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Die fünfte Gewalt

Im vergangenen Jahr Kachelmann, aktuell Wulff: Beispiele für journalistische Amtsanmaßung gibt es immer wieder. Der neue VOCER-Kolumnist Ralf Höcker über das Gerede von der vierten Gewalt.

Es gibt keine fünfte Gewalt. Es gibt aber auch keine vierte. Deshalb darf der Name dieser Kolumne genauso größenwahnsinnig daher kommen, wie diejenigen Journalisten, die die Staatsgewalt gerne „vierteilen“ und sich wichtiger nehmen als sie sind – etwa in den Fällen Wulff und Kachelmann.

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. So heißt es in Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes.

Von Medien steht da nichts!

Natürlich, die Medien haben mit der Pressefreiheit ihr eigenes Branchengrundrecht. Das haben Schlagersänger und Karnevalsvereine auch. Selbst „Monarchen“ wie Mallorca-König Jürgen Drews und der Kölner Karnevalsprinz neigen aber nicht dazu, ihre verfassungsrechtliche Position (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 GG) so zu überhöhen, wie Journalisten es tun.

Der Fall Kachelmann: Journalisten spielen Gericht

Gerichtsreporter im Fall Kachelmann, die nie eine Juravorlesung besucht haben und die meiste Zeit vor dem Gerichtssaal verbrachten, weil die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, verließen die Rolle des Beobachters und schwangen sich zu mitverhandelnden Prozessparteien auf. Sie spielten sogar dritte Gewalt.

Ihre Grenzüberschreitungen, die von Vorverurteilungen bis zur Bezahlung von Zeuginnen durch die „Bunte“ reichten, sind vielfach kritisiert worden. Sie waren besonders vermessen, weil es keinem Journalisten gelang, den nur scheinbar in allen Facetten ausgeleuchteten Fall in seiner Komplexität auch nur annähernd zu erfassen oder gar zutreffend darzustellen. Das gilt unabhängig davon, ob die Journalisten pro oder contra Kachelmann schrieben, und es spielte auch keine Rolle, wie viel „Prozesserfahrung“ als zum Teil preisgekrönte Gerichtsreporter sie mitbrachten. Die Artikel unterschieden sich nur im Grad ihrer Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit.

Journalisten müssen demütig die Begrenztheit ihrer Erkenntnis- und Darstellungsmöglichkeiten im Blick haben. Sie dürfen keinesfalls selbst zum Akteur werden.

Der Fall Wulff: Journalisten spielen Bundesversammlung

Das gilt auch für jene Medien, die sich die Ausübung von Staatsgewalt anmaßen, wenn sie die Neubesetzung des höchsten Staatsamtes nicht nur fordern, sondern mit Gewalt herbeischreiben wollen. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, nicht von der „Bild“-Zeitung. Und er wird auch nicht vom „Spiegel“ wieder abgesetzt. So einfach ist das.

Aber wehe, man klopft den Medien auf die Finger. Die Pressefreiheit sei in Gefahr, heucheln sie dann. Ein Bundespräsident dürfe Chefredakteure nicht durch „Droh“-Anrufe unter „Druck“ setzen. Er dürfe Vorwürfen nicht einmal über einen Anwalt begegnen, denn das sei seines Amtes unwürdig. Er soll also klaglos hinnehmen, dass nicht nur seine Persönlichkeitsrechte, sondern auch die seiner Familie und Freunde durch Schnüffelei in Kreditverträgen, Hotelrechnungen und sonstigen Privatangelegenheiten verletzt werden.

Die Einschüchterungstaktik geht auf. Kaum noch ein Politiker traut sich, verleumderische, privatsphärenverletzende Journalisten als solche zu bezeichnen und sie mit Abmahnungen und einstweiligen Verfügungen in die Schranken zu weisen. Auch Wulff scheint nur noch zu hoffen, dass die Medien irgendwann die Lust an diesem Krieg verlieren.

Krieg? Das Wort darf er angeblich auch nicht benutzen. Es ist wie in Afghanistan: Jeder weiß, dass Krieg herrscht und der Rubikon überschritten ist, aber man soll es nicht laut sagen.

Man kennt das von PR-Beratern, denen in Krisen nie etwas anderes einfällt, als selbst massivsten Presse-Angriffen mit Freundlichkeit und „Transparenz“ zu begegnen, anstatt eine ordentliche Verteidigung zu organisieren. So ließ der Bundespräsident sich sogar nötigen, Hunderte teils dämlichster Journalisten-E-Mails öffentlich zu beantworten. Warum spricht Wulff es nicht einfach aus: „Ich habe keine Zeit, keinen Anlass und kein Geld, um jede Journalisten-Spammail ernstzunehmen und Fragen zu Bobby-Cars und ähnlichem Kinderkram durch teure Anwälte beantworten zu lassen!

Es ist Wulffs Recht, sich angstfrei gegen eine anmaßende Journaille zu wehren. Es ist sogar seine Pflicht als Verfassungsorgan, Ehemann und Freund.


Anmerkung: Der Verfasser vertrat Jörg Kachelmann als Medienanwalt in dessen Strafverfahren.

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