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Storify: Geschichten besser erzählen

Storify hilft, Geschichten mit Posts aus zahlreichen Social-Media-Kanälen anzureichern. Ein komfortables Tool auch für Journalisten — das sich nach dem Kauf durch Livefyre in einer Findungsphase befindet, wie Co-Gründer Burt Herman im Interview erklärt.

Gemeinsam mit Xavier Damman hat Burt Herman 2010 den Livestream-Service Storify gegründet. Seitdem ist der Journalist auch als Unternehmer aktiv – und am 4. September beim Scoopcamp in Hamburg auf der Bühne zu sehen, wo er über Innovation im Journalismus spricht. nextMedia Hamburg und VOCER haben Herman vor der Konferenz über den aktuellen Stand bei Storify befragt.

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VOCER: Burt, Sie haben einen journalistischen Hintergrund und sind nun auch Unternehmer. Worin sehen Sie die größten Unterschiede?

Burt Herman: Beide Bereiche kommen sich immer näher und die Unterschiede sind längst nicht mehr so groß wie noch vor einigen Jahren. Journalisten beginnen, in ihren Bemühungen die Leser mit ihren Berichten zu erreichen, zusehends unternehmerisch zu denken. Dennoch unterscheiden sich die Felder gewiss in den Arbeitsabläufen: Es gehört zum journalistischen Alltag die gesamte News-Lage zu überblicken und zu beurteilen, welche Informationen wichtig und welche irrelevant sind. Der Journalist muss die Bedürfnisse des Lesers bedenken und schließlich die Neuigkeit verfassen. Das Aufgabenspektrum ist also klar vordefiniert. Im Unterschied dazu gibt es für mich als Unternehmer keinen Plan dafür, wie ich agieren soll. Während der Journalist einfach am nächsten Tag zu einer anderen Aufgabe übergeht, könnte ich hundert verschiedene Dinge tun und niemand kann mir wirklich erzählen, was richtig oder falsch ist. Die Definition besagt, dass man etwas macht, das bisher noch niemand getan hat. Wir kreieren etwas Innovatives, etwas Neues. „Trial and Error“ – überlegen und einfach gucken, wie es läuft, lernen und anpassen. Dies ist einer der größten Unterschiede.

Journalisten sind also weniger innovativ?

Der Journalist kann natürlich nicht in gleichem Maße experimentieren, etwas Falsches schreiben und es anschließend einfach korrigieren. Dennoch scheint sich auch hier einiges im Journalismus zu tun. Erst vor kurzem habe ich diesbezüglich etwas sehr interessantes gelesen: Zum ersten Mal hat die New York Times einen News Alert bezüglich einer Entscheidung des Oberen Gerichthofs veröffentlicht, ohne Genaueres über die Inhalte zu vermelden. Sie haben das Urteil zwar zur Kenntnis genommen, waren sich jedoch scheinbar nicht sicher, was es genau zu bedeuten hatte. Gleichzeitig haben sie kommuniziert, dass die Reporter an der Geschichte dran seien und den Leser updaten würden. Ein Novum, da insbesondere seriöse Medien wie die NYT normalerweise erst publizieren sobald die betreffenden Neuigkeiten auf ihre Richtigkeit und ihre genauen Inhalte geprüft wurden und sobald die Redaktion das Geschehene entsprechend einordnen konnte. Für einen Journalisten und vor allem für mich selbst, kann das sehr beunruhigend sein. Es fällt schwer, sich an diesen Zustand zu gewöhnen, aber es gehört einfach dazu, dass man gelegentlich im Dunkeln tappt und Dinge macht ohne genau zu wissen, ob es die richtige Entscheidung ist.

Was beeinflusst Sie mehr: Die Startup-Kultur oder der Journalismus?

Ich denke, es ist wohl der Journalismus. Wahrscheinlich durch die größere Erfahrung, die ich in diesem Bereich habe. Mit dem Thema Startups befasse ich mich erst seit knapp fünf Jahren. Die Mission des Journalismus ist es, kritisch zu sein und herauszufinden, um was es wirklich geht. Gleichzeitig geht es darum, Geschichten zu erzählen. Mit diesen wesentlichen Grundlagen setzen sich zunehmend auch die Menschen in der unternehmerischen Welt auseinander. In beiden Bereichen geht es darum spannende und überraschende Geschichten zu erzählen, insofern können sie sich gegenseitig befruchten. Meiner Ansicht nach sollte man dabei aber nicht alles Alte wegwerfen um etwas Neues zu erschaffen. Ich glaube, dass es ein Teil von „Innovation“ ist, dass man das Beste der Vergangenheit mit Neuem kombiniert, um etwas noch viel besseres zu erschaffen.

Man hört oft, dass Journalisten lernen müssen, zu coden, Videos zu drehen und sich besser zu vermarkten. Was ist Ihr Rat für Journalisten im 21. Jahrhundert?

Ich finde nicht, dass man alles können muss. Ich denke, der Schlüssel liegt vielmehr in der Spezialisierung. Der journalistische Wettbewerb ist härter als jemals zuvor und wenn jemand nur ein „Okay-Schreiber“ ist, der allgemeine Themen abdecken kann, dann wird er kaum die Möglichkeit erhalten herauszustechen, da eine Menge Journalisten diese Rolle bereits ausfüllen. Trotzdem muss das Bewusstsein vorhanden sein, wie die Wege der Konsumenten zum journalistischen Produkt heute aussehen. Sie müssen wissen, wie man eine Webseite erstellt, wie Content auf Smartphone, Tablet oder Google Glass aussieht.

Zu Beginn hat sich Storify ganz auf die Storyersteller fokussiert. Wie soll die Nutzerschaft nun erweitert werden?

Seit Livefyre Storify erworben hat, befinden wir uns gewissermaßen in einer Selbstdefinitions-Findungsphase. Sind wir ein Werkzeug für Verleger oder Journalisten? Oder sind die Konsumenten unsere Zielgruppe? Wir haben versucht, beide Richtungen anzusprechen, aber tatsächlich sehen wir uns mehr als Tool für Publisher, um Geschichten zu erzählen. Wir arbeiten an Features für erfahrene Storyteller, sprechen dabei aber nicht nur den journalistischen Bereich an. So gibt es beispielsweise einige NGOs und politische Organisationen, die Storify nutzen. Genau denen wollen wir helfen, ihre Geschichte besser zu erzählen. Das ist auch das, womit sich Livefyre beschäftigt hat: Eine Firma, die professionelle Werkzeuge für sehr große Kunden bereitstellt. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, uns in diesem Bereich zukünftig zu positionieren.

Das Manifest der New York Times hat das Ende der Homepages angedeutet. Wird Storify nun zum sicheren Hafen für alle kleinen Zeitungen, die gerade so über die Runden kommen?

Heute ist das Social Web die Inhalte-Quelle für fast alles, ob Zitate, Fotos oder Videos. Wir klicken uns durch soziale Plattformen und deutlich seltener als früher durch Homepages. Einer der Hauptanreize für Storify war daher die Frage, wie wir den Journalisten in Zeiten der sozialen Netzwerke als relevanten Intermediär beibehalten. Links über Social Media rauszuschleudern ist sicher ein praktikabler Weg um Leser zu erreichen. Vielmehr müssen wir aber überlegen, wie die Journalisten ein Teil von Social Media werden können. Sie können sinnstiftend auf die Welt der Social Media einwirken. Wir versuchen einen Weg zu finden, der Geschichten tatsächlich sozial macht, indem wir die User in eine Konversation verwickeln. Dadurch treten Themen in einen dynamischen Kreislauf und bleiben länger lebendig, anders als in der klassischen rückwärtsgewandten Berichterstattung. Das Publikum hilft dabei, eine Geschichte zu erzählen. In Syrien war und ist es Journalisten beispielsweise untersagt, in bestimmte Gegenden zu reisen. Der einzige Weg für uns, um Informationen zu bekommen, war die Sichtung der Social-Media-Posts der Menschen vor Ort. Ein ähnliches Phänomen war nach dem Anschlag beim Boston Marathon zu beobachten. Auch dort half die Bevölkerung durch viele Fotos bei der Berichterstattung.

Aus Sicht einer VC-finanzierten Firma – was ist Ihr Rat an alle Gründer, die Investoren von ihrer Idee überzeugen wollen, in einem eher von „altem Geld“ geprägten Umgebung wie Hamburg?

Journalisten sollten immer überlegen, wie sie ihr Angebot skalieren können. Wie können sie eine Plattform aufbauen, die größer als ihre einzelnen Teile wird? Eine große Vision kann helfen, finanzielle Unterstützung zu bekommen, aber Venture Capital ist nicht die Antwort auf alles und die allgemeine, richtige Lösung. Geld geliehen zu bekommen bedeutet zwar, dass Menschen an einen glauben, doch das bedeutet nicht automatisch auch Erfolg. Viele Medienhäuser haben ein anders Problem: Sie sind zu groß, zu schwerfällig. Ich glaube, dass viele Printprodukte mit deutlich geringerem Aufwand hergestellt werden könnten. Startups geben hier oft ein gutes Beispiel: Sie starten in kleineren Zusammenhängen und überlegen bei ihren folgenden Schritten genau, ob der Arbeitseinsatz gerechtfertigt ist. So wird der Betrieb nicht überdimensioniert, sondern wächst organisch.


Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Zweitveröffentlichung in Zusammenarbeit mit nextMedia Hamburg im Vorfeld des Scoopcamp 2014 am 4. September in Hamburg. VOCER wird als Medienpartner vor Ort berichten – und verlost bis zum 29. August noch fünf Tickets. Einfach eine Mail an redaktion@vocer.org schicken und mit Glück gewinnen!

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