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Hyperlokal und mittendrin

Vor knapp einem Jahr ging Hamburgs hyperlokales Online-Nachrichtenmagazin „Mittendrin“ an den Start. Auf VOCER ziehen die Chefredakteure ausführlich Bilanz und wagen sich an die nächste Baustelle: die Finanzierung.

Mit Marmeladenbrötchen und Kaffee hat alles angefangen. Inzwischen ist es fast ein Jahr her, dass beim Frühstück die Idee entstand, mit „Mittendrin“ ein lokales Online-Nachrichtenmagazin für den Hamburger Bezirk Mitte zu gründen. Ein Zufall ist das mit Sicherheit nicht gewesen, denn die tägliche Zeitungslektüre hat für uns erst den Anlass gegeben, selbst ein Teil der Hamburger Medienlandschaft zu werden. Es war frustrierend, in den etablierten Blättern kaum etwas über die Ereignisse zu lesen, die vor der eigenen Haustür tagtäglich passieren.

Es ist bis heute ein Rätsel, warum es für den Bezirk Hamburg-Mitte mit seinen knapp 300.000 Einwohnern bis dahin keine eigenständige Lokalzeitung gegeben hatte. Sowohl das „Hamburger Abendblatt“ und die „Bild Hamburg“, als auch die „Hamburger Morgenpost“ können die Vielzahl der lokalen Geschichten nicht adäquat abdecken.

Das einzige lokale Medium mit direktem Bezug zu den einzelnen Stadtteilen sind die Wochenblätter, die jedoch aufgrund ihres Charakters als Anzeigenblatt keine umfassende Berichterstattung, besonders nicht über Bezirkspolitik, leisten können. Diese Lücke wollten wir schließen und fingen an, zu politischen und kulturellen Terminen in unserem Bezirk zu gehen und darüber zu schreiben. Dabei haben wir uns selbst nie als Blog verstanden und sind auch nie als Lokalblogger aufgetreten. Von Anfang an haben wir uns als Journalisten gesehen und uns an die Standards der journalistischen Berichterstattung gehalten.

Bis heute sind wir überrascht, auf welche positive Resonanz wir überwiegend gestoßen sind. Viele Vereine, Initiativen und Gruppen in den Stadtteilen waren regelrecht begeistert, dass plötzlich Interesse an den eigenen Aktivitäten von Seiten der Lokalpresse vorlag. Immer wieder erzählte man uns, dass andere Medienvertreter zwar regelmäßig über Veranstaltungen und Ereignisse informiert würden, jedoch nie jemand vor Ort erschienen war.

Lob von den Lesern

Zudem werden wir noch heute dafür gelobt, dass wir uns Zeit für unsere Leserinnen und Leser nehmen. Dieser persönliche Kontakt ist für uns ein Grundpfeiler des Lokaljournalismus. Auch wenn Journalisten häufig unter Zeitdruck arbeiten müssen, so ist insbesondere im Lokalen das Verhältnis zu den Menschen aus den Stadtteilen von besonderer Bedeutung. Den schmalen Grat zwischen persönlicher Nähe und professionellem Abstand einzuhalten, ist dabei eine große Herausforderung.

Für uns hat sich diese Arbeitsweise jedoch ausgezahlt. In kurzer Zeit konnten wir ein Netzwerk aufbauen, das über die Grenzen unseres Bezirkes hinausreicht. Inzwischen kennt man uns und freut sich, wenn wir über ein Thema berichten. Ganz besonders wichtig ist uns dabei ein vertrauensvolles Verhältnis zu denjenigen, die uns mit Informationen versorgen. Wir halten uns an Absprachen und wägen bei der Berichterstattung genau ab, welche Folgen unsere Artikel für einzelne Personen haben könnten.

Wir schätzen es sehr, dass die Leserinnen und Lesern viel Vertrauen entgegenbringen und auch vertrauliche Informationen an uns weitergegeben werden. Es ist uns als Lokaljournalisten besonders wichtig, dieses Vertrauensverhältnis nie zu zerstören, da wir nicht nur auf die Unterstützung unser Leserinnen und Leser angewiesen sind, sondern auch unser eigenes Selbstverständnis auf einem fairen Umgang mit unseren Kontakten und unserem Publikum basiert.

Das Verhältnis zu den Menschen in unserem Bezirk bedingt auch den Stil der Artikel von „Mittendrin“. Für uns findet der geringste Teil der Arbeit am Schreibtisch statt. Wir gehen dorthin, wo die Dinge passieren. Treffen uns mit Menschen, schauen uns Ereignisse vor Ort an und scheuen uns nicht, so dicht wie möglich am Geschehen zu sein. Immer wieder bekommen wir zu hören, dass man unseren Artikeln die Leidenschaft und Freude am Schreiben anmerkt. In der Tat stecken wir sehr viel Herzblut in unsere Arbeit. Es ist für uns eine große Motivation zu wissen, dass wir jeden Tag für unser eigenes Magazin unterwegs sind. Wir entscheiden über was und wie wir berichten wollen und haben viel Freiraum, zu experimentieren.

Kein Kuscheljournalismus

Unsere Art über den Bezirk zu berichten, ist jedoch nicht ohne Kritik geblieben. Wir haben von Anfang an keinen Kuscheljournalismus betrieben. Es war stets unser Anspruch, kritisch nachzufragen, Hintergründe zu recherchieren und Missstände aufzudecken. Lokaljournalismus ist in unserem Verständnis eben mehr als Schützenfeste und Kleingartenvereine. Insbesondere die Kommunalpolitik bietet dabei ein weites Feld für kritischen Journalismus auf der lokalen Ebene. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist oft gar nicht klar, wie groß der Einfluss lokaler Politik auf ihr Leben ist. Wenn man sich diese Bedeutung vor Augen ruft, ist die Wichtigkeit einer kritischen Lokalpresse umso verständlicher.

Gerade in diesem Bereich stoßen wir auch heute noch auf die größten Widerstände. Auch wenn wir zu vielen Politikern im Bezirk ein ebenso vertrauensvolles Verhältnis wie zu anderen Personen pflegen, so gestaltet sich die Beziehung zur Politik oft schwieriger. In der Anfangszeit unseres Magazins war es schwer, von der Politik als seriöse Journalisten wahrgenommen zu werden. Erst nachdem wir gezeigt hatten, dass unsere Berichte qualitativ gut sind und wir es leisten können, längere Zeit immer wieder bei allen Sitzungen und Ausschüssen präsent zu sein, wurden wir nach und nach als echtes Medium wahrgenommen. Hier lag jedoch nicht die einzige Schwierigkeit im Umgang mit der Bezirkspolitik. Nach langen Jahren der medialen Vernachlässigung waren es viele Politiker nicht gewohnt, einer kritischen Presse gegenüber zu stehen, die politische Entscheidungen hinterfragt. Skepsis und Ablehnung einiger Fraktionen waren zunächst die Reaktion.

Erst nachdem wir gezeigt hatten, dass wir zur Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger in Mitte beitragen, begannen alle Fraktionen mit uns zusammenzuarbeiten. Auch im Bereich der Bezirkspolitik gelten für uns jedoch die Grundsätze von Vertrauen und Fairness. Es ist nicht unser Ziel möglichst große Schlagzeilen über Politiker des Bezirkes zu produzieren. Vielmehr wollen wir Hintergründe liefern und politische Prozesse erklären. Die kritische Betrachtung politischer Entscheidungen leidet darunter jedoch nicht.

Hohe Belastung

Diese Ansprüche an unser Magazin sind dabei nicht nur Teil unseres Erfolges, sondern auch verantwortlich für den großen Aufwand, den wir inzwischen für „Mittendrin“ betreiben müssen. Wir sind bestrebt, eine umfangreiche Berichterstattung über den Bezirk zu leisten. Für uns bedeutet das häufig mehrere Termine am Tag wahrnehmen zu müssen. Gerade die Bezirkspolitik mit Ausschüssen, die oft bis spät abends tagen, sorgt regelmäßig für eine große zeitliche Belastung.

Auch wenn sich diese Arbeit inzwischen auf verschiedene Redakteurinnen und Redakteure aufteilt, so müssen wir immer wieder mit unseren Ressourcen gut haushalten. Das gesamte Team von „Mittendrin“ arbeitet aktuell im Nebenerwerb für das Projekt. Viele studieren noch oder haben andere Jobs. Leider können wir momentan noch keine normalen Honorare zahlen. Mehr als eine Aufwandsentschädigung ist bei unseren Einnahmen derzeit nicht möglich. Unsere Haupteinahmequelle ist dabei eine Kooperation mit der „taz.hamburg„, an die wir verschiedene Artikel verkaufen. 

Dennoch motivieren insbesondere unsere Leserinnen und Leser uns immer wieder zum Weitermachen. Unsere Artikel werden nicht nur auf unserer Website gelesen und kommentiert. Immer wieder werden Berichte ausgedruckt und in Vereinsschaukästen gehängt oder in Stadtteilzeitungen erneut abgedruckt. In persönlichen Gesprächen dankt man uns für unsere Arbeit. Das ein oder andere Mal wurden wir inzwischen auch als bezirkliches Leitmedium bezeichnet. Auch wenn wir unseren Einfluss nicht als derart groß Einschätzen würden, freut es jeden Redakteur natürlich von den Leserinnen und Lesern anerkannt und geschätzt zu werden. Auch die steigenden Besucherzahlen auf unserer Website belegen, dass Mittendrin stetig Leser hinzugewinnt.

Leser ohne Internet

Leider begegnen uns auch immer wieder insbesondere ältere Leser, die keinen Zugang zum Internet haben und uns daher nicht lesen können. Bisher haben wir in derartigen Situationen nachgefragte Artikel ausgedruckt und per Post versandt. Auch das ist für uns Teil unserer engen Beziehung zu den Leserinnen und Lesern. Trotz dieser Einschränkung sind wir weiter davon überzeugt, dass die Entscheidung, ein reines Online-Magazin zu betreiben, richtig ist. Eine Print-Ausgabe von „Mittendrin“ wäre mit höheren Kosten verbunden. Zusammen mit dem notwendigen Vertriebsnetz wäre es uns nicht möglich, zumindest kostendeckend zu arbeiten.

Zudem bietet das Internet – trotz besagter Einschränkungen bei älteren Leserinnen und Lesern – eine wesentlich höhere Reichweite und bessere Interaktionsmöglichkeiten. Insbesondere in sozialen Netzwerken pflegen wir eine gute Diskussions- und Informationskultur mit unseren Leserinnen und Lesern. Dabei verbreiten wir nicht nur unsere Artikel über soziale Medien, sondern berichten live von verschiedenen Ereignissen oder sprechen mit anderen Nutzern über aktuelle Vorgänge im Bezirk. Das Internet bietet für uns so nicht nur die Möglichkeit, unsere Leserschaft zu informieren, sondern hilft uns auch bei der Recherche von und der Suche nach Geschichten.

Als Online-Magazin können wir zudem in der Regel schneller veröffentlichen, als andere Medien. Es ist bei uns inzwischen zur Routine geworden, eilige Artikel direkt vor Ort mit dem Ipad zu schreiben und zu veröffentlichen. Dabei können wir online zusätzliche Informationen und Ergänzungen auch nach der Erstveröffentlichung nacharbeiten und so aus Meldungen Hintergrundartikel entstehen lassen. Weiterhin haben wir die Möglichkeit crossmedial zu arbeiten; neben Bildgalerien sind auch Videobeiträge inzwischen ein fester Bestandteil unseres Magazins und werden gut angenommen. Diesen Bereich wollen wir zukünftig ausbauen und haben daher eine eigene Videoredaktion aufgebaut.

Relaunch steht bevor

Auch insgesamt wollen wir „Mittendrin“ in den nächsten Monaten professionalisieren und die Möglichkeiten des Online-Journalismus besser nutzen. Im September planen wir einen neuen Webauftritt, der neben einer übersichtlicheren Struktur der Seite auch mehr Möglichkeiten für die Darstellung von Bildern und Videos haben wird. Auch die Strukturen der Redaktion wollen wir in den nächsten Monaten anpassen.

Wegen der hohen zeitlichen Belastung haben wir das Thema langfristige Finanzierung immer wieder vor uns hergeschoben. Wir beginnen jetzt damit, lokale Werbekunden anzusprechen. Weiterhin werden wir unseren Leserinnen und Lesern die Möglichkeit geben uns mit Spenden oder Mikrozahlungen für Artikel zu unterstützen. Aufgrund der positiven Rückmeldungen, die wir bisher erhalten haben, gehen wir davon aus, dass sich die Finanzierung so in einem Umfang sicherstellen lässt, der es uns ermöglicht, der Redaktion und uns ein höheres Honorar zu zahlen. Insbesondere unsere Chefredakteurin und unser stellvertretender Chefredakteur sollen bis Ende des Jahres in die Lage versetzt werden, „Mittendrin“ als Vollzeitjob betreiben zu können. Mit den zusätzlichen Ressourcen soll dann auch das Magazin weiter wachsen.

Was also vor einem Jahr mit Marmeladenbrötchen und Kaffee als kleines Projekt begonnen hat, ist inzwischen für das gesamte Team zu einem wichtigen Teil des beruflichen und persönlichen Lebens geworden. Wir hoffen, dass es uns noch lange möglich sein wird wie bisher über den Bezirk Hamburg-Mitte berichten zu können. Das ist nicht nur gut für die Medienvielfalt und die lokale Berichterstattung in unserem Bezirk, sondern auch eine Frage der Verpflichtung gegenüber unseren Leserinnen und Leser.

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