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Wir waren alle blind

Die Vorwürfe an die Sicherheitsbehörden wegen der rechtsextremen Terrorserie nehmen kein Ende. Aber wo bleibt beim aufgeregten Fingerzeig auf die Anderen unser eigenes Eingeständnis von Fehlern? Sechs Fragen an uns Journalisten.

„Der Verfassungsschutz hat versagt“, „NSU-Pannenserie“, „Landkarte des Versagens“ – so lauten nur einige Überschriften dieser Tage, wenn wir Journalisten über die Aufklärung der rechtsextremen Mordserie berichten. Dann lehnen wir uns im Bürostuhl zurück und zeigen auf überforderte Polizisten, geheimniskrämerische Verfassungsschützer und Politiker, die herumlavieren und Akten verheimlicht haben. 

Natürlich müssen wir die Aufklärung durch kritische Berichterstattung begleiten. Aber wo bleibt beim aufgeregten Fingerzeig auf die Anderen unser eigenes Eingeständnis von Fehlern? Ich hätte da mal ein paar Fragen:

1. Wieso sind wir so staatshörig?

Jede „geheime“ oder „interne“ Akte, die „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt ist, löst bei uns einen Reflex aus: Wir sind stolz auf unsere Recherche, fühlen uns richtig kritisch, wenn wir das Papier trotzdem veröffentlichen – und laufen Gefahr, alles zu unreflektiert zu übernehmen und nicht mehr zu hinterfragen, was in einer LKA-Amtstube, bei einer Sonderkommission oder in einem Verfassungsschutz-Büro aufgeschrieben wurde.

Nur so ist es zu erklären, dass selbst das am professionellsten recherchierende Medium in Deutschland, „Der Spiegel“, nur wenige Monate vor Bekanntwerden der mutmaßlichen Terror-Zelle hinter der Ceska-Mordserie eine „mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern“ sah. Im August 2011 legte das Magazin nach: Es zitierte eine Quelle der Polizei, die behauptet, die Ermittler zu „einer romantischen Villa nahe des Bodensees führen“ zu können. Dort liege die Tatwaffe in einem Tresor. „Der Spiegel“ schreibt: „Die Morde, so viel wissen die Ermittler, sind die Rechnung für Schulden aus kriminellen Geschäften oder die Rache an Abtrünnigen.“ Nur neun Wochen nachdem dieser Artikel erscheint, erschießen sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach.

2. Weshalb haben wir den Opfern nie richtig zugehört?

Gern schreiben wir heute, dass die Polizei „auf dem rechten Auge blind“ gewesen ist und ein Jahrzehnt lang in die falsche Richtung ermittelt habe. Als Kronzeugin für den latenten Rassismus der Ermittler muss Gamze Kubaşık, die Tochter des in Dortmund ermordeten deutschen Staatsbürgers Mehmet Kubaşık, herhalten. Sie hatte der Polizei schon bald nach der Hinrichtung ihres Vaters berichtet, dass er keine Feinde gehabt habe. In der Türkei nicht und auch in Deutschland nicht. Sie war immer davon überzeugt, dass er von Neonazis ermordet wurde. „Die Beamten haben nicht auf mich gehört“, sagt sie heute. Aber wo waren unsere Mikrofone und offenen Ohren, die Gamze Kubaşıks Meinung an die Öffentlichkeit transportiert haben? Wir haben sie und all die anderen Angehörigen der Opfer der Mordserie meist gar nicht gefragt. Und als doch einmal ein WDR-Reporter Gamze Kubaşık stundenlang interviewte, wurde ihre Vermutung einer ausländerfeindlichen Tat – die sie in jedem Interview wiederholte – später rausgeschnitten und nicht gesendet. Nie.

3. Wieso haben wir alle voneinander abgeschrieben?

Eigentlich hätte uns Sprachpapst Wolf Schneider allein die Formulierung um die Ohren hauen müssen: „Döner-Killer“, „Döner-Morde“, „Döner-Mörder“. Seit wann können Fastfood-Speisen Menschen umbringen? Mit solchen Knickrigkeiten haben wir uns nicht aufgehalten, nachdem das Wort „Döner-Mord“ am 31. August 2005 zum ersten Mal in einer Überschrift der „Nürnberger Zeitung“ auftaucht. Aus Platzmangel. Eigentlich hätte es „Der Mord an dem Döner-Verkäufer“ heißen sollen. Das nur zwei der zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Opfer überhaupt einen Bezug zum türkischen Imbissgewerbe hatten, ist später der dpa sowie der „Neuen Zürcher Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen“ egal.

Sie machen wenig später das Wort bundesweit bekannt. Über den Boulevard von „Bild“, „BamS“ und „Abendzeitung“ wird der „Döner-Killer“ zum festen Begriff, den auch „Süddeutsche“, „Spiegel“ und sogar die „taz“ vielfach benutzen. 2011 wird „Döner-Mord“ als „Unwort des Jahres“ gebrandmarkt: „Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechtsterroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.“

4. Wem helfen Verdächtigungen?

Derzeit drehen wir Journalisten jeden Stein um. Kein noch so kleines Detail ist zu unwichtig, nicht berichtet zu werden. „Der Freitag“ will beispielsweise herausgefunden haben, dass im Zwickauer Versteck der mutmaßlichen Terrorzelle nur „zwei Zahnbürsten für drei Terroristen“ im Bad gestanden haben. Aus dieser Information macht die Wochenzeitung ein langes Stück mit vielen Fragen. Dem Leser wird suggeriert, dass das Trio eventuell mehrere Wohnsitze im Untergrund hatte. Okay. Dass sich laut Asservatenliste der Brandwohnung noch mehrere originalverpackte Zahnbürsten in der Wohnung und zwei Bürsten in den Kulturbeuteln von Mundlos und Böhnhardt im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach befanden, verschweigt der Autor. Wem bringen solche Spekulationen mit taktisch ausgewählten Info-Häppchen etwas – außer vielleicht den Medien, die aufmerksamkeitsheischend Schlagzeilen daraus ziehen?

5. Warum machen wir gerade wieder die gleichen Fehler?

„Acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin“ heißt eine ARD-Dokumentation, die im März 2012 erstmals den Blick auf die Angehörigen der Opfer lenkte. Ein wichtiger Film, zu Recht preisgekrönt. Doch der Titel ist falsch. Was wollen uns die Autoren sagen? Können Griechen und Türken in Deutschland keine Polizisten werden? Bei dem deutschen Opfer wird der Beruf in den Mittelpunkt gestellt, bei den anderen Opfern allein die Herkunft. Einige der anderen Opfer waren erfolgreiche Geschäftsleute. „Ein Blumenhändler, ein Änderungsschneider, zwei Obst- und Gemüsehändler, ein Imbissmitarbeiter, ein Schlüsseldienstbesitzer, ein Döner-Imbiss-Geschäftsführer, ein Kioskbetreiber, ein Internet-Café-Besitzer und eine Polizistin“ wäre korrekt gewesen. Außerdem hat sich ein zweiter Fehler in den Titel geschlichen. Mindestens zwei der Opfer – Halit Yozgat aus Kassel und Mehmet Kubaşık aus Dortmund – waren deutsche Staatsbürger. Zu keinem Zeitpunkt wurden also „neun Ausländer“ hingerichtet, wie „Financial Times Deutschland“, „Frankfurter Rundschau“, „Die Welt“ und zuletzt „Bild“ („neun ausländische Kleinunternehmer“) noch heute in Artikeln behaupten.

6. Warum wissen wir mal wieder nur hinterher alles besser?

Wir benutzen rassistische Begriffe, wir glauben staatshörig allein dem LKA, hören den Opfern nicht zu – am Ende hatten aber nur die anderen Schuld. Warum fällt es uns so schwer, uns bei den Familien der Opfer zu entschuldigen für unsere Verdächtigungen? Wo ist die „Spiegel“-Titelgeschichte, die sich kritisch mit der eigenen Berichterstattung auseinandersetzt? Wieso sind nur wenige Journalisten so ehrlich wie Hans Leyendecker und geben offen zu:

„Es ist ein Stück eigenes Versagen. Auch Journalisten haben nicht gefragt: Kann das nicht einen fremdenfeindlichen Hintergrund haben?“

Dieser Artikel basiert auf Recherchen für das Buch „Die Zelle – Rechter Terror in Deutschland“ (Rowohlt), das Christian Fuchs gemeinsam mit John Goetz geschrieben hat.

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