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Wie die Digitalisierung unsere Kommunikation umkrempelt

Mit dem Morgen ist es wie mit dem Kommunizieren – wir können es gar nicht vermeiden. Zum Abschluss unserer Reihe mit „Süddeutsche.de“ betrachten wir, wie wir künftig kommunizieren.

Wir können darüber spekulieren, wie die Digitalisierung die Art verändert, wie wir morgen einkaufen, forschen oder ausgehen werden. Wer in seinen Schlussfolgerungen aber nicht stets bei der Apokalypse landet, wird erkennen: Es wird ein Morgen geben – wenn auch ein etwas anderes.

Über das digitale Kommunizieren der Zukunft zu schreiben, ist deshalb in doppeltem Sinn ein passender Abschluss für die Reihe „Digitales Morgen“, die sich mit den Veränderungen der Digitalisierung auf unseren Alltag befasst hat. Denn das „Morgen“ wie das „Kommunizieren“ haben etwas gemeinsam: Wir können es auch mit größter Anstrengung kaum vermeiden. Anders formuliert: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

So hat es der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik zusammengefasst und damit mindestens indirekt einen Wesenszug der Kommunikation benannt, den sie auch unabhängig jeglicher Digitalisierung trägt: Sie verändert sich ständig.

Wer heute kommuniziert, greift in der Regel nicht auf Steintafeln oder Papyrus zurück. Dieser Wandel hat nicht zum Niedergang der Kultur und zum Ende der Zivilisation geführt – auch wenn diese Befürchtung Generationen über Jahrhunderte hinweg verbindet. Daran zu erinnern, ist wichtig,  weil wir gerade  mitten in einem besonderen Veränderungsprozess stecken: Die Handschrift wird das gleich Schicksal ereilen wie die Keilschrift, Programmieren wird das neue Latein und der echte menschliche Austausch droht zu verkommen.

Verzichten wir auf solche Spekulationen, stattdessen möchte ich drei allgemeine Entwicklungslinien benennen, die wir im täglichen Kommunizieren bemerken und deren Fortführung sich andeutet.

1. Schreiben ist das neue Reden

Menschen, die sich um den Fortbestand der Kultur sorgen, bedrückte in den achtziger Jahren eine Angst, die mit einem Übermaß an Bildern zu tun hatte. Das sich ständig ausbreitende Fernsehen spülte Bilder, Bilder, Bilder in die sprichwörtlichen Wohnzimmer der Menschen. Daraus erwuchs eine zentrale Sorge: Der Text, der als Ausdruck kontemplativer Tiefe und intellektueller Reife galt, würde durch das TV-Signal ungelesen in den Hintergrund – konkret in die Ecken der Buchregale – gedrängt.

Wie merkwürdig diese Sorge 30 Jahre später wirkt, erkennen wir daran, dass man jüngeren Smartphone-Besitzern heute erklären muss, dass sie mit ihrer aktuellen Version des Taschencomputers auch telefonieren können. Smartphone-Nutzung gerade unter jungen Menschen ist kurztextgetrieben. Live-Chats, Twitter- und Facebook-Nutzung sowie die gesamte Mailkommunikation ist zwingend an das Medium Text geknüpft. Erst langsam (zum Beispiel durch das Aufkommen von Instagram und Snapchat) werden auch Bilder in diesem Textkontext (mit)teilbar.

Die Kommunikationskultur ist dadurch lebendiger geworden. Text als kulturelle Kategorie wurde durch neue Abkürzungen und Emoticons belebt und erfreut sich *lol* einer vitalen wie viralen Präsenz, die zu einer erstaunlichen Verschiebung der Bewertungsmuster geführt hat. Was früher beiläufig dahergesagt war, ist im Netz stets beiläufig dahergeschrieben. Die Flüchtigkeit der gesprochenen Kommunikation wird auf das geschriebene Wort übertragen – und führt so zu einer Renaissance alter oraler Erzähltraditionen in einem neuen, digitalen Kontext der Schriftsprache. Das „ask me anything“-Format auf der Plattform Reddit (Frag mich alles, was du wissen magst) ist zum Beispiel die digitale Entsprechung eines alten Lagerfeuers: Menschen setzen sich zusammen und kommunizieren – nun eben auf Basis von Text.

2. Metadaten sagen mehr als tausend Worte

Wenn wir über menschliche Kommunikation nachdenken, denken wir an Worte, an Gesten und inhaltlichen Austausch. Der NSA-Überwachungsskandal, der auf erstaunliche Weise ein Brennglas auf die Mechanismen gegenwärtiger Kommunikation gehalten hat, beweist aber: Daten sind wichtiger als Inhalte, Metadaten sagen mehr als
tausend Worte.

Stewart Baker, ehemaliger juristischer Chef des amerikanischen Geheimdienst sagte vor Kurzem: „Metadaten verraten dir absolut alles über eine Person. Wenn man ausreichend Metadaten hat, braucht man gar keine Inhalte.“ Kontext schlägt Content. Anders formuliert: Die Worte eines Satzes sind nutzlos, wenn man nicht weiß, wer sie wann mit wem an welchem Ort gewechselt hat. Mehr noch: All diese so genannten Metadaten sind so aussagekräftig, dass unerheblich wird, welche Worte es waren.

Diese Meta-Kommunikation interessiert aber eben nicht nur die Datensammler von NSA oder Google. Diese Meta-Kommunikation wird auch uns in Zukunft genauso interessieren wie heute schon die Worte, die man uns sagt. Wo Inhalte leicht kopierbar sind, bekommt der Zusammenhang, in dem diese Inhalte stehen, eine besondere Bedeutung. Robert Scoble und Shel Israel haben in ihrem gleichnamigen aktuellen Buch deshalb bereits das „Zeitalter des Kontext“ ausgerufen und stellen darin besondere Kommunikationsinstrumente vor, die zum Beispiel aus Metadaten Mehrwerte machen – also nicht nur den besten Schweinebraten der Stadt benennen, sondern das Restaurant, an dem man ihn genau jetzt bekommen kann (weil gerade geöffnet und Schweinebraten noch nicht aus ist). Brillen, die mehr sind als Sehhilfen, Smartphones und kommunzierende Kleidung liefern diese Metadaten und bündeln sie – nicht nur für den Nutzer.

3. Kommunikation wird (noch) unbewusster

Der Satz „Ich bin gerade im Zug“ wird für künftige Generationen das sein, was für die erste Generation der Netznutzer heute das Rauschen eines Modems ist: ein Geräusch aus fremder Zeit. Wer in einer gewöhnlichen Großstadt mit der S-Bahn fährt, kann den Satz noch regelmäßig hören. Menschen sagen ihn in ihre Mobilfunkgeräte. In Zukunft wird das Telefon diese Information (wenn gewünscht) bereits übermittelt haben. Niemand wird mehr sagen müssen, wo er sich während eines Anrufs gerade befindet. Denn nicht nur das Telefon wird kommunizieren, ohne dass wir es bemerken – auch eine Brille oder Kleidungsstück kann diese Aufgabe übernehmen.

Das bruchlose Teilen von Inhalten (frictionless sharing) ist eines der Schlagworte der Social-Media-Welt. Es beschreibt z.B. die automatische Anzeige von aktuell abgespielten Liedern im Profil eines Facebook-Nutzers. Dabei können die Kleinstcomputer natürlich viel mehr über- und ermitteln als nur den gerade laufenden Song: Ort, Begleitung, Blutdruck oder Körpertemperatur sind Metadaten künftiger Kommunikation, die selbst den Unkreativsten einfallen. Wer hier mehr Inspiration sucht, kann in der Quantified-Self-Bewegung sehen, welche Möglichkeiten des (unbewussten) Datensammelns sich noch ergeben.

Vor dem Hintergrund der Geheimdienstüberwachung mag dies zunächst merkwürdig klingen, aber diese Daten stehen tatsächlich für positive Möglichkeiten der Kommunikation. Sascha Lobo geht sogar soweit, von einer Datenbegeisterung zu sprechen, die künftige Kommunikation prägen wird, wenn sie denn bewusst geschieht. Denn natürlich gilt auch für
die Kommunikation der Metadaten das Prinzip des sozialen Austauschs: Es ist ein Geben und Nehmen. Und Menschen werden erkennen, dass sie den besten Schweinebraten in der Nähe nur dann genannt bekommen, wenn sie umgekehrt verraten, wo sie sich aufhalten. Wie weit sich dieses Prinzip auffächern lässt, erkennt man, wenn man eine vegane Alternative zum Schweinebraten in der Nähe sucht. Plötzlich bekommt die Expertise der Facebook-Freundin, die ständig fleischlose Rezepte postet, besondere Bedeutung – in einem anderen Kontext.

Um diese neuen Möglichkeiten der Kommunikation bewusst nutzen zu können, müssen wir ihr Prinzip verstehen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass der wahre Schatz (auch für jeden selber) sich in den so genannten Privatsphären-Einstellungen findet, nicht in den Status-Updates. Man muss besser verstehen, welche Metadaten man wann
an wen sendet, um zu bewerten, welche Möglichkeiten der Kommunikation sich daraus ergeben. Bei der Kommunikation des digitalen Morgen gilt das gleiche wie im analogen Gestern: Geglückte Kommunikation setzt voraus, dass man – trotz aller Automatisierung – stets weiß, was man sagt.


ImageDieses Beitrag ist der letzte Teil der gemeinsamen Reihe von VOCER und „Süddeutsche.de“ zum Thema Digitalisierung der Gesellschaft.Mitdiskutieren können Sie hier in den Kommentaren oder auf der Google+-Seite von „Digitales Morgen“.

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