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Das Ende der Zeitung

Zeitungen sind wie schwäbische Eisenbahnen – ein Relikt vergangener Tage. Unser Autor prognostiziert in seinem Beitrag allerdings nicht nur das Ende der gedruckten Zeitung.

Ina Hartwig war von 1999 bis 2010 Literaturredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ und als solche in zentraler Verantwortung für die Geschicke zumindest des Feuilletons dieser Zeitung. Jetzt erklärt sie uns im „Perlentaucher“, warum die Printmedien im Allgemeinen und die „FR“ im Besonderen in die Krise geraten sind.

Um die Jahrtausendwende, sagt Ina Hartwig in ihrem Rückblick auf den „Sonderfall FR“, also just als Ina Hartwig herself das Literaturressort übernahm, schien sich bei „ihrer“ Zeitung alles zum Besseren zu wenden: „Die Verkrustung eines genialischen, jedoch arg den gewesenen Werten verpflichteten Trios konnte aufgebrochen werden; dem linksliberal-kritischen Mainstream wurde etwas hinzugefügt, das sich in den anderen Zeitungen, von „taz“ bis „FAZ“, ebenfalls etabliert hatte. Eine Entideologisierung wurde nachgeholt, wenn man so will. Sie war nötig und richtig und hat letztlich den alten Herren, die noch bei Adorno & Co. gelernt hatten, Spaß gemacht.“

Damalige Leser der „FR“ wissen, wer mit dem Trio gemeint ist: Peter Iden, Hans-Klaus Jungheinrich und Wolfram Schütte. Und sie wissen auch, dass nur ein Satiriker eine Profilierung darin erkennen kann, wenn einem „linksliberal-kritischen“ Mainstream, der um 2000 gewiss nicht der allgemeine gesellschaftliche Mainstream war, etwas hinzugefügt wurde, was der tatsächliche Mainstream auch anbot.

Adorno & Co. werden entsorgt

Die Wahrheit ist: Ina Hartwig ist eine von jenen, die den Prozess in die Wege geleitet haben, den sie heute zu bedauern vorgibt. Die „gewesenen Werte“, denen das verkrustete Trio verpflichtet war, sind nämlich genau jene Werte, die seriösen Journalismus ausmachen, plus den Werten, für die der Name Adorno steht: Aufklärung, Rationalismus, Reflexion. Wer das Ideologie nennen will, soll zumindest nicht tun, als wäre, was an seine Stelle getreten ist, frei von Ideologie. Mit diesen „gewesenen Werten“ war unter der Redaktion von Ina Hartwig und ihren Kollegen erst einmal Schluss.

Und die Chronistin heute: „Um 2002/03 ging das Desaster los, von da an wurde die ‚FR‘ demontiert. Ein antiintellektueller Siegeszug nahm seinen Lauf; jedoch ahnte damals noch niemand, dass es einmal auf die totale Zerschlagung der Identität hinauslaufen würde.“ Und was tat sie als Redakteurin, als dieser „Siegeszug“ seinen Lauf nahm? Kam sie auf die Idee, dass es zwischen Antiintellektualismus und ihrem Spott über „Adorno & Co.“ einen Zusammenhang geben könnte?

Aber Ina Hartwig jammert nicht bloß, sie kennt auch den Ausweg. „Noch mehr zu sparen, die Redakteure mit noch mehr Arbeit zu belasten, sie auszupressen wie die Zitronen, grenzt an ökonomischen Sadismus. Er kann nur Müdigkeit erzeugen. Stellt wieder neue Redakteure ein, verteilt Lob und Zuspruch, kümmert euch um die Moral der Truppe, das wäre wichtiger als am Gefälle der Privilegien (die doch offenbar niemanden glücklich machen) festzuhalten.“ Gut gebrüllt, Löwin! Wer wollte da nicht zustimmen. Leider hören die Hausgeberinnen und Herausgeber nicht auf Ina Hartwig. Nicht nur stellen sie keine neuen Redakteure ein – sie entlassen vielmehr die vorhandenen.

Ein Ende des Kahlschlags ist nicht abzusehen

Kaum hat die Öffentlichkeit das Ende der „Frankfurter Rundschau“, der „Financial Times Deutschland“ und der Druckausgabe von „Prinz“ zur Kenntnis genommen, erfährt sie, dass Jakob Augstein, der Herausgeber des „Freitag“, neun von vierzig Mitarbeitern entlassen will. Weitere Zeitungen werden folgen, ein Ende des Kahlschlags ist nicht abzusehen.

In regelmäßigen Abständen erklären Leute – in der Regel sind es Journalisten -, dass es den Journalismus als Beruf, dass es die Zeitung als Informationsquelle immer geben werde. Mag sein, dass sie Recht haben. Es kann aber auch ganz anders kommen. Niels Bohr wird der Ausspruch zugeschrieben: „Es ist schwer, Voraussagen zu machen. Besonders über die Zukunft.“ Dass sich Amateurpropheten in Prognosen versuchen, ist nicht weiter verwunderlich. Dass sie sie mit solch apodiktischer Gewissheit verkünden, aber schon. Hinter den Vorhersagen verbergen sich Wünsche. Die sind legitim. Aber man sollte sie nicht mit Tatsachen verwechseln. Wunschdenken, Zweckoptimismus, Beruhigungsthesen verführen zu Handlungsweisen, die am Ende das Gegenteil dessen bewirken oder beschleunigen, was man erhofft hatte.

Poetische Lobreden auf die Hausmusik konnten nicht verhindern, dass diese im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit zu einem Kuriosum wurde. Die wortreichsten Elogen auf die Tante-Emma-Läden konnten diese nicht vor der Konkurrenz der Supermärkte retten. Auch die Gedichtform der Ode hat in der Literatur keinen Platz mehr, es sei denn als komische Reminiszenz.

Was ist, wenn Glück mehr gilt als Umsatz?

Warum deklariert niemand, was die Kriterien sind, die die Prioritäten und damit die Werte unserer Gesellschaft bestimmen? Wenn wirtschaftliches Wachstum und Profite einiger Weniger das Kriterium sind, dann mag die Beschleunigung von Bahnverbindungen tatsächlich höchste Priorität haben. Was aber, wenn die Zufriedenheit der Menschen, ihr Glück und ihr Wohlbefinden mehr gelten als Umsatz?

Was die Menschen genossen und daher besangen, verraten Volkslieder und Schlager wie „Auf der schwäb’schen Eisenbahne“ oder „Zwischen Salzburg und Bad Ischl“. Langsamkeit, Beschaulichkeit, Bahnfahrt als Erlebnis müssen kein Mangel, sie können auch ein bewahrenswertes Gut sein. Die Frage ist, ganz allgemein: Sind die Menschen durch die stete Beschleunigung aller Lebensbereiche glücklicher geworden? Solche Fragen werden als konservative Sehnsucht nach der Postkutsche, als antimoderne Nostalgie diffamiert.

Modernisierung ist nicht per se ein positiver Wert. Jeremy Rifkin sagte in einem Vortrag: „Colour TV wasn’t a next state of evolution. These are choices we make.“ („Farbfernsehen war nicht ein nächstes Stadium der Evolution. Das sind Entscheidungen, die wir fällen.“) Programme wurden der Fernbedienung angepasst. Machen wir uns zu Sklaven des technisch Machbaren oder zu Subjekten des Wünschenswerten? Beispiele gibt es ohne Zahl. Die Stadtarchitektur hat sich an die Erfordernisse des Autos angepasst, in Stuttgart durch eine Art Stadtautobahn, den Kleinen Schlossplatz, mit der Folge eines Verlusts an Urbanität. Warum rekapituliert niemand die Versprechungen, mit denen diese Projekte geplant und realisiert wurden und warum sie offenbar gebrochen wurden?

Zur Modernisierung gehören auch die Verdrängung mittelständischer Läden im Stadtzentrum durch Supermarktketten auf der grünen Wiese, die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Computer oder die Rationalisierung des Studiums durch Verschlankung. Ob die Menschen dadurch glücklicher geworden sind, ist die Frage. „Modernisierung“ hat seit Taylorismus und Automatisierung stets in erster Linie den Profiten der Reichen, nicht aber der Lebensverbesserung der großen Massen gedient.

Zeitungslektüre ist Glück durch Langsamkeit

Auch die Zeitungslektüre gehört in eine Welt des Glücks durch Langsamkeit, in die Welt der schwäb’schen Eisenbahne. Die Ersetzung der Zeitung durch das schnellere Internet, der professionellen Journalisten durch Blogger ist ein Baustein in der Serie von „Modernisierungen“. Da aber die ökonomischen Interessen, die dahinter stecken, mächtig sind, wird diese Entwicklung über kurz oder lang nicht aufzuhalten sein.

Schon in der Antike wusste man aus Erfahrung und aus der Literatur, dass der Bote für die schlechte Nachricht bestraft wird. Die moderne Variante dieser Gegebenheit ist jene Technik, mit der man unliebsame Themen aus der Welt schafft: Man interpretiert Diagnosen als Desiderate, tut mit (böswilliger) Absicht oder aus Dummheit so, als würde, wer Unangenehmes feststellt, dieses wünschen. Diese Volte gestattet es scheinbar, den Verkünder von Wahrheiten oder auch nur von Hypothesen zu verurteilen, statt sich mit dem Verkündeten auseinanderzusetzen. Das Wünschenswerte verdrängt das unerquickliche Tatsächliche.

Die unbequeme Wahrheit, die niemand hören will, lautet: Der Journalismus als ein bezahlter Beruf wird mit großer Wahrscheinlichkeit aussterben.

Blogs beweisen ja, dass es Laien gibt, die nicht schlechter schreiben als professionelle Kritiker, zumal eine Entprofessionalisierung unter den bestallten Journalisten längst stattgefunden hat. Der Mitarbeiter einer Zeitung, einer Rundfunkanstalt, einer Nachrichtenagentur, der die deutsche Grammatik nicht beherrscht und über die stilistischen Fähigkeiten eines Junggymnasiasten verfügt, ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Unternehmen werden den Nachweis führen, dass man auch ohne Profis und also ohne Gehälter und Honorare auskommen kann. Wie Heimwerker mithilfe der Baumärkte die professionellen Handwerker von einst, so werden Amateurschreiber Journalisten ersetzen, die ja schon bisher nur in Ausnahmefällen eine einschlägige Ausbildung hatten.

Wenn es möglich ist, durch Laien eine Enzyklopädie zu erstellen, die den Brockhaus aus den Gleisen wirft – wie sollte es da ein Problem sein, Zeitungen oder Rundfunksendungen mit Beiträgen von Laien zu füllen? Die Profis wehren sich natürlich gegen diese Entwicklung. Sie verteidigen ihren Besitzstand. Es gehört zu den alltäglichen Argumentationsmustern, dass man seine eigenen, ganz individuellen (also egoistischen) Interessen als allgemeine Interessen ausgibt und zu begründen versucht.

Die Weber, Heizer und Henker sind auch verschwunden

Wenn die von Profis attackierten Amateure ihnen ihrerseits unterstellen, dass sie die Konkurrenz fürchten, dass ihnen an ihren Jobs, nicht an der vorgeblich angemahnten Qualität gelegen sei, so haben sie die Lacher auf ihrer Seite. Der Einwand scheint allzu einleuchtend, als dass man ihn zurückweisen könnte. Schließlich ist er nicht widerlegbar (wer behauptet, für ihn gelte er nicht, macht sich gerade dadurch verdächtig), und obendrein ist es ja nicht von vornherein anrüchig, wenn jemand um seinen Arbeitsplatz kämpft. Andererseits kann man die Ersetzung professioneller Arbeit durch Laientätigkeit nicht uneingeschränkt unter dem Stichwort „Demokratisierung“ verbuchen. Dass jeder mitreden kann, muss nicht unbedingt der Wahrheit förderlich sein. Es kann auch den Gedankenmief hochspülen oder bloß Lärm und Unübersichtlichkeit erzeugen. Laienchöre, Laienspielgruppen oder Laienorchester haben ihre sympathischen Züge. Die Verwandten der Mitwirkenden sind stets ein dankbares Publikum. Vollwertiger Ersatz für Profikünstler sind Laien nicht.

Andererseits hat die Verluderung des professionellen Journalismus längst begonnen, ehe das Internet die Alternative einer Blogkultur anbot. Dass es genüge, eine Meinung zu haben und sie in halbwegs verständlicher Sprache mitzuteilen, haben die Amateurschreiber den Zeitungs- und Radioschreibern der vergangenen Jahre abgeschaut. Was in den Feuilletons kleinerer Zeitungen als Kritik firmiert, erweist sich oft in jeder Hinsicht als so dilettantisch, dass Blogger es kaum unterbieten können.

Den Journalismus als Beruf hat es nicht immer schon gegeben, und auch andere Berufe sind verschwunden: die Weber, die Heizer, die Küfer, die Setzer, die Henker zum Beispiel. Den Schaffner in der Straßenbahn ersetzt ein Automat ebenso wie den Kaffeesieder im Kaffeehaus, wenn man noch eins findet. Soziale und pflegerische Dienste, deren Bezahlung früher als selbstverständlich galt, werden zunehmend freiwilligen „Amateuren“ überlassen.

Warum sollten ausgerechnet Zeitungen und Journalisten überleben? Weil wir es uns wünschen? Das Wünschen hat schon lange nicht mehr geholfen. Vielleicht früher einmal, als es noch keine Zeitung gab.


Dieser Beitrag ist zuvor bei der „Kontext:Wochenzeitung“ erschienen.

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