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Unsere Angst vor dem Unbekannten

Der digitale Wandel ist zweierlei: erfreulich wie beängstigend. Doch statt in Panik vor neuen Technologien auszubrechen, sollten wir uns lieber mit ihrem Umgang und unseren Nutzungsgrenzen vertraut machen.

Wir Menschen sind vorsichtige Wesen. Wir fürchten uns vor dem Ungewissen und dem Risiko. Evolutionsbiologisch kommt uns diese Eigenschaft zu Gute: lauert Gefahr, verspüren wir Angst. Wir verstecken uns, laufen davon, überleben. Aber wir haben nicht nur Angst vor akuten Gefahren, Krankheiten, der Dunkelheit oder Enttäuschungen – wir fürchten uns auch vor der Zukunft. Denn Morgen ist immer beides: sowohl positiv als auch negativ.

Unser Morgen wird vom digitalen Wandel geprägt: Die Geräte, die den Menschen umgeben, wachsen immer enger mit ihm zusammen und werden zu einer wichtigen Schnittstelle zur Welt. Empfinden wir diese Veränderung nun als Perfektionierung des Menschen? Oder als eine technizistische Degradierung und Verdrängung des Natürlichen? Auch diesem Annäherungsprozess an das Neue haftet eine gewisse Vorsicht an, die von Furcht durchdrungen ist. Etwa von der Angst davor, dass aus leblosen Gegenständen etwas heraus kommt, was gar nicht in ihnen drin steckt – wie etwa Wissen, ein Bewusstsein, Freiheitsgrade oder andere Qualitäten. Technologie verschwindet derzeit im Hintergrund und beginnt auf der Ebene des kollektiven Unbewussten zu wirken, egal wie groß ihr „Störfaktor“ einst war. Wir benutzen die Hilfsmittel, die uns an die Hand gegeben werden, aber reden nicht mehr über sie.

Die Theorie des kollektiven Unbewussten wurde von dem Psychiater Carl Gustav Jung geprägt. Demnach bildet sich aus dem Erbe der Menschheitsgeschichte eine psychische Grundkonstitution, welche durch Kultur sowie individuelle Erfahrungen manifestiert wird. Dabei gibt es sogenannte Archetypen, die wiederkehrende Urbilder menschlicher Vorstellung darstellen und Verhaltensmuster generieren können. Dieser Theorie entsprechend wird Informationstechnik zu einer Projektionsfläche unserer Ängste sowie unserer eigenen Lethargie.

Intels Futurist Brian David Johnson erklärt: „People are frightened about things that they don’t have a lot of information about.“ In seinen Studien zu dem Thema Angst vor Technologie hat er kulturelle Muster erkannt, die unser Verhältnis zu neuen Technologien kennzeichnen. Die einzelnen Entwicklungsschritte hat Johnson in vier Phasen unterteilt.

  1. Es wird uns alle umbringen! Stufe eins beschreibt die erste Reaktion und ein frühes Bewusstsein für wissenschaftliche oder technologische Forschungsergebnisse. Von den Medien aufgegriffen, erscheinen frühzeitig Artikel mit schmissigen Schlagzeilen aber wenig Substanz. Die im Entstehen begriffene technologische Innovation lässt sich in wenigen Worten in eine globale Dystopie überfuhren. Den Menschen wird kein Kontext geboten, um tiefgreifende Potentiale zu erkennen. Stattdessen eröffnet sich ihnen oft ein von Science Fiction geprägtes Weltuntergangsszenario.
  2. Sie nimmt mir meine Tochter! Stufe zwei ist die Reaktion auf den außerordentlichen Erfolg der Technologie nach seiner Markteinführung. Viele junge Menschen haben sich ihrer angenommen, wodurch die Technologie auch auf die Popkultur einwirkt. Eine moralische Panik wird geschürt und Eltern fragen sich zunehmend, ob ihre Kinder es verlernen, „normal“ zu sein. Noch ist der Umgang für den Großteil der Gesellschaft ungewohnt, doch die Technologie färbt bereits auf die Dinge und Routinen ab, welche die Menschen lieb gewonnen haben und pflegen wollen.
  3. Das werde ich nie benutzen! Stufe drei tritt ein, sobald die Early Adopters mit der Technologie auf ihre Mitmenschen einwirken und deren Vorbehalte schrittweise ins Positive umschlagen. Das Weihnachtsgeschenk der Enkel wird eben doch irgendwann ausprobiert und wertgeschätzt. Die nützlichen und spaßigen Aspekte treten in den Vordergrund und die realen Ängste, dass uns die Technologie überholt und wir ohne sie nicht mehr funktionieren würden, verblassen.
  4. Was meinst du damit? In Stufe vier ist die Technologie alltäglich geworden und damit fester Bestandteil unseres Alltagslebens sowie unserer Kulturgeschichte. Frühere Berührungsängste spielen keine Rolle mehr und werden sogar abgestritten. Dies ist der größte Erfolg jeder Technologieentwicklung.

Betäubt von ständigen Revolutionen

Johnson erweitert mit seinen vier Stufen das dritte Clarkesche Gesetz des Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke, welches besagt: „Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.“ Er fügt hinzu: „Until about two weeks of using the technology, upon which time it becomes mundane.” Zum Vergleich zieht er den ersten sowjetischen Satelliten Sputnik heran. Die Angst westlicher Länder vor Spionage-Angriffen war in der Mitte des 20. Jahrhunderts groß – heute verwenden wir jedoch Satelliten-Technologien in Form von Fernsehen, Telefon und Navigation, ohne uns über Wirkungsmechanismen und Konsequenzen viele Gedanken zu machen (leider oft zu unrecht, wie die Snowden-Enthüllungen gezeigt haben).

Im Gegensatz zu den Hype Cycles des Forschungsinstituts Gartner betrachtet Johnson die Einwirkungen von Technologie nicht unter wirtschaftlichen, sondern sozialen Gesichtspunkten. In seinem Essay „How to change the future“, das der Sammlung „The Tomorrow Project Anthology – Conversations about the future“ angehört, schreibt er eine Aussage, die für den smarten Menschen zum Vorsatz wird: „The future is not written. The future is made every day by the actions of people. Because of this I have always believed that everyone should be an active participant in the future.“

Vorsicht vor Verallgemeinerungen

Zweifellos hat die Menschheit im Zuge des digitalen Wandels schon viel erreicht. Darunter Erleichterungen des Alltagslebens, die Verringerung körperlich anstrengender Arbeiten, das Freiwerden von Zeit für private Zwecke und mehr Möglichkeiten zur Entfaltung der Persönlichkeit. Doch in diesem Zusammenhang hat sich auch gezeigt, dass die Betrachtung von einer unzulässigen Verallgemeinerung begleitet wird: „Die Technologie“ gibt es nicht, sondern immer nur konkrete Geräte. Der Informationswissenschaftler Gernot Wersig findet in seinem Buch „Fokus Mensch“ ein schlüssiges Bild für die allgemeine Übertreibung: „Die Technologie ist insgesamt wahnsinnig leistungsfähig, aber jedes einzelne Gerät hat sehr deutliche Leistungsgrenzen […] [und] ist von den prinzipiellen Leistungsfähigkeiten der Informationstechnik als solcher meilenweit entfernt.“

Wir müssen genauer darauf achten, zwischen beiden Bedeutungen zu unterscheiden. So steht auch der digitale Wandel als Begriff nur für einen längeren Zeitraum, in der eine Summe unterschiedlicher digitaler Geräte in unser Leben getreten ist und unsere Gewohnheiten verändert hat. Als Gesellschaft bestimmen wir die Tendenzen in beide Richtungen. Deshalb sollten wir in der Betrachtung weder die Leistungsfähigkeiten der Technik noch die Entwicklungsmöglichkeiten überbeanspruchen. Die Existenz einer neuen Technologie verändert nicht per se Alltag und Gesellschaft. Vielmehr müssen Technologien von den Menschen angeeignet werden und ihre Funktionalität im Gebrauch untermauern. Ihre Bedeutung etabliert sich erst im Zusammenspiel von technologischen Potentialen und den Aneignungsweisen der Nutzer.

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