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„Social Media ist Arbeitserleichterung“

Viele Tageszeitungen tun sich nach wie vor schwer mit dem Internet. Ganz anders die „Rhein-Zeitung“. Im Interview spricht Social Media Redakteur Lars Wienand über Crowdsourcing und den Mehrwert einer Zusammenarbeit mit Lesern.

Viele Tageszeitungen tun sich nach wie vor schwer mit dem Internet – insbesondere Social Media. Ganz anders die „Rhein-Zeitung“. Anfang 2009 gab Chefredakteur Christian Lindner die Devise aus: „Twittert mal…“. Der bis dato für die Rheinland-Pfalz-Seite zuständige Redakteur Lars Wienand twitterte, entdeckte das Medium für sich, schaltete im Sommer Facebook dazu und wurde im Herbst dann Social Media-Redakteur, weil die Aufgaben zu umfangreich wurden, um sie „nebenbei“ zu erledigen. Im Interview erklärt er, wie die Zeitung Social Media einsetzt, was Vor- und Nachteile sind und wie der Kontakt mit den Leser/innen die Inhalte und den Journalismus beeinflusst.

Die „Rhein-Zeitung“ hat Ende 2012 Kontakte über Facebook gesucht, die etwas über die Beschäftigungsbedingungen und -erfahrungen bei Amazon sagen können. Wie viele potentielle Quellen haben sich gemeldet?
Lars Wienand: Etwa ein Dutzend. Der Text zum Thema ist ja schon tags darauf erschienen – und einige hatten sich auch erst danach gemeldet. Wir haben dann Anfang des Jahres noch eine sehr ausführliche Mail bekommen, die aber inhaltich eigentlich nichts Neues enthielt. Im Anschluss haben sich auch noch zufriedene Amazon-Mitarbeiter gemeldet.

Social Media Redakteur Lars Wienand © Rhein-Zeitung width=

Wie viele Quellen „taugen“ nach eurer Erfahrung etwas?
Das hängt stark vom Thema ab. Wenn es ein leichtes Erdbeben gab – wo wir beispielsweise sofort Erfahrungen abfragen, dann taugt auch die Dame, die sagt, dass ihr Hund eine halbe Stunde vorher bereits verrückt gespielt hat, für einen Satz – ohne weitere Überprüfung. Wenn aber eine Frau berichten will, dass ihr Nachbar ihr von unhaltbaren skandalösen Zuständen bei Amazon erzählt hat, dann bitten wir sie um Verständnis, dass wir das schon vom Nachbarn selbst hören möchten. Mit dem Gewicht einer Nachricht oder von Vorwürfen wachsen auch die Anforderungen an die Quelle und der Aufwand, die Glaubwürdigkeit zu checken. Aber das ist ja schon seit jeher so oder sollte so sein.

Seit wann sucht die „Rhein-Zeitung“ Informanten über Facebook?
„Informanten“ klingt so konspirativ. Wir suchen Hilfe, Tipps und Hinweise – und das nicht erst, seit wir auf Facebook sind. Unsere Redaktion Idar-Oberstein hatte über ihre WKW-Gruppe nicht nur einen intensiven Austausch über das Thema angestoßen, sondern auch Betroffene gefunden, die bereitwillig erzählten. Auf Google+ haben wir gerade erst eine Fotocommunity gegründet, in die Bilder gepostet werden können, die Leser uns zur Veröffentlichung anbieten. Beim jüngsten Hochwasser kamen einige der ersten Fotos von dort. Diese fantastische Bildergalerie ist vorwiegend über Fotos aus Twitter und Instagram entstanden.

Ist potentiell jedes Thema geeignet oder hängt das auch von der Bereitschaft der Redakteure ab, sich mit Internetnutzern abzugeben?
Ich habe das naturgemäß ganz anders auf dem Radar als Kollegen, deren Arbeit nicht vordringlich um Soziale Netzwerke kreist. Umgekehrt haben wir 14 Lokalausgaben, deren Themen ich nicht alle auf dem Radar haben kann. Beim Fall Amazon war es so, dass die Kollegin, die über den Fall berichten wollte, von der @RZKoblenz aus einen Tweet abgesetzt hat, den ich gesehen und zum Anlass genommen habe, sie zu fragen, ob wir da nicht das große Rad drehen wollen. Amazon ist auch ein in der Region so präsentes Thema, dass ich es über den Facebook-Account der Lokalausgaben und über den Hauptaccount spielen konnte. Unser Verbreitungsgebiet ist sehr heterogen. Wenn ich als „Rhein-Zeitung“ teile, dass die Lokalausgaben Betzdorf am nordöstlichen Rand anlässlich des Aus für ein Freibad Erinnerungen zusammentragen will, dann passt das nicht zum Hauptaccount. Die Bereitschaft ist in der Regel groß – sicher nicht bei allen Kollegen, aber bei den Redaktionen insgesamt schon. Nicht alle Kollegen agieren bei Facebook, aber das müssen sie auch nicht, wenn sie wissen und im Sinn haben, dass es Facebook gibt und was sich dort abspielt. Das ist auch mit YouTube nicht anders.

Gibt es Beispiele für Themen, bei denen sich besonders viele Menschen gemeldet haben und umgekehrt wenige bis gar keine?
Stelle ich eine Frage zu einem Thema, das nicht alltäglich ist und mit dem dennoch viele vertraut sind, bekomme ich die meisten Rückmeldungen. Fragen vom Typ „Und, wie feiert ihr Weihnachten?“ werden nach meinem Eindruck von vielen einfallslosen Social-Media-Managern von Marken gestellt und ermüden. Umgekehrt gilt auch: Je komplexer und politischer das Thema, umso schwieriger ist es nach meinem Eindruck, Rückmeldungen zu erhalten. Ich muss da manchmal die Erwartungen der Kollegen bremsen, wenn die auf eine Twiskussion zu einem Thema spekulieren. Ich mag aber keine Antworten abfragen, die wir dann doch nicht veröffentlichen, weil nicht genügend Rückmeldungen eingehen. Damit verbrenne ich mir das Instrument.

Liegt das am Thema oder an anderen Faktoren?
Es gibt unabhängig von der Tauglichkeit eines Themas auch den Faktor schlechtes Timing.

Wollen die Quellen Schutz?
Abhängig vom Thema. Wer uns etwas Brisantes steckt: Ja, in der Regel. Aber so ein Fall ist ja nicht die Regel.

Wie verfährt die „RZ“ nach einer Kontaktaufnahme weiter?
Wenn wir von einer Quelle mehr möchten als einen Tipp, bitten wir um eine Telefonnummer oder telefonische Kontaktaufnahme, um dann mehr besprechen zu können.

Wie oft nutzt ihr mittlerweile Social Media für die Berichterstattung in der Zeitung?
Im Prinzip täglich. Wir lesen Tweets, die uns neugierig machen, fragen dort nach oder fragen in den Schwarm, ob andere ähnliches erlebt haben. Wir bekommen eigentlich auch täglich Hinweise zu laufenden Polizei- oder Feuerwehreinsätzen. Manche Polizeidienststellen sind schon twittergenervt, weil es vorkommt, dass wir anrufen, ehe Kollegen überhaupt an der Einsatzstelle sind.

Was ist der Unterschied zu früher?
Vieles ist journalistisches Handwerk wie eh und je: Themen erkennen und bewerten, Quellen einordnen. Verändert hat sich aber, dass der Entstehungsprozess transparent ist, dass eigentlich Unbeteiligte auch mit Ihren Hinweisen und Fragen Einfluss nehmen. Journalismus ist viel stärker im Fluss und wird durch Rückmeldungen bereichert. Eindrucksvolles Beispiel: Wir twittern eine Meldung von einer Kollision eines Autos mit einem Traktor. Umgehend kommt die Rückmeldung einer Leserin (protected Account, zu sehen sind im Tweet nur Antworten auf sie), die fragt, ob die autobahnähnlich ausgebaute Straße für Traktoren zugelassen ist. Wir sind uns unseins und posten das auch bei Facebook. Während ein Kollege bei der Polizei nachfragt, kommt die erste Einschätzung – der Traktor darf nicht. Wir lösen dann auf, wie es sich vermeintlich nach Auskunft der Polizei verhält. Mehrere Rückmeldungen unter anderem von einem Fahrlehrer machen deutlich, dass die Auskunft der Polizei falsch war. Wir rufen noch einmal an, korrigieren den Text und machen auch den Prozess transparent. Der Zugriff auf das Informationsbedürfnis (Dürfen da Traktoren fahren?) und die Expertise (Auskunft der Polizei ist falsch!) vieler Quellen macht uns besser. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Es nimmt auch die Zahl der Hinweise zu, die sich interessant anhören, sich aber bei Nachfragen in Luft auflösen.

Gibst du das an die Printkollegen weiter oder verwalten die Printler selbst die Threads?
Ich bin da für unsere Mantelredaktion und vereinzelt auch für Lokalredaktionen der Dienstleister. In der Regel ist es aber so, dass Lokalredaktionen es selbst im Auge behalten und verwalten, wenn sie etwas anstoßen. Noch ein Wort zur Fragestellung: Viele Kollegen der Lokalredaktionen sind auch keine klassischen Printler mehr – sie erstellen Inhalte, unabhängig vom Vertriebsweg. Und stellen ihre Texte mit einem Klick auch selbst online. Es ist aber so, dass die natürlich nicht in der Tiefe und auch immer in der Geschwindigkeit die Sozialen Medien im Blick haben können wie ich. Ich habe also auf meinem iPhone die Twitter-Accounts aller Lokalausgaben und bekomme Pushmeldungen bei Mentions und Direct Messages… Und ich schaue auch häufiger mal auf die einzelnen Facebookseiten.

Welche Erwartungen haben die Informanten?
Das ist eine Frage, die man sicher an die Informanten stellen sollte. Ich denke, bei den Motiven der Informanten hat sich über die vergangenen Jahrzehnte wenig geändert – nur die Möglichkeiten des Kontakts und der Übermittlungen haben sich geändert. Die Hürde, auf einen Aufruf bei Facebook zwei Sätze zu schreiben, ist sicher auch deutlich niedriger als bei einem Medienbruch – wenn ich nach einem Printartikel zum Telefonhörer greifen, einen Brief, eine E-Mail oder ein Fax schreiben soll. Insofern hat sich Motivation vielleicht doch etwas geändert, ich muss keinen hohen Leidensdruck oder Empörungsgrad aufbringen oder etwas sehr Spektakuläres erlebt haben, um mich zu melden. So ist es auch einfacher geworden, an Hinweisgeber zu kommen.

Sind das unbedingt Zeitungsabonnenten? Nützt Crowdsourcing, um Abonnenten zu gewinnen oder zu halten?
Mir liegen dazu keine Zahlen vor. Aber ich denke schon, dass ein Medium, das signalisiert, dass ihm die Hinweise seiner Leser wichtig ist, damit etwas zur Bindung an die Marke beiträgt – unabhängig vom Vertriebsweg. Und wenn ein Aufruf von uns, dass wir Hinweisgeber suchen, eifrig geteilt wird, dann bringt das auch ganz andere Kreise in Berührung mit der „RZ“. Es ist zugleich auch ein Teaser für die Berichterstattung, die dann schon mit Spannung erwartet wird. Im Fall von Amazon war der Text kaum online, da hat ihn schon die erste Leserin gepostet.

Welche Fehler kann man beim Crowdsourcing machen?
Welche Fehler kann man im Journalismus machen? Die kann man auch beim Crowdsourcing machen – ich sehe da keine Unterschiede.

Was sollte man unbedingt beachten?
In meinen Augen sollte man sich nicht entmutigen lassen, wenn ein Aufruf nicht zündet – und dann mit einem Dank an die, die sich gemeldet haben, transparent machen, dass bei so wenigen Rückmeldungen aus der geplanten Berichterstattung in der Form nichts wird.

Was war bislang die erfolgreichste „crowdgesourcte“ Geschichte?
Ich tue mich schwer, mich da auf eine festzulegen. Am meisten bereichert hat uns sicher eine Sammlung von eindrucksvollen Videos bei einem Unwetter. Der Artikel hatte auch mehr Abrufe als ein Text über ein Todesopfer durch einen umgestürzten Baum bei dem Unwetter. Allerdings waren da nur zwei Drittel der Videos aktiv an uns herangetragen worden, wir haben aber auch gezielt gesucht. Ganz einleuchtend wird der Erfolg von Crowdsourcing, wenn es mit einer großer Arbeitserleichterung einhergeht: Als die Meldung auftauchte, dass Tankstellen jetzt Geld für Luft in Reifen verlangen, haben wir unsere Follower gefragt – und hatten fünf Minuten später zwei Fälle von Tankstellen in unserem Verbreitungsgebiet. Die Suche wäre ohne diese Hilfe wohl sehr mühsam gewesen. Das zeigt, dass Social Media nicht nur Arbeit, sondern auch Arbeitserleichterung bedeuten kann.


Die „Rhein-Zeitung“ ist eine der größten Flächenzeitungen Deutschlands mit einer Auflage von rund 200.000 Exemplaren und erscheint mit 14 Lokalausgaben. Lars Wienand war auch zu Besuch bei der von VOCER gehosteten Veranstaltung „Bloß keine Bindungsängste! Wie Medienmarken den Kontakt zum Publikum suchen“ während der Social Media Week Hamburg.

Zuerst erschienen auf „istlokal.de“.

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