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Die Geschichte des Menschenzoos

Johannes Kram ist Verfasser des „Waldschlösschen-Appells“, der vor der Verharmlosung vor Homosexuellen-Feindlichkeit in den Medien warnt. Hier beschreibt er, wie sehr Homophobie zur Gewohnheit geworden ist.

Am Ende des 19. Jahrhunderts erfand der Hamburger Zoo-Direktor Hagenbeck etwas, was bald darauf überall in Deutschland und auch in anderen Teilen Europas Mode werden sollte: Der Menschenzoo. Der weltoffene Deutsche fand Gefallen daran, leibhaftige „Eskimos“ und „Neger“, die in grossen Gehegen gehalten wurden, zu begaffen und sich von deren exotischem Anders-Sein faszinieren zu lassen. In dieser Zeit, schreibt Peer Zickgraf, Autor des Buches „Völkerschau und Totentanz“ in einem Aufsatz, wurde eine neue Kategorie geschaffen: „die des Untermenschen.“

Die Zurschaustellung hatte Methode: „Die Distanz zum Publikum wurde betont (…) und die visuelle Erfahrung des Fremden erlaubte einen vergleichenden und prüfenden Blick wie auf die seltenen Tiere im Zoo. Die Fremden sollten nicht wie Menschen erscheinen.“ Nicht ohne Folgen, wie Zickgraf schreibt: die Menschenzoos hätten damals den „rassistischen Blick“ geschärft.

In den Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts, als sich die Massenmedien immer weiter verbreiteten, hatte die Aufklärer-Rolle der Zoologische Gärten an Bedeutung eingebüßt. Aber da war die Lektion ja bereits gelernt. Und Untermenschen musste man nicht mehr aus fernen Ländern herbei schiffen. Jetzt konnte man sie auch in der Nachbarschaft finden.

Im Nachkriegsfernsehen der Bundesrepublik fand man dann für Untermenschen keine richtige Verwendung mehr. Ausserdem gab es ja keine mehr. So mussten wieder seltene Tiere für die Exotik-Faszination der Massen sorgen und der erste mediale Zoodirektor Professor Bernhard Grzimek mit seinen possierlichen Exponaten wurde zum grossen TV-Ereignis.

Weil heute ein Grossteil des deutschen Fernsehprogramms aus exotischen Tieren besteht, sind sie es nicht mehr. Trotzdem versuchen immer wieder neue Medienzoo-Direktoren, mit Exotik Quote und Auflage zu machen. Da aber neben Tieren auch „Neger“ und Juden „durch“ sind, bemüht man sich,  die letzte Anders-Gruppe möglichst lange im Gehege zu halten: Die Homosexuellen.*

Als Frank Plasberg im Dezember des vergangenen Jahres in seiner ARD-Talk Show „Hart aber Fair“ über das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare debattieren ließ, konnte man die Angst der Redaktion förmlich spüren, das Exotik-Potiential des Themas nicht voll auskosten zu können. Man hatte in der Vorbereitung alles getan, eine Frage von Grundrechten als die eines schrägen Lifestyles zu inszenieren. Man hatte auch vorsorglich die Rollen der Pro-Homorechte-Diskutanten mit zwei Unterhaltungskünstlern besetzt. Aber selbst darauf kann man sich ja heutzutage nicht mehr verlassen.

Politik darf nicht auf Wirklichkeit treffen

Bevor überhaupt diskutiert wurde, gab es deshalb zur Einführung in das „Homo-Ehe“- Thema einen Einspielfilm über einen schwul-lesbischen Weihnachtsmarkt („nicht nur der Glühwein heizt hier ein“). Inklusive Travestieshow natürlich sowie rhythmisch tanzenden halbnackten männlichen Unterhosenmodels, diesmal auf einer einer „so genannten Sport-Modenschau“. Wer denkt, dass diese Form öffentlich-rechtlichen Aufklärungsfernsehens vielleicht doch etwas zu viel ver- als erklärt, könnte sich täuschen. Sie entspricht zumindest einem bewährtem Prinzip der Volksbildung: Schon für den Erfolg der „Volksschauen“ im 19. Jahrhundert war es wichtig, so schreibt Zickgraf, dass die Exoten „ihre eigenen Gebräuche theatralisch zur Schau stellen“.

Die Plasberg-Redaktion war sich aber wohl immer noch nicht sicher, ob ihr mit diesem Film die angemessene Einstimmung auf die Frage gelungen war, ob man solche Menschen tatsächlich auf kleine Kinder loslassen dürfe. Für die von der Reaktion offensichtlich als notwendig betrachtete Verstörungsstufe fehlte noch der ultimative Kick.

Was Plasberg dann in die Kamera hielt, war, na ja, ein Adventskalender, den die Redaktion auf dem homosexuellen Weihnachtsmarkt erworben hatte.  „Sexy X-mas“ stand darauf unter einem Foto mit Männermodels, die mit glitzernden Boxershorts und Weihnachtsmützen bekleidete sind, während sie vor einem Weihnachtsbaum Geschenke auspacken.

In anderem Kontext hätte man dieses eher biedere Foto wohl dem Merchandise-Sortiment der Chippendales oder anderen Heroen des Junggesellinenabschieds zugeordnet. Und wer einmal an dem Sortiment eines Bahnhofskioskes oder bei „bild.de“ vorbei gelaufen ist, kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass man mit einem solchen Kalenderfoto überhaupt irgendeine Diskussion anzetteln kann. Allenfalls vielleicht darüber, ob es das Gleiche ist, wenn man Männer so als Objekt der Begierde ablichtet, wie man es sonst bei Frauen gewohnt ist

Das Ende der Toleranz

Eine Geschmackssache ist nur dann eine Geschmacksache, wenn es um den von Heteros geht. Bei dem Adventskalebder von Homosexuellen aber schrillen bei jemanden wie Plasberg die Alarmglocken. Wie ein Staatsanwalt in einem Indizienprozess kurz vor dem Ende eines Hollywood-Gerichtsfilmes präsentierte er den Kalender wie eine Trophäe. Stolz, als hielte er das befleckte Kleid von Monika Lewinski in den Händen, endlich: Das alles erklärende Beweisstück für die alles entscheidende Frage.

Plasberg: „Wieso fordert eigentlich jemand gleiche Rechte, wenn er sonst so viel Wert aufs Anderssein legt?“

Atempause.

„Sogar an Weihnachten!“

Und damit niemand auf die Idee käme, er, Plasberg habe sich mal eben in eine lebende „Bild“-Schlagzeile verwandelt, und niemand glauben möge, diese rhetorische Frage sei das, was sie ist, nämlich eine rhetorische Frage, erklärt er diese dann noch zum ganz persönlichen Erweckungserlebnis: Die Existenz eines schwul-lesbischen Weihnachtmarktes, auf dem solche Kalender verkauft würden, sagt er dann, liessen ihn daran zweifeln, ob er tatsächlich sei, was er bisher dachte zu sein. Nämlich ein „berufstoleranter Grossstädter.“

Zur Weihnachtszeit 2011 erklärte bild.de unter den im nicht geschützten Bereich veröffentlichten Fotos der „erotischsten Adventskalener“ mit leicht bekleideten Frauen: „Wer es jeden Tag bunt treibt, verbrennt eine Menge durch Plätzchen angefutterte Kalorien.“ Aber zurück zum Thema.

Dass die ARD einen homophobelnden Moderator beschäftigt, für den das Ende der Toleranz schon an einer Stilfrage beginnt, die er selbst geschaffen hat, ist ärgerlich. Doch am Beispiel Plasberg lässt sich beobachten, welche abstrusen Verrenkungen viele Medien unternehmen um einen homosexuellenfeindlichen Grundton zu erzeugen der dann zur Erkenntnis führt, dass natürlich der Homosexuelle selbst schuld an der Homosexuellen-Feindlichkeit ist. (Siehe auch: „Die Augstein-Brüderle-Brücke„.)

Bürgerlichkeit gegen Exotismus

Bei „Hart aber Fair“ zeigte schon der allererste Satz der Sendung, dass die Redaktion das Bedürfnis hatte, Politik möglichst nicht auf Wirklichkeit treffen zu lassen:

„Sollte es das geben: absolut gleiche Rechte für schwule Ehepaare?“ fragte Plasberg, was schon deshalb Unsinn ist, weil es ja nicht um „schwule“ sondern um „homosexuelle“ Partnerschaften geht, aber auch besonders verzerrend, weil es sich bei der Diskussion um die Frage der Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren zum Großteil um Kindern handelt, die bei lesbischen Müttern leben. Aber das ist natürlich nicht so schrill wie halbnackte tanzende Männer auf einem Weihnachtsmarkt.

Kritisiert man diese Form des Sendungsbewusstseins, stösst man meist auf Unverständnis. Klischees gibt es im Journalismus überall, eine gute Geschichte, ein relevantes Thema benötigt eben die Verengung, die Zuspitzung. Ausserdem haben Schwule und Lesben jahrzehntelang darum gekämpft, anders sein zu dürfen. Wie kann man jetzt den Medien vorwerfen, dass sie dieses Anders-Sein inszenieren? Ist ein Teil der Wahrheit nicht auch Wahrheit?

Die Frage ist, ob der Blick, aus dem heraus Medienleute wie Plasberg das Thema inszenieren wirklich nur eine dramaturgische Verzerrung ist. Oder nicht ganz einfach eine Fälschung? Wo wird das Klischee zur Lüge?

Über „Bild“ & Co. müssen wir da nicht reden. Über den „Spiegel“ schon.

Das Homo-Tourette-Syndrom des „Spiegel“

Das Magazin, dem man immer wieder eine Obsession für Hitler-Bilder unterstellt, leidet in Wahrheit unter einer viel tückischeren Störung: Es ist eine Art Homo-Tourette-Syndrom. In der Redaktion scheint es einen Wettbewerb darüber zu geben, Homosexualität als möglichst überdrehte Maskerade zu zeigen. Doch noch interessanter als der offensichtliche Zwang, Homosexuelle zu Freaks zu machen, ist das Gegensatz-Muster, mit dem das geschieht: Bürgerlichkeit gegen Exotismus.

Bild-Beispiel Nummer eins: Ein grosser bulliger Mann mit Vollbart, Lippenstift in einer Art Hochzeitskleid, das von monströsen Ballonbusenattrappen aufgedunsen wird. Daneben, Arm in Arm, eine kleine etwas rundliche Frau mit Fliege, schwarzer Anzugsweste und Schnurrbart. Der dazu gehörige Artikel „Preis der Freundschaft“ berichtet  über die parteiinternen die Schwierigkeiten des CDU-Politikers Volker Kauder. Es geht dabei auch am Rande auch um seine Rolle in der Debatte zur „Homo-Ehe“.

Eine Doppelseite, zwei Bilder: ein grosses, auf dem Kauder zu sehen ist (im Gespräch mit Angela Merkel) und auf der gegenüberliegenden Seite das mit den maskierten Homosexuellen. Der Text: „Kauder ist in der Nähe des Bodensees aufgewachsen, dort galt es lange als Gewissheit, dass die Mutter ins Haus gehört und Homosexualität Sünde ist. Nun weht der Wind des Neuen durch die CDU. Kauder spürt Unbehagen.“ Das Homo-Bild sagt nichts, es schreit.

Beispiel Nummer zwei, nur drei „Spiegel“-Ausgaben später. Wieder eine Doppelseite über die Schwierigkeiten eines CDU-Politikers, diesmal ist es der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, diesmal ist es ein Interview. Wieder ein grosses Bild, das den Politiker zeigt und wieder gegenüber ein Homo-Symbolbild a lá „Spiegel“: Zwei Männer mit Lippenstift, einer mit Bart, beide in einer Art Zwitterkostüm, halb Hochzeitskleid, halb im Frack. Es ist das gleiche Prinzip: Hier ein konservativer Politiker und gegenüber die Gegenwelt, der schrille Homo-Tourette-Schrei aus der Foto-Redaktion.

Bei einem Interview mit dem CSU-Politiker Horst Seehofer 2009 durften sich für die Aufschrillung der „Gegenseite“ zwei Männer mit Trachtenlederhose und nacktem Oberkörper küssen. Das Bild wurde auf dem Münchener CSD aufgenommenen, aus dem die Bildunterschrift eine „Schwulenparade“ machte, was sie ja nicht ist. Und, wie bereits oben beschrieben: selbst wenn, sie wäre ein Fotomotiv, das in die Irre führt, da das im Interview diskutierte Thema Adoptionsrecht ja hauptsächlich homosexuelle Frauen betrifft.

Homosexuelle sind auf „Spiegel“-Bildern fast immer Männer. Auch dann, wenn es im Text gar nicht um sie geht. Am besten halbnackt, verkleidet oder beides. Sogar bei einem 2010 erschienenen Artikel der Vorurteile über Schwule thematisieren soll („Die besseren Männer„), konnten die „Spiegel-Macher nicht anders als ihn mit einem nackten muskulösen Männeroberkörper zu illustrieren. Für die Hoffnung, dass das ironisch gemeint war, gibt es leider keine Anzeichen.

Drei Lügen in einem Bild

Sind sich die „Spiegel“-Leute ihrer Obsession bewusst? Oder ist es noch schlimmer? Meinen sie vielleicht sogar, dass ihre Bilder in einem realen Bezug zu dem stehen, was sie zu zeigen vorgeben? Unter dem Exoten-Foto aus dem Bouffier-Interview steht: „Homosexuelle als Brautpaar“. Doch das ist falsch. Anders als behauptet, zeigt das Foto gar kein „Brautpaar“. Das Bild zeigt keine „Homo-Hochzeit“, sondern eine „Homo-Demo“.

PR-Online textete in einem Beitrag zum CSD 2012 unter das gleiche Bild: „Homosexuelle forderten die rechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft.“ Ist doch egal, mag sich da mancher denken, Homo ist Homo, Asiaten sehen ja auch alle gleich aus.

Noch „falscher“ als die Behauptung der Bildunterschrift ist jedoch die damit beabsichtigte Symbolaussage. Wer „Homosexuelle aus Brautpaar“ unter ein Bild zu schreibt, das eigentlich eine Maskerade zeigt, will damit sagen,  dass es üblich ist, oder zumindest nicht so selten vorkommt, dass Schwule so oder ähnlich „heirateten“. Doch auch das stimmt nicht. Auch wenn sich der „Spiegel“ das nicht vorstellen kann oder mag: Homosexuelle sehen auch auf dem Standesamt meist aus wie andere Menschen auch.

Auch die Wortwahl der Bildunterschrift lügt. „Brautpaar“ unterstellt, dass es so etwas wie eine „Homo-Ehe“ gebe. Dabei demonstrieren Homesexuelle (und offensichtlich auch die beiden auf dem vom „Spiegel“ veröffentlichten Bild dafür, dass dies genau dies erst möglich wird. 

Kein Unfall

Schwer vorzustellen, dass der „Spiegel“ den tatsächlichen Anlass, den das Foto zeigt nicht gekannt hat. Die Fälschung ist kein Unfall. Sie gehört zum Prinzip. Und fast alle haben sich daran gewöhnt. Auch viele von denen, die öffentlich vorgeführt werden. Im Juli wird der „Spiegel“ in Köln mit einem Preis geehrt. Es ist die „Kompassnadel“ des Schwulen Netzwerk NRW. Er wird an Personen vergeben, die sich „in besonderer Weise für die Emanzipation der LGBT-Community eingesetzt haben.“

Peer Zickgraf schreibt über die Darstellung anderer Rassen vor über hundert Jahren: „Ein merkwürdiges Phänomen haftet der Menschenzoo-Epoche an“. Die groteske Inszenierung hätten weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten großen Protest hervor gerufen.

Gerade hat das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung der Ehe eingeleitet. Man muss nicht nach Frankreich schauen, um zu verstehen, dass damit die Geschichte der Diffamierung von Homosexuellen nicht zu Ende ist. Es beginnt nur ein neues Kapitel. Die Medien müssen sich entscheiden, welche Rolle sie darin spielen wollen.


* Auch wenn es mir an dieser Stelle nicht darum geht, das Schicksal von Minderheiten zu vergleichen, sei daran erinnert  dass unter Hitler auch Homosexuelle verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet worden. 

Unser Autor ist Verfasser des „Waldschlösschen-Appell“ gegen Homosexuellen-Feinlichkeit, der er zusammen mit dem Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen e.V. (BLSJ) initiiert hat und den über hundert Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichner aus unterschiedlichsten Medienformaten unterschrieben haben. Seit dem 9. Juni besteht auch die Möglichkeit den Appell online zu unterzeichnen.

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