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Welt der begrenzten Möglichkeiten

Apple, Microsoft, Google: Schon heute ist die Frage elementar, zu welcher Firmenfamilie man sich zählt. Künftig werden wir sie für alle Objekte im Internet der Dinge beantworten müssen. Für unseren Kolumnisten David Streit eine unzumutbare Dystopie.

Endlich ist der technische Fortschritt an einem Punkt angelangt, an dem alles so funktioniert, wie es uns die Werbung weismachen will. Computer, Telefon und Fernseher sind miteinander verbunden und unsere wichtigsten Daten haben wir dank Cloud- Speicherdiensten immer griffbereit. Zumindest fast. Innerhalb der geschlossenen Systeme von Apple, Google, Microsoft, Amazon und Co. können wir uns austoben, unsere Geräte synchronisieren und Inhalte konsumieren. Doch wehe dem, der versucht, seinen Anbieter zu wechseln. Denn es könnte passieren, dass man wieder bei Null anfangen muss: null Identität, null Inhalte, null Intelligenz.

Verzicht auf digitale Rechte

Die Geräte, die uns zu smarteren Menschen machen, sind nur so gut wie die Inhalte, die sich auf ihnen befinden. Und deren Besitz ist Dank individuellem Kopierschutz von jedem Provider anders geregelt. Die Kontrolle über die Nutzung und Verbreitung digitaler Medien führt dazu, dass sich digitalisierte Inhalte nicht mehr problemlos vervielfältigen und verbreiten lassen. Anders als zu Beginn der Computerära, als Tauschplattformen das illegale Kopieren förderten, setzen iTunes, Spotify, Netflix und Kindle heute verschärft auf temporäre oder funktionale Einschränkungen. Dies gilt nicht nur für Musik, Filme und Bücher, sondern auch für alle Arten von Anwendungen, von denen allein Apple-Nutzer in sieben Jahren seit der Gründung des App Stores am 11. Juli 2008 bisher 70 Milliarden heruntergeladen haben.

Wer seit vielen Jahren in den Ausbau seiner persönlichen App-Sammlung und Medienbibliothek investiert hat, der wird sich zweimal überlegen, den Anbieter zu wechseln. Denn nahezu jede Investition in das digitale Daten-Archiv wird Probleme mit anderen Systemen hervorrufen. Ironischerweise finden Konzerne ihre stärksten Argumente gerade in den Funktionen unter Gleichgesinnten, wie das Teilen von Inhalten auf Zweitgeräten sowie die Sicherheit, Vertrautheit und Konsistenz im eigenen System. Unter diesen positiven Voraussetzungen willigt der Nutzer gerne in eine wenig nachhaltige Rechteverwaltung ein – ohne zu ahnen, dass es eine gezwungenermaßen lange Bindung bedeuten kann. Alles funktioniert, aber nur innerhalb der Mauern des eigenen Systems. Der Wechsel von iOS zu Android oder Windows Phone wird keine Frage der Hardware mehr, sondern des digitalen Ökosystems samt bereits bezahlter Inhalte.

Vorübergehend fröhlich? Nutzer im geschlossenen iCloud-System.

Vorübergehend fröhlich? Nutzer im geschlossenen iCloud-System.

Schon heute wird die Entscheidung für oder gegen einen Anbieter von Smartphones, Tablet-Computern oder eBook-Readern von der Frage begleitet, zu welcher Firmenfamilie man sich zugehörig fühlt. Zukünftig wird man diese Frage für alle Objekte im Internet der Dinge beantworten müssen, darunter Waschmaschinen, Autos, Alarmanlagen und Nachrichtenquellen. Die Kaufentscheidung wird zunehmend von dem Ökosystem abhängen, dem man anhängt. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Howard Rheingold weist darauf hin, dass die Ausprägung der Technik auch in gesellschaftlicher Hinsicht die Zukunft bestimmt: „If today’s mobile telephone morphs into something more like a remote control for the physical world, social outcomes will depend on wheter [… it’s] software infrastructure is an open system, like the web, or a closed, proprietary system.“

Zurück zu offenen Standards

Exklusive Geschäftsmodelle bestimmen das Bild unserer Zeit – die Kontrolle über nutzbare Medien oder Software bleibt immer häufiger vollständig bei dem Lieferanten. Die Zeit wird zeigen, ob sich das für die Nutzer zu einem inakzeptablen Interessenwiderspruch entwickeln wird, da sie selbstbestimmt über die von ihnen erworbenen Geräte und Inhalte verfügen möchten. Als Gegentrend werden Rufe nach öffentlichen und frei zugänglichen Informationssystemen laut, die für Politik und Gesellschaft von Relevanz sind. Unter dem Schlagwort „Open Everything“ vereinen sich Ansätze wie Open Data, Open Source oder Open Government. Aktuell steht diese Bewegung jedoch einer trägen Mehrheit gegenüber, die es sich in dem bestehenden System mit seinen eingeschränkten Mitteln gemütlich gemacht hat.

Nicht weniger als den freien Informationsfluss sah der Blogger und re:publica-Gründer Johnny Haeusler schon zum Jahreswechsel 2012-2013 in Gefahr. Sein Artikel „2013: Das Web zurückerobern“ hat eine öffentlichkeitswirksame Debatte über die Auswirkungen einer Kommunikation angestoßen, die nur noch hinter den Bezahlschranken kommerzieller Unternehmen stattfindet. Diese hätten ihre Dienste auf den Bedürfnissen von Durchschnittsnutzern aufgebaut, die sich nicht mit den technologischen Prozessen dahinter auseinandersetzen wollten. Doch wäre jetzt die Zeit gekommen sich von der Willkür einiger weniger Unternehmen zu lösen und sich wieder mit den Grundsätzen des offenen Webs zu identifizieren. Dazu zählen das Sammeln von Wissen und das Dokumentieren der Menschheitskultur. Er spitzt seine Forderung zu, indem er sagt: „Wenn dieses Wissen und diese Dokumentation […] in Räumen stattfindet, die von wenigen kontrolliert werden, die nur diejenigen eintreten lassen, die zunächst ihre Daten hinterlassen und ihre Rechte abgeben, dann wird das Web verkümmern […] oder ganz sterben.“

Wir brauchen ein neutrales Netz!

Es ist eine Frage des Zugangs und der Verfügbarkeit. Ältere Inhalte dürften nicht von den Echtzeit-Timelines verschluckt werden und Menschen, die Zugang zum Internet haben, sollte auch der Einlass gewährt werden. Haeusler sieht vor allem im Bloggen, wie es der Medienwissenschaftler Geert Lovink als eine einzigartige Mischung aus Privatem und Öffentlichem beschreibt, sowie der offenen aber vereinheitlichten Vernetzung von Blogs untereinander eine Möglichkeit, die freie Internet-Kultur zu sichern und nachhaltig auszubauen. Sascha Lobo bezeichnet die Erhaltung eines neutralen Netzes gar als die wichtigste digitalpolitische Aufgabe. Die Menschen würden dies erreichen, indem sie „den Aspekt im Auge behalten, welche Kartelle, Monopole oder Machtkonzentrationen sich durch die Verlängerung des Internets in die Alltagswelt hinein herausbilden könnten und wie dies in einer demokratischen Gesellschaft moderiert werden kann.“

Wenn wir als Nutzer die Entscheidung treffen, Betriebssysteme wie Microsofts Windows, Apples OS X und iOS oder Googles Android, Netzwerke wie Facebook und Twitter und Handelsplattformen wie Amazon oder eBay zu nutzen, dann unterwerfen wir uns einem System voller Fesseln. Alle Anbieter versprechen einen grenzenlosen Zugriff – allerdings nur innerhalb der eingegrenzten Umgebung ihres eigenen Ökosystems. In den sogenannten „Walled Gardens“ darf sich der Nutzer frei bewegen. Die Grenzen sind jedoch klar abgesteckt. Noch gibt es genügend Unterhaltung, um sich von dieser Wahrheit abzulenken. Doch tatsächlich befinden wir uns schon inmitten eines Zustands, in dem das umkämpfte Grundprinzip der Offenheit zu verschwinden droht.

Seit seinen Anfängen in den 70er Jahren steht das Internet für Ideale wie Freiheit, Wissen und Partizipation. Mit der Monopolisierung weniger Unternehmen, die den meisten Datenverkehr auf sich vereinen, beginnt sich dieses Bild nachhaltig zu verändern. Was wir uns einmal als ein Gewusel offener Schnittstellen und endloser Vernetzungsmöglichkeiten vorgestellt haben, wird heute von Zwängen, Einschränkungen und Überwachung bestimmt.

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