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Den Sportjournalismus an seiner Ehre packen

In kaum einer journalistischen Disziplin hängt der Medien-Output so eng mit dem Erfolg teilnehmender Parteien zusammen wie im Sport. Über die Probleme der Sportberichterstattung zwischen Doping und Fan-Sein.

Am 10. April jährte sich der Todestag von Birgit Dressel zum 25. Mal. Der Tod der erfolgreichen Siebenkämpferin, ein trauriges Jubiläum für das Thema Doping im Sport – und auch für den Sportjournalismus. Die immer noch ungeklärte Todesursache wurde 1987 zu einem „Spiegel“-Titelthema, das erste große sportjournalistische Stück zum Thema Doping. Es folgten mit Ben Johnson, Marion Jones oder Jan Ullrich und Claudia Pechstein eine explodierende Anzahl an Fällen und Verdächtigungen im Sport – mit denen der Sportjournalismus nie mithalten konnte.

Doping ist nicht erst seit Birgit Dressel eines der elementarsten Probleme des modernen Sports. Warum kümmern sich so wenige Sportjournalisten ernsthaft um dieses Thema? Warum wurde erst so spät eine Dopingredaktion im WDR gegründet? Warum wird in anderen deutschen Redaktionen das Problem immer noch zaghaft verfolgt, statt tiefgründig recherchiert?

Sicher: Ist ein prominenter Athlet in einen Dopingfall verwickelt, ist dies ein entsprechend bedeutendes Thema in nahezu allen Medien. Und: Die Berichterstattung ist sicher auch eine Triebfeder für Verbände, Organisationen und den gesamten Sport, sich mit diesem Thema überhaupt auseinanderzusetzen. Aber Hintergründe interessieren als journalistisches Thema meist nur aus der Perspektive des betroffenen Sportlers oder des betrogenen Publikums – eine strukturelle Analyse der Problematik fehlt.

Hat jedes Ressort sein Dopingproblem?

Die Berichterstattung über Doping scheint eines der größten Probleme des Sportjournalismus zu sein. Weil sie Fragen aufwirft, denen sich dieses Ressort eigentlich nicht stellen möchte. Soll man über ein Thema berichten, obwohl die Zuschauer, Zuhörer und Leser dann abschalten oder wegsehen? Es ist nachweisbar: Doping schmälert die Quote, mindert die Auflage – wie also mit so einem Thema umgehen?

Sport lebt von Emotion, von Wettkampf, Sportjournalismus transportiert dies allzu oft ungefiltert – Dopingberichterstattung wirkt da wie eine Euphoriebremse. Ist es deshalb besonders im Sportjournalismus problematisch mit schwierigen Themen? Oder hat jedes Ressort sein Dopingproblem?

Tatsächlich repräsentiert Doping eine, wenn nicht die größte Falle des Sports – und damit des Sportjournalismus. Gebremst nur durch das Prinzip der Fairness. Gibt es – oder kann es überhaupt fairen Journalismus geben? Journalismus ist auf Außergewöhnlichem, auf dem Nachrichtenwert zum Beispiel durch sportliche Höchstleistung oder eben Prominenz aufgebaut. Auch Negativismus ist üblicherweise ein starker Nachrichtenfaktor – nur im Falle des Dopings offenbar nicht. Ein Ausweg kann nur durch eine Änderung des Systems, durch Umdenken und eine Besinnung auf Qualitätsjournalismus erfolgen. Eine Abkehr von bis jetzt nahezu uneingeschränkt gültigen Maximen wie Geschwindigkeit, Exklusivität oder emotionaler Teilhabe.

Eine hehre Forderung, wenn man bedenkt, dass der Sportjournalismus zwei weitere Probleme mit sich trägt: Beteiligtsein, gepaart mit dem Fokussieren auf wenige Themen, nämlich auf die sogenannten Mediensportarten.

Sportjournalismus: Beteiligtsein statt nur Dabeisein

Mittendrin statt nur dabei, heißt ein oft als Kritik am Sportjournalismus proklamierter Werbespruch des früheren DSF. Aber: Sportjournalisten sind nicht nur dabei, sie sind direkt beteiligt. Auch andere Journalisten sind dabei und kennen das Problem, das Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ mit dem Begriff „klebrige Nähe“ so treffend beschrieb. Aber anders als die Politikjournalismus-Zirkel in Berlin oder Verfilzung im Wirtschafts- und Reisejournalismus sind Sportjournalisten (in)direkt Betroffene von ihrer Berichterstattung.

Sportliche Niederlagen können für den Sportjournalismus finanzielle Folgen haben. Wenn die betreute Sportart im Sinne der Leistung schlecht ist, reisen die Reporter nicht mehr zu den Wettkämpfen, wenn ein Verein absteigt, wird den Themen weniger Platz eingeräumt, die Anzeigenerlöse werden gemindert, es steht weniger Reiseetat in der Redaktion zur Verfügung. Die Bedeutung nicht nur des Sports bzw. der Mannschaft sinkt, sondern auch die des Berichterstatters.

Hockey-Bundestrainer Markus Weise beschrieb vor kurzem in einem interessanten und offenen Interview in der „FAZ“ die Probleme seiner Sportart bei den diesjährigen Olympischen Spielen: Durch den ausbleibenden Erfolg anderer Ballsportarten habe er in London 2012 weniger finanzielle Mittel zur Verfügung und müsse um den Erfolg seines Teams bangen. Die Berichterstatter der anderen Sportarten (Handball, Basketball, Fußball) haben bei Olympia ganz andere Probleme – ihre Teams sind gar nicht erst dabei, das bedeutet weniger Fernsehzuschauer, weniger Themen für die Zeitung und insgesamt weniger Aufmerksamkeit. Einige werden wohl gar nicht hinfahren (dürfen), da ihre Berichterstattung nicht mehr gefragt ist.

Sportliche Qualifikation als Arbeitskriterium

Im Fußball oder auch in anderen Sportarten würde die Nicht-Qualifikation des deutschen Teams für eine WM oder EM sogar weniger Akkreditierungsplätze (die von den internationalen Verbänden proportional zu teilnehmenden Ländern und Bedeutung des Mediums vergeben werden) bei diesen Turnieren für deutsche Journalisten bedeuten. Zwar würde es in diesem Fall auch deutlich weniger Anfragen geben, aber ein Bedeutungsverlust und vor allem Finanzierungsverlust in den Redaktionen wäre unvermeidlich. Auch um die Akkreditierungsvorgaben des IOC für Deutschland muss man sich bei weiter ausbleibendem Erfolg deutscher Olympia-Teams Sorgen machen.

Eine sportliche Qualifikation ist für Sportjournalisten damit nicht nur ein spannendes und teils dramatisches Thema, sondern auch ein Wettkampf um den zukünftigen Arbeitsinhalt bzw. sogar Arbeitsplatz. Was bedeutet der Abstieg des 1. FC Kaiserslautern für die Journalisten bei der „Rheinpfalz“? Wie berichteten die „Badischen Neuesten Nachrichten“ oder das „Badische Tagblatt“ seit der Karlsruher SC in der zweiten Liga spielte – jetzt gab es sogar den nächsten Abstieg in Liga drei.

Die Regionalität der sportlichen Erfolge ist auch ein sportjournalistisches Problem. Solange sich zunächst nur auf Fußball konzentriert wird und andere Sportarten oder Themen keine Rolle spielen, versinken ganze Regionen der Sportberichterstattung bei ausbleibenden sportlichem Erfolg im Abseits. Die fehlende Erstligazugehörigkeit ostdeutscher Fußballvereine hat den dortigen Sportredaktionen in ihrer Entwicklung nicht gerade geholfen. Zwar kann ein Bedeutungsverlust des regionalen Fußballteams im Sinne der sportlichen Vielfalt in den Medien auch von Vorteil sein – andere Disziplinen werden beobachtet, mehr Lokalsport thematisiert. Aber die Stellung der betroffenen Sportredaktion im Medium sinkt beim Wegfall des Themas Fußball, der deutschen Mediensportart Nummer eins: weniger Leitartikel, Kommentare und Sonderthemen sind gefragt.

Wirtschaftliche Zwänge

Und: Auch aus anderer Perspektive ist die Sportberichterstattung beim Fußball eng an wirtschaftliche Zwänge gebunden. Wenn ein Fernsehsender die Rechte an dieser Sportart verliert, werden die Berichterstatter nicht mehr benötigt – sie müssen gehen. Seit Jahren gibt es eine mediale „Wandergruppe“ im TV-Sportjournalismus, die mit den Fußballübertragungsrechen von Sender zu Sender wechselt – die bekannten Gesichter haben es leicht, unbekannte Gesichter bleiben oft ohne Arbeitsplatz auf den abseitigen Ramschkanälen der Sportberichterstattung hängen.

Direkte emotionale und wirtschaftliche Beteiligung ist auch in anderen journalistischen Ressorts gegeben. Im Politikjournalismus haben Medien das Problem, dass Journalisten einer Partei angehören (können) und damit sichtbar befangen sind. Auch Wirtschaftsredakteure können Aktionäre eines Unternehmens sein, über das sie berichten müssen. Doch diese Verstrickungen zwischen Privatleben und beruflicher Tätigkeit als Journalisten scheint weitaus weniger emotional und damit problematisch als das in einigen Fällen offen auftretende Fan-Sein des Sportjournalisten – und bei Abwahl der Partei können die betroffenen Journalisten über andere Parteien berichten, die dann an der Macht sind. Zwar gehen damit auch in der Politik eventuell gute Kontakte in die Regierung verloren, aber dies ist nicht mit dem Abstieg von Fußballmannschaften vergleichbar: Wenn ein Bundesligaklub absteigt, verliert der Reporter, der sich in manchen Medien meist ganz auf dieses Team spezialisiert hat, einen Großteil seiner Arbeitsgrundlage und muss sich neu orientieren.

Das Fan-Sein wird zudem bei nationaler Betroffenheit noch einmal deutlich gesteigert: Welcher Sportjournalist kann es wagen, bei Länderspielen oder bei Olympia gegen deutsche Athleten zu sein? Wer traut sich, das taktische Foul des eigenen Teams (es gibt sogar den Begriff des „fairen Fouls“) zu brandmarken, wenn damit der Sieg gerettet wird? Nur im Sportjournalismus gibt es einen „Fair Play-Preis“, und der Verband Deutscher Sportjournalisten hat sogar Probleme diesen Preis zu vergeben – das sagt vieles.

Aber tatsächlich: Fußball-Länderspiele berühren die Nation, meist weit über 20 Millionen Menschen schauen zu, fiebern mit, wie schwer ist da eine kritische Position. Mit diesem Problem kämpft die Sportberichterstattung seit langem – gelöst ist es nicht.

Journalistische Normen und ihre Gefährdungen im Sportjournalismus

Eine Lösung bedeutet, den Sportjournalismus an seiner Ehre zu packen. Das System des Journalismus zeichnet sich durch grundlegende Normen aus, die den Journalismus zu dem definieren, was er ist: Journalismus.

Festgelegt sind diese Normen vor allem in sogenannten Richtlinien und Richtwerten für die journalistische Qualität, sich danach zu richten ist letztlich vor allem eine moralische Aufgabe. Der Sportjournalismus weist – wie jeder andere Journalismus auch – spezifische Gefährdungen auf, die – je nach Medium mehr oder minder dringlich – die Frage nach der Qualität und damit nach ehrvollen Verhalten aufwerfen:

Übersicht: Wie journalistische Normen im Sportjournalismus gefährdet werden

Journalistische Norm  Gefährdung im Sportjournalismus 
Vielfalt an Anbietern/Sichtweisen  Monopolrechte an Sportveranstaltungen (TV, Hörfunk) 
Relevanz  Konzentration auf nationale Helden, Topsport, Mediensportarten (Übermaß/Stilisierung/Inszenierung) 
Professionalität

• Fairness/Neutralität

• Richtigkeit

• Analyse 

 

• Parteinahme, Nationalismus

• schönende Kurzberichte

• Floskel-, 1:0-Journalismus, Stereotype 

Rechtmäßigkeit  Diskriminierung 
Unabhängigkeit

• Unternehmensebene

• Akteursebene 

 

• Mitveranstalter

• Problem Nähe/Distanz (»embedded journalists«, Expertentum) 

Trennung Werbung – Text/Programm  • Sponsoring, Productplacement, Dauerwerbung 
Trennung Meinung – Sachverhalte  • Emotionalisierung, Kommentierung 

Entnommen aus: Horky, T./Schauerte, T./Schwier, J. (Hrsg.): Sportjournalismus. UVK (2009).

Diese Übersicht zeigt einige Probleme des Ressorts, die in der täglichen Praxis immer öfter zu Diskussionen und Differenzen führen. Tatsächlich scheinen die beschriebene Eigenständigkeit und die dadurch hervorgerufenen Abhängigkeiten den Sportjournalismus in Fallen tappen zu lassen, die das Ressort charakterisieren und einen Diskurs um eine sportjournalistische Ethik dringlich hervorrufen.

Diese Auseinandersetzung um eine Ethik im Sportjournalismus ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft des Ressorts.

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