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Sind Verlage überflüssig geworden?

Erst sägten die Musiverlage an dem Ast, auf dem sie saßen, dann gab ihnen die Digitalisierung den Rest. Das Comeback der Schallplatte zeigt, wie es weitergehen kann — und was Printverlage daraus lernen können.

Herbst 2013: Wir werden Zeuge eines großen Comebacks. Die gute alte Vinyl-Schallplatte ist zurück. Über zwei Jahrzehnte war sie verschwunden, aber nun verkauft sie sich wieder. Im vergangenen Jahr wuchs der Vinyl-Absatz in den USA sogar um beeindruckende 30 Prozent. Auch in Deutschland ist die schwarze Scheibe wieder gefragt. BMG-Chef Masuch erklärte dazu im Herbst 2013 in der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir sehen ein Revival der Schallplatte, Vinyl ist das schnell wachsende Segment physischer Produkte neben den digitalen Segmenten.“ Aber was war geschehen? Wie konnte die Schallplatte überhaupt aus den Charts verschwinden? Und was hat diese Geschichte mit der deutschen Verlagslandschaft zu tun? Mehr, als wir auf den ersten Blick denken.

Die Musikverlage waren die ersten, die von der Digitalisierung frontal erwischt wurde. Plötzlich gab es im Web alles und scheinbar umsonst. Viele waren nicht mehr bereit, für Musik zu bezahlen. Eine Entwicklung, die in Deutschland besonders Bertelsmann zusetzte. Erst tat man sich mit Sony zusammen, dann stieg man in mehreren Schritten sogar komplett aus dem Musikgeschäft aus. Die digitale Welt hatte der so liebgewonnenen Verlässlichkeit des lukrativen Geschäftsmodells ein schmerzhaftes Ende bereitet. Früher brauchten Musiker Musikverlage. Nur die hatten die notwendige Aufnahmetechnik, den nötigen Marketingapparat, die millionenteure Technik zum Pressen von Schallplatten und zum Drucken der Hüllen und die notwendige, teure Vertriebsstruktur. 
Ohne Musikverlage kam die Musik nicht zum Hörer. 
Heute haben Musiker exzellente Aufnahmetechnik im eigenen Keller, das Trägermedium ihrer Musik ist eine Datei und das Internet verbindet sie direkt mit den Hörern.

Zu allem Überfluss hatte man — lange bevor die Digitalisierung über die Musik gekommen war — bereits selbst die ersten Sargnägel ins eigene Geschäftsmodell geschlagen. Im Streben nach immer größeren Margen hatte man nämlich die eigenen Aufnahmestudios abgeschafft und das kreative „Entwicklungsrisiko“ in die Hände der Musiker gelegt. In einem zweiten Schritt waren die eigenen Grafik-Abteilungen aufgelöst worden und schließlich beschloss man auch noch, die Promotion-Abteilungen auszulagern. Plötzlich standen Musiker und Produzenten auf der sprichwörtlichen Straße und waren gezwungen, eigene Studiokapazitäten aufzubauen. Und dann wurde auch noch die dritte Stufe gezündet: Man verkündete den Künstlern, dass es künftig keine Auftragsvergaben mehr geben würde, sondern nur noch Bandübernahmeverträge. Damit war das Entwicklungsrisiko vollends an die Kreativen ausgelagert. Notgedrungen — und unter hohem finanziellen Druck — besaßen die Künstler nun nicht nur den Anfang der Wertschöpfungskette in Form der Studios, sondern auch das Endergebnis ihres Schaffens, das Band.

Das Geschäftsmodell der Musikverlage hatte sich urplötzlich komplett geändert. Musik produzieren und Musik besitzen war nicht mehr lukrativ genug. Das war plötzlich der Part des Geschäfts, der am wenigsten Profit abwarf. Man zog sich stattdessen einfach auf die reine CD-Produktion und den Vertrieb der Tonträger zurück. Zwei Geschäftsfelder, die von der Digitalisierung in der Folge am stärksten beschädigt werden sollten. Durch diesen selbst ausgelösten Paradigmenwechsel in der Musikindustrie kam die Musik aber glücklicherweise dahin zurück, wo sie hingehört: In die Hände von Musikern! Musikverlage sind so über die Jahre überflüssig geworden. Ohne groteske Copyright-Gesetze, die Kopieren auf eine Stufe mit Mord und
Kindesmissbrauch stellen und ohne Knebelverträge für Musiker wären sie wahrscheinlich sogar längst gestorben. So dauert das Sterben nur etwas länger.

Nun erwischt es offensichtlich die Papierverlage. Niemand braucht mehr schnell veraltende Informationen auf Tonnen von quer durchs ganze Land transportiertem Papier. Aus Kosten-gründen, aber auch aus strategischer Ratlosigkeit heraus werden ganze Redaktionen ausgelagert und die meisten kreativen Tätigkeiten Stück für Stück an Freischaffende vergeben. Viele Verlagshäuser kämpfen zudem mit der Auslastung ihrer teuren Druckmaschinen, die sie sich über die Jahre angeschafft haben, um an der gesamten Wertschöpfungskette ihres in die Jahre gekommenen Geschäftsmodells teilhaben zu können. Ein Reisemagazin steht zudem nicht länger in Konkurrenz zu anderen Reisemagazinen sondern zum ganzen Internet, das oft besser, in jedem Fall detaillierter und fast immer kostenlos über ein Reiseziel berichtet.
Und so sind es nicht mehr die Verlage, die miteinander konkurrieren, sondern Autoren und Informationen. Mit der Hoheit über die Informationsverteilung scheinen die Papierverlage ihre Lebensbasis verloren zu haben.

Wie es weitergeht? Für die Musikverlage lässt sich das halbwegs beantworten. BMG ist beispielsweise seit einigen Jahren wieder im Musikgeschäft unterwegs. Nicht mehr als klassische Platten- oder CD-Firma, sondern vor allem als Rechtehändler. Daneben versucht man sich als Dienstleister für Künstler zu etablieren — ohne sich in den Kreativprozess einzumischen. Und die gute alte Schallplatte? Sie kommt zurück in einer Art Special-Interest-Nische, in der man jenseits der digitalen Möglichkeiten wieder auf der Suche nach emotionalen, haptischen und auch visuellen Erlebnissen ist. Schließlich vermittelt Vinyl den Musikliebhabern immer noch das beste Klangerlebnis. Von den großen und liebevoll gestalteten Hüllen gar nicht zu sprechen. Was sich für die Papierverlage daraus lernen lässt? Genau das.

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