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Die passive Masse?

Auf der re:publica hat Sascha Lobo den netzpolitischen Gleichmut beanstandet und von der Netzgemeinde mehr Engagement gefordert. Aber wie sieht aktives Engagement tatsächlich aus? Und ist es vielleicht gar nicht so selten, nur weniger öffentlich sichtbar? VOCER hat auf der Internetkonferenz Stimmen gesammelt.

Auch auf der diesjährigen re:publica sorgte Sascha Lobo mit seiner „Rede zur Lage der Nation“ wieder einmal für Diskussionsstoff. „Die Bekassine ist euren Eltern mehr wert als euch das Internet“, begann er seinen 70-minütigen Vortrag, der vor allem darauf abzielte, dem Publikum die eigene mangelnde Protestfähigkeit vor Augen zu führen. Während Riesenbeträge gespendet worden wären, um den Vogel zu retten, habe sich die Netzgemeinde nicht dazu bequemen können, massiven Protest gegen die Spähaffäre zu leisten. Es mangele an Engagement für netzpolitische Themen. Die „Netzgemeinde“ gebe sich damit zufrieden, Posts zu liken oder zu retweeten, vielleicht ab und zu eine Petition zu zeichnen. Aber selbst aktiv werden? Geld für NGOs spenden? Abgeordnete nerven? Nach Sascha Lobos Meinung passiert davon viel zu wenig.

Die Reaktionen des Berliner Publikums vielen unterschiedlich aus: Einige stimmten Lobo zu und bekannten, selbst wenig zu tun für die Themen, die ihnen eigentlich wichtig sein sollten. Andere fanden sich vor den Kopf gestoßen, weil ihrer Meinung nach Engagement auch anders aussehen kann als so, wie Sascha Lobo es definierte.

VOCER-Redaktionsmitglied Jan Ewringmann hat sich unter den Besucherinnen und Besuchern der re:publica umgehört, was sie von Lobos Vorwürfen halten und ob und wie sie sich netzpolitisch engagieren. Wir bilden ihre Antworten ungeglättet ab.


lena_kuschkedie breite masse muss angesprochen werden, nicht die experten

„Ich würde mich nicht wirklich als politisch aktiv bezeichnen oder in der Netzgemeinde aktiv, so wie das hier [bei der re:publica, Anm. d. Red.] viele sind. Ich weiß, dass hier super viele Leute sind, die viel mehr leisten als ich. Ich glaube, man kann einfach klein anfangen und den Leuten schon mal bewusst machen, dass man bei Facebook nicht alles öffentlich machen muss, dass man seine Privatsphäreneinstellungen zumindest kennt oder sich dessen bewusst ist, was man da eingestellt hat. Das fängt bei ganz vielen Leuten einfach bei diesen kleinen Schritten an.

Ich glaube, hier sind wir auf einem super hohen Niveau. Alle haben einfach so einen bestimmten Konsens, was man schützen muss, dass Datenschutz überhaupt wichtig ist. Ich glaube, vielen Leuten ist das ganz einfach nicht klar. Als WhatsApp von Facebook gekauft wurde, haben viele Leute auf Facebook geschrieben, dass sie die App jetzt nicht mehr benutzen. In den Köpfen ist das noch nicht angekommen. Deswegen finde ich seinen [Sascha Lobos] Aufruf von der Grundsache her für die breite Masse, die jetzt heute nicht hier ist, erst mal gut. Wie das dann genau ist, ob man das genau so machen muss, wie er das macht, das ist natürlich eine andere Diskussion. Aber grundsätzlich finde ich, dass wir versuchen sollten, eine breitere Masse anzusprechen, weil die Leute, die hier sind, das ist einfach nicht die Masse und die weiß gar nicht Bescheid.“

Lena Kuschke ist Chefredakteurin für Online und Social Media beim Bochumer Personalmarketingunternehmen Employour.

tobias_schwarzEngagement braucht Mitbestimmung

„Ich finde es sehr wichtig, dass sich Leute auf dieser klassischen politischen Schiene engagieren, was auch das Fazit von Sascha Lobo war. Das kann man unterschiedlich machen.

Ich persönlich habe mich für die parteipolitische Schiene entschieden, engagiere mich in einer Partei. Das ist nicht immer leicht, das ist auch nicht immer lustig, aber so funktioniert Politik halt auch. Und es gibt natürlich noch den anderen Weg, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, im Verein, in Interessenvertretungen, aber auch Arbeit für die Gesellschaft zu leisten im Sinne von Aufklärungsarbeit. Klar, so etwas wie die „Digitale Gesellschaft“ ist ein guter Ansatz, es ist gut, dass es so etwas gibt. Hier fehlt mir aber der Zugang zur Breite, also da mitzumachen. Man kann halt nicht Mitglied sein. Die machen gute Arbeit für uns, aber nicht mit uns, das ist mein Kritikpunkt.

Dann kann man aber auch sagen, zum Beispiel das „Internet & Gesellschaft Collaboratory“ hier in Berlin ist ein anderer Weg sich zu engagieren. Die machen keine Interessenvertretung,  aber das CoLab ermöglicht, durch den hier praktizierten Multistakeholder-Ansatz, dass man zusammen mit anderen ein Thema bearbeitet. Das ist auch eine Art, sich einzubringen. Dann entsteht am Ende Wissen, was man verbreiten kann, was aufklärt. Auch eine Art, die Gesellschaft ein bisschen zu bilden. Das kann aber auch der Verein sein, der sich für das Coden an Schulen einsetzt, für freie Software oder freie Musik — für alles, was mit dem Status quo bricht. Und all dies zusammen, das ist am Ende politisches Engagement für mich.

Ich glaube, es gibt viel Engagement da draußen. Es gibt viele Leute, die etwas bewegen wollen. Das Problem am Ende ist, uns fehlt die überparteiische Interessenvertretung. Das, womit die Digitale Gesellschaft vor drei Jahren auf der re:publica einmal angetreten ist, das zu liefern, das bringen sie dann am Ende nicht. Sie machen sehr gute Kampagnen, aber überfordern sich wahrscheinlich auch mit der geringen Anzahl [von Mitgliedern, Anm. der Red.]. Dann kann man mal für eine Kampagne Geld spenden, aber bei dem Verein an sich, da würde ich gerne ein Mitspracherecht haben, indem ich zum Beispiel einmal im Jahr als Vereinsmitglied wählen kann. Dann kann man sich auch über Mitgliedsbeiträge finanzieren.

Die anderen netzpolitischen Vereine sind sehr parteinah. Das ist dann wieder nicht für jeden etwas. Es würde guttun, wenn es den „Bundesverband netzpolitisch interessierter Menschen“ gäbe, der über Parteigrenzen hinweg mir die Möglichkeit gibt, mich zu engagieren, und den ich dann auch gerne auf irgendeine Art finanziere.

Zu Lobos Kritikpunkt „Wir spenden nicht und unsere Eltern spenden für Vögel“: Es gibt eben Vereine im Tierschutz, die es wert sind, ihnen Geld zu geben, und im netzpolitischen Bereich gibt es diese Vereine noch nicht. Mit dieser Professionalisierung haben wir vor drei Jahren angefangen, aber mir fehlt der nächste Schritt, in die Breite zu gehen.“

Tobias Schwarz ist vielfältig im Internet unterwegs, unter anderem als Projektleiter bei den Netzpiloten. Er engagiert sich aktiv für Netzpolitik bei den Berliner Grünen.

nora_burgardEs ist wichtig, bereits bei den Kindern und Jugendlichen anzusetzen

„Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, Jugendliche und Kinder dafür zu sensibilisieren, was für eine Gefahr im Internet lauern kann. Dass sie einfach auch wissen, was man machen kann, um sich zu schützen. Dafür gebe ich im Sommer eine Schulung. Ich mache einen Workshop mit Jugendlichen, in dem ich nicht belehrend sein will, sondern wo ich sagen will, „Schaut noch mal genau hin! Zum Beispiel wenn ihr einen Post absetzt, würdet ihr das auch so auf dem Marktplatz rausschreien? Oder würdet ihr euch so angezogen, wie ihr manchmal auf Fotos seid, in der Innenstadt präsentieren?“

Das geht ja auch ein bisschen in die Richtung, was Sascha Lobo gestern gesagt hat, dass es manchmal schon reicht, fünf Minuten nachzudenken und zu überlegen, will ich das wirklich veröffentlichen? Und ich glaube, dass solche Dinge ganz viel passieren. Ich fand den Vorwurf von ihm, dass gar nichts passiert, ein bisschen schwierig. Zumindest konnte ich damit persönlich nichts anfangen, weil ich selbst solche Workshops mache.“

Nora Burgard ist freie Journalistin und Fellow des VOCER Innovation Medialab.

dara_hallinanDie Trennung zwischen Netzpolitik und Nicht-Netzpolitik ist nur eine theoretische

„Die Leute brauchen einen eigenen Grund, sich zu engagieren. Ein Grund wäre, wenn die Themen besser erklärt wären. Ich kann das nicht sagen, die anderen müssen das selbst entscheiden. Was ist ein Grund? Warum engagiert sich ein Mensch?

Was bedeutet Netzpolitik? Wenn man sagt, die Netzpolitikleute müssen sich engagieren, dann muss man sagen, ihr seid die Netzpolitikleute. Das bedeutet, dass manche nicht Netzpolitikleute sind. Und ihr müsst euch für etwas engagieren. Das bedeutet, dass Netzpolitik auch etwas anderes als Politik ist, aber ich kenne fast nichts, das vollkommen vom Internet und Internetrecht und Internetpolitik getrennt ist. Und ich kenne niemanden, der nicht online ist. Ich finde die Idee, dass man Netzpolitik und Nicht-Netzpolitik hat, schön, aber das ist eine nützliche Idee, anstatt etwas Echtes.“

Dara Hallinan ist Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Er promoviert zum Thema Datenschutzrecht bei genetischen Daten und Biobanken.

autor_carolin-neumannEngagement ist auch im privaten Bereich wichtig

„Man kann wesentlich mehr machen, als sich öffentlich zu engagieren, wobei das natürlich im Hinblick auf politische Einflussnahme auch sehr wichtig ist. Aber für mich persönlich ist es auch sehr wichtig, dass ich mich im privaten Bereich mit Freunden und vor allem mit der Familie, die nicht so viel Ahnung hat, engagiere und da versuche, etwas zu bewegen – zum Beispiel zu versuchen, meine Familie von WhatsApp wegzuholen, oder Freunde mal zu motivieren, PGP zu nutzen. Und das ist schon verdammt anstrengend und ein unheimlicher Aufwand, den ich sicherlich auch nicht immer so verfolge, wie ich möchte und sollte, aber den ich doch verfolge.“

Carolin Neumann ist Geschäftsführerin des VOCER Innovation Medialab.

leonhard_dobuschRetweeten alleine reicht nicht! Die Netzbewegung ist unterorganisiert

„Ich würde Sascha Lobo auf jeden Fall dahingehend zustimmen, dass die Netzbewegung, die Netzgemeinde unterorganisiert ist. Das sieht man einfach, wenn man es vergleicht mit anderen sozialen Bewegungen vergleichbaren Alters. Ich glaube, man muss sich wirklich bewusst machen, dass Organisation nicht alles ist, dass wir im Netz viele Dinge spontan organisiert kriegen, die auch spannend sind, aber dass das kurzfristig läuft. Aber die großen Probleme, die dicken Bretter bohrt man nur auf die lange Frist. Und das geht nur, indem man bei Organisationen mitmacht. Das geht nur, indem diese Organisationen auch ein paar Leute haben, die bezahlt werden und die langfristig an Themen dranbleiben können – auch wenn sie langweilig sind, auch wenn sie niemand anderen interessieren. Weil dann, wenn sie wichtig sind, dann muss man schon da sein mit einer Gegenstrategie.

Ich weiß, dass es bei uns [der Digitalen Gesellschaft, Anm. d. Red.] starke Debatten darüber gibt, inwieweit wir die gewonnenen Fördermitglieder stärker einbinden können. Das Ziel wären zum Beispiel Aktivistenmailinglisten. Und dass man Gruppen macht, so ähnlich wie Greenpeace das auch hat. Da gibt es ja auch lokale Teams von Greenpeace-Leuten. Das Hauptproblem, das wir derzeit haben: Mehr ehrenamtliches Engagement und Mitwirken von Leuten dezentral organisiert zu kriegen, braucht selbst wieder enorme Organisation. Das ist Aufwand! Meine These wäre: Wir brauchen mehr Professionalisierung, um überhaupt mehr Ehrenamt organisieren zu können. Aber das heißt, es ist das Henne-Ei-Problem. Wenn wir nicht besser werden, was Spenden betrifft, was professionelles Staff betrifft, werden wir keine Chance haben, in ganz Deutschland verteilt die Leute zu organisieren.

Ich habe Sascha Lobo nicht so verstanden, dass die Netzgemeinde nichts macht. Ich habe ihn so verstanden, dass das, was sie macht, nicht genug ist. Und dass das Informieren und das Retweeten alleine nicht reicht, und dass man sich dem stellen muss. Und dass in dieser Welt am Ende des Tages leider Geld notwendig ist und man auch froh sein muss, wenn es Leute gibt, die professionell in der Lage sind, Themen längerfristig zu beackern und den langweiligen Kram zu machen, wie Stellungnahmen zu schreiben, Gesetze zu lesen, zu Ausschüssen und Hearings zu gehen. Das eine kann das andere einfach nicht ersetzen. Das heißt, ich würde sagen, Retweeten ist wichtig. Leute informieren im Bekanntenkreis, über Netzpolitik reden, selber bloggen – das ist das, wo die Leute jetzt schon stark sind. Total wichtig! Ich habe das auch nicht als Geringschätzung verstanden. Man muss sich aber bewusst sein, dass das alleine zu wenig ist.“

Leonhard Dobusch ist Mitglied der Berliner NGO für digitale Bürgerrechte Digitale Gesellschaft e. V.

thomas_rengerDie Gesellschaft braucht Strategien, um sich gegen die Überwachung zu wehren

„Auch ich halte die Überwachung, so wie sie stattfindet, für einen Skandal, und ich halte es auch für einen Skandal, wie wenig dagegen unternommen wird. Um wenigstens als Gesellschaft irgendwie damit klarzukommen – sei es jetzt tatsächlich etwas dagegen zu unternehmen oder eben sich als Strategie zu überlegen, dass wir damit leben müssen und wie wir damit leben müssen, ziehen wir in Stuttgart gerade ein Barcamp zum Thema Überwachung auf, das „Prism Camp“.“

Thomas Renger ist Softwareentwickler, Blogger und einer der Mitorganisatoren des „Prism Camps“.

carolyn_wissingJeder kann den „Netzoptimismus“ voranbringen

„Ich glaube, dass jeder auf seiner eigenen Website für diesen „Netzoptimismus“, den Sascha Lobo angesprochen hat, sorgen kann oder den voranbringen kann. Zum Beispiel bei uns auf der Seite, indem man alle Daten offenlegt, die wir veranschaulichen wollen in Karten und so weiter – also der Open-Data-Gedanke vorangebracht wird und man dadurch eben auch Transparenz und Glaubwürdigkeit schafft.“

Carolyn Wißing ist Fellow im VOCER Innovation Medialab. Sie ist Mitinitiatorin von einundleipzig.

rena_tangensAufstehen und etwas tun

Erst einmal, „Netzgemeinde“ ist total der falsche Ausdruck. Das finde ich totalen Quatsch. Hier [auf der re:publica, Anm. d. Red.] laufen Werbefuzzis ebenso rum wie Leute von irgendwelchen Firmen, aber ich glaube um die geht es hier aber gerade gar nicht

Natürlich muss sehr viel mehr gemacht werden. Wenn wir uns die Umweltschutzbewegung anschauen, wie viel Wucht die bekommen hat, wie viele von ihren Themen die etabliert hat und geschafft hat, in Gesetze zu gießen, dann sollte uns das ein Vorbild sein. Und die Bewegung für Bürgerrechte in der digitalen Welt und für den Schutz unserer Daten und Persönlichkeitsrechte braucht noch wesentlich mehr Einfluss und wesentlich mehr Leute und mehr Entschiedenheit. Aber es ist nicht so, dass da nichts passieren würde. Ich glaube nicht, dass die Welt gerettet wird von Leuten, die Blogartikel schreiben oder eine Petition anklicken. Ich glaube, dass Leute tatsächlich etwas tun müssen. Und deswegen heißen wir „digitalcourage“, denn auch Zivilcourage bedeutet, dass du nicht im stillen Kämmerlein dich darüber ärgerst oder etwas Kluges darüber schreibst, sondern das bedeutet, dass du etwas tust — dass du aufstehst und etwas tust.

Wir sind schon seit 1987 für Bürgerrechte und Datenschutz dabei und wir haben schon etliche Dinge beeinflusst. Wir haben es geschafft, überhaupt ein Bewusstsein für Datenschutz herzustellen in Deutschland. Wir verleihen einmal im Jahr die „Big Brother Awards“, einen Datenschutznegativpreis für Datenkraken. Und wir haben dadurch an vielen Stellen verständlich gemacht, was eigentlich die Folgen für die Einzelnen sein können. Beispiele sind immer viel verständlicher als abstrakte Grundsätze. Ich glaube zum Beispiel die Payback-Kundenkarte, da dürfte Leuten mittlerweile klar sein, dass auch das eine Datenkrake ist, auch wenn sie denken, dass sie das freiwillig verwenden.

An anderen Stellen haben wir beispielsweise Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung geführt und tatsächlich geschafft, dass das Gesetz in Deutschland für verfassungswidrig erklärt wurde. Wir haben ELENA gekippt auch mit einer Verfassungsbeschwerde, die sehr schnell sehr viel Erfolg gehabt hat. Wir haben das Meldegesetz gekippt. Wir haben dafür gesorgt — steter Tropfen höhlt den Stein –, dass die Geschäftsbedingungen der Deutschen Bahn an einigen Stellen geändert werden mussten. Wir bleiben auch an anderen Geschichten dran. Wir werden dieses Jahr wieder ein Demonstration „Freiheit statt Angst“ unter dem Motto „Aufstehen statt Aussitzen“ im Herbst in Berlin veranstalten.

Rena Tangens ist Künstlerin und Datenschutzaktivisten. Sie ist Gründungsmitglied und Vorsitzende der Bielefelder NGO „digitalcourage“.

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