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Verrenkungen vom Ende des Regenbogens

Dass Überschriften und Inhalt bei Klatschzeitschriften nicht viel miteinander zu tun haben, ist üblich. Der Kern einer Nachricht wird so entstellt, dass man von gezielten Tatsachenverdrehungen sprechen muss. Die Leser werden mit voller Absicht hinters Licht geführt.

„Das goldene Blatt“ ist vor Freude ganz aus dem Häuschen. „HURRA! Es ist so weit“, jubelt das Heft im Oktober auf der Titelseite. In dem Artikel geht es – wie so häufig in der Regenbogenpresse – um Helene Fischer und Florian Silbereisen. Die beiden Schlagerstars sind seit einigen Jahren ein Paar und „schweben“, wie „Das goldene Blatt“ entzückt feststellt, „noch immer im siebten Himmel! Die gemeinsamen Fernsehauftritte zeigen, dass die Schmetterlinge im Bauch nicht weniger geworden sind. Beim „Frühlingsfest der 100.000 Blüten“ nahm Flori seinen Schatz ganz verliebt in seine starken Arme. Und Helene schmiegte sich zärtlich an seine Brust. Beide ganz versunken in ihre Gefühle füreinander. Sie hüten ihre Liebe wie ein zartes Pflänzchen.“Hach ja…

Doch trotz all der Romantik hatten Helene und Flori bisher nie das Bedürfnis, den Bund der Ehe einzugehen – obwohl sie schon seit fünf Jahren zusammen sind. Jetzt aber bahnt sich was an im Hause Fischer/Silbereisen, wie „Das goldene Blatt“ verkündet: „Seit mehr als fünf Jahren schlagen die Herzen von Helene Fischer (29) und Florian Silbereisen (32) nun schon im selben Takt. Und jetzt ist es so weit!“

Denn – und damit kommen wir zum Kern dieser Titelgeschichte: „Wären die Schlagersängerin und der Entertainer nämlich verheiratet, würden sie bereits ihre hölzerne Hochzeit feiern.“ Das ist alles. Das ist die ganze Geschichte, die sich hinter der großen Titelschlagzeile verbirgt.

Die Masche der Regenbogenpresse

Und so banal und bescheuert das auch ist, so typisch ist diese Masche für die Regenbogenpresse, jene illustrierten Publikumszeitschriften, die den Markt mit Klatsch über Prominente und Adelige fluten. Neben den Skandalgeschichten bieten die Hefte noch ein wenig Ratgeberjournalismus, Kreuzworträtsel und Kochrezepte. Das Zugpferd der Regenbogenpresse sind aber klar die groß angekündigten und bei genauerer Betrachtung in sich zusammenfallenden Artikel über die Helene Fischers dieser Welt.

Schon beim ersten Blick in die Regenbogenhefte ist uns aufgefallen, dass die Überschriften mit dem eigentlichen Inhalt der Artikel, gelinde gesagt, nicht viel zu tun haben. Der Kern einer Nachricht wird dermaßen entstellt, dass man von gezielten Tatsachenverdrehungen sprechen muss. Die Leser werden mit voller Absicht hinters Licht geführt.

Als Helene Fischer mal bei einer Generalprobe stolperte und fast hingefallen wäre, titelte „das neue“: „Helene Fischer – Verheimlichtes Drama – Nicht einmal Flori konnte ihr helfen“. Als die „Frau aktuell“ herausfand, dass Google beim Suchbegriff „Stefan Mross“ den Vorschlag „Stefan Mross Alkohol“ ausspuckt, lautete die Überschrift: „Alkohol-Schock! Stefan Mross – Wer kann ihm jetzt noch helfen?“ Und als bekannt wurde, dass Oliver Geissen Heuschnupfen hat, schrieb die „Mehr Spass“ auf der Titelseite: „Oliver Geissen & Tina Plate – Psycho-Drama! – Eine unheilbare Krankheit bedroht ihren gemeinsamen Sohn“.

Typische Stilmittel

Solche Verrenkungen werden in jedem einzelnen Heft eingesetzt und sind inzwischen zu einem für die Regenbogenpresse typischen „Stilmittel“ geworden. Wir erklären uns die übertriebenen Zuspitzungen vor allem dadurch, dass sich die Regenbogenhefte zum allergrößten Teil am Kiosk verkaufen und nicht durch Abonnements. Zum Vergleich: Während der „Spiegel“ gut die Hälfte seiner verkauften Auflage über Abos absetzt, sind es bei „Neue Post“ gerade einmal zehn Prozent. Und da die Regenbogenhefte im Zeitschriftenregal ohnehin einem enormen Konkurrenzkampf ausgesetzt sind, müssen sie versuchen, sich in Marktschreiermanier durch knallige Überschriften gegenüber den anderen Heften zu behaupten.

Denn das Segment der Regenbogenpresse ist riesig. Das wird einem schon dann klar, wenn man beim Einkaufen im Zeitschriftenladen auf die große Wand bunter Blätter blickt und all die Titelseiten sieht, die so gleich ausschauen und so gleich heißen: „Adel aktuell“ liegt da neben „Adel exklusiv“ und „Adel heute“, „Freizeit im Blick“ zwischen „Freizeit Momente“, „Freizeit Blitz“, „Freizeit für uns in NRW“ und „Super Freizeit“. Insgesamt kommen wir auf knapp 80 verschiedene Hefte, die wir nach inhaltlichen Kriterien der Regenbogenpresse zuordnen. Mal kommen Neugründungen dazu, mal verschwinden Titel ganz plötzlich. Die Fluktuation ist ziemlich hoch. People-Magazine wie „Bunte“ oder „Gala“ gehören für uns nicht zur Regenbogenpresse. Sie sind journalistisch hochwertiger als jedes Regenbogenheft, ihre Geschichten sind häufig recherchiert und in der Regel nicht einfach nur vom Schreibtisch aus ausgedacht.

Die Regenbogenblätter erreichen mit ihren Verrenkungen und Fantasiegeschichten Millionen Menschen. Die größten von ihnen können bei den Auflagenzahlen ohne Probleme mit „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ mithalten. Die „Freizeit Revue“ druckt beispielsweise jede Woche 1,1 Millionen Hefte, die „Neue Post“ 969.000. Zusammengerechnet kommt das gesamte Segment auf eine jährliche Druckauflage von über 560 Millionen Exemplaren – eine gewaltige publizistische Macht.

Suche nach einer heilen Welt

Bei der tatsächlichen Reichweite der Blätter muss man sogar noch höher ansetzen. Die Hefte liegen massenweise in Arztpraxen und Friseursalons rum, jede Ausgabe wird mehrfach gelesen. Die Regenbogenpresse ist millionenfach meinungsbildend.

Und zwar bei einer ziemlich klar abgesteckten Zielgruppe: ältere Frauen, zum großen Teil mit vergleichsweise geringem Einkommen und niedrigem Bildungsniveau. Sie sind es, die so sehr nach Klatschgeschichten, Prominentenskandalen, Kreuzworträtseln und Pflaumenkuchen-Rezepten gieren. Die Objektprofile der Hefte, die die Verlage zur Anzeigenakquise online veröffentlichen, liefern ein deutliches Bild des typischen Regenbogen-Lesers: 82 Prozent sind weiblich, 76 Prozent mindestens 50 Jahre alt, mehr als die Hälfte hat ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 2000 Euro, und 67 Prozent haben lediglich die Haupt- oder Volksschule besucht.

Sie durchforsten „Das neue Blatt“, die „Neue Pause“, die „Viel Spaß“ – einerseits auf der sehnsuchtsvollen Suche nach einer heilen Welt; andererseits schauen sie nach den Rissen, den Problemen, den Makeln in diesem weit entfernten Universum der glänzenden Paläste, um sich an ihnen aufzurichten. Die Regenbogenhefte werden zum Fluchtort und zum Trostspender zugleich.

Verrenkungen über Reiche und Schöne

Die Redaktionen erschaffen eine Parallelwelt, in der sie genau das liefern, was ihre Leser suchen. Sie drucken die Verrenkungen über die Reichen und Schönen, die bisweilen ganz amüsant sein können, aber immer wieder auch einen Schritt zu weit gehen. So wie bei Tennisspielerin Steffi Graf, der die „Promi Welt“ einen „Absturz in die Lebenskrise“ andichtete, weil sie in ihrem Blog augenzwinkernd danach gefragt hatte, „wie man das Leben allgemein einen Gang herunterschalten könnte“. Doch dabei beließ es die „Promi Welt“ nicht: Das Blatt spekulierte munter über Ehe-Probleme von Steffi Graf („Plötzlich wackelt ihre Traum-Ehe“) und darüber, ob ihre Mutter womöglich wieder an Brustkrebs erkrankt sei („schrecklich, wenn die Krankheit wieder zugeschlagen hätte!“).

Wie skrupellos die Redaktionen ihre Hefte zusammenschustern, wurde in diesem Jahr besonders deutlich an der Berichterstattung über den niederländischen Prinzen Friso. Der war 2012 bei einem Ski-Unfall von einer Lawine verschüttet worden und lag daraufhin anderthalb Jahre im Koma. Sämtliche Regenbogenhefte schlachteten in dieser Zeit sein Schicksal aus: Jede Woche erklärten sie ihn wahlweise für tot oder suggerierten seine Genesung. Und selbst nach Frisos tatsächlichem Tod im August dieses Jahres versuchten die Verlage noch, mit Extra-Ausgaben und Sonderseiten Profit aus dem Schicksal des Prinzen zu schlagen.

Mit Journalismus hat all das nichts zu tun. Die Schmutzgeschichten, die Verrenkungen, die modernen Märchen, die die Regenbogenredaktionen unter dem Deckmantel der Pressefreiheit Woche für Woche auf den Markt schmeißen, widersprechen so ziemlich allem, was der Deutsche Presserat und das Berufsethos von Journalisten verlangen.

Keine Aufregung

Die meisten Menschen wissen das. Sie wissen, dass die Regenbogenpresse lügt und betrügt. Dass sie sich nicht um die Wahrheit schert. Dass sie die Persönlichkeitsrechte von Prominenten nicht beachtet. Und dass sie nicht ansatzweise daran interessiert ist, die Öffentlichkeit wahrhaftig zu unterrichten. Aber wird darüber gesprochen, geschrieben, berichtet? Nicht wirklich. Stellt sich ihr jemand in den Weg? Nicht wirklich. Regt sich überhaupt noch irgendwer darüber auf? Nicht wirklich.

Das wollten wir ändern. Acht Monate haben wir dafür bislang in der Parallelwelt der bunten Blätter verbracht, haben Hunderte Artikel gelesen und nachrecherchiert, uns mit Anwälten und Prominenten unterhalten, mit Journalisten und jenen, die sich dafür ausgeben. Wir wollten wissen: Was passiert wirklich in diesen Heften, die ihre Leser mit den immer gleichen Gesichtern und Schlagzeilen ködern und täuschen? Mit welchen Methoden arbeiten sie, von wem werden sie gelesen und warum scheint kaum jemand ernsthaft das zu kritisieren, was jede Woche in den bunten Blättern geschieht?

Unsere Erkenntnisse haben wir in unserem Blog „topfvollgold“ festgehalten. Dort erzählen wir die Geschichten vom Ende des Regenbogens, um die Methoden der Redaktionen und unsere Kritik daran ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Wir wissen, dass wir inzwischen auch von den Machern der Regenbogenpresse fleißig gelesen werden. Sie schätzen unsere Arbeit zwar nicht sonderlich. Doch das beruht auf Gegenseitigkeit.

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