen, dass sie mächtig ist. Das Weitertragen von Schmutz erzeugt Schmutz, den es sonst nicht gegeben hätte. Ein Skandal ist nur ein Skandal, wenn auch andere Medien behaupten, es sei einer.

Die „Zweitverwerter“ einer Geschichte entscheiden, was daraus wird. Aber meist nutzen sie ihre Möglichkeiten nicht, aus Angst vom fahrenden Zug zu fallen. Auch „queer.de“ ist oft in der Position des Zweitverwerters, jedoch unter ganz anderen Vorzeichen. „queer.de“ ist seiner der Zielgruppe ohne ernsthafte Konkurrenz; was lesbische und schwule Storys geht, geniessen die Kölner eine Schlüsselposition. Ohne queer.de wäre wohl die Barilla-Geschichte nicht so ein großes Ding geworden, ohne „queer.de“ wäre dieses, wie auch viele andere Themen, nicht in die Mainstream-Medien übergesprungen.

Die Seite hat es bisher geschafft, ihre Unabhängigkeit weitgehend zu verteidigen. Dem kleinen Team gelingt meist aktueller, kritischer und fundierter Journalismus. Sie beleuchten nicht nur die Themen, die große Klickraten versprechen. Doch auch die Unabhängigkeit von „queer.de“ stößt an ihre Grenzen. Die Geschichte mit dem Landrat zeigt, wo diese Grenzen liegen: In den Erwartungen der mehrheitlich schwulen Leser.


Dieser Beitrag ist in einer längeren Version im „Nollendorfblog“ erschienen.

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