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„Der trüben Stimmung etwas entgegensetzen“

Während hierzulande die Medienkrise große Opfer fordert, suchen zwei Journalistinnen an fernen Orten nach der digitalen Zukunft des Journalismus. Von New York bis Tokio erleben sie einen Optimismus, den sie sich auch für Deutschland erhoffen.

Amrai Coen und Caterina Lobenstein sind gerade auf Weltreise, einer Weltreise in die Zukunft der Medien. Sie besuchen Vordenker und Visionäre in Hamburg, Sao Paolo, New York, Tokio, Mumbai, Kairo, London. Im Interview erklären die beiden Journalistinnen, was sie bislang am meisten beeindruckt hat und was deutsche Medien von Projekten im Ausland lernen können.


VOCER: Eure Reise in die Zukunft des Journalismus begann in Hamburg, wo ein freier Multimediajournalist im Interview sagte, es sei momentan die beste Zeit, um Journalist zu sein. Ist das eine Ansicht, die euch zu dieser Reise motiviert?

Amrai Coen: Auf jeden Fall motiviert uns das, diese Reise zu machen. Wo immer ein Wandel stattfindet, etwas Neues entsteht, tut sich eine riesengroße Chance auf. Zu schauen, wo es mit unserer eigenen Zukunft hingeht, finden wir spannend. Es ist frustrierend, immer nur darüber zu sprechen, was nicht gut läuft und dahin zu gucken, wo es bergab geht.

Es ist ja fast schicksalhaft, dass ihr diese Reise in die Zukunft des digitalen Journalismus ausgerechnet dann unternehmt, wenn hierzulande die Medienkrise die ersten großen gedruckten Opfer fordert. Beeinflusst das euch auf eurer Reise?

Caterina Lobenstein: Es war Zufall, dass gerade in der Woche, in der wir losgefahren sind, die „Frankfurter Rundschau“ Insolvenz angemeldet hat und kurz darauf die Einstellung der „Financial Times Deutschland“ angekündigt wurde. Klar berührt uns das, wir sind ja beide Printjournalistinnen. Und zu sehen, wie viele gute Kollegen ihre Stellen verlieren, ist traurig. Aber die Reaktionen auf das Zeitungssterben haben sich manchmal angehört, als würde der Qualitätsjournalismus sterben, nur weil die gedruckte Zeitung stirbt. Da kommt man sich fast naiv vor, wenn denkt: Lasst uns doch versuchen, ob es auch anders geht! Vielleicht können neue Geschäftsmodelle auch erst wachsen, wenn man sich von den alten löst. Wir haben auf unserer Reise ziemlich viele Leute getroffen, die den Mut hatten, genau das zu tun. Das beflügelt uns. Wir sitzen fast jeden Abend zusammen und denken: Wow, was für tolle Leute, die haben einfach keine Angst.

Amrai Coen und Caterina Lobenstein © Coen Lobenstein width=
Amrai Coen und Caterina Lobenstein

Wie habt ihr die Projekte und Menschen ausgesucht, die Teil eurer Reise geworden sind?

Amrai Coen: Das war eine Mischung aus Zufall und Absicht. Wir sind zum einen den kleinen Projekten nachgegangen – einzelnen Bloggern und Bürgerjournalisten, kleinen Start-Ups, die Nischen bespielen. Zum anderen wollen wir große Erfolgsgeschichten zeigen, zum Beispiel „Mediastorm“ oder „ProPublica“. Auf manche Projekte sind wir auch erst während der Recherche gestoßen.

Caterina Lobenstein: Und wir haben uns gefragt, welche Entwicklungen in den letzten Jahren den Journalismus verändert haben. Also zum Beispiel Social-Media-Kanäle, die auf einmal zur Plattform für Nachrichten wurden. In Kairo werden wir mit Bloggern sprechen, die während der Arabischen Revolution das gemacht haben, was in Ländern mit freier Presse die Nachrichtenagenturen übernehmen. Und in Japan schauen wir uns an, welche Rolle YouTube und Twitter nach der Katastrophe von Fukushima gespielt haben. Das war ja damals ein großer Bruch in der Medienlandschaft in Deutschland: Es gab Bedarf an Information und Einordnung, aber trotzdem sind die Auflagen der großen Magazine und Zeitungen eingebrochen.

Seit gut drei Wochen seid ihr unterwegs, was war bisher das Eindrücklichste für euch?

Amrai Coen: „ProPublica“ hat mich am meisten beeindruckt – als ein Modell, das funktioniert und weil es nicht ein einzelnes Projekt ist, sondern ein Konzept, das sich auf viele Länder übertragen lässt.

Caterina Lobenstein: Mir geht es sehr ähnlich. Stephen Engelberg, den wir bei „ProPublica“ interviewt haben, hat mit klaren Worten erklärt, was schief läuft: Die Verlage haben keine Monopolstellung mehr, sie können nicht mehr Gewinne von 20 oder 30 Prozent pro Jahr einfahren. Weil es diese Gewinne nicht mehr gibt, werden aufwändige Langzeitrecherchen kaum mehr finanziert. Gerade Investigativrecherchen sind es aber, die Missstände aufdecken und die Demokratie stärken. Wenn wir als Gesellschaft nicht darauf verzichten wollen, müssen wir sie zum Allgemeingut machen, so wie Museen und Theater.

Ihr arbeitet als Reporterinnen zum Beispiel für „Die Zeit“ oder „Geo Spezial“, vor allem für Print. Nun habt ihr den direkten Vergleich zu Journalisten in anderen Ländern – sind Deutschlands Printmacher bereit für den digitalen Umbruch?

Amrai Coen: Sie sind auf jeden Fall reif dafür. Die Frage ist vielleicht eher, ob noch irgendein Magazin es sich in ein paar Jahren leisten kann, keine eigenen Inhalte auf dem iPad zu produzieren. Und es gibt ja schon Projekte: In Hamburg, wo wir unsere Reise begonnen haben, sitzt die Multimedia-Redaktion des „Spiegel“. Die Redakteure arbeiten eng mit den Printleuten vom „Spiegel“ zusammen. Ihre Aufgabe ist es nicht, Printgeschichten zu ersetzen, sondern im Gegenteil: Sie wollen lange, gut recherchierte, geschriebene Geschichten schützen. Sie wollen, dass der Leser durch zusätzliche Videos, Animationen und Grafiken noch tiefer in die Geschichte eintauchen kann. Nur halt nicht auf dem Papier, sondern auf dem Tablet oder dem Smartphone.

Schwierig ist es mit dem Erkenntnisgewinn auch beispielsweise aus den Favelas in Sao Paolo, wo ganz andere Umstände herrschen als bei uns. Habt ihr konkrete Ideen, wie sich Erfahrungen aus solchen Ländern trotzdem auf den hiesigen Journalismus übertragen lassen?

Caterina Lobenstein: Es geht uns vor allem darum, einen Geist einzufangen und der trüben Stimmung in Deutschland etwas entgegen zu setzen. Man kann natürlich einen Blogger, der für Sao Paulos größte Zeitung aus den Favelas berichtet, nicht eins zu eins vergleichen mit einem Bürgerjournalisten, der aus Hamburg-Mümmelmannsberg für den „Zeit“-Leser in Eppendorf schreibt. Aber das Prinzip lässt sich übertragen.

Amrai Coen: Genau wie die Recherchemethode von Gustavo Faleiros, ein Umweltjournalist, den wir in Brasilien getroffen haben. Er sammelt Fakten über den Amazonas und spannt die Amazonasbewohner als Recherchehelfer ein. Das kann man überall machen: Wenn zum Beispiel Menschen aus aller Welt berichten, wie sie den Klimawandel vor ihrer Haustür wahrnehmen, dann bildet das am Ende ein riesengroßes Puzzle, das ein Journalist allein niemals hätte zusammenfügen können. Die Frage ist, ob sich so etwas wie „ProPublica“ auf Deutschland übertragen ließe, weil es hier im Vergleich zu den Staaten eine andere Spendermentalität gibt. Aber in manchen Ländern hat es ja schon funktioniert.

Ihr seid noch bis 21. Dezember unterwegs. Was steht als nächstes an?

Amrai Coen: Wir sind gerade in Japan angekommen, danach fliegen wir weiter nach Mumbai.

Welchen Rat möchtet ihr jetzt schon hiesigen Medienmachern mit auf den Weg geben?

Caterina Lobenstein: Mir fällt spontan ein Zitat ein, schon wieder von Stephen Engelberg. Er sagt, die Zukunft des Journalismus könne man nicht voraussagen, aber sie sei viel besser, als wir alle denken. Dieser Optimismus, den wir vor allem in den USA erlebt haben, könnte uns bestimmt gut tun. Engelberg hat auch gesagt: „Schaut euch an, wie voll die Journalistenschulen sind. Entweder die Leute, die gerade anfangen zu studieren, sind alle naiv und verrückt – oder sie wissen irgendwas, das die alten Medienmacher nicht wissen. Ich tippe auf letzteres.“

Amrai Coen: Ein Punkt, den man nicht vergessen darf, ist: einfach machen! Ich glaube, oft fehlt den großen Redaktionen der Mut dazu. Sich trauen und keine Angst vor dem Verlust haben. Bei allen Projekten, die wir uns bisher angeguckt haben, waren das Leute, die den Mut haben, einfach mal auszuprobieren.

Caterina Lobenstein: Und nicht nur den Mut etwas auszuprobieren, sondern dann auch langfristig in das neue Projekt zu investieren. Vielen deutschen Verlagen kaufe ich es nicht ab, dass sie es mit Online ernst meinen, wenn ich mir ihre Online-Seiten angucke. Die sind, sicher oft aus Geldmangel, nicht viel mehr als ein Abklatsch der Printausgabe. Ich habe nicht das Gefühl, dass Online als gleichwertiges Produkt betrachtet wird. Dass man Erfolg hat, wenn man es ernst meint, haben wir in den USA gesehen: Brian Storm von „Mediastorm“ zum Beispiel ist kompromisslos, was die Qualität seiner Multimediastücke angeht. Wenn es sein muss, dann steckt er da viele Monate Arbeit und Zehntausende Dollar rein. Weil er ein cleveres Geschäftsmodell hat und seine Arbeiten querfinanziert, bekommt er so was gestemmt. Oder die Leute von „ProPublica“: Die wollen die besten Leute, die es gibt. Also zahlen sie ihren Chefs mehrere Hunderttausend Dollar im Jahr, damit sie nicht zu einem Magazin oder einer Zeitung gehen. Ich glaube, diese Wertschätzung von Alternativen zum klassischen Printjournalismus fehlt in Deutschland.


Amrai Coen und Caterina Lobenstein sind auf einer Weltreise in die Zukunft des Journalismus. In den Metropolen der Welt von Hamburg bis Tokio treffen sie Redakteure und Blogger, Online-Rechercheure und Twitter-Pioniere, die Akteure digitaler Revolutionen und journalistischen Fortschritts. Weitere Berichte, Eindrücke und Interviews finden Sie im Next Media Blog.<


Dieses Interview steht unter einer CC-Lizenz.

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