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„Wer die Ausnahmestellung von Bild nicht anerkennt, geht unter“

Wie fühlt es sich an, im Fadenkreuz der Boulevard-Berichterstattung zu stehen? Christian Wulff beschreibt seinen Fall im Buch „Ganz oben, ganz unten“. Ein Auszug.

Am 17. Februar 2012 trat Christian Wulff nach 598 Tagen von seinem Amt als Bundespräsident zurück. In seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“ schildert er aus seiner Sicht, wie die Auslöseraffäre „inszeniert wurde“, was sich hinter den Kulissen abspielte und wie es sich anfühlt, derlei massiven Angriffen ausgesetzt zu sein. VOCER veröffentlicht diesen Auszug aus Wulffs Buch mit freundlicher Genehmigung von C.H. Beck im Rahmen des Dossiers „Seite Eins“, welches das gleichnamige Einpersonen-Stück begleitet. Lesen Sie hier das vollständige Einpersonenstück „Seite Eins“ von Johannes Kram.


Auch wenn ich mich darüber freute, dass Trennung und neues Glück dem Publikum positiv vermittelt wurden, so war mir die ganze Bild-Berichterstattung doch schon bald nicht mehr geheuer. Da wurde mir ein Persönlichkeitsprofil attestiert, das mit meiner Selbstwahrnehmung nicht übereinstimmte. Der Musterschwiegersohn ohne Ecken und Kanten habe durch die Trennung von seiner Frau und das Bekenntnis zu seiner neuen Freundin an Statur gewonnen. Wer aus einer so schwierigen Phase seines Lebens so gestählt hervorgehe, stehe zweifellos auch in anderen brisanten Situationen seinen Mann. Diese Lesart von Bild, die jedem glücklich Verheirateten einen Makel anheftete, war skurril. Ich habe Angi Baldauf immer öfter hingehalten und weniger mit Bild gemacht. Im Gegenteil: Die Scheidung, Hochzeit und Hochzeitsreise, die Geburt unseres Sohnes, Urlaube – alles ging an Bild und allen anderen Medien vorbei.

Die Geheimhaltung unseres Privatlebens erforderte viel Aufwand, zumal die Berichterstattung der Bild-Zeitung die anderen Blätter, insbesondere die Bunte, nicht ruhen ließ. Manches war einfach nicht zu verheimlichen, anderes kam heraus, weil jemand seinen Mund nicht halten konnte. Im Dezember 2011, als die Jagd auf mich begann, wurde alles, was wir damals zum Schutz unserer Privatsphäre unternommen hatten, so interpretiert, als hätte es ganz andere Motive für die Geheimhaltung gegeben. Die Hochzeitsreise zum Beispiel hatte ich angeblich nur verschleiert, um nichts von meiner Freundschaft zu Talanx-Aufsichtsrat Wolf-Dieter Baumgartl ruchbar werden zu lassen, der uns in sein Haus in der Toskana eingeladen hatte. Die Staatsanwaltschaft Hannover ist in dem gegen mich geführten Ermittlungsverfahren sämtlichen Hinweisen auch zu diesem Vorwurf nachgegangen, das Ergebnis ist aktenkundig.

Das Verhältnis zur Bild-Zeitung wurde durch meine Weigerung, mehr von unserem Privatleben preiszugeben, nicht einfacher. Ein Beispiel soll hier genügen. Im Dezember 2007 suchte Bettina ihre Gynäkologin auf, sie war im fünften Monat schwanger. Ihr Mutterpass lag auf dem Tresen. Ein Mann, der im Wartezimmer saß und sie erkannte, unterrichtete die Bild-Zeitung. Meinem Pressesprecher blieb nichts anderes übrig, als die Information zu bestätigen. Die wichtigste Frage, die Bild und andere jetzt beschäftigte: Wird es ein Mädchen oder ein Junge? Das ging wochenlang hin und her, und am 23. März 2008 „enthüllte“ Bild, Bettina erwarte ein Mädchen. Als am 12. Mai unser Sohn Linus auf die Welt kam, war Bild blamiert. Wie wir es auch anstellten, den Schlagzeilen entgingen wir so oder so nicht.

Was ich mit diesen Beispielen widerlegen will, ist die Behauptung, ich sei mit der Bild-Zeitung nach oben gefahren. Das ist ja der vielzitierte Satz des Springer-Vorstandsvorsitzenden: Wer mit ihnen im Aufzug nach oben fahre, fahre mit ihnen auch wieder runter. Er wurde in den Tagen der Krise um mein Amt und zuletzt im Zusammenhang mit dem Prozess immer wieder bemüht, so als wolle man damit sagen, warum beschwert er sich, jetzt sind sie doch quitt.

Heute bin ich überzeugt, dass ich der Bild-Zeitung zweimal als Blaupause gedient habe. Das erste Mal, im Juni 2006, lautete die Botschaft des Blattes an alle Personen des öffentlichen Lebens: Wer sich entschließt, gemeinsam mit uns eine schwierige Lebensphase transparent zu machen, wird gestärkt und nicht geschwächt daraus hervorgehen. Das zweite Mal, im Dezember 2011, lautete die Botschaft an die Prominenten unseres Landes: Seht her, so machen wir es mit jedem, der die Ausnahmestellung von Bild nicht anerkennt, er geht unter. Alles in allem war es mir in den Jahren bis zu meiner Wahl zum Bundespräsidenten gelungen, mein Verhältnis zur Bild-Zeitung in Balance zu halten, nicht mehr und nicht weniger.

Mit meiner Wahl am 30. Juni 2010 glaubte ich, dem Medienzirkus entkommen zu sein. Der Bundespräsident steht jenseits der Parteien und ist zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, so will es das Grundgesetz. Als Ministerpräsident war ich auf die Medien angewiesen, die mir halfen, den Bürgern das politisch Notwendige zu erläutern. Als Bundespräsident würde ich mich nur noch grundsätzlich zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen oder aus besonderem Anlass äußern. Auch müsste ich nicht mehr dauernd präsent sein, weil ich ja nicht mehr im Wettbewerb stand. Würde ich ab und zu ein Interview geben, hätte ich vor allem darauf zu achten, dass alle Medien gleich behandelt werden. So dachte ich. Mit diesem Missverständnis begann eine fatale Abfolge gegenseitiger Irritationen zwischen dem Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, und mir, die am Ende dazu führte, dass der Chefredakteur seine Leute ausschwärmen ließ.

Drei Tage vor meiner Bremer Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit war es zu einer ersten direkten Konfrontation mit Herrn Diekmann gekommen. Ende Juni 2010, also noch vor meiner Wahl, hatte er mich in sein Haus in Potsdam eingeladen, eine Gegeneinladung zum Frühstück im Bellevue war seit längerem für den 30. September verabredet. Auch unsere beiden Frauen nahmen daran teil. Das Gespräch kam, wie nicht anders zu erwarten, auf Thilo Sarrazin und meine bevorstehende Rede für den Sonntag. Ich hätte vor, auf die Rolle der Muslime in Deutschland einzugehen, sagte ich und hätte in meinem Redeentwurf den Satz: Der Islam gehört inzwischen zu Deutschland. Das ginge auf keinen Fall, sagte Diekmann. Ich kann nicht mehr im Einzelnen rekapitulieren, wer welche Argumente ins Feld führte, aber ich weiß, dass Diekmann mir deutlich sein Missfallen zum Ausdruck brachte, als ich sagte, für mich sei die Entscheidung gefallen.

Im vorigen Kapitel ist nachzulesen, mit welchen Schlagzeilen Bild in den Tagen nach der Rede reagierte. Dass der bekennende Katholik Diekmann sich durch diese Rede offenbar genauso provoziert fühlte wie Bischof Tebartz-van Elst und Kardinal Meisner, diese Möglichkeit habe ich zweifellos unterschätzt.

Spätestens am 23. November 2010 hätte ich wissen können, wohin die Reise ging. An diesem Tag geißelte der Vorstandsvorsitzende von Springer, Mathias Döpfner, unter der Überschrift „Der Westen und das höhnische Lachen der Islamisten“ in einem mehrseitigen Artikel der Welt jede Form von Nachgiebigkeit gegenüber dem radikalisierten Islam. Es handele sich hier um eine „kollektivistische, autoritäre, religiöse, vormoderne Gesellschaft“, deren Gefahren von weiten Teilen der nichtmuslimischen Welt leider „verharmlost“ würden. Unsere westliche Freiheit sei „so gefährdet wie seit 70 Jahren nicht mehr“. Seit 70 Jahren – das hieß, seit Adolf Hitler. „Auf dem jahrhundertelangen Weg zum Weltkalifat sind den fundamentalistischen Moslems alle Mittel recht, um zuerst Israel, dann Amerika und schließlich den gesamten libertären Westen von innen zu unterminieren und von außen zu zerstören – mit Parallelgesellschaften, Selbstmordattentaten und Atomwaffen. Auf unsere unbeholfenen Reaktionen, auf die naiven Angebote des Dialogs, der interkulturellen Verständigung, der westlich geprägten Sehnsucht nach Harmonie und Kompromiss reagieren die Strategen des globalen Kalifats nur mit höhnischem Lachen … Entweder wir haben die Symbolik des gefallenen World Trade Centers verstanden und nehmen den Kampf an. Oder wir sind verloren.“

In der Wahl der Mittel zu meiner Bekämpfung kannte Springer kein Pardon. Man investierte sogar in ausgiebige Recherchen zu meiner Kindheit. Das Ergebnis war ein ganzseitiger Bericht in der Welt am Sonntag vom 26. Juni 2011 über meine von mir angeblich verheimlichte Halbschwester, „eine unerwähnte Episode im Leben des Bundespräsidenten“. Diese Halbschwester, die ich 1998 bei der Beerdigung meines Vaters zum letzten Mal gesehen hatte, verkehrte ausschließlich anwaltlich mit mir, ihr einziges erkennbares Motiv waren finanzielle Interessen, es gab kein persönliches Verhältnis. Ich war bei meiner Mutter aufgewachsen. Mein Vater hatte in hohem Alter im Zuge einer Erwachsenenadoption eine junge Frau an Kindes statt angenommen. Sie habe lange mit sich gekämpft, so meine neue Halbschwester in der Welt am Sonntag, ob sie sich auf ein Interview überhaupt einlassen und „aus dem Dunkel der Anonymität heraustreten soll“. Sie wolle zwar „keine schmutzige Wäsche waschen“ – das erledigten selbstredend die Redakteure –, aber dass sie nirgendwo vorkomme, das versetze ihr schon einen Stich.

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