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„Nachrichtenagenturen müssen stärkere Ideenlieferanten werden“

Ressourcen sinnvoll einsetzen: Im Interview erzählt dpa-Chef Wolfgang Büchner von seinen Plänen und der Rolle der Nachrichtenagenturen für die Zukunft des Journalismus.

Nachrichtenagenturen müssen mehr auf Redaktionen eingehen und Ressourcen sinnvoll einsetzen. Im Interview erzählt dpa-Chef Wolfgang Büchner von seinen Plänen und der Rolle der Agenturen für die Zukunft des Journalismus.


VOCER: Herr Büchner, Sie als Chefredakteur einer Nachrichtenagentur: Worin sehen Sie zurzeit die größten Chancen im Journalismus? 

Wolfgang Büchner: Die größte Chance sehe ich in der Wiederentdeckung klassischer journalistischer Tugenden, in der Wiederentdeckung von Lust und Leidenschaft am Journalismus. Es ist völlig egal, über welche Mediengattung oder welche Kommunikationsform wir reden. Am Ende ist immer entscheidend: Wer erzählt mir die interessantesten Geschichten, wer hat die für mich relevantesten Nachrichten? Auch traditionelle Medienmarken oder klassische Medien haben eine große Chance in dieser neuen digitalen Ökonomie Erfolg zu haben.

Und wo verstecken sich Gefahren?

Die größten Gefahren heißen Bequemlichkeit und Unbeweglichkeit. Die manchmal reflexartige Ablehnung neuer Entwicklungen, teilweise aber auch die Ignoranz und Arroganz mancher Medienmacher sind für unsere Branche die größte Bedrohung. Natürlich stellen uns zugleich veränderte Medien-Nutzungsgewohnheiten und infolgedessen Umsatzrückgänge – vor allem in Zeitungsverlagen vor große Herausforderungen. Die Auflagen der Tageszeitungen und ihre Anzeigenerlöse werden vermutlich nie wieder das Niveau von vor zwanzig Jahren erreichen.

Wolfgang Büchner © dpa width=

Worauf sollten sich journalistische Angebote konzentrieren, wenn sie die Nutzer wieder stärker für journalistische Inhalte begeistern wollen?

Auf die Nutzer selbst. Wir brauchen ein neues Service- und Dienstleistungsverständnis im Journalismus. Wir als Nachrichtenagentur versuchen, exakt zuzuhören und herauszufinden, was die Kunden von uns benötigen. Wenn unsere Kunden das gleiche tun, wenn sie die Kommunikation mit den eigenen Nutzern, Kunden und Lesern intensivieren, dann können ihre eigenen Angebote für ihre Zuschauer, Hörer und Leser noch relevanter werden.

Und wenn ich für einen intensiveren Dialog mit den Lesern werbe, meine ich damit nicht, jedem einzelnen jeden Wunsch zu erfüllen. Natürlich müssen wir Leser auch überraschen, ihnen Informationen und Themen präsentieren, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Aber unterm Strich – davon bin ich überzeugt – werden journalistische Produkte durch einen offenen und ehrlichen Dialog mit denjenigen, für die sie gemacht werden, besser. 

Wo sollte besonders stark auf Innovationen geachtet werden?

Am allerwichtigsten ist eine Offenheit für neue Kommunikationsmöglichkeiten und -werkszeuge. Es brauchen im Journalismus einen lustvollen und spielerischen Umgang mit neuen Kommunikationstechnologien. Das Web war von Anfang an nicht primär eine journalistische Plattform, sondern ein Kommunikationsinstrument. Wir alle im Journalismus müssen dieses Kommunikationsinstrument noch besser für uns erschließen. Vor einem Jahrhundert hätte doch auch kein Journalist gesagt: „Telefon? Kommt mir nicht ins Haus.“

Gibt es denn etwas aus der deutschen Medienlandschaft, die Sie für wegweisend halten?

Jeder Laborversuch ist absolut zu begrüßen. Am Ende werden sich bestimmte Innovationen durchsetzen und andere nicht. Dass viele Verlage gerade mit Apps experimentieren, ist großartig. Für jedes Verlagshaus ist aber eine andere Strategie richtig. Wahrscheinlich wäre ein kleines Verlagshaus falsch beraten, denselben Aufwand wie die „Bild“-Zeitung zu betreiben. Es gibt nicht den einen richtigen Weg.

Sie waren bis 2009 Chefredakteur bei Spiegel Online, kennen also auch die andere Seite sehr gut. Welche Erfahrungen haben Sie aus dieser Zeit in Ihre Arbeit bei der Deutschen Presse-Agentur einfließen lassen?

Es war schon bei Online schwierig, den Überblick über die aktuelle Produktion zu behalten. Man hatte nicht immer im Blick, was gut oder schlecht lief. Bei einer Agentur, die täglich über 1.500 Meldungen produziert, ist das noch schwieriger. Also habe ich mich gefragt, wie ich mindestens für die wichtigsten Themen des Tages ein Gefühl bekomme: Ist unser Angebot stimmig? Passen Texte, Bilder und Grafiken überhaupt zusammen? Haben wir gute Symbolbilder? Früher gab es diese Einheit nicht. Die eine Abteilung hat Texte produziert, die andere Bilder, wieder eine andere Grafiken. Es war also naheliegend, eine Nachrichtenwebsite zu bauen, die all das kombiniert. So ist die Idee für dpa-news entstanden. Eine Website, zu der nur dpa-Redakteure und die Redakteure unserer Kunden Zugang haben. Mit Hilfe von dpa-news kann auch ich als Chefredakteur jederzeit sehen, wie das Angebot der dpa bei den Topthemen des Tages aussieht. 

Welche Rolle spielt die dpa bei der Entwicklung neuer journalistischer Verbreitungsformen und Geschäftsmodelle? 

Wir sind dabei, unser Angebot immer präziser auf die Bedürfnisse unserer Kunden zuzuschneiden. Eines unserer wichtigsten Instrumente dafür ist das Kundenportal dpa-news, das einen echten Rückkanal enthält. Natürlich konnten Sie auch früher schon in Ihrer Nachrichtenagentur anrufen und Fragen zum Produkt stellen. Die Kommentarfunktion macht dies allerdings viel einfacher. Da können Sie als dpa-Kunde zu jedem Text, jedem Foto, jeder Grafik, jedem Video- oder Audiobeitrag jederzeit Fragen Stellen, Wünsche äußern, Kritik loswerden. Mit Hilfe dieser Pattform werden die dpa und ihre Kunden zu einer Art professioneller News-Community.

Und dpa-news war erst der Anfang. Im Herbst starten wir das neue Planungsportal dpa agenda. Auf dieser – ebenfalls nur für unsere Kunden zugänglichen Website – legen wir die gesamte redaktionelle Planung offen – alle Termine, alle Ereignisse und die jeweilige Disposition der Agentur. Damit geben wir unseren Kunden die Möglichkeit, lange vor einem Ereignis auf die redaktionelle Planung Einfluss zu nehmen. Dieser Prozess des gemeinsamen Planens und Produzierens wird immer wichtiger.

Hat eine Nachrichtenagentur Ihrer Meinung nach denn auch die Aufgabe, den Journalismus insgesamt weiter zu entwickeln?

Ja, unbedingt. Wir müssen natürlich weiterhin Nachrichten, Geschichten und Material anbieten, welches unsere Kunden eins zu eins auf ihren Webseiten, in ihren Zeitungen oder für ihre digitalen Produkte verwenden können. Darüber hinaus müssen unsere Kunden mit dem gelieferten Material aber auch schnell eigene, unverwechselbare Produkte herstellen können. Deshalb liefern wir mit jeder Meldung den dpa-Notizblock. Der enthält Zusatzinformationen aus den Notizblöcken der dpa-Redakteure wie weiterführende Links, relevante Studien oder auch Ansprechpartner. Dieses Material müssen unsere Kunden dann nicht nochmal selber recherchieren: Wie heißt der Mensch oder wie erreiche ich diesen Professor usw.. Wir liefern sozusagen die Basisinformation und alle Sprungstellen, die man braucht, um schnell weiter arbeiten zu können. 

So können Sie als Nachrichtenagentur auch helfen, unverwechselbarer zu werden.

Ja, es gibt ganz viele Themen, bei denen die Kunden den Anspruch haben: Ich nehme den Rohstoff Information und mache daraus ein aus eigener Perspektive geschriebenes Stück. Jay Rosen hat einmal gesagt: „You journalists, you missed out to edit the web“. Übersetzt heißt das in etwa: Ihr habt vergessen, im Web die Funktion des Kurators einzunehmen und zu sagen: Da ist etwas Spannendes, hier ist etwas Interessantes. Darin liegt meiner Meinung nach die Schlüsselaufgabe für die Agenturjournalisten: Editoren und Kuratoren zu sein, das heißt die Kunden auf interessante Dinge hinzuweisen und hinzuführen. Nachrichtenagenturen – auch die dpa – müssen noch stärkere Ideenlieferanten werden. 

Viele Medien haben kaum noch Budgets für eine beständige und in die Tiefe gehende Auslandsberichterstattung mit eigenen Korrespondenten. Wäre das eine Chance für Nachrichtenagenturen, einen Schwerpunkt zu setzen?

Die Arbeitsteilung zwischen Agentur und den kleinen und mittelgroßen Regionalzeitungen wird wieder wichtiger. Das gilt nicht nur für Auslands-, sondern auch für Inlandskorrespondenten. Für viele Verlage hängt das wirtschaftliche Überleben davon ab, dass sie der Anbieter für lokale und sublokale Informationen werden. Es gibt Chefredakteure, die sich von Bloggern nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen und deswegen selber Stadtteilausgaben starten. Dann werden wieder Themen aufgegriffen, die sonst brach liegen würden. Die Agentur muss für diese Verlage ein zuverlässiger Lieferant von nationalen und internationalen Themen werden. So werden auf beiden Seiten die Ressourcen sinnvoll genutzt.

Wie schätzen Sie die künftige Bedeutung von Nachrichtenagenturen ein? 

Wir werden wichtiger oder werden mindestens unsere Bedeutung im Mediensystem behalten. Vorausgesetzt unsere Kunden bleiben für ihre Kunden und Leser relevant. Wenn eine kluge Arbeitsteilung zwischen lokalen, regionalen sowie überregionalen Medien auf der einen und der Nachrichtenagentur auf der anderen Seite gelingt und die Verlage es schaffen, auch in den digitalen Kanälen zu einer richtig erfolgreichen Marke zu werden, dann wird auch die Bedeutung der Agentur gleich groß bleiben oder sogar noch wichtiger werden. Dann wird unser Anteil an der nationalen und überregionalen Berichterstattung sogar noch bedeutender für diese Medien.

Immer wichtiger werden Nachrichtenagenturen zudem bei der Überprüfung von Informationen und Gerüchten, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden. Mark Jones, Global Communities Editor bei Reuters sagte kürzlich: „We are more and more becoming a verification ageny“. Das trifft aus die Deutsche Presse-Agentur gleichermaßen zu.

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